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Der vierte Mond

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
448 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am08.02.2021
Als der Orbiter Eurybia auf dem Jupitermond Kallisto abstürzt und die Mitglieder der Mondstation an einem unerklärlichen Fieber erkranken, steht die vierte bemannte Jupitermission kurz vor dem Scheitern. Auf der Erde wird eine Bergungsmission zusammengestellt, die herausfinden soll, was auf Kallisto geschehen ist. Doch niemand ahnt, was der eisige Mond tatsächlich verbirgt und was die drei toten Geschäftsleute auf der Erde damit zu tun haben ...

Kathleen Weise, geboren 1978 in Leipzig, absolvierte ein Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig mit den Schwerpunkten Prosa und Dramatik/Neue Medien. Sie lebt und arbeitet als freie Autorin und Lektorin in Leipzig und war außerdem viele Jahre ehrenamtlich für das Literaturbüro Leipzig e.V. tätig, wo sie Textwerkstätten, Schullesungen und Workshops organisierte und durchführte. Ihre Veröffentlichungen umfassen Romane für Jugendliche und Erwachsene.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR3,99

Produkt

KlappentextAls der Orbiter Eurybia auf dem Jupitermond Kallisto abstürzt und die Mitglieder der Mondstation an einem unerklärlichen Fieber erkranken, steht die vierte bemannte Jupitermission kurz vor dem Scheitern. Auf der Erde wird eine Bergungsmission zusammengestellt, die herausfinden soll, was auf Kallisto geschehen ist. Doch niemand ahnt, was der eisige Mond tatsächlich verbirgt und was die drei toten Geschäftsleute auf der Erde damit zu tun haben ...

Kathleen Weise, geboren 1978 in Leipzig, absolvierte ein Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig mit den Schwerpunkten Prosa und Dramatik/Neue Medien. Sie lebt und arbeitet als freie Autorin und Lektorin in Leipzig und war außerdem viele Jahre ehrenamtlich für das Literaturbüro Leipzig e.V. tätig, wo sie Textwerkstätten, Schullesungen und Workshops organisierte und durchführte. Ihre Veröffentlichungen umfassen Romane für Jugendliche und Erwachsene.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641258610
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum08.02.2021
Seiten448 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1970 Kbytes
Artikel-Nr.5143025
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


2
Erde, Französisch-Guyana, l´Île du Lion Rouge

Uche liebt das Meer.

Rot-grüne Wellen, die über schroffe Ufersteine streichen. Beinahe zart. Wie die Finger einer Frau über das Gesicht eines Geliebten, kurz bevor sie sich abwendet.

Früher ist er oft im Meer geschwommen. Doch seit er die Prothesen hat, läuft er nicht mehr gern über den Sand. Er versinkt im angespülten Schlamm aus dem Dschungel, und hinterher ist es die reinste Tortur, die Prothesen wieder sauber zu kriegen.

Aber es gibt viele Dinge, die er nicht mehr so macht wie früher. Die Zehen übers Laken reiben, wenn er morgens aufwacht. Mit dem Fuß zur Musik wippen, die Fersen ans kalte Porzellan der Toilettenschüssel pressen, während er sitzt.

Er fliegt auch nicht mehr ins All.

Seit dem Bergschaden auf dem Mars ist seine Karriere im Asteroid Mining vorbei. Stattdessen verbringt er seine Tage jetzt damit zuzusehen, wie drüben vom Festland aus die Raketen im GSC starten und sich Treibstoffwolken wie Zuckerwatte aufblähen.

Viele seiner alten Kumpel sind noch dabei. Sie können sich das vorzeitige Abkehren nicht leisten, weil ihre Verträge zu schlecht sind. Wer hat schon einen Anwalt dabei, wenn er sich verpflichtet? Niemand, so ist das. Hin und wieder trifft er einen von ihnen, dann hört er sich an, wie sie über die Zustände und Umstände und Missstände klagen. Er spendiert ihnen Drinks, und gemeinsam stoßen sie auf die große Dunkelheit an, in der sie herumfliegen und die so viele von ihnen nur den Schoß nennen.

Manchmal beneidet er sie darum, dass sie noch dabei sind. Dann würde er alles dafür tun, ein weiteres Mal durch die Schwerelosigkeit zu fliegen, die Beine leicht wie Papier. Aber Uche weiß nicht recht, ob er wirklich das Fliegen vermisst oder nur sentimental ist.

Gesagt hat er das keinem, Kumpel reden nicht über Sehnsüchte, jeder vermisst irgendwas da draußen im Schoß. Geständnisse sind was fürs Bett und für den Priester. Da sind sie wie Seeleute, ein bisschen abergläubisch eben. Als könnte sich das Universum einen Spaß daraus machen, einem die Dinge wegzunehmen, an denen man hängt, wenn es nur davon hört.

Das ist natürlich Unsinn, er weiß das, aber der lange Aufenthalt im Schoß macht sie alle ein bisschen verrückt. Das ist normal. Vielleicht muss man aber auch schon ein bisschen verrückt sein, um überhaupt Spaceworker zu werden. Das wäre auch möglich.

Über solche und ähnliche Sachen denkt er nach, wenn er aufs Meer schaut und eine Mango isst.

Uche trinkt. Rum. Der ist hier gut und billig. Im Licht der Nachmittagssonne leuchtet er golden wie der Bach, an dem Uche als Kind gespielt hat. Die Dächer der Gebäude vor ihm heben sich weiß gegen einen betonfarbenen Himmel ab, und in der Ferne kann er die Pumpen hören, die dafür sorgen, dass die aufgeschüttete Insel nicht an den Rändern zerfällt. Rund um die Uhr erfüllt ihr stetiges Brummen die Luft und erinnert die Bewohner der Île du Lion Rouge daran, dass das Fundament ihrer Stadt nichts anderes ist als ein riesiger Haufen Sand mitten im Meer. Geschaffen von dem Unternehmen, für das die meisten von ihnen geflogen sind.

Seit einer halben Stunde sitzt Uche schon bei Ricki unter dem Holzdach mit der grünen Markise, vor sich ein Glas Demerara-Rum, das zweite an diesem Tag, und fährt sich hin und wieder über den frisch geschorenen Schädel, als müsste er sichergehen, dass die Haare nicht schon wieder nachgewachsen sind. Sein Zeitgefühl kommt manchmal durcheinander. Dann hält er Minuten für Stunden und Tage für Jahre. Auch das ist normal.

Nachdem er zurückgekommen ist, hat er versucht, die Locken wieder wachsen zu lassen, um sich anzupassen, um weniger so auszusehen wie von der Insel. Aber er hat einfach keine Geduld mehr dafür. Als hätten sie ihm mit den Beinen auch die Eitelkeit abgeschnitten.

Er lacht.

Es ist ja nicht so, als würden ihn die Leute gleich wieder vergessen. Sie erinnern sich an ihn, diesen großen Schwarzen mit den Händen wie Bärenpranken und dem immer etwas wackligen Gang und den viel zu weiten Schritten. Der so oft auf seine Beine schielt, als müsste er sich vergewissern, dass sie noch da sind, und wenn ja, wo. Als könnte er sie aus Versehen zu Hause liegen lassen, wenn er nicht aufpasst.

Blinzelnd sieht er nach unten. Wie Insektenbeine wirken die dunklen Prothesen gegen die Terrakottafliesen des Fußbodens, und beinahe erwartet er, mehrere von ihnen zu sehen. Sechs, oder auch acht wie bei den Spinnen, die sein Bad bevölkern.

Achille hat ihm versichert, dass diese Beine Qualitätsware seien. Er habe schon schlechtere bei anderen Spaceworkern gesehen, sagt er. Aber Uche weiß nicht, wie viel er dem Alten glauben soll, der zweimal im Jahr Urlaub in Cannes macht und alle drei Kinder auf Eliteschulen schickt. Sein Vertrauen zu Orthopädietechnikern ist nicht das größte.

Uche greift nach dem Glas. Träge genießt er die Brise aus dem Osten, die ihm über den Schädel fährt und die Stirn kühlt. Der schwarz glänzende Tausendfüßler an der Wand neben ihm wendet den Kopf und sieht Uche ausdruckslos an, während er das Hinterteil aufrichtet und draußen ein Lastwagen hupt.

Eine Larve des Bösen, denkt Uche und hebt schon die Hand, um sich zu bekreuzigen. Aber dann lässt er sie wieder sinken, weil er sich albern vorkommt, den Schrecken seiner Kindheit in die Falle zu tappen.

Das mochte er am All, no spider on the moon.

Aus den Lautsprechern dringt brasilianischer Megapop, und aus der Küche weht der Geruch von Bratfett herüber. Wer viel trinkt, wird irgendwann hungrig, und jede Kneipe, die etwas auf sich hält, bietet Pholourie an.

Träge beobachtet Uche die Leute und wie sie auf ihren Carbords und iBikes die weißen Straßen der Insel hinauf- und hinunterfahren und scharfe Schatten auf den getünchten Asphalt werfen, der das Sonnenlicht reflektiert und die Stadt vorm Hitzeschlag bewahren soll. Wer hier keine Sonnenbrille trägt, findet sich schnell mit verbrannter Netzhaut beim Arzt wieder.

Niemand scheint es eilig zu haben.

Vielleicht liegt es daran, dass sie auf dieser Insel alle Rentner vor ihrer Zeit sind. Vielleicht auch daran, dass ihnen die Gravitation zu schaffen macht. Uche versteht das, manchmal wacht er morgens auf, und die Knochen kommen ihm so unendlich schwer vor, dass er einfach liegen bleiben muss. Dann braucht er ein paar Sekunden, um sich daran zu erinnern, dass er wirklich auf der Erde ist. Erst wenn er den Arm ausstreckt und nicht gegen die Kabinenwand stößt, öffnet er die Augen und blinzelt ins Morgenlicht, das durch die getönten Scheiben fällt.

»Was starrst du schon wieder vor dich hin?«, fragt Ricki in diesem Moment, während er sich zu Uche an den Tisch setzt. Laut schabt der Stuhl über die Fliesen, und der Gliederfüßler fällt von der Wand.

Es ist noch ruhig in der Kneipe, der Nachmittag hat bereits begonnen, doch Ricki wirkt noch immer unausgeschlafen und zerknautscht. Sein São-Paulo-Dialekt kommt durch, und die rechte Gesichtshälfte ist rot vom ständigen Kratzen. Er ist auf irgendetwas allergisch, aber keiner weiß wirklich, worauf.

Uche vermutet, es liegt am Chalk, dem Ricki so zugetan ist, wenn er Feierabend hat. Es hilft ihm beim Einschlafen, behauptet er, und wenn er nicht die Statur eines Ochsen hätte, hätte sich das Zeug längst durch seine Organe gefressen. Aber der schlechte Lebenswandel bekommt dem Wirt besser als seinen Gästen das Pholourie.

Uche kann Ricki gut leiden. Der Wirt ist selbst ein paarmal zum Mond geflogen, bevor er sich von Space Rocks die Lizenz besorgt hat, auf der Insel eine Kneipe zu eröffnen. Er versteht die Spaceworker, die so eifrig seinen Rum und alles andere trinken, und das unterscheidet ihn von anderen Geschäftsleuten, die die Infrastruktur der Insel aufrechterhalten und von überall herkommen. Sein Laden ist nicht der tollste, aber darum geht es Leuten wie Uche nicht. Sie sind einfach gern unter sich; dort, wo sie nicht angestarrt werden. Die Displays an den Wänden zeigen Weltraummotive, ein bisschen kitschig, gerade genug, um der sentimentalen Stimmung gerecht zu werden, die sie zuweilen überkommt, wenn sie zu lange auf der Erde sind.

Neugierig hebt Ricki den großen Kopf und beobachtet zwei Männer, die zur Tür hereinkommen und sich umschauen. Uche hat sie noch nie gesehen. Neuankömmlinge auf der Insel, das merkt man sofort. Wahrscheinlich Franzosen, aus Metropole oder einer anderen Megacity. Sie setzen sich an einen Tisch an der Wand und laden die Getränkekarte. Dabei sehen sie sich immer wieder um und sprechen hektisch miteinander, als würde der Laden gleich schließen. Willkommen in der Provinz!

Die haben sich ihren Ruhestand auch anders vorgestellt, denkt Uche und grinst Ricki an. Alle träumen sie immer vom Alterssitz auf der tropischen Insel, und wenn sie dann da sind, verziehen sie mürrisch das Gesicht, weil das Paradies nicht klimatisiert ist.

»Stadthunde«, flüstert der Wirt, während er sich zu Uche hinüberbeugt und die Ellbogen auf dem Tisch abstützt, bis der quietscht. Es klingt nicht unfreundlich. Nur nach ein bisschen gutmütigem Spott.

Uche weiß, was er meint. Stadthunde wirken immer irgendwie nervös. Ihr Blick ist unstet, die Schultern sind hochgezogen, jederzeit bereit für einen Angriff, der nicht kommt. Zumindest nicht hier, zu dieser Uhrzeit. Viel zu heiß zum Kämpfen. Die Menschen der Insel sind nachtaktive Tiere. Als wäre ihnen die Dunkelheit des Schoßes unter die Haut gekrochen.

Vielleicht kommt die Unruhe der Stadthunde davon, dass sie den...

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Autor

Kathleen Weise, geboren 1978 in Leipzig, absolvierte ein Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig mit den Schwerpunkten Prosa und Dramatik/Neue Medien. Sie lebt und arbeitet als freie Autorin und Lektorin in Leipzig und war außerdem viele Jahre ehrenamtlich für das Literaturbüro Leipzig e.V. tätig, wo sie Textwerkstätten, Schullesungen und Workshops organisierte und durchführte. Ihre Veröffentlichungen umfassen Romane für Jugendliche und Erwachsene.