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Schulrecht in der Praxis: Aufsichtspflicht und Haftung

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
112 Seiten
Deutsch
Cornelsen Pädagogikerschienen am09.03.2020
Anhand von über 60 Praxisbeispielen gibt das Buch Antworten auf die wichtigsten Fragen und berücksichtigt die aktuellsten Änderungen zur Aufsichtspflicht in der Schule.Viele praktische Übersichten und weiterführende Hinweise helfen dabei, den Überblick zu behalten. Mit kommentierten Entscheidungen aus der Rechtsprechung zu den unterschiedlichsten Aufsichtssituationen.Aus dem Inhalt:'Lehrer haften für ihre Schüler!' - aber nicht immerGrundlagenAufsichtsbereicheRechtsfolgenErste-Hilfe-Leistung durch Lehrkräfte]

Dipl. jur. Stephan Rademacher ist beruflich bei der Senatorin für Kinder und Bildung in Bremen tätig und dort unter anderem für den Bereich der Schulaufsicht verantwortlich. Seit vielen Jahren gibt der ehemalige Lehrer und Schulleiter Fortbildungen zu schulrechtlichen Themen in Schulen und Lehrerfortbildungseinrichtungen.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR20,25
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextAnhand von über 60 Praxisbeispielen gibt das Buch Antworten auf die wichtigsten Fragen und berücksichtigt die aktuellsten Änderungen zur Aufsichtspflicht in der Schule.Viele praktische Übersichten und weiterführende Hinweise helfen dabei, den Überblick zu behalten. Mit kommentierten Entscheidungen aus der Rechtsprechung zu den unterschiedlichsten Aufsichtssituationen.Aus dem Inhalt:'Lehrer haften für ihre Schüler!' - aber nicht immerGrundlagenAufsichtsbereicheRechtsfolgenErste-Hilfe-Leistung durch Lehrkräfte]

Dipl. jur. Stephan Rademacher ist beruflich bei der Senatorin für Kinder und Bildung in Bremen tätig und dort unter anderem für den Bereich der Schulaufsicht verantwortlich. Seit vielen Jahren gibt der ehemalige Lehrer und Schulleiter Fortbildungen zu schulrechtlichen Themen in Schulen und Lehrerfortbildungseinrichtungen.

Inhalt/Kritik

Leseprobe


2 Aufsichtsbereiche

Während die schulische Aufsichtspflicht bisher eher unter dogmatischen Gesichtspunkten erläutert wurde, soll es nun für Sie, liebe Leserin, lieber Leser, möglichst praktisch werden: Anhand zahlreicher Beispiele aus der Rechtsprechung soll das bisher Gesagte auf typische Situationen aus dem Schulalltag übertragen werden und so deutlich machen, wann von einer rechtmäßigen Aufsichtsführung ausgegangen werden kann. Es ist wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen, dass manche Bundesländer spezielle Verwaltungsvorschriften für einzelne Aufsichtsbereiche erlassen haben. Es ist von großer Bedeutung, dass Sie sich mit den Regelungen Ihres Bundeslandes vertraut machen, da durch diese Vorschriften die allgemeinen Grundsätze der Aufsichtsführung, z. B. für den Sportunterricht oder für Klassenfahrten, verbindlich für Sie spezifiziert werden.
2.1 Schulwege und Schulbushaltestellen

An anderer Stelle wurde bereits dargestellt, dass die schulische Aufsichtspflicht grundsätzlich nicht die Wege von der elterlichen Wohnung zur Schule bzw. von der Schule zurück nach Hause umfasst (Schulwege). Diese fallen in den Aufsichtspflichtbereich der Erziehungsberechtigten. Der BGH erklärt dazu: Die Schule muss die ihr anvertrauten Schüler vor den vermeidbaren Gefahren bewahren, die sich aus dem Schulbetrieb ergeben, insbesondere der damit verbundenen Zusammenfassung einer großen Zahl von Kindern und Jugendlichen mit ihrem oft ungestümen Drang nach Bewegung und Freiheit. Sie muss die Schüler deshalb beaufsichtigen, wenn und solange sie sich in diesem Gefahrenbereich aufhalten. Dieser Bereich kann auch die mit der Benutzung von Schulbussen verbundenen Gefahren umfassen. Von einem der Schule zuzurechnenden Gefahrenbereich kann nur gesprochen werden, wenn sie tatsächlich und rechtlich in der Lage ist, auf die Schüler einzuwirken. Deshalb entfällt grundsätzlich eine Aufsichtspflicht für den Weg zwischen der Wohnung des Schülers und der Schule, den sog. Schulweg, während sie auf den sog. Unterrichtswegen besteht. Das sind die von den Schülern gemeinsam mit ihren Lehrern zurückgelegten Strecken innerhalb der Schulgebäude und zwischen diesen und außerhalb davon liegenden, für die Zwecke der Schule benutzten Einrichtungen [â¦]. 48

Ebenfalls wurde bereits darauf hingewiesen, dass sich die Aufsichtspflicht der Lehrkräfte auch auf den Bereich von Schulbushaltestellen erstrecken kann, und zwar auch dann, wenn dieses nicht gesetzlich vorgesehen ist. Vorauszusetzen ist allerdings, dass sich die Schulbushaltestelle noch im räumlichen und funktionalen Bereich der Schule befindet. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Schulbushaltestelle an das Schulgrundstück grenzt. Aber auch eine Schulbushaltestelle in rund 400 Metern Entfernung kann noch einen hinreichenden Schulbezug aufweisen, wenn es sich um eine zeitweilig verlegte Haltestelle im Zuge von Straßenbauarbeiten handelt.
2.2 Unterricht
2.2.1 Verweis aus dem Klassenraum

Schüler S stört in erheblicher Weise den Unterricht. Die Klassenlehrerin schickt ihn vor die Tür, damit er zur Ruhe kommt. S begibt sich in einen neben dem Klassenraum gelegenen Aufenthaltsraum. Aus nicht zu klärenden Gründen stürzt S aus dem Fenster und zieht sich schwere Verletzungen zu. Die Eltern machen die Klassenlehrerin dafür verantwortlich und begehren Schadensersatz.

Da eine Kontrolle auf Schritt und Tritt grundsätzlich nicht erforderlich ist, stellt das vorläufige Verweisen eines Schülers aus dem Unterrichtsraum eine zulässige (Erziehungs-)Maßnahme dar. Etwas anderes wird man nur für den Fall annehmen müssen, dass der Lehrkraft besondere Umstände bekannt sind, die im konkreten Fall zu einem Personen- oder Vermögensschaden führen könnten (sog. Aufsichtsanlass). Das wäre z. B. der Fall, wenn die Lehrerin gewusst hätte, dass sich der Schüler vor der Tür nicht ordnungsgemäß und vernünftig verhält. So hat in dem Beispielsfall das entscheidende OLG Stuttgart den Schadensersatzanspruch der Eltern zu Recht abgewiesen. Es habe weder eines speziellen Hinweises an den Schüler bedurft, dass dieser sich vor der Tür aufhalten solle, noch wäre es erforderlich gewesen, die Tür zum Klassenraum offen zu lassen. Das Hinausstürzen aus dem Fenster des Nebenraums liege außerhalb jeder Lebenserfahrung.49

Der 11-jährige Schüler K stört fortlaufend den Unterricht von Grundschullehrerin L. Als sie ihn aus dem Unterricht verweisen will, reagiert K darauf überhaupt nicht. Auch ihren weiteren Aufforderungen, den Raum zu verlassen, kommt K nicht nach. Als L ihn von seinem Platz hochziehen will, klammert sich K an seinem Tisch fest. L packt ihn daraufhin am Oberarm, um ihn aus dem Raum zu geleiten. Als K sagt, dass er Schmerzen habe, lässt L ihn sofort los. K trägt ein ca. 2 cm großes Hämatom davon. Die Eltern von K stellen Strafantrag wegen Körperverletzung im Amt.

Fraglich ist, inwieweit Lehrkräfte befugt sind, ihre Anordnungen auch durch unmittelbaren (körperlichen) Zwang gegenüber Schülerinnen und Schülern durchzusetzen. In dem vorliegenden Fall entschied das LG Berlin, dass das Verhalten der Lehrerin selbst dann aus strafrechtlicher Sicht gerechtfertigt gewesen wäre, wenn man die erlittenen blauen Flecke als Körperverletzung würdigen würde.50 Zur Begründung führt das Gericht an:

Eine Rechtfertigung folgt aus den allgemeinen Regeln, weil der Landesgesetzgeber den Lehrern mit dem Berliner Schulgesetz nur unzureichende Handlungsmöglichkeiten eröffnet. [â¦] Ob und welche - niedrigschwelligeren - Mittel ein Lehrer zur Durchsetzung der Ordnungsmaßnahmen nutzen darf, wenn die verbale Aufforderung vom Schüler nicht befolgt wird, ist nicht geregelt. Dass Lehrer vom Gesetzgeber in derartigen - in Großstädten wie Berlin fast schon alltäglichen - Situationen ohne Handlungsvorgaben sich selbst überlassen bleiben, kann allerdings nicht [â¦] zur Folge haben, dass ihnen - anders als Polizisten - die Möglichkeit einer Rechtfertigung generell versagt ist, wenn sie [â¦] als ultima ratio zu einfachem körperlichen Zwang ohne erkennbare Züchtigungsabsicht greifen. 51

Entgegen dem LG Berlin wird man unmittelbaren (körperlichen) Zwang immer nur solange als zulässig ansehen können, wie das Lehrerverhalten noch keinen Straftatbestand verwirklicht und insoweit noch als sozialadäquat anzusehen ist. Dafür spricht zum einen der Gedanke, dass alle Schulgesetze keine ausdrücklichen Rechtfertigungsgründe vorsehen, die Lehrkräften die Befugnis geben, ihre erteilten Anordnungen mit körperlichem Zwang auf Seiten der Schüler durchzusetzen. Eine solche Rechtfertigung aus dem allgemeinen Recht herzuleiten - wie es das LG für das Schulrecht Berlins getan hat - würde wohl dem Willen des Gesetzgebers widersprechen. Auch der Hinweis des LG, dass Lehrer in Großstädten andernfalls sich selbst überlassen blieben und ihnen ggf. ein Autoritätsverlust drohe (so das AG Tiergarten), vermag vor dem Hintergrund der Rechtsstaatlichkeit nicht zu überzeugen. Zum anderen ist in der wissenschaftlichen Literatur fraglich, ob und in welchen Grenzen die strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe überhaupt auf Hoheitsträger wie Lehrkräfte anwendbar sind.52
2.2.2 Offene Unterrichtsformen

Herr L möchte mit seiner Klasse ein sog. Stationenlernen einüben, bei dem sich eine Station in einem entfernteren Computerraum und eine andere auf dem Schulhof befindet. L möchte die Gelegenheit nutzen, das Arbeitsverhalten einzelner Schülerinnen und Schüler zu beobachten. Darf er das?

Offene Unterrichtsformen gehören mittlerweile zum Schulalltag. Sie zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sich die Kinder die Unterrichtsinhalte in längeren Phasen selbstständig und im eigenen Lerntempo erarbeiten. Dazu gehört auch, dass die Kinder zeitweilig die Unterrichtsräume verlassen, weil sie z. B. in einem anderen Raum in einer Gruppenarbeit ein bestimmtes Produkt anfertigen sollen oder - wie im Beispielsfall - im Rahmen eines Stationenlernens eine bestimmte Station bearbeiten müssen.

In all diesen Fällen stehen die Schüler für einen gewissen Zeitraum nicht unter der unmittelbaren Aufsicht der Lehrkraft. Gleichwohl ist gegen diese Unterrichtsform aus Sicht der schulischen Aufsichtspflicht dem Grunde nach nichts einzuwenden. Auszugehen ist wieder von dem Grundsatz, dass Kinder nicht ständig überwacht werden müssen bzw. eine Kontrolle auf Schritt und Tritt nicht notwendig ist.53 Aus der Sicht eines besonnenen und vorsichtigen Aufsichtspflichtigen würde aber zumindest dann ein besonderer Aufsichtsanlass vorliegen, wenn es sich um noch jüngere Schüler handelt oder wenn die betreffenden Kinder zu Unfug neigen. In diesem Fall wäre sicherlich eine engmaschigere Kontrolle notwendig. Steht zu befürchten, dass die Kinder noch nicht allein ohne direkte Aufsicht der Lehrkraft arbeiten können, muss in letzter Konsequenz auf das Verlassen des Klassenraumes verzichtet werden.
2.2.3 Wege zwischen unterschiedlichen...

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