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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
352 Seiten
Deutsch
Unionsverlagerschienen am18.03.2024
Silvia will ausbrechen aus der biederen Welt ihres Vaters, in der sie nichts erwartet als die immer gleichen miefigen Tapeten. Als sie in seinen Unterlagen eine erschütternde Entdeckung macht, muss sie endgültig verschwinden. Es zieht sie auf das Waldeck-Festival, wo eine junge Generation mit Gitarren und Folksongs aufbegehrt: gegen den Starrsinn der Alten und die verbohrten Strukturen der Nachkriegszeit. Währenddessen wittert der in Ungnade gefallene Journalist Ferdinand Broich endlich eine neue Story: Eine Frau will einen ehemaligen SS-Arzt auf der Straße erkannt haben. Doch als Broich die Zeugin wenige Tage später aufsuchen will, ist die bereits tot. Eine gefährliche Suche nach der Wahrheit beginnt, in einem Deutschland, dessen dunkle Vergangenheit noch bedrohlich nahe ist.

Jürgen Heimbach, geboren 1961 in Koblenz, studierte nach einer kaufmännischen Ausbildung Germanistik und Philosophie, betrieb in Mainz ein Off-Theater und gründete die Künstlergruppe V-I-E-R, mit der er Ausstellungen organisiert. Heute arbeitet Heimbach als Redakteur für 3sat. Sein Werk umfasst Romane, Jugendbücher und kriminalistische Kurzgeschichten. Sein Roman Die Rote Hand wurde 2020 mit dem Glauser-Preis für den besten deutschsprachigen Kriminalroman ausgezeichnet. Heimbach lebt mit seiner Familie in Mainz.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR19,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR16,99

Produkt

KlappentextSilvia will ausbrechen aus der biederen Welt ihres Vaters, in der sie nichts erwartet als die immer gleichen miefigen Tapeten. Als sie in seinen Unterlagen eine erschütternde Entdeckung macht, muss sie endgültig verschwinden. Es zieht sie auf das Waldeck-Festival, wo eine junge Generation mit Gitarren und Folksongs aufbegehrt: gegen den Starrsinn der Alten und die verbohrten Strukturen der Nachkriegszeit. Währenddessen wittert der in Ungnade gefallene Journalist Ferdinand Broich endlich eine neue Story: Eine Frau will einen ehemaligen SS-Arzt auf der Straße erkannt haben. Doch als Broich die Zeugin wenige Tage später aufsuchen will, ist die bereits tot. Eine gefährliche Suche nach der Wahrheit beginnt, in einem Deutschland, dessen dunkle Vergangenheit noch bedrohlich nahe ist.

Jürgen Heimbach, geboren 1961 in Koblenz, studierte nach einer kaufmännischen Ausbildung Germanistik und Philosophie, betrieb in Mainz ein Off-Theater und gründete die Künstlergruppe V-I-E-R, mit der er Ausstellungen organisiert. Heute arbeitet Heimbach als Redakteur für 3sat. Sein Werk umfasst Romane, Jugendbücher und kriminalistische Kurzgeschichten. Sein Roman Die Rote Hand wurde 2020 mit dem Glauser-Preis für den besten deutschsprachigen Kriminalroman ausgezeichnet. Heimbach lebt mit seiner Familie in Mainz.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783293311381
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum18.03.2024
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3206 Kbytes
Artikel-Nr.14168945
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe




8.âMai 1964


Durch die große Eingangshalle des Frankfurter Hauptbahnhofs drängten sich die Menschen dem Feierabend entgegen. Eine kühle Feuchtigkeit vom Regen der vergangenen Tage lag in der Luft und beschleunigte ihre Schritte. Wie konturlose Schemen nahm Ferdinand Broich sie durch die beschlagene Glastür der Telefonzelle wahr.

»Wie? Er ist nicht im Büro? Er hat mir ausrichten lassen, dass ich ihn heute Nachmittag anrufen soll!«

Er kniff die Lippen zusammen und verfluchte alle Zeitungsredakteure dieser Welt. Er kam sich wie ein Bittsteller vor.

»Wann ist er denn zu erreichen?«

Er wurde lauter. »Das können Sie nicht sagen? Sie müssen doch wissen, wann Ihr Chef zu sprechen ist ... Wir haben vereinbart ... Ich habe die Geschichte ...« Er drückte den Hörer noch fester an sein Ohr. »Hallo? ... Hallo?«

Er lauschte noch einen Moment in den Hörer, dann knallte er ihn wütend auf die Gabel.

Frustriert verließ Ferdinand die Telefonzelle. Seit fünf Jahren schlug er sich als Journalist durch. Freischaffend. Mehr schlecht als recht. Doch nun war es nur noch schlecht, nachdem man ihn, dessen war er sich inzwischen sicher, aufs Kreuz gelegt hatte. Zu Beginn seiner journalistischen Arbeit hatte er über die Machenschaften einer französischen Geheimorganisation namens »Die Rote Hand« geschrieben, die Unterstützer der algerischen Befreiungsbewegung einschüchterte, bedrohte und nötigenfalls auch ermordete. Nachdem dieser Krieg 1962 zu Ende war, begann er über ehemalige Nazigrößen zu recherchieren, die heute unbehelligt in Deutschland lebten. Politiker, Wirtschaftskapitäne, wie man die Herren nannte, Ärzte, Juristen, Hochschullehrer. Freunde hatte er sich damit nicht gemacht. Unlängst hatte er einen Regierungsrat beschuldigt, als Marinerichter noch in den letzten Kriegstagen Todesurteile verhängt zu haben. Zu Unrecht, wie sich herausstellte. Seine Reputation war dahin, und in den Redaktionen ging man auf Distanz zu ihm. Die Unterlagen, die ihm zugespielt worden waren, waren gefälscht und er überzeugt, Opfer einer Intrige geworden zu sein, um ihn und seine Arbeit zu diskreditieren.

In Frankfurt hatte er daraufhin nicht einmal mehr eine Akkreditierung für den Prozess gegen Wachmannschaften des Konzentrationslagers Auschwitz bekommen. Wie ein Gnadenbrot erschien ihm der Auftrag des Chefredakteurs einer Frankfurter Tageszeitung, ein Porträt über Kurt Oeser zu schreiben, einen jungen Pfarrer, der in der Ostermarschbewegung engagiert war. Weil er so gut wie pleite war, hatte Ferdinand den Auftrag angenommen, bis heute jedoch noch keine Zeile zu Papier gebracht. Hinzu kam, dass er vor zwei Wochen die Kündigung für seine Wohnung erhalten hatte. In vier Wochen musste er ausziehen. Ohne Nachweis eines regelmäßigen Einkommens würde er keine neue Bleibe finden und auf der Straße stehen.

Doch jetzt gab es Hoffnung auf einen Neuanfang. Eine Frau aus München, Überlebende des Holocaust, wie sie sagte, hatte ihn angerufen und ihm mitgeteilt, dass sie einen Zahnarzt aus Lublin-Majdanek erkannt habe, der in der Stadt lebe und unter neuem Namen praktiziere. Sie wolle, dass Ferdinand dem nachgehe, darüber schreibe und es öffentlich mache.

Zweimal hatte er mit der Frau telefoniert, sie bestand darauf, dass er zu ihr nach München kam. Ferdinand hatte aus der Sache mit dem Regierungsrat gelernt und sich an einen Historiker und Anwalt gewandt, dessen Namen ihm im Zusammenhang mit den Gerichtsverhandlungen um die Wiedergutmachung von Opfern der Nationalsozialisten aufgefallen war.

Der Mann hatte ein Lokal in Sachsenhausen als Treffpunkt vorgeschlagen.

Jetzt saß er in seinem Wagen, einem Renault Dauphine, den er einem Kollegen abgekauft hatte, als es ihm finanziell noch besser ging. Er kauerte hinter dem Lenkrad und starrte auf den Eingang des Lokals auf der anderen Straßenseite. Vor fünf Jahren war er schon einmal hier gewesen. Mit dem ehemaligen Fremdenlegionär Arnolt Streich hatte er überlegt, wie sie ein kleines Mädchen vor den Nachstellungen der »Roten Hand« schützen konnten, weil sie Zeugin eines Anschlags geworden war. Das Mädchen konnten sie retten, aber Streich war anschließend tot, erschossen, und auch er hatte einen Schuss ins Bein abbekommen. Es kam Ferdinand wie gestern vor, die Erinnerung an diesen Menschen war noch völlig klar, an den schweigsamen Mann, der in mehreren Kriegen gekämpft, der Menschen getötet hatte. Seitdem hatte Ferdinand Albträume, die stets damit endeten, dass ihm jemand ins Gesicht schoss.

Als er das Lokal endlich betrat, empfing ihn lautes Gerede, dichter Zigarettenqualm und dröhnende Musik. »Rote Lippen soll man küssen« dröhnte es aus der Musikbox, die schräg gegenüber dem Eingang stand und von einer Gruppe junger Männer und Frauen umlagert wurde. So laut und voll war es hier vor fünf Jahren nicht gewesen. Er fragte sich, ob er am richtigen Treffpunkt war. Der lange Tresen links von der Musikbox war dicht besetzt. Am hinteren Ende saß ein korpulenter Mann, der eine große, fast quadratische Hornbrille trug, das dichte Haar war zurückgekämmt. Er nickte Ferdinand zu.

»Dr.âMartin Rudnik?« Er schätzte den Mann auf etwa sechzig Jahre. »Ferdinand Broich«, stellte er sich vor. »Entschuldigung, der Verkehr.«

Dr.âRudnik griff nach dem Glas, das vor ihm auf dem Tresen stand, und gab Ferdinand mit dem Kopf ein Zeichen, ihm zu folgen. Wie ein Wellenbrecher schob der Mann seinen massigen Körper durch die zwischen den Tischen stehenden Menschen hindurch. Ferdinand folgte knapp hinter ihm. Ein Paar bewegte sich rhythmisch auf engstem Raum zu Tanze mit mir in den Morgen.

Neben der Tür zu den Toiletten fanden sie einen freien Tisch.

Dr.âRudnik bemerkte Ferdinands Blick. »Würde Sie hier in dem Lokal jemand vermuten?«, fragte er und nahm Platz.

Der Wirt, ein kantiger Kerl mit Ringerohren, stand am Nebentisch und sah jetzt zu ihnen herüber. »Wie immer Stöffsche, Herr Doktor?«

»Gerne!« Dr.âRudnik blickte Ferdinand, der sich ihm gegenüber niedergelassen hatte, fragend an.

»Für mich ein Pils«, sagte er an den Wirt gewandt. »Das können Sie trinken?« Ferdinand verzog angewidert das Gesicht.

»Habe ich mit der Muttermilch aufgesogen«, erwiderte Dr.âRudnik.

»Werde ich mich nie dran gewöhnen. Ich hab´s versucht, als ich nach Frankfurt kam, aber nein, es geht einfach nicht«, entgegnete Ferdinand, wartete, bis der Wirt mit dem Bier und dem Apfelwein zurückkam, und prostete seinem Gegenüber mit einer kaum merklichen Geste zu.

»Es läuft bei Ihnen nicht gut?« Obwohl Dr.âRudnik es wie eine Frage hatte klingen lassen, war es eine Feststellung. Er blickte dabei kurz auf Ferdinands blaues Jackett.

»Ja, habe schon bessere Zeiten gehabt.« Er strich sich übers Revers.

»Die Sache mit dem Regierungsrat?«

Ferdinand nickte. »Ex-Marinerichter. Ja. Spricht sich wohl rum.«

»Natürlich«, erwiderte der Anwalt knapp. Er nahm sein Glas, leerte es in einem Zug, gab dem Wirt ein Zeichen. »Ich habe Ihre Artikel mit großem Interesse gelesen. Warum sind Sie nicht schon früher zu mir gekommen? Dann wäre das mit dem Regierungsrat nicht passiert.«

Ferdinand nahm nun auch einen Schluck. »Eine Falle, da bin ich mir inzwischen sicher.«

Dr.âRudnik verzog seinen Mund. »Eine effiziente Art, Sie zum Schweigen zu bringen. Fürwahr.« Er lachte.

Ferdinand wusste nicht, was er von dem Mann halten sollte.

Der Wirt kam mit dem nächsten Glas Apfelwein, stellte einen Aschenbecher auf den Tisch, was Dr.âRudnik zum Anlass nahm, ein silbernes Zigarettenetui aus seiner Jacketttasche zu nehmen. Er hielt es Ferdinand entgegen. Der lehnte ab.

»Am Telefon haben Sie von einer Majdanek-Überlebenden gesprochen, die Sie kontaktiert hat«, kam Dr.âRudnik nun direkt auf den Grund ihres Treffens zu sprechen.

»Ja«, bestätigte Ferdinand. »Vor ein paar Tagen. Die Frau stellte sich als Ruth Lachmann vor. Sie war in Auschwitz und Majdanek und in anderen Konzentrationslagern. Wohnt in München und hat einen gewissen Gernot Tromnau wiedererkannt. Haben Sie den Namen schon mal gehört?«, fragte er.

Dr.âRudnik ging nicht auf die Frage ein, stattdessen zündete er sich eine Zigarette an und inhalierte tief. »Mich würde zunächst interessieren, wie der Kontakt zustande kam.«

»Frau Lachmann hat meinen Namen aus der Presse.«

»Ich meine«, konkretisierte Dr.âRudnik seine Frage, »warum Sie.« Er hob kurz die Augenbrauen. »Ohne despektierlich sein zu wollen. Sie hätte sich auch an die Staatsanwaltschaft oder die Polizei wenden können.«

»Sie fürchtet, dass von deren Seite kein Interesse vorhanden ist, dem nachzugehen. Sie glaubt, wenn die Presse darüber berichtet, wird sich automatisch die Staatsanwaltschaft einschalten.«

»Ihr Misstrauen ist verständlich!«, kommentierte Dr.âRudnik und leerte sein Glas erneut in einem Zug.

Ferdinand wunderte sich, wie schnell der Mann trank. »Dieser Tromnau lebt ganz unbehelligt in München und führt dort seit fast zwanzig Jahren eine Praxis.«

»Und Sie?« Dr.âRudnik hob sein Glas über den Kopf, gab dem Wirt damit das Zeichen für ein weiteres. »Ja, Sie, Herr Broich. Was erhoffen Sie sich?«
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Jürgen Heimbach, geboren 1961 in Koblenz, studierte nach einer kaufmännischen Ausbildung Germanistik und Philosophie, betrieb in Mainz ein Off-Theater und gründete die Künstlergruppe V-I-E-R, mit der er Ausstellungen organisiert. Heute arbeitet Heimbach als Redakteur für 3sat. Sein Werk umfasst Romane, Jugendbücher und kriminalistische Kurzgeschichten. Sein Roman Die Rote Hand wurde 2020 mit dem Glauser-Preis für den besten deutschsprachigen Kriminalroman ausgezeichnet. Heimbach lebt mit seiner Familie in Mainz.

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