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Verzauberte und Unbesungene

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
244 Seiten
Deutsch
Books on Demanderschienen am12.03.20231. Auflage
Nicht jeder, der ein Heldenlied verdient hätte, bekommt auch eines. Wer dunkle Machenschaften in der Hofkanzlei aufdeckt, an alten Feinden keine Rache nimmt oder einem Geist hilft, sich Gehör zu verschaffen, bleibt also vielleicht unbesungen - aber ist das wirklich von Nachteil? Vier Geschichten laden ein zu einem Besuch in einer verzauberten Welt.

Maike Claußnitzer ist Germanistin und lebt als freie Übersetzerin in Hamburg.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,90
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR7,49

Produkt

KlappentextNicht jeder, der ein Heldenlied verdient hätte, bekommt auch eines. Wer dunkle Machenschaften in der Hofkanzlei aufdeckt, an alten Feinden keine Rache nimmt oder einem Geist hilft, sich Gehör zu verschaffen, bleibt also vielleicht unbesungen - aber ist das wirklich von Nachteil? Vier Geschichten laden ein zu einem Besuch in einer verzauberten Welt.

Maike Claußnitzer ist Germanistin und lebt als freie Übersetzerin in Hamburg.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783757832193
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum12.03.2023
Auflage1. Auflage
Seiten244 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.11213219
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Falsch herum

Das Teehaus »Zu den drei himmlischen Rosen« war so früh am Vormittag noch fast leer, aber es lag angenehm am Weg, wenn man nach einem Besuch bei der Hafenzolleinnehmerin dem Regen entgehen wollte und es nicht eilig damit hatte, ins Praetorium zurückzukommen.

Ardeija war nicht böse, auf einer der Bänke die Beine von sich zu strecken und seinen schmerzenden Knöchel entlasten zu können, während sein kleiner Drache Gjuki sich neben ihm zum Schlafen zusammengerollt hatte, und Wulfila konnte nach dem Gespräch mit Frau Irmina ohnehin etwas Ruhe gebrauchen, bevor er wieder an die Arbeit ging. Irmina hätte sich schämen sollen, dass sie den Mann und zweiten Schreiber der Richterin immer noch anstarrte wie ein wunderliches Tier, wenn er sie wie heute in einer Gerichtsangelegenheit aufsuchte, aber da sie nun einmal war, wie sie war, fand sie nichts dabei, ihn weiter spüren zu lassen, dass er eben nicht nur mit ihrer alten Bekannten Herrad verheiratet, sondern auch und vor allem ein gebrandmarkter Dieb war.

Allein schon deshalb hatte Ardeija als Geleitschutz mitkommen müssen, und er betrachtete es als seine Pflicht, Wulfila nun zum Tee einzuladen.

Auch ein großer Graugansgeist hatte sich vor dem Regen geflüchtet und musterte neugierig die wenigen Gäste. Die Vorhänge, mit denen der Raum sich unterteilen ließ, waren abgesehen von einem Winkel ganz hinten anders als am Abend noch nicht zugezogen, aber vielleicht wäre ein Gespensterblick auch durch den dichten Stoff gedrungen.

»Anser«, sagte Wulfila und nickte leicht zu dem Gänsegeist hinüber. »Und forma anseris valde pulchra est, nicht wahr?«

Ardeija verzichtete gnädig darauf, ihm zu sagen, dass seine Beispielsätze auf ihre Art genauso seltsam waren wie die des ersten Schreibers Oshelm. In den letzten paar Monaten war es zu einem gemeinschaftlichen Vorsatz der Hochgerichtskanzlei geworden, dem Hauptmann von Herrads Wachen Latein beizubringen. Oshelm hatte den Anstoß dazu gegeben, aber in Wulfila und der Richterin bald willige Verbündete gefunden. Wann immer sie etwas entdeckten, dessen Bezeichnung man kennen musste, kam wie jetzt gerade ein neues Wort samt der Art, wie man es beugen musste, hinzu.

»Anser«, wiederholte Ardeija also brav, und die Gans wandte den Kopf und sah ihn an, als hätte er sie beim Namen genannt und nicht nur ihre Art bezeichnet. »Aber schmeichle ihr ja nicht zu sehr. Du kannst sie nicht mitnehmen. Schließlich habt ihr oft genug einen Fuchsgeist im Haus.«

»Der hat auch den Mäusegeist noch nicht gefressen«, wandte Wulfila ein, machte aber glücklicherweise keine Anstalten, das Gespenst zu sich heranzulocken. Unauffällig hätte sich das nicht bewerkstelligen lassen, und wenn man unter Menschen war, die anders als man selbst keine Geister sahen, empfahl es sich nicht, allzu sichtbar mit den Bewohnern der anderen Welt umzugehen, wenn man nicht für sehr albern gehalten werden wollte.

Ardeija lachte, lehnte sich noch ein wenig bequemer zurück und fand, dass die Wirtin, die eben in der geschützten Ecke hinter den zeltgleichen Stoffbahnen verschwunden war, allmählich hätte zurückkehren können, um den Tee zu bringen.

Der kam nicht; stattdessen wurde der Vorhang von der Hand eines Gasts, der dahinter gesessen haben musste, zurückgeschlagen, und der Mann sagte im Aufbrechen über die Schulter zu jemandem, der noch in dem Winkel war: »Wie gesagt, versprechen kann ich dir nichts; aber versuchen will ich es gern.«

Die Stimme war Ardeija nicht gut vertraut, aber aus der Erinnerung doch bekannt genug, um ihn ein zweites Mal hinsehen zu lassen. Er fand seine Vermutung bestätigt. Das Teehaus war beliebt, und eigentlich traf man hier immer jemanden, den man kannte, aber mit seinem Vorgänger an der Spitze von Herrads kleiner Kriegerschar hatte er nicht gerechnet, da der Mann seit seinem Weggang aus Aquae Calicis auf dem Bauernhof seiner Schwester gut eine Tagesreise entfernt unten an der Straße nach Ripa lebte und kaum jemals in die Stadt kam.

Goswin war schon alt gewesen, als er seinen Posten aufgegeben hatte, und seither naturgemäß noch älter geworden. Sein streng zurückgeflochtenes Haar war nun fast ganz weiß, und er stützte sich noch schwerer als früher auf den Stock, der ausgleichen musste, dass sein rechtes Bein ihn nur noch unter Schmerzen trug. Seinerzeit hatte die Verletzung, die es in einem Kampf mit Grabräubern draußen in der römischen Nekropole vor dem Südtor davongetragen hatte, den Ausschlag für den Rückzug des alten Hauptmanns aufs Land gegeben.

Der leuchtend gelbe Klappenrock mit den üppigen Stickereien, der unter seinem rostroten Umhang zu erkennen war, und der schwere silberne Armreif über der knotigen Faust, die er um den Griff des Stocks geschlossen hatte, fielen aber genug ins Auge, um zu zeigen, dass Goswin auch nun, da er kein Schwert mehr führte, niemand war, der sich in stiller Zurückhaltung übte. Einer wie er verkroch sich eigentlich selbst an einem kühlen Oktobermorgen nicht im verstecktesten Winkel des Teehauses, und dass er es doch getan hatte, erstaunte Ardeija genug, um ihn kurz stutzen zu lassen, bevor er höflich aufstand, um Goswin zu begrüßen, der auf dem Weg zum Ausgang an ihnen vorbeimusste.

Gjuki wurde davon wach und gähnte herzhaft, bevor er auf Ardeijas Schulter huschte, um bessere Sicht zu haben. Das war, wie es sein sollte; ganz und gar nicht im Rahmen des Gewohnten war allerdings, dass Wulfila sehr lange auf seinem Platz zögerte, bevor auch er auf die Beine kam. Irminas Benehmen musste ihn wohl noch mehr beansprucht haben, als schon zu vermuten gewesen war, wenn er erst überlegen musste, ob ein Bekannter seines besten Freunds die Mühe wert war.

»Das ist Herrads früherer Wachhauptmann, ich kenne ihn nicht gut, keine Sorge«, flüsterte Ardeija also rasch, um Wulfila zu beruhigen, dass es kein endlos langes Gespräch werden, sondern bei ein paar freundlichen Worten bleiben würde.

»Ich weiß, wer das ist, und kenne ihn auch nicht gut, aber besser, als ich möchte«, erwiderte Wulfila ebenso leise, und bevor Ardeija die ganze Tragweite dieser Erwiderung ermessen konnte, nahm das Verhängnis schon seinen Lauf, da Goswin sie entdeckt hatte und kurz verharrte, bevor er unweigerlich näherkam.

Erst gab Ardeija sich der Hoffnung hin, dass sie es einfach nur bei einem schnellen Gruß belassen würden, aber natürlich blieb Goswin stehen und bemerkte, nachdem man sich gegenseitig einen guten Morgen gewünscht hatte, Ardeija hier zu treffen, habe er nicht erwartet.

»Und dann noch in dieser Gesellschaft«, setzte er zwar nicht hinzu, aber es schwang so deutlich mit, als hätte er es laut ausgesprochen.

Gjuki schlug unruhig mit dem Schwanz, blieb aber ebenso still wie Wulfila, in dessen grauem Auge ein Ausdruck stand, den Ardeija über die letzten Jahre so schön verscheucht zu haben meinte. Die Mischung aus Besorgnis und Beschämung hatte er nie wieder sehen wollen, und dass Goswin sie hervorgelockt hatte, gefiel ihm ganz und gar nicht.

»Hier lässt sich der Regen doch gut aussitzen«, sagte er heiterer, als ihm zumute war. »Aber ich wusste nicht, dass Ihr in der Stadt seid.«

»Noch nicht lange«, erwidertet Goswin und betrachtete dabei das halb vom Ärmelsaum verdeckte Brandmal an Wulfilas rechtem Handgelenk mit der fachmännischen Neugier eines Künstlers, der abzuschätzen versuchte, wie gut sein Werk die letzten neun Jahre überstanden hatte.

Wer damals das Brandeisen geführt hatte, um den Diebstahl eines Huhns und eines Seidenhemds zu ahnden, war eine der Fragen, die Ardeija nie zu stellen gewagt hatte, weder seinem Freund selbst noch Herrad oder den Wachen, die seinerzeit schon in ihren Diensten gestanden hatten. Nun aber hatte er die Antwort darauf in aller Deutlichkeit und wünschte sich halb, sie nicht zu kennen.

Das, was Goswin als Nächstes sagte, kam allerdings unverhofft genug, ihn von seinen trüben Gedanken abzulenken. »Vielleicht haben wir ja noch irgendwann Gelegenheit, ausführlicher zu plaudern. Ich denke, ich werde in den nächsten Tagen einmal bei Frau Herrad vorbeischauen, bevor ich mich auf den Heimweg mache.«

Auf Besuche bei der Richterin hatte Goswin bei seinen seltenen Aufenthalten in Aquae Calicis bisher stets verzichtet. Wenn man ihm überhaupt begegnete, dann in der Stadt, aber zum Niedergericht war er in früheren Jahren nie mehr gekommen, und auch nicht in letzter Zeit zum Praetorium. Ardeija hatte ihn heimlich in Verdacht, noch immer dem nachzutrauern, was er hatte aufgeben müssen, und darum zu meiden, was ihn daran erinnern konnte. Dass er nun ankündigte, es diesmal anders halten zu wollen, passte schlecht zu dem Wenigen, was Ardeija über ihn wusste.

»Da wird sie sich sicher freuen«, sagte Wulfila in aller Liebenswürdigkeit, womöglich, um sich selbst daran zu erinnern, dass er hier und heute nicht der verurteilte Dieb war, sondern der Mann der Frau, die Goswin aufzusuchen gedachte.

Aber falls die Gerüchte über die unpassende Heirat der Richterin den Weg bis nach Ripa...
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