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Aftershocks

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
383 Seiten
Deutsch
Orlanda Verlag GmbHerschienen am16.06.20231. Auflage
Tansania, Äthiopien, Italien, Uganda, England. Durch die ständig wechselnden Arbeitsorte ihres Vaters, eines ghanaischen Beamten der Vereinten Nationen, wächst Nadia auf verschiedenen Kontinenten auf. Jeder neue Ort bedeutet für sie: eine neue Sprache, ein neues Zuhause und neue Fragen nach ihrer Identität. Als Nadia zwei Jahre alt ist, kehrt ihre Mutter der Familie den Rücken, ihr Vater stirbt, als sie 13 ist. Von da an leben Nadia und ihre Schwester bei ihrer Stiefmutter, zu der sie ein schwieriges Verhältnis haben. Auf sich allein gestellt, von den Spuren familiärer Traumata und einem unbeständigen Leben gezeichnet, zieht Nadia als junge Frau nach New York. Sie fühlt sich heimatlos, elternlos und verängstigt, als sie schließlich damit beginnt, die Bruchstücke ihrer Identität zusammenzufügen. Nadia Owusu erzählt in ihren bewegenden Erinnerungen von ihrer Kindheit, den jungen Erwachsenenjahren und ihrer Familiengeschichte, in die die Folgen von Krieg, Genozid und Kolonialismus tief eingeschrieben sind. Damit sind ihre bewegenden und unglaublich aktuellen Memoiren ein nuanciertes Porträt der Globalisierung aus der Innenperspektive in einer zerrissenen Welt.

Nadia Owusu, geb. 1981, ist eine ghanaisch-armenisch-amerikanische Schriftstellerin und Stadtplanerin, die in Brooklyn lebt. Ihr Buch Aftershocks wurden unter anderem von Barack Obama, dem Time Magazin, der Vogue und dem Guardian zu einem der besten Bücher des Jahres 2021 gewählt. Außerdem erschienen Texte von ihr bereits in der New York Times, dem Guardian und dem Wall Street Journal.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR15,99

Produkt

KlappentextTansania, Äthiopien, Italien, Uganda, England. Durch die ständig wechselnden Arbeitsorte ihres Vaters, eines ghanaischen Beamten der Vereinten Nationen, wächst Nadia auf verschiedenen Kontinenten auf. Jeder neue Ort bedeutet für sie: eine neue Sprache, ein neues Zuhause und neue Fragen nach ihrer Identität. Als Nadia zwei Jahre alt ist, kehrt ihre Mutter der Familie den Rücken, ihr Vater stirbt, als sie 13 ist. Von da an leben Nadia und ihre Schwester bei ihrer Stiefmutter, zu der sie ein schwieriges Verhältnis haben. Auf sich allein gestellt, von den Spuren familiärer Traumata und einem unbeständigen Leben gezeichnet, zieht Nadia als junge Frau nach New York. Sie fühlt sich heimatlos, elternlos und verängstigt, als sie schließlich damit beginnt, die Bruchstücke ihrer Identität zusammenzufügen. Nadia Owusu erzählt in ihren bewegenden Erinnerungen von ihrer Kindheit, den jungen Erwachsenenjahren und ihrer Familiengeschichte, in die die Folgen von Krieg, Genozid und Kolonialismus tief eingeschrieben sind. Damit sind ihre bewegenden und unglaublich aktuellen Memoiren ein nuanciertes Porträt der Globalisierung aus der Innenperspektive in einer zerrissenen Welt.

Nadia Owusu, geb. 1981, ist eine ghanaisch-armenisch-amerikanische Schriftstellerin und Stadtplanerin, die in Brooklyn lebt. Ihr Buch Aftershocks wurden unter anderem von Barack Obama, dem Time Magazin, der Vogue und dem Guardian zu einem der besten Bücher des Jahres 2021 gewählt. Außerdem erschienen Texte von ihr bereits in der New York Times, dem Guardian und dem Wall Street Journal.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783949545177
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum16.06.2023
Auflage1. Auflage
Seiten383 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.14248786
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Erstes Beben

Rom, Italien, 7 Jahre

Das Haar meiner Mutter ist lang, glatt und schwarz. Es weht ihr im Wind hinterher. Sie geht wieder. Sie ist ein Phantomschiff im Mondschein, das aufs pechschwarze Wasser hinaustreibt, hin zu dem Ort, an dem Himmel und Meer aufeinandertreffen, wo sich die Erde krümmt, um dort zu verschwinden, und dieser Moment ist so flüchtig, so ätherisch, dass ich mich beim Anblick ihres wehenden Haars bereits frage, ob sie überhaupt je da gewesen ist. Ich stehe in der Tür, doch sie dreht sich nicht zu mir um. Ich bin sieben Jahre alt, eingepackt in einen rosa Pullover und einen Daunenmantel, die Pudelmütze tief in die Stirn gezogen. Meine weißen Söckchen sind feucht und schmuddelig vom Regen, der in meine schwarzen Stoffschuhe dringt, die ich bei Wind und Wetter trage. Ich will sie rufen, doch ich habe Angst, dass sie sich nicht nach mir umdreht. Oder schlimmer, sich umdreht, aber trotzdem nicht für mich entscheidet. Sie steigt auf der Beifahrer*innenseite des blauen Fiats ein, den ihr Mann sich von einem Bekannten ausgeliehen hat. Sie sind nur einen Tag in Rom, auf der Durchreise nach Massachusetts. Sie haben Urlaub in Venedig gemacht.

Am Morgen, bevor meine Mutter ohne Vorwarnung oder Verlautbarung auftauchte, wachte ich vom Rauschen des Regens auf. Draußen war es dunkel, so dunkel, dass ich erst dachte, es sei noch mitten in der Nacht, bis ich Pancakes roch. Samstagmorgens macht mein Vater immer Pancakes.

Während ich frühstückte, die Nase tief in einer abgegriffenen Ausgabe von Little Women, war mein Vater sichtlich nervös. Er wippte mit dem Fuß, sah auf die Uhr, schob seine Brille hoch. Ich fragte mich, was ihm Sorgen bereitete, und hoffte, es würde nicht dazu führen, dass er das ganze Wochenende am Schreibtisch sitzen müsste. Er war gerade erst von einem Arbeitseinsatz in Dhaka zurück. Ich wollte ihn für mich haben. Im Radio, das wie immer neben dem Toaster auf der Küchenarbeitsplatte stand und mit seiner krummen Antenne irgendwie BBC World empfing, kamen Nachrichten über ein schlimmes Erdbeben in Armenien. Zehntausende Menschen waren ums Leben gekommen, Hunderttausende hatten ihr Zuhause und sämtliches Hab und Gut verloren. Eine Stadt namens Spitak war komplett zerstört worden. Die Frau im Radio sagte, eine neue Stadt müsse auf den Ruinen errichtet werden. Das sowjetische Staatsoberhaupt Michail Gorbatschow bat die Welt um Hilfe. Ich bestrich meinen Pancake mit Butter und streute Zucker darüber.

»Wohnt Mamas Familie nicht in Armenien?«

Mein Vater zuckte zusammen, dann sah er mich durch seine Glasbausteinbrillengläser mit großen Augen an.

»Nein«, sagte er. »Ihre Familie stammt aus Armenien, lebte aber in der Türkei. Inzwischen sind sie alle in Amerika.«

Für gewöhnlich vermieden wir es, über meine Mutter zu sprechen, aber die BBC hatte gesagt, es sei ein Notfall. Im Notfall gelten andere Regeln.

Ich bin zur Hälfte armenisch, war mir jedoch nicht sicher, ob das Erdbeben etwas mit mir zu tun hatte. Mein ghanaischer Vater, meine Stiefmutter Anabel, meine Schwester Yasmeen und ich wohnten in Italien. Ich hatte gerade zum ersten Mal vom Kaukasus gehört, denn eine Bruchstelle im Gebirge hatte das Beben verursacht. Ich fragte meinen Vater, was ein Nachbeben sei. Er sagte, das seien kleinere Erschütterungen, die auf ein Erdbeben folgen. Eine verspätete Reaktion der Erde auf Stress.

Es klingelte, als ich zum Zähneputzen nach oben gehen wollte. Yasmeen, die gerade in die Küche getapst kam und sich noch die Augen rieb, war schlagartig wach und rannte hinter mir her zur Tür. Wir hofften, unsere Freunde von nebenan seien zum Spielen gekommen.

Unsere Mutter stand mit zwei roten Luftballons und zitternden Händen auf der Veranda. Ich starrte sie an. Als ich meine Stimme wiederfand, rief ich meinen Vater. Wir hatten meine Mutter seit drei Jahren nicht gesehen, zuletzt, als ich vier war. Mein Vater nickte zur Begrüßung und schickte Yasmeen und mich zum Anziehen ins Haus. Als wir die Treppe wieder hinunterkamen, standen meine Eltern noch immer im Flur. Sie schwiegen sich an. Meine Mutter hatte die Hände in den Taschen vergraben. Die roten Ballons hatte sie losgelassen, sie schwebten unter der Decke. Meine Mutter ließ den Kopf hängen. Mein Vater stand breitbeinig und mit gestrafften Schultern da.

»Eure Mutter macht einen Ausflug mit euch.« Er nahm unsere dicken Jacken aus dem Schrank. Ich konnte ihn auf der anderen Seite der Haustür spüren, als er sie hinter uns schloss, als wolle er uns damit sagen, dass er da sein würde, wenn wir wiederkämen, genau so, wie wir ihn zurückgelassen hatten.

Der Mann meiner Mutter fuhr schweigend, während meine Mutter losplapperte. Unsere Halbschwestern würden uns unbedingt sehen wollen. Nächstes Mal würden sie sie mitbringen. Venedig sei einfach zauberhaft. Sie könne kaum glauben, dass es so einen Ort wirklich gab. Unsere Großeltern hätten uns einen Drachen in Form eines Fischs gekauft. Unser Vater könne uns dann im Frühjahr zeigen, wie man ihn steigen lässt.

Trotz Nieselregens setzte uns der Mann meiner Mutter an der Piazza Navona ab. Ein Künstler machte eine lustige Zeichnung von uns Dreien, mit ausgebeulten Köpfen und erschrockenen Blicken. Wir aßen in einem Café - Spaghetti al pomodoro. Wir bestellten alle extraviel Parmesan. Meine Mutter fragte nach der Schule und sagte, unser Haus gefalle ihr, dabei hatte sie doch bloß unseren Flur gesehen. Ich fragte sie nach dem Erdbeben. Sie hatte noch nichts davon mitbekommen.

»Irgendwann reisen wir alle zusammen nach Armenien«, sagte sie. Es klang halb wie eine Frage, halb wie eine Feststellung, deshalb antwortete ich »Ja«, obwohl ich ihr nicht glaubte.

Als wir das Restaurant verließen, kam ein Jongleur auf uns zu und grinste. Er schien kaum die Hände zu bewegen, doch seine Keulen in Blau, Gelb und Rot kreisten hoch über seinem Kopf. Er fing zwei mit der einen und die dritte mit der anderen Hand auf und verbeugte sich tief. Meine Mutter klatschte. Yasmeen und ich, Fremden gegenüber immer scheu, studierten die Risse in den Pflastersteinen. Meine Mutter drückte dem Jongleur ein paar goldene und silberne Tausend-Lire-Münzen in die Hand. Auch Yasmeen und ich bekamen je eine, um sie in die Fontana dei Quattro Fiumi zu werfen. Ich sagte meiner Mutter, was mein Vater mir über den Brunnen erzählt hat - dass die vier Figuren darin die Götter von vier Flüssen auf vier Kontinenten darstellen: Nil, Ganges, Donau und Río de la Plata. Über den Göttern erhebt sich ein Obelisk mit einer Taube an der Spitze. Der Obelisk steht für die katholische Kirche. Die Flussgötter sind mächtig, verneigen sich jedoch vor dem Vatikan.

»Der Brunnen ist ein Symbol des Kolonialismus«, flüsterte ich, ein Echo meines Vaters, der mit mir spricht wie mit einer Erwachsenen. Kolonialismus ist, so habe ich es verstanden, wenn weiße Menschen Schwarzen Menschen und People of Color das Land stehlen, wenn sie sie schlagen und töten, wenn sie sie versklaven und unterwerfen. Mein Vater, das weiß ich, wurde im letzten Jahr unter Kolonialherrschaft in der damaligen Goldküste geboren. Er sagt, in der Geburtsstunde Ghanas geboren worden zu sein, war der Grundstein für sein Glück, unser Glück. Es gefiel mir, dass meine Mutter lachte und mich ein schlaues Kind nannte. Als ich meine Münze ins Wasser warf, kniff ich die Augen zu und lauschte, wie sich das Lachen meiner Mutter unter das Rauschen des Wassers mischte. Dieses Geräusch war der Wunsch, den ich nicht in Worte zu fassen wagte, weil Worte missverstanden werden können.

Jetzt beobachte ich meine Mutter dabei, wie sie in den blauen Fiat steigt. Ihr Mann startet den Motor. Um sie noch deutlicher zu sehen, blinzele ich. Sie lehnt den Kopf ans Seitenfenster, und ich stelle mir vor, oder hoffe vielleicht sogar, dass sie weint. Das Auto fährt los und wird von der Nacht verschluckt. Ich schnuppere nach Abgas oder Parfüm, nach irgendeinem Überrest der Gegenwart meiner Mutter. Doch ich rieche nur nassen Kalkstein und Knoblauch. Meine Stiefmutter Anabel macht Abendessen. Die Piazza Navona scheint auf einmal weit entfernt. Wir wohnen in EUR, einem Stadtviertel, dessen Name das Akronym von Esposizione Universale di Roma ist - einer Weltausstellung, die aufgrund des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs nie stattgefunden hat. EUR wurde von Mussolini erbaut, um das zwanzigjährige Jubiläum des faschistischen Italiens zu feiern und die Stadt Richtung Meer zu erweitern. Anders als der Rest von Rom ist EUR ein ordentliches Viertel. Alle Gebäude sind stabil, blütenweiß und rechtwinklig angeordnet. Normalerweise vermittelt mir seine Einförmigkeit ein Gefühl von Sicherheit, doch jetzt kommt es mir ungastlich und seelenlos vor.

Irgendwo im Haus kreischt meine Schwester. Sie will nicht in die Wanne. Der Grund für ihre Wut ist ein völlig anderer, das ist mir klar. Mit einem tiefen Atemzug nehme ich die allerletzten Partikel meiner Mutter auf, die noch in der Luft hängen, und schließe...
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Autor

Nadia Owusu, geb. 1981, ist eine ghanaisch-armenisch-amerikanische Schriftstellerin und Stadtplanerin, die in Brooklyn lebt. Ihr Buch Aftershocks wurden unter anderem von Barack Obama, dem Time Magazin, der Vogue und dem Guardian zu einem der besten Bücher des Jahres 2021 gewählt. Außerdem erschienen Texte von ihr bereits in der New York Times, dem Guardian und dem Wall Street Journal.