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Nacht über Neapel

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
512 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am15.08.2016
Neapel in den 30er Jahren: Commissario Ricciardi befindet sich in einer schweren persönlichen Krise. Und er findet keine Ablenkung im Beruf, denn er hat nur kleine Fälle zu bearbeiten, was ihn frustriert. Doch dann bittet ihn die schöne Contessa Bianca di Roccaspina, in einem Fall zu ermitteln, der längst abgeschlossen ist. Ihr Mann hat gestanden, den Geldverleiher Piro umgebracht zu haben, aber die Contessa glaubt nicht an seine Schuld. Ricciardi reizt der Fall, und zum ersten Mal in seiner Laufbahn stellt er ohne offiziellen Auftrag Nachforschungen an. Seine klandestine Ermittlung verläuft jedoch ganz anders als geplant. Schließlich kommt Ricciardi der Wahrheit auf die Spur - und gerät in tödliche Gefahr ...

Maurizio de Giovanni wurde 1958 in Neapel geboren, wo er auch heute noch lebt. Er hat Literatur studiert, hauptberuflich aber lange Jahre als Banker gearbeitet, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Die Ricciardi-Romane, die auch im Ausland große Erfolge feiern, wurden mehrfach ausgezeichnet.
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Produkt

KlappentextNeapel in den 30er Jahren: Commissario Ricciardi befindet sich in einer schweren persönlichen Krise. Und er findet keine Ablenkung im Beruf, denn er hat nur kleine Fälle zu bearbeiten, was ihn frustriert. Doch dann bittet ihn die schöne Contessa Bianca di Roccaspina, in einem Fall zu ermitteln, der längst abgeschlossen ist. Ihr Mann hat gestanden, den Geldverleiher Piro umgebracht zu haben, aber die Contessa glaubt nicht an seine Schuld. Ricciardi reizt der Fall, und zum ersten Mal in seiner Laufbahn stellt er ohne offiziellen Auftrag Nachforschungen an. Seine klandestine Ermittlung verläuft jedoch ganz anders als geplant. Schließlich kommt Ricciardi der Wahrheit auf die Spur - und gerät in tödliche Gefahr ...

Maurizio de Giovanni wurde 1958 in Neapel geboren, wo er auch heute noch lebt. Er hat Literatur studiert, hauptberuflich aber lange Jahre als Banker gearbeitet, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Die Ricciardi-Romane, die auch im Ausland große Erfolge feiern, wurden mehrfach ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641190620
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum15.08.2016
Reihen-Nr.8
Seiten512 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2058 Kbytes
Artikel-Nr.1941467
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Prolog

Der Junge kneift die Augen zusammen, um sie an das Halbdunkel des Zimmers zu gewöhnen. Die glutheiße Sonne des Nachmittags streckt ihre flammenden Finger durch die geschlossenen Fensterläden, und der Staub tanzt im Licht. Die alterslose Frau, die ihn hereingelassen hat, geht schweigend hinaus und schließt die Tür mit einem leisen Klicken hinter sich.

Der Junge bleibt stehen. Er erahnt sie mehr, als dass er sie sieht - die Umrisse der Möbel, die Bücherschränke und ein unförmiges Etwas, vielleicht ein Sessel, aus dem jetzt ein tiefer Seufzer zu hören ist. Er wartet. Tritt von einem Fuß auf den anderen. Vielleicht schläft er, denkt er; die Frau hat nichts gesagt. Wer das wohl war? Eine Hausangestellte? Die Tochter. Eine Verwandte.

Er beschließt, ein »Guten Tag« zu flüstern.

»Herzlich willkommen«, sagt der Sessel. »Mach doch bitte das Fenster auf.«

Die Stimme klingt rau, belegt. Bestimmt hat er geschlafen, denkt der Junge, und er fühlt sich wie ein ungehobelter Klotz. »Bitte entschuldigen Sie«, murmelt er, »Sie hatten gesagt, um drei, und ich ...«

»Ich weiß«, sagt der Sessel, kurz angebunden. »Mach das Fenster auf, wenigstens einen der Läden. Bitte.«

Mit behutsamen Schritten, weil er Angst hat, etwas umzustoßen oder über etwas zu stolpern, geht der Junge zum Fenster und öffnet einen Laden. Grelles Licht fällt herein, er muss blinzeln. Er wirft einen Blick auf die herrliche Aussicht, die ihn allerdings nicht mehr ganz so überrascht, nachdem er sie eine geschlagene Stunde bewundert hat, während er unten auf der Mauer saß und auf die verabredete Zeit wartete. Glitzernd liegt das Meer vor ihm, und die Insel scheint zum Greifen nah.

Er dreht sich um. Das Licht liegt schimmernd auf einem staubigen Bücherschrank, der vor Büchern, Schallplatten und allerlei Schnickschnack überquillt. Groß ist das Zimmer nicht, aber vielleicht wirkt es auch nur so klein, weil so unendlich viele Dinge darin sind. Jetzt wird in dem Sessel, der etwas schäbig wirkt inmitten des gleißenden Lichts, das durchs Fenster hereinfällt, sein Gastgeber sichtbar.

»Ich weiß, was du suchst«, sagt der alte Mann. »Es ist direkt hinter dir.«

Der Junge dreht sich um und sieht es; oder, besser, er sieht das Gehäuse. Er macht einen Schritt zur Seite, entfernt sich ein Stück, als Geste des Respekts und der Demut. Der Alte kichert.

»Bring sie mir her«, sagt er. »Und setz dich da hin, neben mich.«

Er nimmt ein Bündel Papier von einer Art Schemel, etwa einen halben Meter vom Sessel entfernt. Mittlerweile sieht man gut, und der Junge erkennt die Notenlinien, die Noten auf dem obersten Blatt. Draußen gurrt eine Taube, ein paar Sekunden lang, und fliegt dann davon.

»Du spielst gut Gitarre«, sagt der Alte. »Du hast Talent. Wirklich.«

Der Junge möchte ihn fragen, woher er das weiß und wo er es gehört hat. Aber man hat ihm keine Frage gestellt, und er antwortet nur, wenn er gefragt wird.

Der Alte fährt fort: »Ich hab dich spielen hören. Man hatte mir von dir erzählt, und als du darum gebeten hast, mich zu treffen, bin ich neugierig geworden. Du bist gut. Und eine schöne Stimme hast du auch.«

Er schweigt einen Moment, und der Junge kann nicht widerstehen, ihn zu fragen: »Sie sind wirklich gekommen, um mich spielen zu hören? Und warum haben Sie sich nicht zu erkennen gegeben? Ich ... Es wäre mir eine so große Ehre gewesen. Es ... war eine große Ehre. Und ich hätte Sie ... na ja, ich hätte Sie gebührend willkommen geheißen.«

Wieder kichert der alte Mann. »Genau deshalb habe ich mich ja nicht zu erkennen gegeben. Ich wollte dich so hören, wie du bist. Gib her.«

Er nimmt den Instrumentenkoffer in die Hand. Er kann nicht spielen, denkt der Junge. Seine Hände sind von der Gicht verformt, und mir scheint auch, dass sie zittern. Er ist ein alter Mann. Es war ein Fehler hierherzukommen, er kann mir gar nichts beibringen. Er ist ein alter Mann.

»Du wirst denken, ich bin alt«, sagt der Alte. »Ein armer alter Mann. Und du schaust dir meine verkrüppelten Hände an. Sie zittern. Du wirst dir denken: Und der will spielen?«

»Nein, nein«, sagt der Junge, »wie kommen Sie darauf? Sie ... Ihr Name ist eine Legende, für uns alle, das würde ich mir nie erlauben.«

Der Alte nickt.

»Es stimmt, ich bin alt. Und ich könnte wirklich nicht spielen, wenn man nur mit den Händen spielen würde. So wie du, der du nur mit den Händen spielst.«

Was für eine Härte in der Stimme des Alten. Wie ein Vorwurf. Doch sein Ton hat sich nicht geändert, leise und trocken. Den Jungen überläuft ein Schauder, dann fragt er: »Warum sagen Sie das? Was bedeutet es?«

Der Alte antwortet nicht gleich. Er schaut in das Licht, das durchs Fenster hereinkommt, doch von der Stelle aus, wo er sitzt, kann er das Meer nicht sehen, sondern nur ein Stückchen Himmel mit einer Wolke, die halb weiß und halb rosa ist, beschienen von den schrägen Strahlen der sinkenden Sonne.

»Es bedeutet, dass es mehr als eine Art gibt zu spielen. Es gibt unendlich viele. Du spielst gut Gitarre und hast eine schöne Stimme, du triffst die richtigen Töne und hast dabei einen beachtlichen Stimmumfang. Das ist eine gute Voraussetzung.«

Voraussetzung wofür?, möchte der Junge gerne fragen. Doch er verkneift es sich. Dieser alte Mann hat etwas an sich, das ihn sprachlos macht. Verwirrt denkt er, dass eigentlich er Fragen stellen und sich erklären müsste. Schließlich hat er ihn doch um dieses Treffen gebeten, oder? Er wird mich für einen Dummkopf halten, sagt er sich.

Er räuspert sich. »Ich, na ja, ich bin gekommen, weil ... also, mit der Gitarre geht es gut. Aber ich möchte auch ... Ich weiß, dass ich gut bin. Das sagt man mir, und die Leute kommen, um mich zu hören. Aber ich denke, es braucht noch ein bisschen mehr, oder? Ich habe einen Lehrer, nehme immer noch Unterricht, und auch einen Abschluss habe ich bereits, aber ich weiß, ich muss immer weiter lernen. Und deshalb bin ich zu Ihnen gekommen.«

Der Alte hustet in ein Taschentuch, es ist ein feuchter, schmerzhafter Husten. Er streckt eine Hand nach dem Tischchen aus, und der Junge springt auf und bringt ihm ein Glas, das halb voll mit Wasser ist. Der alte Mann trinkt, dankt ihm mit einem Nicken und steckt das Taschentuch in eine Tasche seiner Hausjacke. In diesem Moment nimmt der Junge zum ersten Mal bewusst wahr, dass es in dem Zimmer nach alten Menschen riecht: wie ein säuerlicher Hauch unter dem Geruch nach altem Papier, nach Staub, nach Zeit.

Der alte Mann öffnet mit den Daumen die Verschlüsse des Gehäuses, das er, seit der Junge es ihm gereicht hat, auf dem Schoß gehalten hat wie ein Kind.

Das Geräusch ist vollkommen synchron, als wäre es nur ein einziger Verschluss. Wie ein trockenes Klicken, ein Schuss.

Die knochigen und verkrümmten Hände ziehen das kleine bauchige Instrument hervor. Begehrlich wandert der Blick des Jungen über den sanft geschwungenen Korpus, über den Hals mit den Einlegearbeiten aus Elfenbein und Perlmutt, über die vier Paar Saiten. Ihm wird bewusst, dass er den Atem anhält, und er stößt ihn ein wenig zu geräuschvoll aus. Vor ihm sitzt eine Legende.

Der Alte rutscht auf dem Sessel ein Stück nach vorn, winkelt ein Bein leicht ab und legt das Gehäuse behutsam auf dem Boden ab. Zitternd streichen seine Finger über das Instrument, bis sie bei den Wirbeln angelangt sind.

Gebannt beobachtet der Junge, wie der alte Mann aus dem Gedächtnis die Spannung der Saiten reguliert und das Instrument stimmt, ohne einen Ton anzuschlagen. Unmöglich, denkt der Junge. Das ist unmöglich.

Der Alte hebt den Blick zu dem Jungen. Jetzt ist sein Gesicht in Licht gebadet, und der junge Mann sieht das Netz aus tiefen Falten, die dunkle, wie gegerbte Haut, die wenigen, zu langen weißen Haare, die schmalen Lippen. Und die Augen, milchig vom grauen Star, die doch so neugierig und intensiv blicken.

In seiner rechten Hand ist ein Plektrum aufgetaucht. Der Junge fragt sich, woher es kommt, denn er hat nicht gesehen, wie der alte Mann es aus dem Gehäuse oder seiner Tasche gezogen hat; vielleicht, so denkt er, hat es zwischen den Saiten gesteckt. Der Alte schlägt einen harmonischen Akkord an, der zeigt, dass er das Instrument unglaublicherweise perfekt gestimmt hat. Ein paar Sekunden lang hallt der tiefe Ton noch nach.

Der Junge versucht, die unerklärliche Anspannung, die sich seiner bemächtigt hat, zu lösen. Er sagt: »Maestro, ich wollte Sie bitten, mir ein paar Stunden zu geben. Ich weiß, dass Sie niemanden unterrichten, dass Sie sagen, es gebe niemanden, der einer solchen Unterweisung würdig wäre ... und dass keiner mehr weiß, was es wirklich bedeutet, das Instrument zu spielen. Aber wissen Sie, ich habe mein Herz an diese Musik verloren, und ich möchte ... ich möchte lernen. Ich suche keinen Erfolg, das haben Sie gesehen, man hat Ihnen gesagt, dass schon so viele kommen, um mich zu hören. Die Leute sind es zufrieden. Ich bin es, der ... der nicht zufrieden ist, Maestro. Ich übe und übe, spiele und spiele, doch das, was dabei herauskommt, gefällt mir nie. Ich möchte wirklich lernen, Maestro....

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Autor

Maurizio de Giovanni wurde 1958 in Neapel geboren, wo er auch heute noch lebt. Er hat Literatur studiert, hauptberuflich aber lange Jahre als Banker gearbeitet, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Die Ricciardi-Romane, die auch im Ausland große Erfolge feiern, wurden mehrfach ausgezeichnet.