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Venezianische Vergeltung

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
368 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am15.06.20211. Auflage
Als britischer Honorarkonsul in Venedig ist Nathan Sutherland zur Biennale geladen. Die Chance auf Trubel und Prosecco lässt er sich nicht entgehen. Doch während Nathan durch die Ausstellungsräume schlendert und sich über moderne Kunst wundert, kommt es zu einem dramatischen Vorfall: Ein Kunstkritiker wird von der Glaskonstruktion eines britischen Künstlers enthauptet. Unfall oder Mordkomplott? In der Tasche des Opfers findet sich eine Postkarte mit einem Kunstwerk von Artemisia Gentileschi: Judith enthauptet Holofernes. Nathan glaubt nicht an Zufälle und richtig: Es bleibt nicht bei der einen Postkarte und auch nicht bei einer Leiche. Dann bekommt Nathan selbst eine Karte, die ein Bild vom Sensenmann zeigt. Nathan Sutherland ermittelt in seinem zweiten Fall in Venedig.

Philip Gwynne Jones stammt aus Wales, lebt aber seit 2011 mit seiner Frau Caroline in Venedig, wo er anfing als Lehrer und Übersetzer zu arbeiten. Inzwischen schreibt er Romane, in denen seine Liebe zu Venedig deutlich mitschwingt. Er liebt die italienische Küche, Kunst, klassische Musik und die Oper und bisweilen singt er als Bass bei den Cantori Veneziani und dem Ensemble Vocale di Venezia.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR7,99

Produkt

KlappentextAls britischer Honorarkonsul in Venedig ist Nathan Sutherland zur Biennale geladen. Die Chance auf Trubel und Prosecco lässt er sich nicht entgehen. Doch während Nathan durch die Ausstellungsräume schlendert und sich über moderne Kunst wundert, kommt es zu einem dramatischen Vorfall: Ein Kunstkritiker wird von der Glaskonstruktion eines britischen Künstlers enthauptet. Unfall oder Mordkomplott? In der Tasche des Opfers findet sich eine Postkarte mit einem Kunstwerk von Artemisia Gentileschi: Judith enthauptet Holofernes. Nathan glaubt nicht an Zufälle und richtig: Es bleibt nicht bei der einen Postkarte und auch nicht bei einer Leiche. Dann bekommt Nathan selbst eine Karte, die ein Bild vom Sensenmann zeigt. Nathan Sutherland ermittelt in seinem zweiten Fall in Venedig.

Philip Gwynne Jones stammt aus Wales, lebt aber seit 2011 mit seiner Frau Caroline in Venedig, wo er anfing als Lehrer und Übersetzer zu arbeiten. Inzwischen schreibt er Romane, in denen seine Liebe zu Venedig deutlich mitschwingt. Er liebt die italienische Küche, Kunst, klassische Musik und die Oper und bisweilen singt er als Bass bei den Cantori Veneziani und dem Ensemble Vocale di Venezia.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644406575
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum15.06.2021
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.2
Seiten368 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2563 Kbytes
Artikel-Nr.5447701
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

-1-

Gramsci sprang von seinem Platz vor dem Fenster, stolzierte über den Schreibtisch und ließ sich auf meiner Tastatur nieder. Er stupste mich gegen die Brust und maunzte zufrieden. Da staunst du, bin ich nicht ein toller Kater?

Ich sah zuerst ihn und danach den Bildschirm an, der sich jetzt mit einer langen Reihe t füllte. Dann schob ich ihn weg und legte so lange den Finger auf die Rücktaste, bis alles wieder gelöscht war.

«Hör zu, ich weiß, es ist nicht gerade das Beste, was ich je geschrieben habe.» Ich scrollte zum Textanfang zurück und las mein Werk noch einmal. Gramsci sprang auf die Schreibtischstuhllehne, um mir über die Schulter zu schauen. Am Seitenende angekommen, drehte ich mich zu ihm um. «Ehrlich gesagt verstehe ich wahrscheinlich genauso wenig hiervon wie du.»

Ich warf einen Blick auf die Uhr. Die Zeit lief mir davon. Nachdem ich viel zu spät aufgestanden war, hatte ich schon den Großteil des Tages vertrödelt. Ich hatte mit einem leichten Kater zu kämpfen (nicht Gramsci) und geriet langsam mit meiner Arbeit in Rückstand, aber diese Übersetzung musste heute auf jeden Fall noch fertig werden.

Jahre, die auf ungerade Ziffern endeten, waren immer gut fürs Geschäft. Fast jede freie Ecke in der Stadt wurde als Ausstellungsort für die Kunstbiennale genutzt, und sämtliche Aussteller brauchten jemanden, der ihnen etwas ins Englische übersetzte. Allein mit den Übersetzungen aus dem Spanischen, Italienischen und Französischen hätte ich für die nächsten Monate locker ausgesorgt.

Gramsci sprang von der Stuhllehne und setzte sich schließlich vor den Lüfter. Dort saß er oft. Keine Ahnung, warum, denn es gefiel ihm nicht. Wie immer hielt er es zwei Sekunden aus, dann lief er wieder über meine Tastatur. Seufzend betrachtete ich, was er angerichtet hatte, während er neben dem Bildschirm saß und mich erwartungsvoll ansah.

Ich nickte. «Weißt du, vielleicht liegst du gar nicht so falsch.» Ich las den Rest meiner Übersetzung durch. «Eigentlich ergibt es genauso viel Sinn wie alles andere, was da steht. Mir scheint, du wirst immer besser.» Als ich ihn hinter den Ohren kraulte, ließ er es sogar einen Moment lang zu, bevor er nach mir schnappte. Mit den Jahren wurde er sentimental.

Während ich den Text noch einmal durchlas, fiel es mir schwer, mit dem Blick nicht von den Worten zu gleiten. Meinen Worten. Oder zumindest meiner Übersetzung von José Rafael Villanuevas Worten. Auf gewisse Weise ergaben sie Sinn, indem sie erkennbare Sätze und Absätze bildeten, aber ihre Bedeutung - und irgendeine Bedeutung hatten sie sicher - erschloss sich mir nicht. Dabei hatte ich dieses Geschreibsel doch verfasst. Wer sonst sollte daraus schlau werden?

Ich seufzte. Wie viele solcher Texte hatte ich in den vergangenen Monaten wohl fabriziert? Natürlich war ich dankbar für den Berg Arbeit, trotzdem überkam mich langsam das Gefühl, je zahlreicher die Übersetzungen waren, die ich anfertigte, umso mehr verlernte ich meine eigene Muttersprache.

Erst nach dem Ausdrucken merkte ich, dass ich vergessen hatte, Gramscis Buchstabensalat zu entfernen. Einen Moment lang schwebte mein Finger über der Rücktaste, dann entschied ich mich anders. Ich würde es so lassen. Mal sehen, ob es irgendwem auffiel.

Früher einmal hatte ich die Biennale von Venedig geliebt, diese großartige Ausstellung zeitgenössischer Kunst, die (abgesehen von ein paar kurzen Unterbrechungen aus stets unerfreulichen Gründen) schon seit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts regelmäßig stattfand. Alle zwei Jahre fanden die Berühmten und die weniger Berühmten, die Talentierten und die weniger Talentierten der Kunstwelt ihren Weg in die dreißig nationalen Pavillons in den Giardini und zu den Ausstellungsflächen in den großen Hallen am Arsenale. Für diejenigen, die dort keinen Platz bekamen, wurde außerdem fast jeder leerstehende Palazzo in einen Länderpavillon umfunktioniert. Lange schon ungenutzte Kirchen wurden wieder geöffnet, um Kunst darin zu präsentieren. Und auch viele der noch genutzten profitierten von dem Geld, das in die Stadt floss, indem sie Künstlern Raum für ihre Präsentationen boten; vorausgesetzt natürlich, ihr Werk war pietätvoll genug. Zwischen Mai und September lebte die Stadt praktisch von nichts anderem als von zeitgenössischer Kunst.

All das hatte mich anfangs in Begeisterung versetzt. Als ich vor zehn Jahren zum ersten Mal nach Venedig gekommen war, hatte ich meinen kompletten Urlaub damit verbracht, wie vom Stendhal-Syndrom berauscht von Pavillon zu Palazzo zu Kirche zu ziehen. Natürlich gab es nicht nur Meisterwerke zu bestaunen. Mit der Zeit hatte ich die Faustformel entwickelt, dass ungefähr neunzig Prozent der Ausstellungen sich nicht lohnten. Blieb immer noch ein beträchtlicher Rest, der zumindest ziemlich gut war. Und die Chance, wie klein auch immer, dass jeder nicht besuchte Ort etwas absolut Geniales verbergen könnte, trieb mich an.

Irgendwann wurde das Ganze Teil meines Jobs, und alles änderte sich. Jeden Tag hatte ich nun das Gefühl, in einem Meer aus unverständlichem Geschwafel zu ertrinken. Jedes Jahr schien ich mehr zu schreiben und weniger anzuschauen. Alles erschien mir fade und schon mal dagewesen. Und wenn ich einmal die Giardini oder das Arsenale besuchte, überkam mich unweigerlich das dringende Bedürfnis, in eine naheliegende Kirche zu gehen und einen Tizian oder Tintoretto zu betrachten. Selbst Palma il Giovane wirkte manchmal wie eine wohltuende Abwechslung. Vielleicht war die ganze Übersetzerei daran schuld. Womöglich lag es aber auch daran, dass ich inzwischen einfach älter war.

Es klingelte an der Haustür. Federica natürlich. Ich öffnete ihr. Sie kam herauf. Kuss und Umarmung.

«Und, hattet ihr gestern einen netten Abend, Dario und du?»

«Woher weißt du, dass ich mich mit Dario getroffen habe?»

Sie deutete Richtung Küche. «Ein leerer Pizzakarton und eine Bierflasche. Pizza gibt´s bei dir inzwischen nur noch nach einer Kneipentour mit Dario. Außerdem», und dabei zuckte sie kaum merklich zusammen, «Blue Öyster Cult in der Anlage. Die hörst du auch nur dann.»

«Bloß, weil du mich nicht lässt. Aber sonst gut kombiniert, dottoressa. Sonst noch was?»

«Na ja, du hast mich um Viertel nach eins angerufen, um mir zu sagen, wie sehr du mich liebst.»

«Ach.»

«Ach.»

Verlegenes Schweigen. Ich kratzte mich am Kopf. «Ja. Ja, jetzt, wo du es erwähnst, fällt´s mir wieder ein.»

«Wie schön. Das will ich auch hoffen.»

«Musstest du heute etwa früh raus?»

«Ja. Wie ich dir gestern Abend schon sagte.»

«Oh, sorry. Tut mir leid, das war mir irgendwie entfallen. Bist du wieder in der Frarikirche gewesen?»

«Ja.»

«Auf diesem Gerüst? Ganz oben?»

«Genau.»

«Auf diesem Ding, für das man gut ausgeschlafen sein sollte?»

«Du sagst es.»

Ich nickte. «Verzeih mir.» Ich schenkte ihr ein möglichst entwaffnendes Lächeln. «Aber irgendwie cool war die Aktion schon, oder?

Sie schüttelte den Kopf. «Nein. Überhaupt nicht cool», antwortete sie. Dann gab sie es auf, ernst wirken zu wollen, und strich mir lächelnd über die Wange. «Aber es war lieb.» Ihr Blick wanderte zum Schreibtisch. Gramsci, offensichtlich in Sorge, meine Unterlagen könnten vom Lüfter weggeweht werden, hatte beschlossen, sich nützlich zu machen, und sich auf den Stapel gesetzt. «Wie läuft´s?»

«Viel zu tun. Arbeit über Arbeit. Und das Zeug ist kein Zuckerschlecken.»

«Ich weiß. Es ist ja nur für ein paar Monate. Und es bringt gutes Geld.»

«Stimmt. Wenn das so weitergeht, muss ich sogar Angebote ablehnen. Aber es macht nicht wirklich Spaß.»

Sie zog die Nase kraus. «Ach, komm schon. Es ist doch sicher besser als - was hast du zuletzt übersetzt? - ein Bratpfannenkatalog.»

«Bratpfannen sind eine feine Sache. Sehr nützlich. Ich hab sogar ein paar gekauft. Im Prinzip habe ich das Geld, das ich mit der Übersetzung verdient habe, sofort wieder ausgegeben, um diese verdammten Dinger zu bezahlen. Aber das da», ich deutete auf Gramsci und seinen Papierstapel, «dieser ganze überkandidelte Kunstkram macht mich ganz kirre.»

«Denk an das Geld, tesoro. Wenn du es hinter dir hast, kannst du einen oder zwei Monate freinehmen. Vielleicht könnten wir sogar verreisen? Und sag nicht überkandidelt, das klingt, als wärst du ein Banause. Und das bist du nicht.»

«Es will mir einfach nicht in den Schädel. Ich habe einen unverständlichen spanischen Text bekommen und einen unverständlichen englischen Text daraus gemacht. Hier, sieh dir das an.» Ich schubste Gramsci von seinem Blätterstapel, nahm Mr. Villanuevas Ausführung und gab sie ihr.

Sie las ein paar Minuten. «Ah, es geht um Chávez und die Revolution.»

«Es ist der venezolanische Pavillon. Da geht es immer um Chávez und die Revolution. Aber erkennst du irgendeinen Sinn darin?»

Sie las weiter. « ... somit stellt José Rafael Villanuevas Installation einen Bezug zur klassischen marxistischen Theorie der historischen Unvermeidbarkeit her und bildet zugleich das neue Paradigma einer postkolonialen Gesellschaft. Der dialektische Materialismus ist tot. Lang lebe bningydega. » Sie runzelte die Stirn. «Was ist bningydega?»

Ich grinste. «Das stammt von Gramsci. Ich glaub, ich lass es drin.»

«Das machst du nicht!»

«Komm schon, er hat - wie sagst du immer? - Position bezogen . Mir gefällt es ziemlich gut.»

Sie versuchte, mich streng anzusehen, was ihr wieder...
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Autor

Philip Gwynne Jones stammt aus Wales, lebt aber seit 2011 mit seiner Frau Caroline in Venedig, wo er anfing als Lehrer und Übersetzer zu arbeiten. Inzwischen schreibt er Romane, in denen seine Liebe zu Venedig deutlich mitschwingt. Er liebt die italienische Küche, Kunst, klassische Musik und die Oper und bisweilen singt er als Bass bei den Cantori Veneziani und dem Ensemble Vocale di Venezia.Birgit Salzmann studierte Deutsche Sprache und Literatur, Anglistik und Romanistik und übersetzt englischsprachige Literatur ins Deutsche. Nach Venedig zieht es sie seit über 25 Jahren immer wieder. Sie lebt mit ihrer Familie in Marburg.