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Tage im August

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
240 Seiten
Deutsch
Folio Verlagerschienen am23.02.20241. Auflage
Die Sonne brennt unbarmherzig, heiß sind die Tage am Meer. Auf Anna wartet die lang ersehnte Freiheit. Es ist Sommer 1943. Endlich holt der Vater die Vierzehnjährige und ihren jüngeren Bruder aus dem Nonneninternat ab, um die Ferien in einem Badeort in der Nähe von Rom zu verbringen. Anna ist hungrig nach Welt, sie will wissen, wie Liebe wirklich geht. Während das Dröhnen der Jagdbomber am Himmel die schläfrige Stille der Tage durchbricht, lernt sie in der Badeanstalt Savoia die gierigen Blicke junger wie alter Männer kennen und macht ihre ersten sexuellen Erfahrungen. Anna will das Unbekannte erfahren ... Die Kunst der großen Autorin, über das zu schreiben, worüber andere schweigen. Lakonisch, verstörend, das Romandebüt der größten lebenden Schriftstellerin Italiens.

Dacia Maraini, eine der wichtigsten Stimmen Italiens sowie feministische Pionierin. Geboren 1936 in Fiesole, aufgewachsen in Japan und Sizilien. Aufgrund der antifaschistischen Haltung des Vaters in einem japanischen Gefangenenlager interniert, frühe Erfahrung von Hunger. Sie war eine der Ersten, die über Gewalt an Frauen schrieb, begründete experimentelle Theater und reiste mit P. P. Pasolini für Filmprojekte nach Afrika, schrieb Drehbücher u. a. für Margarethe von Trotta. Bei Folio erschienen zuletzt: 'Die stumme Herzogin' (2020), 'Trio' (2021).
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR17,99

Produkt

KlappentextDie Sonne brennt unbarmherzig, heiß sind die Tage am Meer. Auf Anna wartet die lang ersehnte Freiheit. Es ist Sommer 1943. Endlich holt der Vater die Vierzehnjährige und ihren jüngeren Bruder aus dem Nonneninternat ab, um die Ferien in einem Badeort in der Nähe von Rom zu verbringen. Anna ist hungrig nach Welt, sie will wissen, wie Liebe wirklich geht. Während das Dröhnen der Jagdbomber am Himmel die schläfrige Stille der Tage durchbricht, lernt sie in der Badeanstalt Savoia die gierigen Blicke junger wie alter Männer kennen und macht ihre ersten sexuellen Erfahrungen. Anna will das Unbekannte erfahren ... Die Kunst der großen Autorin, über das zu schreiben, worüber andere schweigen. Lakonisch, verstörend, das Romandebüt der größten lebenden Schriftstellerin Italiens.

Dacia Maraini, eine der wichtigsten Stimmen Italiens sowie feministische Pionierin. Geboren 1936 in Fiesole, aufgewachsen in Japan und Sizilien. Aufgrund der antifaschistischen Haltung des Vaters in einem japanischen Gefangenenlager interniert, frühe Erfahrung von Hunger. Sie war eine der Ersten, die über Gewalt an Frauen schrieb, begründete experimentelle Theater und reiste mit P. P. Pasolini für Filmprojekte nach Afrika, schrieb Drehbücher u. a. für Margarethe von Trotta. Bei Folio erschienen zuletzt: 'Die stumme Herzogin' (2020), 'Trio' (2021).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783990371534
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum23.02.2024
Auflage1. Auflage
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3890 Kbytes
Artikel-Nr.13954885
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

Wir rannten die Treppe hinab und den langen Flur entlang, ohne auf eine der Schwestern zu treffen. Es herrschte Mittagsruhe. Die Fensterläden waren geschlossen, man konnte kaum etwas sehen.

Die alte Nonne an der Pforte öffnete uns die Tür und brummelte: Wenn sie hier rausgehen, weiß man nie, wie sie wieder zurückkehren. Seit ich im Internat war, hatte ich sie immer so in ihrer Loge sitzen sehen, schwerfällig, in schwarzer Schürze und zerschlissenem rosa Schultertuch.

Ihr wollt ans Meer? , fragte sie und funkelte uns missgünstig an. Passt auf, dass ihr euch nicht verkühlt , fuhr sie fort, während sie uns hinausließ. Dann schlug sie die Tür zu.

Mumuri wartete draußen schon auf uns. Er saß rittlings auf seinem Motorrad.

Da seid ihr ja. Er lächelte zufrieden. Los, steigt auf , sagte er und reichte uns eine Hand.

Wir kletterten auf das Motorrad, Giovanni vorne und ich hinten. Das Köfferchen befestigte er, so gut es ging, neben dem Hinterrad und ich legte ein Bein darauf ab.

Auf geht´s! , sagte Papa heiter, die Füße gegen den Boden gestemmt, um das Motorrad im Gleichgewicht zu halten. Wahrscheinlich stand eine der Schwestern am Fenster, aber wir blickten weiter zu Boden und taten so, als hätten wir sie vergessen. Bereit? Sitzt ihr gut? , fragte er, richtete seine Baskenmütze und umfasste den Lenker.

Ruckartig fuhr das Motorrad an, es beschleunigte und wir legten uns in die Kurve. Giovanni war aufgeregt und klammerte sich zitternd am Lenker fest, ich hatte meine Arme von hinten um den muskulösen Körper meines Vaters gelegt und fühlte mich mit seiner Freude und seinem Selbstvertrauen verbunden. Die Passanten und die wenigen Autos nahm ich gar nicht richtig wahr. Ich schob den Kopf vor, um mir den Wind ins Gesicht wehen zu lassen, und widerstand dem Drang, mir die Haare aus den Augen zu streichen.

Mumuri fuhr sicher, dabei plauderte er munter.

Ich wette, ihr seid noch nie Motorrad gefahren , stellte er lachend fest. Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: Du hast Angst, Giovannino, gib es ruhig zu. Ein Dreikäsehoch wie du hat Angst.

Giovanni schüttelte den Kopf, ohne den Griff zu lockern, seine Hände waren schon ganz blau vor Anstrengung.

Und wie geht´s dir, Anna? Mumuri drehte sich ein wenig zu mir um, ich konnte sein sonnengebräuntes Gesicht erkennen, das hier und da von langen tiefen Falten durchschnitten war, die getönte Brille saß auf seiner breiten Nase. Du hättest gerne ein Eis, nicht wahr? Wie blass du bist, meine Kleine. Du wirst sehen, das Meer wird dir guttun. Wenn du zurückkommst, werden die Schwestern dich kaum wiedererkennen.

Ich blickte zurück und dachte an das Internat, das hinter uns lag und auf uns warten würde. Die Schwestern mit ihren mit Haarnadeln am Kopf befestigten langen Schleiern, die klimpernden Rosenkränze. Für Mumuri war alles einfach: Jetzt nahm er uns mit in die Ferien ans Meer, hinterher würde er uns mit dem gleichen klapprigen Motorrad und dem gleichen unbekümmerten Gesichtsausdruck wieder zum fünf Meter hohen Eingangstor zurückbringen. Ich schlang die Arme fester um die breite muskulöse Taille meines Vaters, der sich besorgt umsah. Du willst ein Eis, oder? Er zwinkerte mir zu. Wir sind fast da.

Wir hielten vor einer Eisdiele an der Ecke eines Dorfplatzes. Auf dem Bürgersteig lag eine zerdrückte Eiswaffel. Darüber schwirrte ein Schwarm Fliegen. Eine Katze schnupperte daran und trottete dann weiter. Giovanni wollte nicht absteigen und Mumuri machte sich über ihn lustig. Er zog sich die hellen Lederhandschuhe aus und ich dehnte die schmerzenden Beine.

Der Wind brennt ganz schön , sagte Giovanni und betastete seine geröteten Wangen.

Die Sonne brennt , verbesserte ihn Papa und schob den Perlenvorhang vor dem Eingang der Eisdiele beiseite.

Mumuri bestellte zwei Eis zu fünf Lire, Pistazie und Torrone. Giovanni hielt seine Waffel vorsichtig fest und leckte langsam und konzentriert, die Zunge weit herausgestreckt, die Kiefer auf und ab bewegend und die Stirn vor Anstrengung runzelnd.

Papa plauderte mit dem Padrone, einem beleibten Mann, der ihm Fotos berühmter Boxer zeigte.

Luigi Musina , sagte er und deutete auf ein Bild mit Widmung. Europameister im Halbschwergewicht. Er hat keine Nase mehr, aber schauen Sie sich die Muskeln an. Papa nickte, dabei behielt er Giovanni im Auge, der sein Eis aß. Und das ist Proietti, eine ganz andere Liga. Tolles Foto, was?

Sehr schön , erwiderte Mumuri mit gleichgültiger Miene.

Enrico Urbinati, Europameister im Fliegengewicht , der Padrone klatschte in die Hände. Die verdienen Unsummen.

Sie schon , sagte Mumuri gelangweilt.

Der Weg ist beschwerlich, aber es lohnt sich. Ich habe es auch probiert, wissen Sie. Aber ich hatte es zu eilig, war zu ungeduldig. Ein gutes Gefühl, den Kopf zu senken und zuzuschlagen, bis man so richtig erschöpft ist.

Papa reagierte diesmal nicht. Zufrieden? , fragte er Giovanni, beugte sich zu ihm und strich ihm übers Haar. Der Mann hinter dem Tresen schaute ihm aufmerksam zu, er atmete schwer.

War das Eis gut? , fragte Papa freundlich und Giovanni nickte.

Noch eins?

Ja.

Hast du Papa lieb?

Ja , antwortete Giovanni und starrte zu Boden. Für ein Eis war er zu jeder Lüge bereit.

Wenn dein Papa nicht wäre, wer würde dir dann ein Eis kaufen? Die Nonnen sind ziemlich knausrig, was?

Der Padrone wischte sich die Hände an der knöchellangen Schürze ab. Dann verschwand er hinter dem Tresen und füllte keuchend, aber mit ruhigen Handbewegungen eine zweite Eiswaffel. Mumuri griff danach und reichte sie Giovanni weiter, der sie von allen Seiten anleckte, damit das Eis nicht tropfte.

Mumuri warf einen Blick auf die Uhr an der Wand und verzog das Gesicht. Es ist schon spät, wir müssen uns beeilen , drängte er und zog zwei Geldscheine heraus. Der Padrone hielt sie gegen das Licht, drehte sie zweimal um und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Dann legte er sie mit einem zufriedenen Lächeln in die Kasse und lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen.

Giovanni nahm sich Zeit für sein Eis. Er leckte genüsslich, die Augen fest auf die grüne und die gelbe Creme gerichtet, die er mit der Zunge umrundete und von der jedes Mal ein wenig mehr verschwand.

Mumuri wagte nicht, ihn zu stören, sondern betrachtete ihn neugierig. Vielleicht wurde ihm zum ersten Mal klar, wie fremd er ihm war. Ich beobachtete meinen Vater und suchte nach Ähnlichkeiten zwischen uns.

Fertig, mein Junge? , fragte er und umfasste mit seiner großen kräftigen Hand die klebrigen Finger seines Sohnes. Giovanni wollte noch ein Eis und der Barbesitzer musterte ihn versonnen. Papa verlor die Geduld. Es ist spät, habe ich gesagt. Sie wartet auf uns.

Wer? , platzte ich heraus. Mumuri wirkte angespannt, plötzlich sah sein Gesicht müde aus, aber seine listigen Augen leuchteten.

Noch eins , quengelte Giovanni.

Papa reagierte wütend und packte ihn am Handgelenk. Giovanni starrte ihn hasserfüllt an. Dann entdeckte Mumuri einen vorbeilaufenden Hund und versuchte uns auf ihn aufmerksam zu machen.

Schaut mal, was für ein schöner Hund.

Giovanni drehte den Kopf weg und beharrte auf seinem Eis. Mumuri packte ihn am Arm und zog ihn nach draußen.

Ich folgte ihnen.

Wir stiegen wieder auf das völlig verstaubte Motorrad, der Motor war noch warm. Giovanni hatte Tränen in den Augen und biss die Zähne zusammen. Mumuri wirkte nervös und abwesend. Wir fuhren lange Zeit, ohne dass jemand ein Wort sprach. Dann hörte ich Mumuris Stimme.

Was hast du gesagt? , rief ich zurück.

Eure zweite Mama wartet zu Hause auf euch.

Ich reagierte nicht und umklammerte ihn noch fester. Mama war nicht mehr da und das wusste er auch. Warum sprach er von einer zweiten Mama? Ich dachte daran, wie wir an jedem ersten Sonntag im Monat in Reih und Glied mit den Schwestern auf den Friedhof gingen. Die verwelkten Blumensträuße rochen feucht. Ich mochte diesen Ort, wo ständig ein angenehm frischer Wind wehte. Giovanni schlief auf der Bank ein, kurz bevor wir die Tüten mit unserem Proviant herausholten. Brot und ein Ei. Man musste aufpassen, dass einem der Wind nicht alles aus den Händen wehte. Giovanni versteckte sich hinter meinem Rücken und kicherte. Die Schwestern stimmten mit lauter Stimme ein Gebet an und wir mussten die Antwort singen.

Warum sagst du nichts, Anna?

Wie heißt diese Mama?

Mama, das...
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Autor

Dacia Maraini, eine der wichtigsten Stimmen Italiens sowie feministische Pionierin. Geboren 1936 in Fiesole, aufgewachsen in Japan und Sizilien. Aufgrund der antifaschistischen Haltung des Vaters in einem japanischen Gefangenenlager interniert, frühe Erfahrung von Hunger. Sie war eine der Ersten, die über Gewalt an Frauen schrieb, begründete experimentelle Theater und reiste mit P. P. Pasolini für Filmprojekte nach Afrika, schrieb Drehbücher u. a. für Margarethe von Trotta. Bei Folio erschienen zuletzt: "Die stumme Herzogin" (2020), "Trio" (2021).