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Einband grossMeine Frau und ihr Mann. Eine Beichte
ISBN/GTIN

Meine Frau und ihr Mann. Eine Beichte

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
302 Seiten
Deutsch
SAGA Egmonterschienen am28.08.2015
Ein junger Mann mit geradezu weiblichem Gemüt, zart, scheu, keusch, völlig unerfahren, streng autoritär und bigott erzogen, begegnet anlässlich einer Betriebsfeier zufällig einer Frau in den besten Jahren, die in einer Damenkapelle musiziert, mit mehr als bunter Vergangenheit, groß, stark und allseits dominant. Ein bizarres Paar kommt zusammen, bei dem alles, aber auch alles, verkehrt funktioniert. Und weil seine verrückte Geschichte in Prag just während der Monate der großen Wende von 1989 spielt, wird eine existentielle Groteske gleichzeitig zur politischen Satire, wenn die Helden praktisch über Nacht vom realen Sozialismus in den nicht minder realen Kapitalismus wechseln. Biografische Anmerkung Pavel Kohout, 1928 in Prag geboren, zählt zu den international bekanntesten Schriftstellern und Dramatikern. Als einer der Wortführer des 'Prager Frühlings' von 1968 wurde er aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen und über 20 Jahre totgeschwiegen. Mitverfasser der 'Charta 77', daraufhin 1979 ausgebürgert. Zu seinen bekanntesten Werken gehören 'Die Henkerin' (1978), 'Wo der Hund begraben liegt' (1987) und 'Sternstunde der Mörder' (1995). 2010 erschien seine Autobiografie 'Mein tolles Leben mit Hitler, Stalin und Havel'. Pavel Kohout lebt heute wieder in Prag.mehr

Produkt

KlappentextEin junger Mann mit geradezu weiblichem Gemüt, zart, scheu, keusch, völlig unerfahren, streng autoritär und bigott erzogen, begegnet anlässlich einer Betriebsfeier zufällig einer Frau in den besten Jahren, die in einer Damenkapelle musiziert, mit mehr als bunter Vergangenheit, groß, stark und allseits dominant. Ein bizarres Paar kommt zusammen, bei dem alles, aber auch alles, verkehrt funktioniert. Und weil seine verrückte Geschichte in Prag just während der Monate der großen Wende von 1989 spielt, wird eine existentielle Groteske gleichzeitig zur politischen Satire, wenn die Helden praktisch über Nacht vom realen Sozialismus in den nicht minder realen Kapitalismus wechseln. Biografische Anmerkung Pavel Kohout, 1928 in Prag geboren, zählt zu den international bekanntesten Schriftstellern und Dramatikern. Als einer der Wortführer des 'Prager Frühlings' von 1968 wurde er aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen und über 20 Jahre totgeschwiegen. Mitverfasser der 'Charta 77', daraufhin 1979 ausgebürgert. Zu seinen bekanntesten Werken gehören 'Die Henkerin' (1978), 'Wo der Hund begraben liegt' (1987) und 'Sternstunde der Mörder' (1995). 2010 erschien seine Autobiografie 'Mein tolles Leben mit Hitler, Stalin und Havel'. Pavel Kohout lebt heute wieder in Prag.
Details
Weitere ISBN/GTIN9788711461419
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum28.08.2015
Seiten302 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.11965201
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
1

Mein Leben verlief bis zu einem bestimmten Zeitpunkt so alltäglich und fad, daß mein Lebenslauf weder mich selbst noch mir fremde Personen interessieren könnte. Will ich es dennoch schildern, dann nur zum Zwecke der Untermauerung der eben geäußerten Behauptung, vor allem aber als Beleg, wie es sich durch die Begegnung mit meiner Frau gewandelt hat.

Zuvor wurde ich jedoch erst einmal geboren, und zwar in Prag, genauer in der Familie meiner Eltern. Paps selbst war schon früher zur Welt gekommen, und zwar im Jahre 1920, als sich noch ein anderes tragisches Ereignis zutrug: Der damalige Präsident der Tschechoslowakischen Republik, dessen Name Masaryk danach strafeshalber auf lange Zeit dem Vergessen anheimfiel, gründete zusammen mit ihr auch eine gleichfalls so genannte Kirche, um die Reibereien zwischen Katholiken, Protestanten und Juden zu beenden, schoß dann aber, wie uns später die Genossin Lehrerin erklärte, von der Prager Burg herab auf die Arbeiter, die sich klassenbewußt weigerten, in diese Kirche einzutreten. Damit hat er verschuldet, daß unser Volk Dutzende von Jahren in der kapitalistischen Finsternis leben mußte, die ich mir als eine ununterbrochene Polarnacht vorstellte.

Das einzige Licht darin wurde für Paps das Glaubensflämmchen, das er, wie ich mir aus den Scherben seiner Erzählungen zusammenfügte, in der mir zunächst unklaren Rolle eines weihräuchernden Ministranten und dann in seinem Beruf als Küster in sich entfachte. Bis schließlich, so verstand ich, Paps bei einer Messe meine ähnlich veranlagte Mutsch kennenlernte, die ihm gleich ihre ganze Handtasche in den Klingelbeutel warf, wonach ihrer durch die Ehe verdoppelten Frömmigkeit der Rock der Kirche jählings zu eng wurde. Das Wesen des hieraus entstandenen Konflikts habe ich nie so richtig erfaßt, ich wußte nur, daß Paps daraufhin binnen Stundenfrist nicht nur aus seiner Stellung, sondern auch aus der Kirche entlassen wurde. Eine Zeitlang träumten meine Eltern davon, wie der einstige Präsident eine eigene, jedoch weit sittenstrengere Kirche zu gründen, ihre gläubigen Bekannten aber, mit denen sie sich darüber berieten, waren längst nicht so fromm, wie meine Eltern es von sich selbst verlangten. Zunichte gemacht wurden diese Bemühungen endgültig im Jahre 1948 durch das plötzliche und offenkundig auch verdiente Ende der kapitalistischen Finsternis. Nun verkündigte man das niemals verlöschenwollende Polarlicht des Sozialismus, der unverzüglich sämtliche neuen Kirchen verbot und alle alten in die Schranken wies, auf daß ihretwegen nie wieder klassenbewußte Arbeiter totgeschossen würden, geschweige denn die Kommunisten, die soeben einstimmig zur Vorhut gewählt worden waren.

Paps war schließlich froh, als Tagesaufseher bei den Gotiksammlungen der Nationalgalerie unterzukommen, wo er zu allen Heiligen, von denen dort unvergleichlich mehr hingen als in jeder Kirche, auf seine Art beliebig und folgenlos beten durfte. Ihrem Glauben frönten er und Mutsch dann abends daheim, später sogar mit der vollen Unterstützung des inzwischen pensionierten Pfarrers, der ihn seinerzeit hinausgeworfen hatte und ihn jetzt eben deswegen für einen Märtyrer hielt. Jener war es auch, der mit unverdrossenen Bibelauslegungen meine züchtigen Eltern dazu brachte, sich auf der Schwelle ihres Fünfzigsten endlich zu vermehren, indem er ihnen die Hoffnung einflößte, gerade sie könnten der Welt einen Propheten bescheren. Wenn auch richtig am 24. März gezeugt, wurde ich zu ihrer Enttäuschung erst mit einwöchiger Verspätung, also zu Silvester geboren, aber dennoch wurde mir eine Erziehung im ursprünglich geplanten Geiste zuteil, was sich für mich als Quell etlicher Mißhelligkeiten erwies. Nachdem Paps Versuche gescheitert waren, die Schulbehörden zu überzeugen, daß er mich meiner krankhaften Schüchternheit wegen selbst unterrichten müsse, ließ er mich wenigstens Tag für Tag den durchgenommenen Lehrstoff wiedergeben, um zu entscheiden, was ich prompt zu vergessen hätte.

Nach Beendigung der Schulpflicht beschloß er, mich ebenfalls zum Galerieaufseher auszubilden, um mich besser im Auge behalten zu können. Gerade zu jener Zeit erging jedoch der Erlaß, den Besuch der Gotiksammlungen nur Inhabern des Parteimitgliedsbuches zu gestatten, welche die Gewähr boten, daß sie dort vor den Heiligenbildern nicht ihre religiösen Gelüste zu befriedigen trachteten. Danach sank die Zahl der Besucher schnell bis auf zwei, die an jedem sechsten Juli erschienen, um den heiligen Wenzel, den sie offensichtlich mit Kaiser Sigismund verwechselten, dafür zu schmähen, daß er den Magister Jan Hus habe verbrennen lassen. Paps wurde vorzeitig in Pension geschickt, was ihn aber beglückte, da er sich nun endlich ganz mir widmen konnte. Ich aber wurde nur wenig später dazu einbestellt, meiner Ehrenpflicht durch die Verteidigung des Friedenslagers zu genügen. Paps Einspruch meiner krankhaften Schreckhaftigkeit wegen bewirkte zwar wiederum nichts, doch mein Erscheinungsbild überzeugte von sich aus die Ärzte, daß ich allenfalls für den Dienst in der Etappe tauglich sei, weshalb ich nach nur kurzer Kasernierung ins Zentralmagazin für Kampfschuhwerk abkommandiert wurde.

Der Fleiß und der Gehorsam, wozu man mich daheim angehalten hatte, sicherten mir auch beim Militär die Zufriedenheit der Befehlshaber aller Dienstgrade. Ich registrierte Ausgabe, Umlauf und Abgang der Armeestiefel für Mannschaften, Unteroffiziere, Offiziere und Generale. In einem besonderen Safe bewahrte ich ein schußfestes Paar auf, für den eventuellen Besuch des Oberkommandierenden des Warschauer Paktes. Auf dem Schießstand war ich alles in allem nur einmal. Der Streufaktor meiner Treffer, bewirkt durch den Gegenstoß meiner Schulter beim Rückstoß des Gewehrs, war so beträchtlich, daß er die Trefferbewertung an den Nachbarscheiben erschwerte und sogar die Berufsmilitärs gefährdete, die sich weit hinter den Schießständen befanden. Auch dies bewirkte bald den Erlaß eines Sonderbefehls des Divisionskommandeurs, der mich für die Nachtzeit aus Gründen öffentlicher Sicherheit zu meinen Eltern beorderte. Nachdem ich meinen zweijährigen Dienst fürs Vaterland bereits in zwei Monaten abgeleistet hatte, versetzte mich die Armee als Reservisten auf den Posten eines Magazineurs beim Bau der Untergrundbahn. Wenn auch in Zivil, übte ich meinen Kampfauftrag praktisch weiterhin aus. Ich registrierte Ausgabe, Umlauf und Abgang der Gummistiefel für Arbeiter, Meister, Bauleiter und Inspektoren. Für den eventuellen Besuch des Generalsekretärs des ZKdKPd-UdSSR hütete ich in einer eisenbeschlagenen Truhe ein garantiert wasserdichtes Paar. Auf der Baustelle war ich ebenfalls alles in allem nur einmal. Meiner Unerfahrenheit einerseits und meinem Arbeitseifer andererseits war es zu danken, daß ich, die Stiefel während ihres Umlaufs registrierend, die Warnschilder übersah und zum Zeitpunkt einer Sprengung vor Ort geriet. Aus den Erdmassen wieder freigeschaufelt, litt ich dann und wann noch an Angst- und sonstigerlei Zuständen, erledigte mein Pensum im Büro jedoch auch weiterhin zur vollen Zufriedenheit meiner Eltern wie meiner Vorgesetzten. So fad und alltäglich, ohne auch nur die Andeutung irgendwelcher Ereignisse, flossen Wochen, Monate und Jahre meines anfangs erwähnten Lebens dahin, bis es zu jenem schicksalhaften Tag kam, an dem ich das erste Mal meine Frau kennenlernte.

Es geschah am Abend eines Betriebsfestes unserer Generaldirektion, auf dem ich mich nur einfand, da mein Chef mich dienstlich mit der Einlaßkontrolle betraut hatte. Nie werde ich vergessen, wie Paps lange und regungslos die schriftliche Weisung studierte und wie Mutsch, als sie mich im fahlen Neonlicht auf der Schwelle des Cafés Vltava meinem Schicksal überließ, mit schwacher Stimme meinen Namen rief und dann wieder zu mir zurückkam, um mir mit bebendem Finger noch ein weiteres Kreuz auf die Stirn zu malen. War das Zufall oder Vorahnung? Gott weiß. Fest steht, daß ich selbst ahnungslos war. Mit der Linken die gültigen Eintrittsbilletts entwertend und mit der Rechten allen, die den Saal nur vorübergehend zu verlassen gedachten, die Rückkehrkarten entgegenstrekkend, fügte ich dem Gräberfeld aller bisherigen Stunden einige weitere alltägliche und fade hinzu, während die Luft von den grellen Tönen der Musikinstrumente gepeitscht wurde, deren eines, das allergrellste nämlich, in Bälde allein für mich ertönen sollte. Hier ist der Hinweis angebracht, daß die Tanz- und Unterhaltungsmusik auf Wunsch leitender Mitarbeiter von einer Damenkapelle vollführt wurde. Gegen Ende des Abends suchte mich mein Chef auf, um sich vertraulich, sozusagen von Mann zu Mann, mit mir zu beraten. Er verriet mir, daß er einer der Musikantinnen unbedacht zugesagt habe, sie nebst ihrem Instrument nach Hause zu bringen. Wie zum Possen habe er danach aber endlich der Sekretärin des Generaldirektors das Versprechen abgenommen, ihm ihre Handarbeiten zu zeigen, worum er sich, wie er mir anvertraute, schon lange bemüht habe, zumal sich schon etliche Kollegen über selbige höchst anerkennend geäußert hatten. Da ich der einzige Ordner sei, der noch auf den Beinen zu stehen imstande sei, bitte er mich um diesen Freundschaftsdienst. Ich gestehe, daß mir sein Ansinnen einen Stich versetzte, denn die Sekretärin des Generaldirektors, eine wohlgeformte Schönheit in den allerbesten Jahren, rief schon seit langem Gefühle einer schwesterlichen Zärtlichkeit in mir hervor, zumal ich doch selbst liebend gern strickte und häkelte. Meinem Vorgesetzten konnte ich aber keinen Korb geben und übernahm so schweren Herzens den Auftrag. Wie sich herausstellte, war besagtes Instrument ein Helikon und die Künstlerin meine Frau.

Die Fahrt zu ihrer Wohnung verlief reibungslos....
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