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Der berühmte Tiefpunkt

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Arche Literatur Verlagerschienen am13.07.20231. Auflage
Eine junge Frau gewinnt ihren Appetit aufs Leben zurück Spätestens seit Prousts berühmter Madeleine wissen wir, dass Essen nicht nur nährt, sondern auch starke Gefühle und Erinnerungen weckt. Amarylis De Gryse erzählt von Spiegeleiern und Pastasauce, Familienproblemen und Pflegenotstand, vor allem aber von einer jungen Frau, die ihr Leben endlich selbst in die Hand nimmt. Marieke, Ende zwanzig, wohnt seit Tagen in einem Mietwagen am Kanal und trägt dieselbe viel zu warme Jeans. Das liegt daran, dass ihr Freund, der Metzger Blok, sie aus ihrem schicken Reihenhaus geworfen und eine defekte Maschine im Waschsalon ihre Sommerklamotten verschluckt hat. Statt Blok zu vermissen, träumt Marieke von den Hackbällchen ihrer Mutter und bespitzelt ihren Vater, der die Familie verlassen hat, als Marieke noch klein war. Auf der Arbeit im Altersheim wird sie mit den »hoffnungslosen Fällen« in der Gluthitze alleingelassen und mit Billigfraß abgespeist, während die anderen Senior:innen in einen klimatisierten Neubau umziehen dürfen. Als auf dem Servierwagen schon wieder Wurst und Apfelmus warten, hat Marieke es endgültig satt. Gleichzeitig rückt ihr die eigene Vergangenheit immer mehr auf die Pelle: Wie war das eigentlich damals mit der Trennung ihrer Eltern? Will sie überhaupt zu Blok zurück? Und können Pralinen alles wiedergutmachen?

Amarylis De Gryse, geboren 1989, wuchs in Westflandern auf und wohnt in Antwerpen. Die gelernte Sozialarbeiterin kocht leidenschaftlich gern vegetarische Gerichte und absolviert eine Umschulung zur Bio-Landwirtin. Der berühmte Tiefpunkt ist ihr erster Roman.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR17,99

Produkt

KlappentextEine junge Frau gewinnt ihren Appetit aufs Leben zurück Spätestens seit Prousts berühmter Madeleine wissen wir, dass Essen nicht nur nährt, sondern auch starke Gefühle und Erinnerungen weckt. Amarylis De Gryse erzählt von Spiegeleiern und Pastasauce, Familienproblemen und Pflegenotstand, vor allem aber von einer jungen Frau, die ihr Leben endlich selbst in die Hand nimmt. Marieke, Ende zwanzig, wohnt seit Tagen in einem Mietwagen am Kanal und trägt dieselbe viel zu warme Jeans. Das liegt daran, dass ihr Freund, der Metzger Blok, sie aus ihrem schicken Reihenhaus geworfen und eine defekte Maschine im Waschsalon ihre Sommerklamotten verschluckt hat. Statt Blok zu vermissen, träumt Marieke von den Hackbällchen ihrer Mutter und bespitzelt ihren Vater, der die Familie verlassen hat, als Marieke noch klein war. Auf der Arbeit im Altersheim wird sie mit den »hoffnungslosen Fällen« in der Gluthitze alleingelassen und mit Billigfraß abgespeist, während die anderen Senior:innen in einen klimatisierten Neubau umziehen dürfen. Als auf dem Servierwagen schon wieder Wurst und Apfelmus warten, hat Marieke es endgültig satt. Gleichzeitig rückt ihr die eigene Vergangenheit immer mehr auf die Pelle: Wie war das eigentlich damals mit der Trennung ihrer Eltern? Will sie überhaupt zu Blok zurück? Und können Pralinen alles wiedergutmachen?

Amarylis De Gryse, geboren 1989, wuchs in Westflandern auf und wohnt in Antwerpen. Die gelernte Sozialarbeiterin kocht leidenschaftlich gern vegetarische Gerichte und absolviert eine Umschulung zur Bio-Landwirtin. Der berühmte Tiefpunkt ist ihr erster Roman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783037900451
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum13.07.2023
Auflage1. Auflage
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.12141537
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

11

Der Tag begann voller Versprechungen, einfach weil er so roch, wie er roch.

Mama weckte uns ganz früh und flüsterte: »Wir fahren ans Meer.« Als wir noch schliefen, hatte sie Baguettes geholt, und in der Küche begrüßte uns das fröhliche Titschen der Eier im sprudelnden Wasser. Mama sagte nicht Guten Morgen. Sie sagte: »Käse oder Schinken?«, und gab uns einen Kuss. Damals kam ich noch nicht mit den Füßen auf den Boden, wenn ich auf dem Küchenstuhl saß, meine neuen Sandalen schlenkerten beim Frühstück hin und her, während ich meinen Schwestern dabei zuguckte, wie sie sich gegenseitig den Rücken und die Schultern mit Sonnencreme einrieben.

Mama schnitt mit dem gezackten Brotmesser die Baguettes auf und fragte uns noch mal, ob wir Käse oder Schinken wollten. Sie schmierte für alle perfekte Baguettes, obwohl meine Schwestern längst alt genug waren, um sich selbst Brote zu schmieren, jedes Baguette wickelte sie in Alufolie und schrieb mit Edding unsere Namen drauf.

 

Zu fünft zuckelten wir zum Bahnhof, im Gänsemarsch. Wenn ich Mama fragte, wie lange wir noch laufen mussten, sagte sie: »Bis wir beim Bahnhof sind.« Wenn ich sie fragte, wie lange wir noch im Zug sitzen mussten, sagte sie: »Bis er nicht mehr weiterkann.« Und das stimmte. Der Zug hielt an, als er nicht mehr weiterkonnte, und das war ein Glück, denn an jedem Bahnhof waren noch mehr Leute eingestiegen. Und so wie die anderen Passagiere ihre Sonnenschirme und Kühlboxen aus dem Gang räumten, um noch mehr schwer beladene Tagesausflügler durchzulassen, so zog Mama mich auf ihren Schoß, um Platz zu machen für noch mehr heißen Atem und durchgeschwitzte Spaghettiträger-Tops und Käsefüße in Flip-Flops. Meine Schwestern zankten sich immer lauter, weil die eine mit ihrem Schwitzepo zu nah an der anderen klebte oder weil die eine das Wasser einfach ausgetrunken hatte, ohne zu teilen, und als Emma durch das ganze Abteil brüllte, dass Liesbeth gefälligst ihren fetten Arsch von ihrem Rucksack und damit auch von ihrem Käsebaguette runternehmen soll, hatte Mama gesagt, jetzt reicht´s. Keinen Mucks wollte sie mehr von uns hören, bis wir da wären, und wenn eine von uns noch mal nörgelte, dann würden wir im Zug sitzen bleiben und direkt wieder kehrtmachen. Die mürrische alte Frau, die meinen Schwestern schon während der ganzen Fahrt Todesblicke zugeworfen hatte, zwinkerte mir zu. Kann auch sein, sie zwinkerte Mama zu, ich saß ja auf ihrem Schoß. Mama hatte mich schon lange nicht mehr auf den Schoß genommen. Tragen wollte sie mich auch nicht mehr. Ich wäre zu groß, meinte sie, zu schwer. Darum genoss ich die klebrige Zugfahrt im überfüllten Abteil. Ab und zu legte Mama mir ihre schwere Hand auf den Kopf oder wischte mir den Schweiß von der Wange.

 

Zusammen mit allen anderen stiegen wir an einem Bahnhof aus, der diesen Menschenmassen nicht gewachsen war, und noch in der Vorhalle ging das Gezanke wieder los, weil Emma meinte, sie muss mal, und Veerle sagte: »Tja, selbst schuld, hättest du mal nicht das ganze Wasser getrunken«, und Liesbeth meinte: »Wie kann das sein, wir saßen gerade über eine Stunde lang in einem Zug mit Klo!«, und Emma schrie: »DA MUSSTE ICH HALT NOCH NICHT, OKAY?«, und vielleicht stimmt das ja gar nicht, aber in meiner Erinnerung entdeckten wir alle gleichzeitig die Warteschlange vor den Bahnhofstoiletten, und Mama sagte: »In zehn Minuten sind wir am Meer. Da kannst du einfach ins Wasser pinkeln.«

Emma stieß ihren Stoßseufzer aus, den sie sich am Gymnasium angewöhnt hatte, und Veerle und Liesbeth mussten lachen, und wir trotteten der Herde hinterher, raus aus der Halle, zum Zebrastreifen und den roten Ampeln, gingen, als es Grün wurde, über die Straße, zum Markt, durch die Fußgängerzone bis hoch auf den Deich, und da verliefen sich die Massen ein bisschen. Wir trippelten über den viel zu heißen Sand, aua, aua, aua, wer als Erstes beim nassen Sand ist, und da zogen wir uns aus, Liesbeth hatte ihren neuen Badeanzug drunter und wir anderen unsere Bikinis und Mama den roten Badeanzug, den sie immer anhatte, und sie sagte: »Hier kannst du, Emma.« Also lief Emma ins Wasser, und als sie erleichtert wieder zurückkam, suchten wir uns einen Platz am Übergang zwischen Deich und Dünen, wo wir unsere Handtücher ausbreiten konnten und uns keine Liegestühle mieten mussten.

 

Mama gab jeder von uns hundert Francs und schickte uns zu den Geschäften auf der Strandpromenade, während sie die Handtücher ausbreitete. Es war voll. Liesbeth nahm mich bei der Hand und schlängelte sich an trödelnden Rentnern vorbei, an Kindern mit Aufblaskrokodilen auf dem Kopf, an Leuten mit Eis, an Leuten mit Flip-Flops, an Leuten mit Sandalen. Liesbeth wusste, wo wir hinmussten. Genau in der Mitte der Promenade, zwischen einer runtergekommenen Eisdiele und einem Bankautomaten, war der beste Spielwarenladen der ganzen Küstenregion. Das stand nämlich in großen gelben Klebebuchstaben auf dem Schaufenster. Nicht die aufblasbaren Boote und Schwimmtiere hatten es uns angetan, nicht die Tennisschläger, an denen mit einem Gummiseil ein Ball befestigt war, nicht die Roller und nicht die Fahrräder, nicht die Inliner und auch nicht die Skateboards. Sondern die roten Plastikkörbchen im Aufsteller vor dem Laden. In jedem Körbchen war eine andere Muschelsorte. Seeigel und getrocknete Seesterne, handtellergroß, und rosa Schneckenhäuser, die ich als Telefon benutzen würde, wenn ich eine Meerjungfrau wäre. Emma und Veerle beugten sich über die Körbchen und rechneten aus, wie viele Muscheln sie sich leisten konnten und ob sie besser viele kleine oder eine große kaufen sollten. Liesbeth fragte mich, ob ich auch eine Muschel wolle, aber ich wollte keine Muschel. Ich schleifte sie in die eine Ecke vom Laden, zu den Holzstäbchen und dem Krepppapier.

»Ich will Strandblumen machen«, sagte ich.

Wenn wir zusammenlegten, reichte unser Geld knapp für zehn Stäbchen, zwei Farben Krepp, eine stumpfe Kinderschere und eine Rolle Tesa.

»Weißt du, wie die gehen?«, fragte Liesbeth. »Ich kann´s dir zeigen.«

Ich schüttelte erst den Kopf und nickte dann.

Auf dem Weg zurück zu den Handtüchern zankten sich Emma und Veerle, denn Emma hatte, als ihre große Muschel schon bezahlt war, gesehen, dass Liesbeth und ich zusammengelegt hatten. »Ich wusste nicht, dass wir das dürfen«, rief sie. »Wir hätten uns den Seestern kaufen können!«

Aber Veerle wollte gar nicht zusammenlegen, sie hatte sich eine Zeitschrift mit einem gratis Lippenstift gekauft, und der Ladenbesitzer nahm einmal gekaufte Sachen eh nicht zurück.

 

Erst waren wir im Meer, dann hatten wir unsere Baguettes aufgegessen, und dann hatte Mama mir den Rücken noch mal eingecremt, während ich ihr von den Blumen erzählte und dass Liesbeth mir zeigen wollte, wie es geht, aber nur mit einer, dass ich alle anderen Blumen selbst machen sollte, und ich müsste gut aufpassen, hatte sie gesagt, dass kein Sand aufs Tesa kommt oder Wasser aufs Krepppapier, denn sonst würde das Papier ganz hässlich, und dass ich deswegen die Hände in die Luft hielt.

»Wo soll denn dein Blumenladen hin?«, fragte Mama, und nachdem ich den perfekten Platz dafür ausgesucht hatte, war die ganze Arbeit ruckzuck erledigt: eine schöne Kuhle im harten Sand und an der einen Seite ein kleiner Sandtresen, in den ich meine Blumen stecken konnte. »So.« Mama wischte sich den Schweiß von der Stirn. Meine Schwestern hatten sich erst auf dem Rücken gesonnt, alle nebeneinander, und sich irgendwann im Laufe der Grabungsarbeiten auf den Bauch gedreht.

»Mädels«, sagte Mama. »Ich geh kurz auf der Promenade ein Bierchen trinken.«

Veerle lüpfte dösig ihren Walkman-Kopfhörer und guckte Mama an. Sie riss Emma die Zeitschrift aus der Hand.

»Ey, die war ich grad am Lesen!«, rief Emma.

»Lies deine Muschel.«

 

Niemand wollte meine Blumen kaufen, nicht mal für eine Handvoll Muscheln, nicht mal im Tausch gegen eine andere Blume. Kinder, die an meinem Laden vorbeikamen, ließen nach einem flüchtigen Blick die Blumen links liegen. In jeder Brise wedelten die Blüten aufdringlich mit ihren Kreppblättern, aber es nutzte nichts.

Ein Mädchen mit rosa Kappe meinte, ich hätte ja nicht mal grüne Stängel gemacht. Man könnte unter der Blüte das Tesa sehen, und die nackten Holzstäbchen wären gar nicht schön. Dass mein Geld nur für zwei Farben gereicht hatte, fand sie kein Argument.

»Dann hättest du ja rote Blumen mit grünen Stängeln machen können«, sagte sie.

Aber ich wollte doch Blumen mit roten und gelben Blüten! Ich kletterte aus meinem Laden, schüttelte mir den Sand von den Händen, schnitt gelbe und rote Krepppapierstreifen ab und verschwand mit den Streifen und dem Tesa wieder in meiner Kuhle.

Als ich gerade loslegen wollte, sagte Veerle: »Es ist zu windig, wir ziehen in den trockenen Sand um.«

»Und mein Laden?«

»Buddel dir ´ne neue Kuhle.«

»In weichem Sand geht das nicht.«

»Dann bleib halt hier. Wir setzen uns da hin.« Sie zeigte geradeaus Richtung Dünen. »Siehst du?« Irgendwo sollte angeblich Liesbeth stehen und winken. Ich sah sie nicht, aber ich sagte, ich sehe sie, denn ich wollte mit meinen Blumen weitermachen, weil das Mädchen mit der Kappe »Bis später« gesagt hatte und ich ihr eine schöne Blume präsentieren wollte, später, und vielleicht eine Handvoll Muscheln dafür kriegen.

 

Als ich gerade den siebten Stängel in einen roten Mantel einrollte, kam das Mädchen mit der rosa Kappe zurück.

»Meinetwegen, ich geb dir meine billigste Blume dafür.« Sie...
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Autor

Amarylis De Gryse, geboren 1989, wuchs in Westflandern auf und wohnt in Antwerpen. Die gelernte Sozialarbeiterin kocht leidenschaftlich gern vegetarische Gerichte und absolviert eine Umschulung zur Bio-Landwirtin. Der berühmte Tiefpunkt ist ihr erster Roman.Ruth Löbner, geboren 1976 in Mönchengladbach, studierte Allgemeine Sprachwissenschaft in Düsseldorf und arbeitet als freischaffende Autorin und Literaturübersetzerin in ihrer Geburtsstadt.
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De Gryse, Amarylis