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In deinen Augen der Tod

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
400 Seiten
Deutsch
Emons Verlagerschienen am17.03.2022
Ein intensiver Slow-Burn-Thriller, der lange in Erinnerung bleibt. Nach einer tödlichen Geiselnahme kehrt Olivia Bloch schwer traumatisiert in das Dorf ihrer Kindheit zurück. Schnell bekommt sie die Ablehnung der Einwohner zu spüren, die die Gerüchte zu glauben scheinen, sie wäre die Komplizin der Geiselnehmer gewesen. Als sich die Anzeichen mehren, dass sie beobachtet wird und außer ihr noch jemand in ihrer Wohnung ein und aus geht, muss sie sich ihrer Vergangenheit stellen - bevor es zu spät ist.

Kerstin Ruhkieck schreibt Geschichten, seit sie einen Stift halten kann. Sie machte ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg und studierte Deutsche Sprache und Literatur in Hamburg. Kerstin Ruhkieck ist verheiratet und hat zwei Söhne.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR16,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR11,99

Produkt

KlappentextEin intensiver Slow-Burn-Thriller, der lange in Erinnerung bleibt. Nach einer tödlichen Geiselnahme kehrt Olivia Bloch schwer traumatisiert in das Dorf ihrer Kindheit zurück. Schnell bekommt sie die Ablehnung der Einwohner zu spüren, die die Gerüchte zu glauben scheinen, sie wäre die Komplizin der Geiselnehmer gewesen. Als sich die Anzeichen mehren, dass sie beobachtet wird und außer ihr noch jemand in ihrer Wohnung ein und aus geht, muss sie sich ihrer Vergangenheit stellen - bevor es zu spät ist.

Kerstin Ruhkieck schreibt Geschichten, seit sie einen Stift halten kann. Sie machte ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg und studierte Deutsche Sprache und Literatur in Hamburg. Kerstin Ruhkieck ist verheiratet und hat zwei Söhne.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783960419150
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum17.03.2022
Seiten400 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3935 Kbytes
Artikel-Nr.9013250
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1

Obderwede, 22. Oktober

Letztendlich sind wir nichts weiter als das Produkt unserer Entscheidungen. Das weiß ich jetzt.

Als sich der Bus der Schicksalskurve nähert, halte ich die Luft an. Schon die gesamte Fahrt über kauere ich tief in meinen abgewetzten Sitz gepresst und konzentriere mich auf meine Atmung. Meine Panik darf nicht die Oberhand gewinnen, aber mein Serotoninabbauhemmer und ich sind Verbündete und stärker als sie. Noch. Denn sie lauert, seit ich vor zwei Stunden meine erste Mitfahrgelegenheit bestiegen habe.

Der Fahrer des Busses kennt die Strecke nicht, wird mir klar. Er fährt zu schnell, schneller als die erlaubten fünfzig Stundenkilometer. Er sollte wissen, dass die Kurve vor uns langsam zu nehmen ist. Um nicht Gefahr zu laufen, aus der Spur zu geraten und mit einem entgegenkommenden Fahrzeug zu kollidieren, das sich für ihn noch unsichtbar hinter der Kurve befinden könnte. Oder eben nicht.

Ich schließe die Augen. Von meinem Platz in der hinteren Reihe kann ich ohnehin nichts sehen. Dennoch habe ich sie vor mir, die Erinnerung an eine Kurve mit leichtem Gefälle und dem Felsen, der die Sicht versperrt. Ich spüre die g-Kraft, wie sie meinen Körper zur Seite drückt, bemerke das ruckelige, hektische Abbremsen des Fahrers, als er begreift, dass er sich mit der Geschwindigkeit verschätzt hat. Die Reifen quietschen, ich bin mir sicher, dass wir uns nun auf der Gegenfahrbahn befinden, und warte auf den Aufprall. Auf das Bersten der Karosserie, das Splittern von Glas und dann die Schreie, hysterische Schreie vor Angst und Schmerz â¦ Der Moment vergeht, und nichts davon geschieht. Keine Kräfte wirken mehr auf meinen Körper, die Fahrt geht auf gerader Strecke weiter. Ich öffne die Augen und schnappe nach Luft. Ich bin dem Tod von der Schippe gesprungen - wieder einmal - und empfinde keine Erleichterung.

Mit genug Sauerstoff im Blut und einigermaßen beruhigten Nerven packe ich meine Sachen zusammen. An der nächsten Station werde ich aussteigen. Viel habe ich nicht bei mir, ein paar Kleidungsstücke, einen Laptop, mein Handy und diese ultraschicken kabellosen Kopfhörer, die beinahe vollständig im Ohr verschwinden. Meine Mutter hat sie mir aufgezwungen, obwohl ich sie nicht wollte. Nun benutze ich sie doch. Sie dämpfen den Lärm um mich, statt ihn in meine Ohren zu plärren und meine Wahrnehmung zu blockieren.

Mehr als diese Dinge brauche ich nicht. Es gibt nichts, was mir noch etwas bedeutet. Ich frage mich, was mich erwartet, sobald ich den Bus verlasse. Am Busbahnhof in Hannover meine ich jemanden bemerkt zu haben, der ein Foto von mir gemacht hat, ein junger Typ mit Sporthose und Goldkettchen. Vielleicht war es aber auch meine Paranoia, die mich Gespenster sehen lässt. Meine Paranoia, die ich nur deshalb habe, weil sie begründet ist. Paranoia, entstanden aus Erfahrung.

Als der Bus hält, spuckt er mich aus wie einen durchgekauten Kaugummi. Beinahe stürze ich, noch bevor meine Füße den Boden berühren, finde aber rechtzeitig mein Gleichgewicht wieder. Die frische Luft, die beim ersten Atemzug meine Lungenflügel flutet, lockert meine verkrampfte Brust. Bis ich es mit brachialer Wucht begreife.

Ich bin zurück.

Die Bushaltestelle ist verwaist, ein einsames Holzhäuschen an der unbefahrenen zweispurigen Hauptstraße, an der nur vereinzelt Häuser stehen, umgeben von unberührten Feldern aus Gräsern und Blumen. Obderwede ist so leblos und leer wie in meiner Erinnerung.

Das Haus ist nicht weit, ich kenne den Weg, als wäre ich ihn gestern zuletzt gegangen. Ich schultere meinen Rucksack, nehme meine Reisetasche und gehe los. In meinem Bauch regt sich eine vorfreudige Angst, die mich seltsam traurig macht, doch ich habe keine Zeit, hier länger zu stehen und darauf zu warten, dass mich jemand sieht. Der Dorffunk wird die Information über meine Ankunft schnell genug verbreiten.

Von früher weiß ich um die Schönheit, die der Herbst aus dem kräftigen Grün des Sommers erschafft. Jetzt jedoch habe ich keinen Blick dafür, Scheuklappen schränken meine unscharfe Sicht ein. Es ist, als würde ich unter der Last der Rückkehr immer langsamer werden, mein Herz pocht wild, und mir schnürt sich die Kehle zu. Eben noch konnte ich es kaum erwarten, aus der Enge des Busses zu entfliehen, nun fühle ich mich von der Weite des freien Himmels bloßgestellt.

Eine Biegung später erreiche ich das vertraute Haus und bleibe unentschlossen stehen. Den übertriebenen Bungalow hat mein Vater entworfen und bauen lassen, als er von der Schwangerschaft meiner Mutter erfuhr. Der Zementmischer war noch nicht einmal in Betrieb, als sie ihm mitteilte, dass sie sich von ihm trennen und ihr ungeborenes Kind - mich - allein großziehen würde. Aus der Not heraus korrigierte er seinen Entwurf und machte aus einem Bungalow zwei, direkt nebeneinander, in der Hoffnung, auf diese Weise zumindest Mutter und Kind in unmittelbarer Nähe zu haben. Als meine Mutter, deutlich jünger als er und mitten in der Selbstfindung, ihm an den Kopf knallte, dass sie sicher nicht an den »Arsch der Welt« ziehen würde, ließ er die zwei Häuser dennoch bauen. Für den Fall, dass sie es sich anders überlegte.

Lange Zeit hielt ich meinen Vater für ziemlich großartig. Bis zu dem Sommer, in dem ich erkannte, dass er es nicht war.

Fünf Jahre bin ich nicht hier gewesen. Der Schlüssel von damals passt trotzdem. Als hätte der alte Mann darauf gewartet, dass ich eines Tages zurückkomme, ihn in die Arme schließe und alles ignoriere, was vorgefallen ist.

Nun bin ich hier, aber er ist es nicht.

Zögerlich kehre ich heim, streife sämtliches Gewicht von meinem Körper. Der verwinkelte Flur, der den Blick nicht auf alle Türen preisgibt, liegt vor mir und scheint mit seinen Eingängen auf mich zu warten. Also wandere ich von Zimmer zu Zimmer, schon damals war das Haus zu groß für zwei Personen. Wie sich mein Vater in den letzten Jahren hier gefühlt haben muss, wie er es so lange allein ausgehalten hat, möchte ich mir nicht vorstellen. Einsam in einem Haus, das für eine Familie gemacht war. Vielleicht hat er genau das verdient.

Die Räume sind menschenleer, aber gefüllt mit Erinnerungen, die ich in ihnen eingesperrt habe, als ich damals gegangen bin. Der vertraute herbe Aftershavegeruch liegt wie eine schwere Decke über den Möbeln, steigt mir in die Nase und aktiviert in meinem Kopf undeutliche Bilder aus einer Zeit, als alles gut war.

Arbeits- und Schlafzimmer, sein Bereich, liegen auf der linken Seite. Nichts hat sich verändert, und ich halte es nicht lange darin aus, die Räume machen mich traurig, ich fliehe vor der unsichtbaren Präsenz meines Vaters.

Mit dem Wohnzimmer und der offenen Küche verbinde ich viele Geschichten. Der überdimensionierte Raum war stets das Zentrum unserer Gemeinsamkeit. Eine Flut an Erinnerungen droht mich zu erdrücken. Wie wir reden, essen, lachen. Es sind gute Erinnerungen, überlagert von einem dunklen Schatten, der mir einmal mehr vor Augen hält, was ich verloren habe. Damals, als ich ihm meine Anschuldigungen ins Gesicht schmetterte.

Es war nicht meine Schuld, ermahne ich mich, wie ich es mir selbst beigebracht habe, um überhaupt weitermachen zu können. Doch es ist, wie es ist, das Gefühl von fauligem Obst in meiner Brust straft mich Lügen.

Unendlich erschöpft, als würde mich dieses Haus sämtlicher Energie berauben, durchquere ich den Raum. Tränen verschleiern mir die Sicht, aber ich weine nicht, dafür bin ich zu müde. Als wäre sie mein letzter Halt, lege ich beide Hände auf das kalte Glas der Terrassentür und sehe nach draußen, auf den Garten und das kleine Holzhäuschen am angrenzenden Waldstück.

Ich hoffe, dass mein Vater nicht entsorgt hat, was früher darin war, und lasse ein zaghaftes Lächeln auf meinem Gesicht zu.

Ein Geräusch hinter mir lässt mich zusammenfahren. Ich wirble herum, ein unterdrückter Schrei verhakt sich in meiner Kehle. Beinahe erwarte ich, jemanden zu sehen, eine Waffe auf mich gerichtet â¦ doch ich bin alleine. Aber ich bin mir sicher. Es war da. Ein dumpfes Klopfen.

Erneut lässt mich das Geräusch aufschrecken, und ich erstarre. Ich kenne dieses Pochen. Ein Zittern wogt durch meinen Körper, und ich hebe den Blick an die Decke. Jemand ist über mir. Schritte auf dem Dachboden.

Ich balle meine Hände zu Fäusten und zwinge mich, meine Starre zu lösen. Im Alltag bin ich zu nichts zu gebrauchen, doch mit solchen Situationen kann ich umgehen. Mein Körper bleibt angespannt, und während ich mich auf meine Atmung konzentriere, kehre ich zur Wohnzimmertür zurück.

»Martin?«, frage ich mit belegter Stimme in den Flur hinein. Keine Antwort. »Papa?« Ich weiß, dass er nicht hier sein kann.

Tasche und Rucksack lehnen unverändert an der Haustür. Wer auch immer im Haus ist, muss bereits hier gewesen sein, als ich ankam. Mein Herz pocht unangenehm in meinem Hals, drückt ihn zu, macht es mir unmöglich, zu schlucken. Meine Augen wandern die Stufen nach oben, die Luke ist verschlossen, aber das muss nichts heißen. Der Dachboden ist der einzige Makel des Hauses, hat mein Vater immer gesagt. Es sollte ein ausgebautes Obergeschoss werden, doch er hat sich nie darum gekümmert. Stattdessen ist es immer ein Lager für Kisten und abgenutzte Möbel gewesen, es gibt nicht einmal eine richtige Tür, nur eine weiße Holzklappe, die sich nach innen öffnen lässt.

Aus dem Augenwinkel nehme ich eine Bewegung wahr, es ist, als würde ein Blitz in mich einschlagen. Ich reiße die Arme hoch, will meinen Kopf schützen und drehe mich weg, ein Reflex, doch nichts passiert. Mein Herz erschüttert mich mit heftigen Schlägen, ich bin kurz davor, zu fallen, ich spüre das...
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