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Berner Gerechtigkeit

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
224 Seiten
Deutsch
Gmeiner Verlagerschienen am14.02.2024
Kaspar Kempf, ein Sammler von Kuriosa und historischen Dokumenten, wird von einer ominösen Gruppe entführt. Das Erpresserschreiben enthält wirre Bedingungen, aber keine Lösegeldforderung. Als Markus Forrer von der Police Bern einen der mutmaßlichen Entführer festnimmt, schweigt dieser beharrlich. Die Zeit läuft Forrer davon. Seine letzte Rettung ist die Detektei Müller & Himmel. Gemeinsam dringen sie tief ein in ein dunkles Kapitel der Schweizer Geschichte, um den Entführern auf die Spur zu kommen.

Paul Lascaux ist das Pseudonym des Schweizer Autors Paul Ott. Der studierte Germanist und Kunsthistoriker lebt seit 1974 in Bern und hat in den letzten 40 Jahren zahlreiche literarische Veröffentlichungen realisiert. Einige seiner Kurzkrimis liegen als Übersetzungen in Polen und in den USA vor. Im Jahr 2020 erhielt er den Spezialpreis der Deutschsprachigen Literaturkommission des Kantons Bern. 2021 wurde das von Paul Ott initiierte 'Schweizer Krimiarchiv Grenchen' eröffnet.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR11,99
E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
EUR11,99

Produkt

KlappentextKaspar Kempf, ein Sammler von Kuriosa und historischen Dokumenten, wird von einer ominösen Gruppe entführt. Das Erpresserschreiben enthält wirre Bedingungen, aber keine Lösegeldforderung. Als Markus Forrer von der Police Bern einen der mutmaßlichen Entführer festnimmt, schweigt dieser beharrlich. Die Zeit läuft Forrer davon. Seine letzte Rettung ist die Detektei Müller & Himmel. Gemeinsam dringen sie tief ein in ein dunkles Kapitel der Schweizer Geschichte, um den Entführern auf die Spur zu kommen.

Paul Lascaux ist das Pseudonym des Schweizer Autors Paul Ott. Der studierte Germanist und Kunsthistoriker lebt seit 1974 in Bern und hat in den letzten 40 Jahren zahlreiche literarische Veröffentlichungen realisiert. Einige seiner Kurzkrimis liegen als Übersetzungen in Polen und in den USA vor. Im Jahr 2020 erhielt er den Spezialpreis der Deutschsprachigen Literaturkommission des Kantons Bern. 2021 wurde das von Paul Ott initiierte 'Schweizer Krimiarchiv Grenchen' eröffnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783839278024
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum14.02.2024
Reihen-Nr.16
Seiten224 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.12608325
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


4

Es war keineswegs so, dass Kaspar Kempf gleich der Verzweiflung anheimgefallen wäre, als er wieder erwachte. Aber ein mulmiges Gefühl hatte er schon, umfing ihn jetzt doch komplette Dunkelheit. Er trug seine Uhr, stellte fest, dass es kurz nach Mitternacht war. Geisterstunde. Allerdings wusste er nicht, welche Geister er gerufen hatte und welche ihn hier festhielten.

Geweckt hatte ihn ein unbändiger Hunger, den er mit nichts dämpfen konnte. Genauso wenig wie den Durst. Er musste sich erst wieder beruhigen. In der Finsternis würde er nichts zustande bringen. Fragen drängten sich auf. Ob ihn bereits jemand vermisste? Er hätte doch zum Unterricht erscheinen müssen. Wie lange würde es dauern, bis jemand bei ihm zu Hause nachsähe, wenn er keine Anrufe beantwortete? Aber wo sollte man ihn suchen? Er wusste ja selbst nicht, wo er sich befand.

Dann konzentrierte er sich wieder auf seine Briefe, um sich von den drängenden Problemen abzulenken. 1829 hatte sich eine Maria Schaad aus Bern an einen Pfarrer in Weinfelden gewandt, wohl ihr Bürgerort. Der sehr sauber geschriebene Brief schien eher aus geübter Hand zu stammen, mithilfe eines Sachverständigen diktiert. Frau Schaad hatte aus besagtem Ort eine Rechnung über den Betrag von fünfundzwanzig Franken erhalten.

Maria Schaad beklagte sich darüber, dass sie denselben Fehler schon in Bern abgebüßt und die Kosten der Niederkunft sowie der Beerdigung des Kindes bereits allein getragen habe. Es war also aus der Antwort auf das Schreiben ersichtlich, dass es um ein uneheliches Kind ging, das nach der Geburt verstorben war. Auch wies Frau Schaad darauf hin, dass sie deswegen ohne finanzielle Mittel dastehe, erst gerade einen neuen Dienst angefangen habe und es Zeit brauche, bis sie wieder so viel verdient habe, dass sie die Forderung bezahlen könne.

Dann schrieb Maria Schaad: »Im Fall, wie ich vermuthe, diese Forderung Strafgeld wäre, so ersuche meine Ede Gemeinde in Erwägung zu bringen, daß ich hier schon für meinen dißmaligen Fehler gebüßt habe, der billiger Weise einige Berücksichtigung und Milderung verdient, anstatt doppelt geahndet zu werden, indem ich mit Emanuel Bürki von Muri mündlich und schriftlich verlobt war, daß aber zu meinem Glücke die Ehe nicht sogleich konnte vollzogen werden weil demselben wegen Ehescheidung seiner Frau eine Wartzeit von 2. Jahren bestimmt war, an welchen noch 6. Monat fehlten da wir unsere Bekanntschaft machten; durch seine mir gemachten Versprechungen eingenommen, verfügte ich mich nach erhaltener schriftlichen Eheversprechung zu ihm um sein Hauswesen zu besorgen, und hatte Gott sey dank Gelegenheit seine falschen Angaben, seine Bethörung und seine Aufführung hauptsächlich kennen zu lernen, um mich vor einer höchst unglücklichen Ehe zu bewahren, daher ich mich entschloßen diese Verbindung aufzuheben, die ich noch zu jetziger Stunde schließen könnte.«

Interessant war ein von anderer, eher ungeübter Hand geschriebener Nachsatz, der die Aussage über eben jenen Emanuel Bürki bestätigte, gezeichnet »Stierlin. Pfarrer. Mitglied des Oberehegerichts«. Dieser Mann war leicht zu identifizieren. Es handelte sich um den angesehenen Geistlichen und Heimatforscher Rudolf Emanuel Stierlin, der von 1818 bis 1831 Oberster Dekan am Berner Münster und Präsident der Waisenhausdirektion und der burgerlichen Mädchenschule war. Er kannte sich also mit den Schicksalsschlägen von Frauen und Kindern aus. Sein Wort hatte Gewicht.

Die Ehegerichte, so hatte Kaspar Kempf recherchiert, waren eine Einrichtung aus dem Mittelalter. In manchen Gemeinden wurden sie auch Chorgericht genannt. Sie wurden von Geistlichen geführt und hatten die Aufgabe, über das sittliche Leben der Bevölkerung zu wachen und Verstöße dagegen zu ahnden. Oft hatten sie es mit unehelichen Kindern zu tun, die nicht legitimen Beziehungen entsprungen waren. Deswegen bestand auch die Pflicht, Schwangerschaften der Obrigkeit anzuzeigen, womit man Abtreibungen und Kindsmorde zu verhindern suchte. Von der Logik der Sache her beschäftigten sich die Ehegerichte hauptsächlich mit dem ärmeren Teil der Einwohnerschaft.

Ab dem sechzehnten Jahrhundert wurden diese Gerichte paritätisch besetzt, zur Hälfte mit geistlichen, zur Hälfte mit weltlichen Richtern. Frauen kamen nicht vor. Die Entscheidungen der Ortsgerichte wurden vom Oberen Ehegericht in Bern, der letzten Instanz, geprüft. Diese Sondergerichte hatten im Kanton bis 1831 Bestand, als die Einwohnergemeinden geschaffen wurden und die weltliche Justiz übernahm.

Das Mitleid von Kaspar Kempf mit den Betroffenen war echt, aber es gab ihm schon auch zu denken, dass er sich als älterer, alleinstehender und kinderloser Mann dafür begeisterte. Aus der historischen Distanz konnte er seine sonst gut verborgene Sensibilität auf Menschen richten, mit denen er im wirklichen Leben nichts zu tun hatte.

Endlich nickte er wieder ein. Er wusste nicht, ob er tief geschlafen hatte oder nur oberflächlich den Träumen entlangmäandriert war. Zum Pinkeln musste er jedenfalls nicht mehr aufstehen. Mit dem ersten Sonnenstrahl durch das Oberlicht fühlte er noch einmal seine Lebenskräfte erwachen. Er begann lauthals zu schreien, selbst wenn es die letzten Tage nichts genützt hatte. Dann sprang er in einem überraschenden Energieanfall von der Pritsche auf und wandte sich an die dicke hölzerne Tür, die er erst mit seinen Fäusten malträtierte und an die er sich in zunehmender Erschöpfung schließlich mit dem Kopf lehnte. Die Verzweiflung kam stärker zurück als zuvor.

Er setzte sich wieder.

Kaspar Kempf wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Später hörte er ein Geräusch, das er als letztes Stottern eines Motors identifizierte. Dann vernahm er Schritte, die sich ihm treppab näherten. Schließlich wurde die Tür aufgestoßen, ein Knirschen im Holz, kreischendes Metall. Und eine Stimme, die verlangte: »Alter Mann, bleib, wo du bist!«

Es blieb Kempf nichts anderes übrig, als dem Befehl Folge zu leisten. Zu lange hatte er sein Leben so geführt, wie andere es von ihm erwarteten, als dass er dies jetzt ändern könnte. Der harsche Ton des Mannes, der in den Keller eingetreten war, überraschte ihn. Dahinter erkannte er eine zweite Figur, zierlicher, eine Frau. Zu seiner Enttäuschung trugen beide Motorradhelme. Dabei wollte er doch mit ihnen über seine Entführung und die Gefangenschaft reden, zwischen Mensch und Mensch.

Aber die Sätze waren kurz und knapp.

»Wir bringen dir zu essen und zu trinken. Verbrauch nicht alles auf einmal. Wer weiß, wann wir wieder vorbeikommen können. Die Dinge sind am Laufen, aber es hat nicht alles geklappt wie geplant.«

»Kann ich irgendwie helfen?«, stieß er hervor.

»Ja«, sagte die weibliche Stimme, »indem du dich still verhältst. Alles andere gereicht dir zum Nachteil.«

Dann waren die beiden auch schon wieder weg, die Tür versperrt.

Kempf wurde nachdenklich. Er konnte sich nach wie vor keinen Reim auf die Vorgänge machen. Und wann hatte zum letzten Mal jemand den Begriff »zum Nachteil gereichen« in seiner Gegenwart benutzt? Falls er hier rauskäme und dieser Person gegenübergestellt würde, müsste sie nur ein einziges Mal diese Worte aussprechen, und sie wäre enttarnt. Allein der leichte Zungenschlag auf dem abschließenden »l« genügte. Kempfs schlechte Laune war verflogen. Er entdeckte belegte Brote mit bräunlichem Süßzeugs, das er nicht mochte, und mit Fleischkäse. Nicht vom Feinsten, aber um die nächsten Stunden zu überbrücken, sollte es reichen. Wasser gab es allerdings nur eine einzige Flasche. Damit musste er sparsam umgehen.

Er erinnerte sich an zwei Briefe, deren Absender das Obere Ehegericht war. Er hatte sie ganz zu Anfang gekauft, als er sie noch nicht allein lesen konnte. Einzig die Unterschriften hatte er entziffert. Ein Schreiben von 1823 war mit »von Diesbach« unterzeichnet, ein anderes von 1829 mit »von Graffenried«, eindeutig in ihrer eigenen Handschrift, denn den Rest hatte der Gerichtsschreiber Wild verfasst. Zwei Bernburger, die offensichtlich als Präsidenten dieses Gerichts fungiert hatten, ein von Diesbach noch aus dem Berner Zweig, der 1917 ausgestorben war. Diese Dokumente waren wesentlich größer als die privaten Faltbriefe, kamen gewichtiger daher. Und auf dem Umschlag fanden sich Notizen, dass der Inhalt den Beschuldigten zur Kenntnis gebracht worden war.

Bei beiden Texten ging es um rechtliche Beschlüsse bei unehelichen Kindern. Der ältere beschäftigte sich mit Louise Wegmüller von Walkringen. Sie hatte einen Johannes zur Welt gebracht, den Sohn von Melchior Zimmermann aus Wattwil im Kanton St. Gallen, der die Vaterschaft zugab, jedoch immer noch nicht über eine Heiratsbewilligung verfügte. So wurde er denn zu Unterhaltszahlungen, zur Übernahme der Kindbettkosten und zu einer Abgabe an die Gemeinde verurteilt.

Beim späteren Gerichtsbeschluss wollte es der Zufall, dass ein Christian Strahm mit achtzehn Jahren einen Heimatschein beantragte und man feststellte, dass der junge Mann nirgends registriert war. Seine Mutter war bereits verwitwet, und der angegebene Erzeuger, ein Glaser aus Zäziwil namens Christen Moser, stritt seine Vaterschaft ab. Das Gericht nahm sich auch an der eigenen Nase, indem es feststellte, dass »die ganze Sache aber, aus dermal unbekannten Gründen liegen geblieben, das Personal des Ehegerichts natürlich seither verändert...

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