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Niemand hat die Absicht einen Tannenbaum zu errichten

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
159 Seiten
Deutsch
Satyr Verlagerschienen am01.11.20131. Auflage
Weihnachten und Berlin, das passt einfach nicht zusammen: Hedonistische Partymetropole, Kodderschnauze und das besinnliche Fest der Liebe? Nein, das geht nicht. Und doch holt der Hauptstädter im November die Lichterketten aus dem Keller und schmückt seinen Balkon bis zur Unkenntlichkeit. Irgendwie geht es nämlich doch.Auch wenn in Berlin so recht niemand etwas mit dem Weihnachtsfest zu tun haben will, die Nordmanntannen sind am 24.12. trotzdem alle ausverkauft. Über dreißig Autorinnen und Autoren aus der Lesebühnenszene der Hauptstadt entführen in die geheime Welt der Original Berliner Weihnacht. Und nicht alles ist einfach so ausgedacht. Das Interview mit dem Weihnachtsmann vielleicht schon, aber nicht, was die Ureinwohner an den Festtagen machen, wenn die Zugezogenen heim nach Westdeutschland fahren. Oder die Geschichte, wo ... aber das wird nicht verraten. Schließlich ist Weihnachten das Fest der Überraschungen. Erst recht in Berlin, denn das ist für Überraschungen immer gut.

Unkonventionelle und skurrile Weihnachtsgeschichten von Manfred Maurenbrecher, Kirsten Fuchs, Heiko Werning, Lea Streisand, Martin 'Gotti' Gottschild, Daniela Böhle u.v.a.m.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,90
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextWeihnachten und Berlin, das passt einfach nicht zusammen: Hedonistische Partymetropole, Kodderschnauze und das besinnliche Fest der Liebe? Nein, das geht nicht. Und doch holt der Hauptstädter im November die Lichterketten aus dem Keller und schmückt seinen Balkon bis zur Unkenntlichkeit. Irgendwie geht es nämlich doch.Auch wenn in Berlin so recht niemand etwas mit dem Weihnachtsfest zu tun haben will, die Nordmanntannen sind am 24.12. trotzdem alle ausverkauft. Über dreißig Autorinnen und Autoren aus der Lesebühnenszene der Hauptstadt entführen in die geheime Welt der Original Berliner Weihnacht. Und nicht alles ist einfach so ausgedacht. Das Interview mit dem Weihnachtsmann vielleicht schon, aber nicht, was die Ureinwohner an den Festtagen machen, wenn die Zugezogenen heim nach Westdeutschland fahren. Oder die Geschichte, wo ... aber das wird nicht verraten. Schließlich ist Weihnachten das Fest der Überraschungen. Erst recht in Berlin, denn das ist für Überraschungen immer gut.

Unkonventionelle und skurrile Weihnachtsgeschichten von Manfred Maurenbrecher, Kirsten Fuchs, Heiko Werning, Lea Streisand, Martin 'Gotti' Gottschild, Daniela Böhle u.v.a.m.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783944035246
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum01.11.2013
Auflage1. Auflage
Seiten159 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3272 Kbytes
Artikel-Nr.2921897
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

Weihnachten einerseits, Glaube an Gott andererseits, miteinander vereinbaren lassen sie sich nicht. So sehen's Adventisten und Zeugen Jehovas, die beide kein Weihnachtsfest begehen. So empfinden's Muslime in Deutschland, denen nicht einleuchtet, dass an Weihnachten jede Fabrik stillliegt, während den Ramadan hindurch knallhart gearbeitet werden muss. Und so seh auch ich das. Ich bin fünfzehn, Gymnasiast, Weltverbesserer, Protestprediger. Ich hab mir ein Bild von Jesus zusammengebaut, das ihn als schroffen, zornigen Kritiker zeigt, ein Vorbild. Weihnachten dagegen, die Forderung, sich freundlich-fröhlichfeierlich zu geben - was hat das mit Jesus zu tun?

Oder mit Franz von Assisi, dem Existenzialisten? Der hat empfohlen, lieber in Landschaften und Bäumen zu lesen als in Büchern. Lektüre von Landschaften statt von Lettern, diesem franziskanischen Bildungsprogramm entsprechend stiefle ich durch vereiste Hügel und Wälder, die meine kleine Heimatstadt umgeben. Botschaften entziff're ich in den Schriftzeichen tintenschwarzer Äste vorm Hintergrundweiß. Abends zwingt mich mein Rückweg durch eine Altstadt, die immer wieder zu hören bekommt, dass sie hübsch sei.

Jetzt im Dezember zeigt sie sich zugedröhnt. Glühweindunst, Gasflammen, Scheinwerferkegel und Musik umrahmen eine Verstopfung aus unerbittlich hochgestimmten Erwachsenen. Die Hotwolee - in besserer Stimmung hätte ich gesagt: die Eltern meiner Schulkameraden - konsumiert überteuerte Luxusartikel. Denn als solche veracht' ich in meiner Protesthaltung selbst Grog und Popcorn.

Meine persönliche Weihnachtskatastrophe, sie ereignet sich alljährlich. Nicht in Gestalt eines Christbaumbrands, einer verschmorten Gans, eines Glatteisunfalls - Katastrophen dieser Art hätt' ich geradewegs begrüßt. Meine Katastrophenweihnacht erwächst aus dem Ausbleiben solcher Katastrophen; besteht eben in Weihnachten, so wie es ist. Schmuck, Schminke, Schmand - ich muss raus hier.

2

Jetzt bin ich einundzwanzig, ich zieh um. Stuttgart, West-Berlin und Zürich haben mir einen Studienplatz angeboten, ich entscheide mich für den Ort, der die günstigste Mietwohnung bieten kann. Nun wohn ich in Berlin-Neukölln, dem unbeliebtesten Bezirk der Insel-Großstadt. Neukölln hat sich diesen Status über lange Jahre erarbeiten müssen und sich allmählich ein miserables Image verschafft. Zum Glück! Schließlich erweist sich alles, was zum miesen Ruf Neuköllns beitrug, als Trumpf für mich. Der viele Schmutz hier - das bedeutet, dass ich die Möbel meiner Wohnungseinrichtung durchweg auf dem Gehsteig einsammeln kann, in nächster Nähe. Das Publikum hier sei heruntergekommen - das bedeutet: temperamentvolle Nachbarn, die sich nicht an bürgerlichen Lebensrhythmen orientieren, auch an Weihnachten nicht. Alles Verrufene zusammen bedeutet, dass sich Weihnachten nicht mehr grauenvoll anfühlt. Sondern, für mich: christlich.

Was schadet's, dass sich der Schneematsch giftiggelb und kitschrot verfärbt zeigt unter Tausendschaften blinkender Plastikweihnachtsmänner, die in den Fenstern der Nachbarwohnungen ranken? Besser ehrlicher Kitsch als luxuriöser Glühwein. Und endlich entdecke ich ihn, meinen Zufluchtsort, meine Kapelle der Andacht:

Am Kottbusser Damm hat sich ein Ladengeschäft eingerichtet, dessen Inneres an ein Dentallabor erinnert. Das liegt einerseits an den Artikeln, die feilgeboten werden. Ganz überwiegend handelt es sich um Gegenstände, die unter den Sammelbegriffen »Elektro-Großgeräte« oder »Weiße Ware« zusammengefasst werden können: Waschmaschinen, Trockner, Kochherde, Kühl- und Gefrierschränke. In einheitlicher Farbe gehalten und von genormtem Format, übersäen sie die Fläche wie große Formstein-Blöcke auf einem Trümmerfeld - zunächst. Da wir Nachbarn durch die Bank Fußgänger oder Radfahrer sind, können wir die Stücke, selbst wenn wir sie bezahlen könnten, doch nicht abtransportieren. Gleichwohl trifft immer neue Ware ein, allmählich stapelt sie sich in Form hoher schweigsamer Schneewände.

Der Laden heißt »Quelle Fundgrube«. Als ich den Namen lese, schlägt irgendwo im Halbbewusstsein ein Witterungsorgan Alarm. Irgendwas mit diesem Namen stimmt nicht. Einen stillen Makel birgt er, eine Spur von Madigkeit oder Ranzigkeit. Indessen, erst viele Jahre später werd ich der Sache nachgeh'n. Eben vorhin ist das gewesen; ich hab recherchiert, jetzt bin ich klüger:

»Fundgrube«, ein Wort von einiger Schönheit übrigens, dieses Wort stammt aus der Bergmannssprache. Bezeichnet wird damit ungefähr das, was bei den Goldsuchern ein abgesteckter Claim darstellt: Da wird eine Fläche markiert, da drunter darf dann gegraben werden. Derjenige, der sich die Fundgrube markiert hat, wird mit einem Wort bezeichnet, das sogar zu den allerschönsten zählt: Er heißt »der Muter« - weil er irgendwelche lohnenden Schätze unten vermutet.

Nun erkenn ich den Makel in der Zusammenstellung »Quelle Fundgrube«: Bergbau und Quelle, das verträgt sich nicht. Nichts fürchtet der Bergmann so sehr wie unterirdischen Wassereinbruch. Beginnt's im Schacht zu sprudeln, bedeutet das den GAU. »Quelle Fundgrube« - das verkörpert ein Maximum gegenseitiger Unverträglichkeit, so wie Glaube an Gott und Weihnachten es verkörpern. Beziehungsweise wie sie es jetzt gar nicht mehr verkörpern. Aber davon gleich.

In diesen Läden verhökert das Quelle-Versandhaus Artikel zu stark reduziertem Preis, weil sie irgendeinen Makel aufweisen. Von daher erscheint der Ladenname durchaus angemessen, er passt zum Zustand der Ware.

Irgendwo zwischen den weißen Geräteklötzen tummeln sich eine Kleiderstange voll unveräußerlicher Übergrößen, ein Fahrrad, eine elektrische Kuckucksuhr. Mich fasziniert die unschuldig-unwillkürliche Anordnung - kein Dekorateur, kein Lagerist, kein Logistiker hat gestaltend eingegriffen, dem Auge präsentiert sich pure Aleatorik. Wobei es keineswegs nottut, den Laden zu betreten, da der Raum, an einer Straßenecke gelegen, gleich an zwei Seiten ausgedehnte Scheiben aufweist. Bloß dass der Ausdruck »Schaufenster« nicht wirklich angemessen erscheint. Denn so wenig, wie innen zwischen Lagerraum und Ausstellungsfläche differenziert würde, so wenig findet sich in Fensternähe irgendein Unterschied zwischen Innenraum und Auslage: der homogene Lager-Ausstellungs-Verkaufsraum erstreckt sich von der hintersten Wand bis zu den Fenstern.

Nicht vergessen darf ich jenen wohltuenden Kontrast, den die Farben grellgelb und grellrot erzeugen. Beigesteuert werden diese Farben durch die Quelle-Fundgrube-Sonderpreis-Schilder, die, in halber Postkartengröße, an den Artikeln prangen. Wobei die Vorderseite der Schilder jeweils den Preis beziffert, auf der Rückseite aber findet sich eine Multiple-Choice-Liste:

Vorführgerät

Kleine Schönheitsfehler

Gerät aus Vorkatalogen

Mietkauf-Rücknahme-Gerät

Ein mit schwarzem Filzstift aufgemaltes Kreuz gibt Auskunft über den Zustand des betreffenden Artikels.

Sofort wird mir der Wert meiner Entdeckung bewusst.

Das Quelle-Fundgrube-Fenster taugt zu stiller Einkehr, viele tief befriedigende Augenblicke der Erholung erlebe ich fortan vor dem von vollkommener Nüchternheit erfüllten Fenster.

Eindeutig: Die Quelle-Fundgrube-Leute beweisen Geschmack.

Dass die Anordnung unbewusst geschehen ist, widerspricht dem keineswegs. Im Gegenteil, gerade in unbewussten Handlungen zeigt sich, ob jemand Geschmack hat.

Ich beginne zu ahnen: Endlich hab ich gefunden, was ich als Jugendlicher auf meinen Waldwanderungen suchte: Das Undekorierte, die Botschaft des reinen Lebens, Natur. Lies nicht in Büchern, lies die Preisschilder der Quelle-Fundgrube, da wirst du mehr erfahren. Endlich bin ich am Ziel, hab's erreicht: mein Weihnachten.

Und irgendwann, nach einigen Monaten, hat sich die Vermutung bestätigt. Aufs Triumphalste:

In den Laden hat sich ein Artikel verirrt, der zwar zum Quelle-Sortiment gehört, aber keinesfalls zum üblichen Fundgrube-Angebot: ein Ölgemälde. Eines jener Ölgemälde, denen der dicke Quelle-Katalog immerhin eine volle Doppelseite widmet.

Durchs Fenster hinaus, andächtig eingerahmt von Waschmaschinen und Tiefkühlschränken, blickt es mich an: ein Winteridyll. Das Zentrum des Bildes bildet ein süddeutsches Zwiebelturmkirchlein, dessen helle Fassade anmutig mit den Farbtönen der nachbarschaftlichen Maschinen harmoniert. Dicht daneben dominiert ein dunkler Tannenbaum. So weit die stillen Elemente. Oben aber, in dick aufgetragener graumelierter Farbe, dräut gewaltiger Gewitterhimmel; ihn kontrapunktiert, am zentralen Kirchlein entspringend und, sich verbreiternd, diagonal zur linken unteren Ecke hin strudelnd,...
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Autor

Unkonventionelle und skurrile Weihnachtsgeschichten von Manfred Maurenbrecher, Kirsten Fuchs, Heiko Werning, Lea Streisand, Martin »Gotti« Gottschild, Daniela Böhle u.v.a.m.