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Das Buch der Ketzer

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
608 Seiten
Deutsch
Diogeneserschienen am24.04.2024
?Das Buch der Ketzer? erzählt von »verunglückten Heiligen«, wie Walter Nigg sie nennt. Mit großer Empathie schreibt er über Gottes- und Wahrheitssucher, die von der Kirche aus­gestoßen wurden oder sich von ihr getrennt haben. Darunter finden sich »Hexen« und Katharer, aber auch berühmte Philosophen und Theologen, Literaten und Wissenschaftler.

Walter Nigg, geboren 1903 in Luzern, war Professor für Kirchengeschichte in Zürich und wirkte als protestantischer Pfarrer im zürcherischen Dänikon, wo er 1988 starb. Neben Heiligen, Ordensgründern, Propheten und Mystikern handeln seine Bücher auch von Künstlern und Dichtern und nicht zuletzt von Ketzern, die er als »verunglückte Heilige« verstand.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden (Leinen)
EUR30,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR16,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR7,99

Produkt

Klappentext?Das Buch der Ketzer? erzählt von »verunglückten Heiligen«, wie Walter Nigg sie nennt. Mit großer Empathie schreibt er über Gottes- und Wahrheitssucher, die von der Kirche aus­gestoßen wurden oder sich von ihr getrennt haben. Darunter finden sich »Hexen« und Katharer, aber auch berühmte Philosophen und Theologen, Literaten und Wissenschaftler.

Walter Nigg, geboren 1903 in Luzern, war Professor für Kirchengeschichte in Zürich und wirkte als protestantischer Pfarrer im zürcherischen Dänikon, wo er 1988 starb. Neben Heiligen, Ordensgründern, Propheten und Mystikern handeln seine Bücher auch von Künstlern und Dichtern und nicht zuletzt von Ketzern, die er als »verunglückte Heilige« verstand.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783257614480
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Verlag
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum24.04.2024
Seiten608 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1518 Kbytes
Artikel-Nr.14284305
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Vater aller Häretiker, mit diesem Namen bezeichnet Irenäus in seinem ketzerbekämpfenden Werk Simon Magus.1 Nach der Auffassung dieses Kirchenvaters stammen sämtliche Ketzereien von Simon Magus ab, gegen den sich der Ingrimm aller rechtschaffenen Christen gerichtet habe. Irenäus´ Anschauung blieb nicht eine individuelle Meinung; sie wurde von Euseb in seiner »Kirchengeschichte« übernommen, und seither galt Simon für die alte Kirche als »erster Urheber jeder Häresie«.2 Vater einer großen Bewegung zu sein ist aber ein Titel, den nur ein Mensch von ungewöhnlichem Format erhält.

Der Bedeutung des Simon Magus ist jedoch abträglich, daß von diesem der urchristlichen Zeit angehörenden Ketzer nur wenige zuverlässige Nachrichten auf die Nachwelt gekommen sind. Diese Berichte stammen zudem weder von ihm selbst noch von seinen Schülern, sondern ausnahmslos von seinen Gegnern, die damit eine bestimmte Absicht verbanden. Die erhaltenen Notizen sind nicht leicht auf einen Nenner zu bringen und stellen einen vor die Aufgabe eines Mosaikspieles. Simons wahre Bestrebungen wurden von der Überlieferung nur notdürftig angedeutet und erweitern sich kaum zu einer detaillierten Schilderung, welche die Zeichnung eines plastischen Bildes erlaubte. Nur in Umrissen schimmert seine rätselvolle Gestalt durch die altchristlichen Überlieferungen hindurch. Die Persönlichkeit verbleibt in der Atmosphäre des Geheimnisvollen und läßt mannigfachen Vermutungen Raum. Die Phantasie, die ausgeschaltet bleibt, wenn eine geschichtliche Figur ganz im klaren Licht steht, kommt in Bewegung. Die bloß fragmentarischen Andeutungen vermitteln jedoch eine Ahnung von Simons Wollen, wenn von diesem auch nur ein Schattenriß skizziert werden kann.

Simon trägt den Zunamen Magus. In die Geschichte ist er mit dieser Bezeichnung eingegangen, welche für den Historiker zugleich eine Mahnung zur Vorsicht enthält, denn das magische Weltgefühl bleibt der rationalen Interpretation unzugänglich. Dieser Ketzer ist einer Denkweise zugehörig, die mit ihrer vorwissenschaftlichen Geistigkeit nach prälogischen Gesetzen verfährt. Als Magier weiß Simon um Geheimnisse, welche dem heutigen Menschen verschlossen sind; er verfügt über unerklärliche Kräfte, die nicht alle kennen und deren Existenz nicht bezweifelt werden darf. Nicht umsonst hat das samaritanische Volk von Simon gesagt: »Dieser ist die Kraft Gottes, die man die große nennt«,3 und damit ein in jeder Beziehung ungewöhnliches Urteil abgegeben. In der ältesten Berichterstattung wird Simon als ein unheimlicher Zauberer geschildert, welcher »das Volk von Samaria in Erstaunen« versetzte. Auch diese Bemerkung ist nicht nebensächlich. Simon hat die Menschen zum Erstaunen gebracht, und das ist die erste Stufe auf der Treppe zum Aufgang in die geistige Welt. Sie spürten bei Simon ein Können, das dem gewöhnlichen Sterblichen versagt ist. Deswegen das maßlose Erstaunen, womit sie diesen als »große Kraft Gottes« verehrten Mann betrachteten. Mit einem ebenso neugierigen als unbehaglichen Gefühl standen die Samaritaner der außergewöhnlichen Kunst des Magiers gegenüber, der sich unterfing, verschlossene Siegel zu lösen. Die antike Welt glaubte noch an Magie. Auch dem Neuen Testament ist der Glaube an geheimnisvolle Kräfte und Geistesgaben nicht fremd. Waren es doch nach dem Matthäus-Evangelium drei Magier, die zuerst im Morgenland auf die Geburt des Christus aufmerksam wurden und dem Stern folgten, bis sie im Stall von Bethlehem dem neugeborenen König ihre Huldigung darbrachten. Aber während das Urchristentum das magische Weltgefühl noch in sich einschloß - sind doch die Charismen für dasselbe geradezu charakteristisch -, wurde im Laufe der christlichen Geistesgeschichte die Magie in Verruf gebracht und sie zu gebrauchen als frevelhaftes Tun bezeichnet. Nur wenige Menschen machten später die unumgängliche Unterscheidung von weißer und schwarzer Magie, wobei sie erstere mit dem Lichtreich in Verbindung brachten und nur die letztere in Beziehung mit dämonischen Mächten sahen.

Nach dem Bericht der Apostelgeschichte trat dieser Magier zum Christentum über. Die den Christen zuteil gewordenen Geistesgaben schienen ihm bedeutsam genug zu sein, ein Anhänger der neuen Botschaft zu werden. Durch die Predigt des Philippus wurde Simon »gläubig« und ließ sich von ihm taufen. Schon früh wurde die Ehrlichkeit von Simons Annahme des Christentums bezweifelt. Nur aus Heuchelei habe er diese Konversion vollzogen. Doch stellt diese Auffassung sowohl der Menschenkenntnis als der Geisterunterscheidung des Philippus ein schlechtes Zeugnis aus. Heißt es doch, daß Simon nach seiner Taufe beständig bei Philippus verblieb, und als er später mit den übrigen Aposteln in Konflikt geriet, hat der Magier eine echt religiöse Haltung zum Ausdruck gebracht. Ersuchte er doch nach der Darstellung der Apostelgeschichte den ihn grauenhaft verwünschenden Petrus mit demütiger Gebärde, für ihn zu beten, damit das angedrohte Unglück nicht über ihn hereinbreche. Simon stand unstreitig in einer Beziehung zum Christentum. Er ist der erste Beweis dafür, daß die Häresie eine christliche Erscheinung darstellt und als eine getaufte Größe bezeichnet werden muß. Fraglich bleibt einzig, in welcher Weise Simon das Christentum auffaßte. Sicher hat er dessen Botschaft nicht im Sinne der Apostel aufgenommen, und möglicherweise ist Philippus bei seiner Taufe etwas allzu rasch vorgegangen. Aber die Verschiedenheit seiner Christentumsauffassung von derjenigen der Apostel rechtfertigt nicht, ihn zum voraus als unlauteren Menschen hinzustellen.

Simon stand noch in einer andern Verbindung, die älter war als seine christliche Beziehung. Er stammte aus Getthon in Samaria, wo er in die Schule des Dositheos eingetreten war, der nach dem Tode Johannes des Täufers eine religiöse Schule gegründet hatte. Zu Studienzwecken hatte sich Simon dann nach Alexandrien begeben, um sich in der arabisch-jüdischen Zaubermedizin auszubilden. Der Kirchenvater Hippolyt rückte deswegen Simon in die Nähe des »dunklen Heraklit«, jenes hintergründigen Philosophen, der noch Nietzsche in helles Entzücken versetzte. Nach Hippolyt hat Simon als das Prinzip des Alls die unendliche Kraft bezeichnet, und er zitierte von ihm das Wort: »Dies ist das Buch der Offenbarung der Stimme und des Namens aus der Erkenntnis der großen unendlichen Kraft. Deswegen wird es versiegelt, verborgen, verhüllt werden und in dem Raume liegen, wo die Wurzel des Alls sich gründet.«4 Ob Simon tatsächlich eine Schrift unter dem Titel »Große Verkündigung« geschrieben hat, welche solch seltsame an Empedokles gemahnende Formulierungen wie »Wurzel des Alls« enthielt, muß dahingestellt bleiben. Erhalten hat sich eine solche Schrift jedenfalls nicht. Bedeutsam an der Ausführung des Hippolyt bleibt jedoch die angedeutete Verbindung Simons mit der griechischen Philosophie. Dieser Hinweis muß beachtet werden, weil er wohl nicht buchstäblich, aber sinngemäß auf die richtige Fährte führte. Simon war ein Jünger der hellenistischen Weisheit. Dieser Feststellung kommt entscheidendes Gewicht zu. Er wollte als erster Mensch das Christentum mit der griechischen Philosophie in einen Zusammenhang bringen. Eine Verbindung von Evangelium und Hellas schwebte diesem Urketzer vor Augen. Unstreitig ein grandioses Ziel, über das man nicht hoch genug denken kann. In dieser Bemühung und in nichts anderem bestand Simons ursprüngliche Häresie, welche Anlaß bot, ihn in maßloser Weise zu verlästern. Dabei hat er nur als erster einen Schritt unternommen, den im Laufe der Kirchengeschichte unzählige Christen ihm nachgetan haben, ohne das Bewußtsein gehabt zu haben, etwas Verbotenes zu tun und auf häretischen Spuren zu wandeln.

Aus seiner Verbindung mit dem Hellenismus ist auch der überaus beachtenswerte Helena-Mythos zu verstehen, den Justin als erster erwähnt. Helena gilt als das Ideal der irdischen Schönheit, das Simon jedoch auf eine eigenartige Weise mit dem Erlösungsmotiv verknüpfte. Nach Irenäus´ Darstellung nannte Simon die Helena »die Mutter aller«, die viele Inkarnationen durchgemacht habe. »So war sie auch in dem Leib der Helena, deretwegen der Trojanische Krieg unternommen wurde. Bei ihrer Wanderung von Körper zu Körper erlitt sie in jedem immer neue Schmach und landete zuletzt in einem öffentlichen Hause - sie ist das verlorene Schaf.«5 Diese Ausführungen Irenäus´ lassen den tieferen Sinn der interessanten Helena-Gestalt für Simon erraten und münden mit der Bezeichnung »verlorenes Schaf« wieder ins Evangelium ein. Die simonische Helena ist aber nicht bloß als reuige Magdalena aufzufassen, sie bedeutete ihm als die vom Himmel herabgeführte Weisheit unendlich viel mehr. Diese Hierodule einer phönizischen Madonna war für Simon eine Gestalt von mythischem Ausmaß, die aus der oberen Welt des Seins in diese Scheinwelt entführt worden war, wo sie dann gefangengehalten wurde, bis sie endlich die Rückkehr antreten konte. Helena ist eines der Urbilder der nach Erlösung sich sehnenden Menschen. Ihr Schicksal ist als die Geschichte einer Seele zu verstehen, in welchem das himmlische Selbstbewußtsein sich aus den unwürdigen Fesseln der Materie befreit. Der Helena-Mythos des Simon ist sehr unvollkommen überliefert, aber seinem religiösen Kern nach darf er vielleicht mit der Sophia-Lehre in Verbindung gebracht werden, indem diese Gestalt als eine Inkarnation der Weisheit Gottes aufzufassen ist.

Die Christen besaßen für diese mythischen Gedanken freilich kein Verständnis. Denn diese lagen zu weit ab von dem...
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Autor

Walter Nigg, geboren 1903 in Luzern, war Professor für Kirchengeschichte in Zürich und wirkte als protestantischer Pfarrer im zürcherischen Dänikon, wo er 1988 starb. Neben Heiligen, Ordensgründern, Propheten und Mystikern handeln seine Bücher auch von Künstlern und Dichtern und nicht zuletzt von Ketzern, die er als »verunglückte Heilige« verstand.