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Pferdemund tut Wahrheit kund

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
312 Seiten
Deutsch
Lenos Verlagerschienen am24.10.20231. Auflage
Dschmiaa lebt und arbeitet in der quirligen Altstadt von Casablanca. Ihre Ehe mit dem auf Abwege geratenen Hamid ist gescheitert, sie muss allein für ihre Tochter sorgen, die sie bei ihrer traditionell lebenden Mutter aufwachsen lässt, und fasst im Sexgewerbe Fuß. Kein Blatt nimmt sie vor den Mund, wenn sie in ungezügelter Sprache über ihren Alltag erzählt, über Freier und Gewalt, über ihre Sorgen und die ihrer Kolleginnen. Dschmiaa berichtet aber auch von Solidarität und den vergnüglichen Seiten ihrer Arbeit, die ihr finanzielle Unabhängigkeit verschafft. Doch dann nimmt ihr turbulentes Leben eine unerwartete Wendung: Eine junge Regisseurin tritt auf den Plan, von Dschmiaa argwöhnisch-liebevoll 'Pferdegebiss' genannt, die einen Film über das Leben in diesem Viertel drehen will. Mit viel Geduld und Verständnis macht sie Dschmiaa zu einem gefeierten Filmstar. In lebhaftem, frechem Stil zeichnet Meryem Alaoui ein farbenfrohes, ungeschöntes Gemälde des Alltags dieser Frauen, die mit Vitalität und Einfallsreichtum den Widrigkeiten begegnen. Der Roman schaffte es in die Vorauswahl für den Prix Goncourt.

Meryem Alaoui wurde 1975 in Casablanca, Marokko, geboren. Zusammen mit ihrem Mann leitete sie in ihrer Heimatstadt ein Medienunternehmen, das die Zeitschriften 'TelQuel' und 'Nichane' herausgab. Nach Jahren in New York lebt sie heute wieder in Marokko. 2018 erschien ihr vielbeachteter Debütroman 'La vérité sort de la bouche du cheval', der mit dem Prix Beur FM Méditerranée-TV5Monde ausgezeichnet wurde und es in die Vorauswahl für den Prix Goncourt schaffte. Er wurde ins Englische und Spanische übersetzt.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR26,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR18,99

Produkt

KlappentextDschmiaa lebt und arbeitet in der quirligen Altstadt von Casablanca. Ihre Ehe mit dem auf Abwege geratenen Hamid ist gescheitert, sie muss allein für ihre Tochter sorgen, die sie bei ihrer traditionell lebenden Mutter aufwachsen lässt, und fasst im Sexgewerbe Fuß. Kein Blatt nimmt sie vor den Mund, wenn sie in ungezügelter Sprache über ihren Alltag erzählt, über Freier und Gewalt, über ihre Sorgen und die ihrer Kolleginnen. Dschmiaa berichtet aber auch von Solidarität und den vergnüglichen Seiten ihrer Arbeit, die ihr finanzielle Unabhängigkeit verschafft. Doch dann nimmt ihr turbulentes Leben eine unerwartete Wendung: Eine junge Regisseurin tritt auf den Plan, von Dschmiaa argwöhnisch-liebevoll 'Pferdegebiss' genannt, die einen Film über das Leben in diesem Viertel drehen will. Mit viel Geduld und Verständnis macht sie Dschmiaa zu einem gefeierten Filmstar. In lebhaftem, frechem Stil zeichnet Meryem Alaoui ein farbenfrohes, ungeschöntes Gemälde des Alltags dieser Frauen, die mit Vitalität und Einfallsreichtum den Widrigkeiten begegnen. Der Roman schaffte es in die Vorauswahl für den Prix Goncourt.

Meryem Alaoui wurde 1975 in Casablanca, Marokko, geboren. Zusammen mit ihrem Mann leitete sie in ihrer Heimatstadt ein Medienunternehmen, das die Zeitschriften 'TelQuel' und 'Nichane' herausgab. Nach Jahren in New York lebt sie heute wieder in Marokko. 2018 erschien ihr vielbeachteter Debütroman 'La vérité sort de la bouche du cheval', der mit dem Prix Beur FM Méditerranée-TV5Monde ausgezeichnet wurde und es in die Vorauswahl für den Prix Goncourt schaffte. Er wurde ins Englische und Spanische übersetzt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783039257102
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum24.10.2023
Auflage1. Auflage
Seiten312 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3727 Kbytes
Artikel-Nr.12607470
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

JUNI
Casablanca, Freitag, den 11.

Nach getaner Arbeit verschwende ich keine Zeit. Ich ziehe die Dschellaba hinunter, streiche die Falten glatt und warte. Darauf, dass der Typ den Reissverschluss wieder hochzieht oder eine Zigarette raucht. Und dann abschiebt, damit ich an meinen Platz zurückkehren und mir den Nächsten angeln kann. Das war das Erste, was ich zu Halima gesagt habe, als sie vor einer Woche hier aufgetaucht ist.

Als er sie herbrachte, bat Hussin mich, ihr zwei, drei Dinge über das Gewerbe beizubringen, sie komme frisch aus dem Gefängnis. Mehr weiss ich nicht über sie.

Hussin war an diesem Tag ehrlich gesagt ein bisschen missgelaunt. Da habe ich lieber nicht zu viel gefragt. Der Typ steht nämlich unter Hochspannung. Auch seine Muskeln: dünn, aber deutlich sichtbar, wie mit dem Stift gezogen. Sein jüngster Ausraster ist erst zwei Tage her. Ich weiss nicht mehr genau, worum es ging, aber vermutlich hat irgendein Kerl, der ihm nicht gefällt, es einem seiner Mädchen gegenüber an Respekt mangeln lassen.

Das ärgert ihn aus irgendeinem Grund mehr als alles andere auf der Welt. Wenn es passiert, kann ihn nichts und niemand halten. Sein Schnurrbart beginnt dann leise zu beben, er pflanzt sich breitbeinig auf, wirkt noch grösser, als er ohnehin schon ist. Seine olivfarbene Haut wird noch dunkler, als sie ohnehin ist, und man sieht nur noch die Narben, die seinen Körper übersäen wie Risse die Trottoirs von Casa. Oder eher wie Streifen das Fell eines Tigers. Das macht Eindruck, und genau darum arbeiten wir für ihn. Wir brauchen uns keine Sorgen zu machen.

Jetzt gerade sitzen Halima und ich im Halbdunkel auf meinem Bett, und ich beschränke mich ehrlich gesagt auf das Nötigste. Ich habe Jahre gebraucht, um mir mein Wissen anzueignen, da werfe ich einer Anfängernutte nicht einfach alles hinterher. Ausserdem lasse ich mir von Hussin - egal wie verärgert er ist - nicht vorschreiben, womit ich meine Freizeit verbringe.

Als sie hierherkam, brauchte ich sie nicht lange durch mein Zuhause zu führen. Man hat es schnell gesehen. Mein Zimmer ist rechteckig, und darin gibt es, gegenüber der Tür, zwei quer zueinander liegende Matratzen. Tagsüber bilden sie das Wohnzimmer, und nachts schlafen wir darauf. Eine ist für meine Tochter und eine für mich.

Ich habe auch einen kleinen, runden Esstisch aus Holz. Und einen Schrank für unsere Klamotten. Halima verstaut ihre Sachen in einer schäbigen blauen Tasche und schläft auf einer Schaumstoffmatratze, die sie selber mitgebracht hat. Wenn sie morgens aufsteht, rollt sie sie zusammen und schiebt sie zwischen den Schrank und die Matratze rechts.

Über einer der Matratzen gibt es ein Fenster mit Blick auf die Strasse. Dort verbringe ich ziemlich viel Zeit. Weil ich, wenn ich nicht vor dem Fernseher sitze, das Kommen und Gehen der Menschen beobachte und dazu pépites*1 knabbere.

Wenn man reinkommt, ist links die Küche. Keine echte natürlich. Einfach ein Raum, der als Küche dient. Darin stehen ein kleiner Kühlschrank, ein Gaskocher, ein Kochtopf, ein paar Schüsseln und mein Lieblingsobjekt nach dem Fernseher: eine beige Teekanne, dekoriert mit einer rosa Blüte, zu der durchsichtige Gläser mit Blumengravur gehören, alles zusammen auf einem runden Tablett. Ich habe es ganz oben auf das Holzregal gestellt, damit alles heil bleibt. Gegenüber dem Regal gibt es eine Luke, die auf den Flur geht, von dem die Mietzimmer der anderen Mädchen und der Waschraum mit den Klos und einem Wasserhahn als Waschgelegenheit abgehen.

Das ist mein Zuhause.

Da ich kein Badezimmer habe, gehe ich jede Woche - jeweils montags - in den Hammam. Davor erledige ich die Wäsche und hänge sie auf der Dachterrasse auf, an den Drähten, die wir uns mit den anderen Hausbewohnern teilen. Von den Drähten ganz rechts müsse man sich fernhalten, habe ich Halima erklärt. Die gehören der Nachbarin aus dem zweiten Stock. Sie ist keine von unserem Schlag, aber glaub mir, sie weiss sich Respekt zu verschaffen.

Vor einiger Zeit beschlossen wir, die Müllsammlung aus dem Hauseingang wegzuverlegen, weil uns aufgefallen war, dass die Freier beim Anblick der schwarzen Säcke unter der Treppe manchmal das Gesicht verziehen. Sonderlich hygienisch ist es wirklich nicht. Und wenn zudem die Müllsäcke schlecht verschnürt sind, ziehen sie streunende Katzen an, die sie aufreissen und darin herumwühlen, und am Schluss ist überall Dreck. Auf der Treppe, am Boden, sogar an den Wänden.

Weil wir das satthatten, schickten wir Rabia aus dem ersten Stock von Tür zu Tür, um allen Bescheid zu geben, dass der Müll ab sofort in die grosse grüne Tonne auf dem gegenüberliegenden Trottoir gehört. Nicht mehr in den Hauseingang. Die Nachbarin aus dem zweiten Stock hätte ihr beinahe die Augen ausgekratzt, als sie das hörte. Selbst Rabia bekam Schiss.

Was auch verständlich ist. Um zu verstehen, was ich meine, muss man sie gesehen haben, unsere Nachbarin. Sie ist gross und breit wie ein Schrank. Ihr schwarzes Haar unter dem Kopftuch ist stramm nach hinten festgesteckt. Die riesigen Brüste sind eine Art Fortsetzung des Bauchs oder umgekehrt. Und beim Sprechen zieht sie immer eine Augenbraue hoch und stemmt die Fäuste in die Hüften. Schon ihr blosser Anblick führt dazu, dass man sich fragt, was zum Teufel man in ihrer Reichweite sucht.

Jedenfalls ging Rabia also wegen der Sache mit dem Abfall zu ihr und war ganz höflich. Sagte: »Salam.«

Die Nachbarin erwiderte: »Salam«, das s gezischt wie von einer Schlange, die Augenbraue kampfbereit.

»Schwesterherz, der Müll bereitet uns Probleme, und deshalb haben wir beschlossen, ihn künftig auf dem Trottoir gegenüber zu entsorgen, in der grünen Tonne. Könntest du deinen bitte auch rübertragen?«

»Meinen Müll?« Und dann gleich weiter: »Wie, meinen Müll? Was fällt dir ein, mir vorschreiben zu wollen, dass ich den Müll draussen wegwerfen soll?«

»â¦«

»Du wagst es, zu mir nach Hause zu kommen, um mir das zu sagen?«

»â¦«

»Kümmere dich lieber um den Dreck, den ihr alle hier produziert, bevor du zu mir kommst.«

Während ihrer Tirade stemmte sie die rechte Hand in die Hüfte und reckte Rabia die Stirn entgegen wie ein Opferhammel, der sich nicht einfangen lassen will. Wenn sie von sich sprach, tippte sie sich mit dem linken Zeigefinger auf die Brust. Wenn es um uns ging, hielt sie ihn Rabia direkt vor die Augen.

Rabia drängte nicht weiter, obwohl sie sonst keine Gelegenheit auslässt, sich Gehör zu verschaffen. Sie murmelte nur: »Schon gut, schon gut, reg dich nicht auf.«

Und zog wieder ab, während die Nachbarin hinter ihr weiterschimpfte: »Das wird ja immer schöner ⦫ Von der Treppe aus konnte ich sehen, wie sie Rabia hinterherfunkelte und gleichzeitig ihr Haar neu zusammenband, die Haarnadel im Mund und den Kopf leicht vorgeneigt, um den Knoten bequemer in Ordnung bringen zu können. Wie sie mit ihrem grimmigen Blick zischte: »Wegen dergleichen wagt sie mich zu behelligen ⦫

Als Rabia nachher sagte, sie habe sich nicht mit ihr anlegen wollen, begriffen wir, dass es nicht möglich gewesen war, und liessen die Sache auf sich beruhen. Weil Rabia einen ausgezeichneten Instinkt hat. Das hat sie in ihrem Leben schon ziemlich oft gerettet. Wobei wir alle einen guten Instinkt haben. Deshalb sind wir ja hier, mit Hussin mitten im Zentrum von Casablanca und nicht im Gefängnis oder irgendwo auf den Strassen.

Seither richten wir keine Bitten mehr an die Fette. So nennen wir die Nachbarin. Die Fette oder Okraïscha*, je nachdem. Sie stellt die Müllsäcke immer noch in den Hauseingang, und wir tragen sie selber rüber.

Als ich das Halima erzählt habe, vergass ich natürlich, zu erwähnen, dass wir, wenn wir abends ein bisschen was getrunken haben, manchmal auf die Dachterrasse gehen, Okraïschas Laken auf den Boden werfen, sie mit du weisst schon was begiessen und dazu lachen wie die Verrückten.

In solchen Momenten stosse ich einen Jubeltriller aus, wie ihn mir keine nachmacht. In Jubeltrillern bin ich gut. Wenn ich meine Zunge loslasse, schiesst sie los wie ein Schnellzug.

Bei dem Krach, den wir veranstalten, ist es unmöglich, dass die Fette uns nicht hört. Es ist auch wegen ihr, dass wir so laut herumjubeln.

Sie kommt nie herauf und äussert sich nie.

»Solange du bei mir wohnst, hältst du dich also von der Fetten fern, verstanden?«, habe ich zu Halima gesagt.

Sie hat mich mit ihrem farblosen Gesicht angeblickt wie ein geprügelter Hund und ja gesagt.

Ich ziehe den Aschenbecher heran, zünde mir eine Zigarette an, nehme einen hastigen Zug und erzähle weiter von meinem Tagesablauf, wobei ich immer wieder betone, was das Wichtigste ist: Quantität. Man muss schon eine ordentliche Menge Männer treffen,...
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Meryem Alaoui wurde 1975 in Casablanca, Marokko, geboren. Zusammen mit ihrem Mann leitete sie in ihrer Heimatstadt ein Medienunternehmen, das die Zeitschriften "TelQuel" und "Nichane" herausgab. Nach Jahren in New York lebt sie heute wieder in Marokko. 2018 erschien ihr vielbeachteter Debütroman "La vérité sort de la bouche du cheval", der mit dem Prix Beur FM Méditerranée-TV5Monde ausgezeichnet wurde und es in die Vorauswahl für den Prix Goncourt schaffte. Er wurde ins Englische und Spanische übersetzt.