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Kant und das Leben nach dem Tod

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
304 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am15.11.2023
Die Einsamkeit und der Tod
Im Hofoldinger Forst nahe der A8 wird der abgetrennte Arm eines alten Mannes gefunden. Der Befund der Rechtsmedizin macht die Sache nur noch rätselhafter: Offenbar war der Arm über einen längeren Zeitraum tiefgekühlt, ehe er in dem Waldstück deponiert wurde. Die Spuren führen Hauptkommissar Kant und sein Team in eine Hochhaussiedlung im Münchner Stadtviertel Hasenbergl. Doch niemand in der Nachbarschaft scheint das Opfer zu kennen. Und der einsame alte Mann ist nicht der Einzige aus der Siedlung, der verschwindet. Welche finstere Wahrheit versteckt sich hinter den Wohnungstüren?

Marcel Häußler wurde 1970 in Essen geboren. Um die Jahrtausendwende arbeitete er in Köln als Kameraassistent und Cutter, als ihn die Liebe aus der Großstadt in ein bayerisches Dorf verschlug. Zwei Jahre später zog es ihn aus der Provinz nach München. Heute lebt er halb in Deutschland, halb in Portugal. Er veröffentlichte mehrere Kurzgeschichten, schrieb an Drehbüchern mit und übersetzte über dreißig Romane aus dem Englischen.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR16,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextDie Einsamkeit und der Tod
Im Hofoldinger Forst nahe der A8 wird der abgetrennte Arm eines alten Mannes gefunden. Der Befund der Rechtsmedizin macht die Sache nur noch rätselhafter: Offenbar war der Arm über einen längeren Zeitraum tiefgekühlt, ehe er in dem Waldstück deponiert wurde. Die Spuren führen Hauptkommissar Kant und sein Team in eine Hochhaussiedlung im Münchner Stadtviertel Hasenbergl. Doch niemand in der Nachbarschaft scheint das Opfer zu kennen. Und der einsame alte Mann ist nicht der Einzige aus der Siedlung, der verschwindet. Welche finstere Wahrheit versteckt sich hinter den Wohnungstüren?

Marcel Häußler wurde 1970 in Essen geboren. Um die Jahrtausendwende arbeitete er in Köln als Kameraassistent und Cutter, als ihn die Liebe aus der Großstadt in ein bayerisches Dorf verschlug. Zwei Jahre später zog es ihn aus der Provinz nach München. Heute lebt er halb in Deutschland, halb in Portugal. Er veröffentlichte mehrere Kurzgeschichten, schrieb an Drehbüchern mit und übersetzte über dreißig Romane aus dem Englischen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641307851
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum15.11.2023
Reihen-Nr.3
Seiten304 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1943 Kbytes
Artikel-Nr.11383240
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



1

Das Klopfen riss Antonia aus dem Schlaf.

Sie hatte das Geräusch schon tausendmal gehört und wusste, was es bedeutete. Lästige Fragen. Demütigende Blicke. Hektisches Anziehen und Zusammenpacken. Wenn man Pech hatte, Papierkram und Geldstrafen. Früher hatte sich ihre Mutter darum gekümmert, aber jetzt war Toni auf sich gestellt.

Das graue Licht, das durch die Vorhänge sickerte, ließ keinen Rückschluss auf die Uhrzeit zu. Normalerweise legte sie ihr Handy für alle Fälle auf die Holzkiste neben dem Bett, wenn sie schlafen ging, aber gestern war sie so müde gewesen, dass sie es vergessen hatte. Sie schlug die Wolldecke zur Seite und schlüpfte im Liegen in ihre Jeans. Das T-Shirt hatte sie am Abend gar nicht erst ausgezogen.

Wieder das Klopfen. So scharf und ungeduldig. Es war überall dasselbe. Von der Algarve bis zum Nordkap. Nicht, dass sie schon einmal in Skandinavien gewesen wäre, aber warum sollten sie da anders sein, die Cops, flics, bófias, Bullen oder was auch immer.

Barfuß ging sie über den Holzboden zur Seitentür. Ein Mützengesicht drückte sich an die Scheibe. Unverschämt. Übergriffig. Dies war ihr Zuhause. Gab es nicht so etwas wie die Unverletzlichkeit der Wohnung?

Sand knirschte in der Führungsschiene, als sie die Tür aufzog. Der Polizist wich einen Schritt zurück und trat mit seinen Stiefeln in eine Pfütze. Sein Gesicht war genauso grau wie der Himmel und der Parkplatz. In dem Streifenwagen hinter ihm knisterte das Funkgerät.

»Guten Morgen, junge Frau.« Er musterte sie mit einer Spur Belustigung in den Augen.

Instinktiv strich sich Toni über das kurze schwarze Haar, das nach dem Aufstehen aussah, als hätte sie in eine Steckdose gefasst. Besonders nach einer Woche ohne Dusche. Sie sah zum anderen Ende des Parkplatzes, wo das Dach des Olympiastadions aufragte. Obwohl dort drei Wohnmobile in Reisebusgröße standen, musste die Polizei natürlich Toni belästigen.

»Wie lange campieren Sie schon hier?«, fragte der Polizist. Der Nieselregen hatte seine Lederjacke mit einer glänzenden Schicht überzogen, und in seinem Backenbart blieben feine Tröpfchen hängen. Eigentlich sah der Mann ganz umgänglich aus, fand Toni. Er hätte Kinder in ihrem Alter haben können.

»Ich bin gestern Nacht erst angekommen«, sagte sie. »Gibt es irgendein Problem?«

Eine Polizistin, die offenbar eine Runde um Tonis schwarzen Sprinter gedreht hatte, tauchte hinter der Motorhaube auf und stellte sich neben ihren Kollegen.

»So was habe ich ja noch nie gesehen«, sagte sie. »Die TÜV-Plakette ist 2013 abgelaufen.« Sie legte den Kopf in den Nacken und sah zu Toni auf, die in der Tür des Wagens stand. »Das sind ... neun Jahre.«

»Ja«, sagte Toni. »Ich war in Portugal. Wie soll ich da zum TÜV gehen?«

In Wirklichkeit hatte sie sich über das Thema keine Gedanken gemacht. Nachdem Ralf sie von seinem Grundstück vertrieben hatte, war sie einfach losgefahren. Ein halbes Jahr hatte er sie aus alter Freundschaft zu ihrer Mutter noch dort stehen lassen, aber vor einer Woche hatte er ihr schließlich mitgeteilt, dass er jetzt eine Baugenehmigung für ein weiteres Ferienhaus bekommen habe und sie leider woanders unterkommen müsse. Auf dem Grundstück hatte es Strom, einen Wasseranschluss und sogar ein Plumpsklo im Pinienwald gegeben. Sie wollte nicht mehr von einem staubigen Parkplatz zum nächsten ziehen, und eine Wohnung konnte sie sich von den paar Euro, die sie mit Putzen oder Kellnern verdiente, nicht leisten. Einen Abend lang war sie wütend und verzweifelt gewesen, aber dann, am nächsten Morgen, als sie mit einer Tasse Kaffee vor ihrem Bus saß und sich von den ersten Sonnenstrahlen wärmen ließ, wurde ihr schlagartig klar, dass es Zeit für einen Neuanfang war.

Sie war neunzehn und hatte keinerlei Verpflichtungen. Von den Freunden ihrer Mutter hatte sie gehört, dass man in Deutschland leicht Geld verdienen konnte. Irgendjemand hatte ihr sogar die Adresse einer Reinigungsfirma gegeben, die immer wieder Arbeitskräfte suchte. Und wenn sie dort nicht genommen wurde, konnte sie sich etwas anderes suchen. Irgendetwas würde sich schon finden. Dann könnte sie sich eine kleine Wohnung mieten. Vielleicht sogar an der Abendschule das Abitur nachholen. Studieren. Ärztin oder Architektin werden oder Anwältin wie Amal Clooney. Das ganze Leben lag vor ihr. Wer dachte da über solche Kleinigkeiten wie TÜV-Plaketten nach?

»Führerschein und Fahrzeugpapiere, bitte«, sagte der Polizist.

Toni kletterte zwischen den Vordersitzen durch und wühlte im Handschuhfach. Auf der ganzen Reise hatte niemand die Unterlagen sehen wollen, aber kaum stand sie eine Nacht auf einem Parkplatz in München, gingen die Schikanen los. Zwischen einer zerknitterten Europakarte, die noch von ihrer Mutter stammte, und einer Schachtel mit Reservesicherungen fand sie das Ledermäppchen.

Der Polizist klappte den zerknitterten Fahrzeugschein mit spitzen Fingern auf, als befürchtete er, sich die Krätze zu holen. »Barbara Scheffler«, sagte er. »Sind Sie das?«

»Nein, meine Mutter.«

Er betrachtete den portugiesischen Führerschein. »Dann sind Sie also Antonia Scheffler.«

Toni nickte und setzte sich auf die Bettkante. Erst jetzt merkte sie, wie müde sie von der langen Fahrt war. Am liebsten wäre sie wieder unter die Decke gekrochen und hätte noch ein paar Stunden geschlafen.

»Weiß Ihre Mutter, dass Sie mit ihrem Fahrzeug unterwegs sind?«

»Meine Mutter ist tot«, sagte Toni.

»Machst du mal eine Abfrage?« Der Polizist gab die Papiere an seine Kollegin weiter. »Das tut mir leid«, sagte er zu Toni. »Aber wissen Sie denn nicht, dass Sie das Fahrzeug auf Ihren Namen ummelden lassen müssen?«

Es war ein halbes Jahr her, dass ein Beamter der portugiesischen Polizei ihr die Nachricht überbracht hatte. Ein Angler hatte ihre Mutter zwischen den Felsen am Fuß der Steilküste gefunden. Da bei der Obduktion ein Blutalkoholgehalt von eineinhalb Promille festgestellt, aber keine Spuren von Fremdeinwirkung gefunden worden waren, stufte man ihren Tod als tragischen Unfall ein. Die Ermittlungsbehörden gingen davon aus, dass sie betrunken an der Steilküste entlangspaziert war und das Gleichgewicht verloren hatte. Vielleicht hatten auch die Sturmböen, die im Frühling oft über die Küste fegten, ihren Teil dazu beigetragen. Jedes Jahr stürzten betrunkene Angler oder leichtsinnige Touristen in den Tod, und so wurden die Ermittlungen schnell eingestellt.

Toni hegte Zweifel an der offiziellen Version. Ihre Mutter hatte schon seit Jahren unter so heftigen Depressionen gelitten, dass sie manchmal wochenlang wie gelähmt in ihrem Bus lag. Mehr als einmal hatte sie davon gesprochen, sich das Leben zu nehmen. So oder so hatte Toni nach Barbaras Tod anderes im Kopf gehabt, als den Sprinter umzumelden.

Sie war zu müde und erschöpft, um es dem Polizisten zu erklären. Außerdem würde er es sowieso nicht verstehen. »Wie gesagt, ich komme gerade erst aus Portugal. Morgen wollte ich zum TÜV und zur Zulassungsstelle«, log sie.

Die Polizistin kam zurück. »Diesbezüglich alles in Ordnung«, sagte sie mit ironischem Tonfall zu ihrem Kollegen.

Toni bemerkte, wie die Polizistin den Blick durch den Bus schweifen ließ, während sie ihr die Papiere zurückgab. Über das klapprige Schränkchen mit dem Gaskocher, die Schüssel mit dem ungespülten Geschirr, den Korb voller Schmutzwäsche, die Vorhänge, die so vergilbt waren, dass man das Blumenmuster kaum noch erkennen konnte. Die Frau schüttelte kaum merklich den Kopf, bevor sie sich zurückzog, um eine weitere Runde um den Wagen zu drehen.

Toni stützte den Kopf in die Hände und schloss die Augen. Sie hörte das leise Rascheln des Regens in den Bäumen, das Zischen des Verkehrs auf dem Mittleren Ring und die gedämpften Stimmen der Polizisten. Hatten die nichts Besseres zu tun, als sie zu schikanieren? Es gab doch bestimmt jede Menge Vergewaltiger, kriminelle Banker und Waffenhändler, die in der Stadt herumliefen.

»Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll«, sagte der Polizist, als er zurück zur Seitentür kam. Er warf seiner Kollegin, die mit einem Klemmbrett in der Hand neben ihm stand, einen Blick zu. »An den hinteren Reifen ist kein Profil mehr erkennbar, links ist das Rücklicht beschädigt, der Auspuff hängt halb auf der Straße, und das Fahrzeug verliert Öl.«

Toni hob den Kopf. »Oh«, sagte sie. »Dann muss ich wohl schnellstens in eine Werkstatt. Kennen Sie vielleicht eine in der Nähe?«

Der Polizist sah sie an, als hätte sie einen geschmacklosen Witz gerissen. »Packen Sie Ihre Sachen.«

»Was?«, sagte Toni.

»Haben Sie Verwandte oder Freunde, bei denen Sie unterkommen können?«, fragte die Polizistin. »Oder sollen wir Ihnen einen Platz in einem Obdachlosenheim vermitteln?«

Toni war seit fünfzehn Jahren nicht mehr in München gewesen. Sie hatte geplant, in ihrem Bus zu schlafen, bis sie eine Arbeit gefunden und das nötige Geld für eine Wohnung zusammen hatte. »Ich verstehe nicht, was Sie meinen«, sagte sie, um Zeit zu gewinnen.

»Wir müssen den Schlüssel einziehen«, erklärte der Polizist. »Wenn die Besitzverhältnisse geklärt sind, können Sie den Schlüssel auf der Wache abholen, das Fahrzeug zu einer Werkstatt schleppen und die Mängel beseitigen lassen.«

Er sagte das, als wüsste er nicht, was es für Toni bedeutete. Es klang einfach und logisch, aber sie hatte nicht genug Geld, um den Bus zurückzubekommen.

Nach dem Tod ihrer Mutter hatte sie gründlich aufgeräumt. In Barbaras Schrankfach hatte sie unter den Blusen ein loses Brett...

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Autor

Marcel Häußler wurde 1970 in Essen geboren. Um die Jahrtausendwende arbeitete er in Köln als Kameraassistent und Cutter, als ihn die Liebe aus der Großstadt in ein bayerisches Dorf verschlug. Zwei Jahre später zog es ihn aus der Provinz nach München. Heute lebt er halb in Deutschland, halb in Portugal. Er veröffentlichte mehrere Kurzgeschichten, schrieb an Drehbüchern mit und übersetzte über dreißig Romane aus dem Englischen.