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Vom Ende eines Sommers & Weißdornzeit

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
608 Seiten
Deutsch
DuMont Buchverlag GmbHerschienen am01.08.20241. Auflage
Eine packende Erzählung über das Erwachsenwerden und eine bewegende Geschichte über Liebe, Familie, Freundschaft und Verlust - zwei unvergessliche Romane von Melissa Harrison in einem Band! »Vom Ende eines Sommers« England in den 1930-Jahren: Die vierzehnjährige Edie Mather lebt mit ihrer Familie auf Wych Farm im ländlichen Suffolk. Das Leben auf dem Land ist hart, die Schatten von Weltwirtschaftskrise und Erstem Weltkrieg hängen über der verarmten Gemeinde. Als die Journalistin Constance Fitz Allen aus London anreist, um eine Kolumne über und Lobrede auf das Landleben zu schreiben, empfindet Edie von Anfang an Bewunderung für die extrovertierte Frau in Männerhosen. Doch die junge Reporterin aus der Großstadt will nicht nur dokumentieren, sie will missionieren. Und sie bringt politische Ideen mit, die bald zu einem Flächenbrand in ganz Europa führen. Atmosphärisch und bildstark erzählt >Das Ende eines SommersVom Ende eines Sommers< (DuMont 2021) erhielt sie den European Union Prize for Literature 2019.mehr

Produkt

KlappentextEine packende Erzählung über das Erwachsenwerden und eine bewegende Geschichte über Liebe, Familie, Freundschaft und Verlust - zwei unvergessliche Romane von Melissa Harrison in einem Band! »Vom Ende eines Sommers« England in den 1930-Jahren: Die vierzehnjährige Edie Mather lebt mit ihrer Familie auf Wych Farm im ländlichen Suffolk. Das Leben auf dem Land ist hart, die Schatten von Weltwirtschaftskrise und Erstem Weltkrieg hängen über der verarmten Gemeinde. Als die Journalistin Constance Fitz Allen aus London anreist, um eine Kolumne über und Lobrede auf das Landleben zu schreiben, empfindet Edie von Anfang an Bewunderung für die extrovertierte Frau in Männerhosen. Doch die junge Reporterin aus der Großstadt will nicht nur dokumentieren, sie will missionieren. Und sie bringt politische Ideen mit, die bald zu einem Flächenbrand in ganz Europa führen. Atmosphärisch und bildstark erzählt >Das Ende eines SommersVom Ende eines Sommers< (DuMont 2021) erhielt sie den European Union Prize for Literature 2019.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783755810483
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum01.08.2024
Auflage1. Auflage
Seiten608 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse9427 Kbytes
Artikel-Nr.15410967
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


I

ICH HEISSE EDITH JUNE MATHER und wurde nicht lange nach dem Großen Krieg geboren. Mein Vater besaß sechzig Morgen Land, die Wych Farm, die nicht weit von hier liegt, glaube ich. Vor ihm beackerte mein Großvater Albert das Land und vor ihm dessen Vater, der noch mit Ochsen pflügte und die Saat mit der Hand ausbrachte. Ich möchte mir gern vorstellen, dass mein Bruder Frank oder vielleicht einer seiner Söhne heute die Farm betreibt. Ich war mein Leben lang nicht mehr dort, und wegen all der Dinge, die damals geschehen sind, habe ich nie etwas darüber in Erfahrung bringen können.

Ich war ein merkwürdiges Kind, das sehe ich heute - ganz sicher nach den stoischen, alltagsorientierten Maßstäben der Bauersleute dort. Ich vertiefte mich lieber in Bücher, als dass ich mit anderen Kindern spielte, und wurde oft von meinen Eltern gescholten, weil ich die mir aufgetragenen Dinge nur halb erledigte, abgelenkt durch die reichere, lebendigere Welt in meinem Kopf. Und manchmal redete ich, ohne es zu wollen, laut mit mir selbst, für gewöhnlich, um einen unliebsamen Gedanken oder eine ungute Erinnerung loszuwerden. Vater tippte sich dann mit dem Finger an den Kopf und meinte, ich sei »nicht ganz bei Trost«, nur aus Spaß, da bin ich sicher, aber vielleicht hatte er ja, im Nachhinein betrachtet, recht.

Ich war dreizehn Jahre alt damals, 1933, als unsere Gegend von der berühmt-berüchtigten Dürre heimgesucht wurde. Sie kam auf leisen Sohlen: Die Heuernte verlief noch bestens, und als die Schober gefüllt waren, freute sich mein Vater, weil er wusste, das Heu war trocken und würde nicht verderben, was bedeutete, dass die Pferde genug Futter hatten, um über den Winter zu kommen, und wir nichts zukaufen mussten. Aber ohne jeden Regen trockneten die Felder aus, und bis August war selbst der Pferdeteich beim Haus zu einem zähen, grünen Schlammloch geworden. Ich weiß noch, wie John Hurlock, der sich um unsere Pferde kümmerte, eimerweise Quellwasser zu Moses und Malachi schleppte, wenn sie um drei Uhr vom Feld kamen. Als wäre es gestern gewesen, sehe ich, wie gierig und laut die großen Pferde tranken und wie John am Ende die Eimer neu füllte, um Wasser über ihre zuckenden Flanken zu gießen und den weißen Schweiß aus ihrem kastanienbraunen Fell zu waschen. Oh, meine geliebten Tiere, wie sie es vermisst haben müssen, in den kühlen Teich zu steigen und dort ihren Durst zu löschen.

Frank war da schon sechzehn und arbeitete wie ein Erwachsener auf dem Hof mit. Vater baute mittlerweile genauso auf ihn wie auf John. Meine Schwester Mary hatte im Frühjahr ihren Clive geheiratet und bereits einen kleinen Jungen. Einmal in der Woche spannte Mutter unser Pony Meg an und fuhr mit einem Brot oder Pudding hinüber nach Monks Tye, auf der Farm sahen wir jedoch herzlich wenig von meiner Schwester. Und ohne Mary fühlte ich mich in einem seltsamen Schwebezustand, wie in Wartestellung für das, was als Nächstes kommen sollte, wobei ich nicht hätte sagen können, was das sein sollte. Es war ein bisschen wie beim Versteckenspielen, wenn man darauf wartet, gefunden zu werden, das Spiel aber schon viel zu lange dauert.

Natürlich bedeutete die Trockenheit, dass die Weizenernte litt, pro Morgen gab es kaum sechzehn Scheffel.

»Im nächsten Jahr lassen wir Seven Acres brach liegen«, sagte Vater, als John und Doble, unser Stallarbeiter, zum Essen hereinkamen, nachdem das letzte Korn eingebracht war. Es war kein Erntefest, aber es gab Ale, Schinken und einen Boiled-Butter-Pudding, und Mutter hatte aus ein paar Gerstenähren einen kleinen Mann geformt und auf den Küchentisch gelegt. Frank, der mir gegenübersaß, hob bei Vaters Worten alarmiert den Blick. Die Männer nahmen ihre Plätze ein, und John sagte, dass Seven Acres schon im Jahr zuvor brach gelegen habe.

»Willst du mir sagen, wie ich den Hof zu bewirtschaften habe?«, fragte Vater, aber John antwortete nicht. Mutter setzte sich, ich murmelte ein Gebet, und wir begannen zu essen.

Der Herbst jenes Jahres war der schönste, an den ich mich erinnern kann. Vier Wochen über die Erntezeit hinaus blieb das Wetter gut, und nur langsam verließ die Sommerwärme die Erde.

Im Oktober färbten sich die Bäume auf dem Hof gleichsam über Nacht in flammendes Orange, Rot und glänzendes Gold. Es ging kaum ein Wind, um das Laub herunterzublasen, und so bedeckten Wälder und Dickichte das Land wie Kostbarkeiten. Auf den mächtigen Hecken lagen feine Bartflechten um wie ins Bunt hineinemaillierte Hagebutten und Schlehen. Die Erlengehölze entlang des sich dahinwindenden River Stound waren voller Wettersterne und Pfifferlinge, und es roch intensiv nach herbstlicher Fäule. Über Long Piece und The Lottens bot der Himmel ein strenges, äquinoktiales Blau mit Kiebitzschwärmen, die ihre breiten schwarzweißen Flügel aufblitzen ließen.

In der Morgendämmerung versilberte Tau die Spinnenfäden zwischen den Grashalmen, sodass die Pferde Pfade auf den Weiden hinterließen wie langsame Boote auf stehendem Wasser. Überwinternde Drosseln pickten die Beeren von den Wegesrändern, und nachts empfingen die vier großen Ulmen, nach denen der Hof benannt war, die Kaltwetterversammlungen der Krähen.

Der Tau befeuchtete auch die Stoppeln auf den ausgedörrten Feldern und bedeckte sie mit einem höhnischen Grün, das Großvater an die Rasseschafe denken ließ, die einst auf ihnen überwintert hatten.

»Die Wolle lohnt dieser Tage den Aufwand nicht«, sagte Vater. »Ich hab´s dir doch erklärt.«

»Mir gefällt es nicht, gutes Futter zu vergeuden«, sagte der alte Mann und pochte mit seinem Stock auf den Boden, »und das tun wir damit.«

Das Jahr ging weiter, und die Herbststürme rissen das Laub von den Ästen unserer Ulmen, bis sie kahl und nackt dastanden. Ich las Das Mitternachtsvolk und verbrachte meine Tage damit, so zu tun, als wäre ich Kay Harker und durchlebte imaginäre Abenteuer mit Rittern, Schmugglern und Straßenräubern, Rollicum Bitem Lightfoot, dem Fuchs, und einem so furchterregenden Hexenzirkel, dass ich das Buch am Ende in einen Futtersack wickelte und unter der Miste versteckte für den Fall, dass sie aus den Seiten hervorbrechen und mich holen wollten - so tief war ich mittlerweile in meine Fantasie eingetaucht.

Vater schickte Doble mit einer Hippe los, die Hecken um das zu stutzen, was sie über den Sommer zugelegt hatten. Stück für Stück arbeitete Doble sich voran und sandte von überall Rauchsäulen in den Winterhimmel. Ein paar Meilen entfernt in Stenham Park gab es eine Fasanenjagd, und Vater und John waren Treiber. Vier brachten sie mit zurück, dazu noch zwei Hasen, die sie auf dem Rückweg beim Hulver Wood geschossen hatten.

Ende November droschen wir das Korn. Ich wurde im Morgengrauen vom Lärm der Maschine geweckt und sah aus meinem Fenster, wie sich das riesige, seltsame Ungetüm über den Zufahrtsweg auf den Hof zubewegte. Der Maschinist thronte darauf, gefolgt von seinen bunt zusammengewürfelten Helfern. Die Räder schienen fast noch die Hecken zu überragen, und ich war froh, dass es nicht geregnet hatte. Einmal war das Ding im Matsch stecken geblieben, und es hatte bis zum Nachmittag gedauert, es wieder freizubekommen. Darauf war ein raues Wortgefecht zwischen Vater und dem Fahrer darüber entbrannt, wer für die verlorene Zeit zu zahlen hatte.

Unten kochte Mutter Tee und briet Speck.

»Ich warte seit einer halben Stunde auf dich, Kind. Schneide Brot für die Drescher, unsere Männer haben schon gegessen. Und wasch dir das Gesicht.«

Ich holte zwei Laibe aus der Vorratskammer. Sie waren rund und fest und in weißen Stoff gewickelt. Mutter bekam das Brot nie so locker hin, wie sie wollte, und gab dem Ofen die Schuld, aber ich mochte, wie es an den Backenzähnen klebte und einem das Gefühl gab, gut genährt zu werden. Vater sagte immer wieder, Mutter solle den Ziegelofen benutzen, doch sie meinte, der sei altmodisch und schmutzig und koste sie zu viel Zeit.

Als das Frühstück fertig war, ging sie zur Hintertür, wischte sich die Hände an der blauen Schürze ab, die sie immer umgebunden hatte, und rief den Maschinisten und seine Leute. Sie nahmen die Mützen ab, als sie hereinkamen, und setzten sich etwas scheu an den Küchentisch. Ihre Fremdheit und ihre ungewohnte Art zu reden schüchterten mich ein, und so nahm ich mein Marmeladenbrot und ging damit nach draußen.

Doble war in der Scheune und bereitete alles vor, und der Terrier, den die Drescher mitgebracht hatten, jagte um seine Füße herum nach Ratten. Die Schober waren bereits von ihrer Heuabdeckung befreit, und Vater und John standen neben der Maschine, um zu sehen, ob die Trommel auf der richtigen Höhe war. Frank war auf den ersten Schober geklettert und warf die Garben auf die Plattform hinunter, sein Atem stieg weiß in die Morgenluft. Wie ich mir wünschte, dort oben bei ihm stehen und mit ihm die Garben nach unten werfen zu dürfen, aber auch wenn ich beim Heumachen, Unkrautbeseitigen und Aufstellen der Garben auf dem Feld half, blieb das Dreschen doch Männersache.

Während ich mich also stattdessen über meine Hausaufgaben beugte und den Geruch klammer Bücher, von Tinte und Kreide einatmete, schrumpften die Getreideschober draußen stetig weiter. Nachmittags um vier ging ich wieder hinaus. Die Maschine rasselte und lärmte noch immer, und die Männer bedienten sie, als wäre sie eine Art heidnische Gottheit. In der Scheune türmte sich das frische gelbe Stroh, es gab Säcke mit Spreu und Saatkorn und zwei Haufen des wertvollen Getreides, das auf den Lastwagen des Händlers wartete, der es bald schon holen würde.

»Was für ein Durcheinander, was für ein heilloses Durcheinander«, murmelte Doble vor sich hin. Er sammelte die Hölzer und Latten ein, die er »Sprossen«...
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Autor

MELISSA HARRISON ist Schriftstellerin, Kritikerin und Kolumnistin, u. a. für The Times, die Financial Times und den Guardian. Für ihren hochgelobten Roman >Vom Ende eines Sommers