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Bis zum Frühling

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am13.09.20221. Auflage
In Anaïs' Leben läuft nichts rund. Ihr Freund hat sie verlassen, den Job hat sie verloren. Eigentlich hält Anaïs nichts mehr auf dieser Welt. Sie reist nach Limoges, angeblich ein guter Ort zum Sterben, und findet dort Unterkunft bei einer älteren Italienerin: Tiziana Conti bietet ihr an, in ihrem Palazzo zu wohnen, wenn sie dafür für sie kocht. Anaïs stimmt zu. Sie lernt Tizianas Freundinnen kennen und wird Teil einer großen Familie. Kann es sein, dass das Leben Schöneres für sie bereithält als bisher angenommen? Sie beginnt, sich selbst zu mögen. Nur als der Sohn von Tizianas bester Freundin auf den Plan tritt, ist Anaïs nicht begeistert. Aber der lässt sich davon nicht abschrecken.

Pauline Harmange ist Autorin, Schauspielerin und Feministin. Nach der Publikation ihres Essays Ich hasse Männer (Rowohlt, 2020), der international für Aufsehen sorgte, schrieb sie ihren ersten Roman Bis zum Frühling (Rowohlt, 2022).
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextIn Anaïs' Leben läuft nichts rund. Ihr Freund hat sie verlassen, den Job hat sie verloren. Eigentlich hält Anaïs nichts mehr auf dieser Welt. Sie reist nach Limoges, angeblich ein guter Ort zum Sterben, und findet dort Unterkunft bei einer älteren Italienerin: Tiziana Conti bietet ihr an, in ihrem Palazzo zu wohnen, wenn sie dafür für sie kocht. Anaïs stimmt zu. Sie lernt Tizianas Freundinnen kennen und wird Teil einer großen Familie. Kann es sein, dass das Leben Schöneres für sie bereithält als bisher angenommen? Sie beginnt, sich selbst zu mögen. Nur als der Sohn von Tizianas bester Freundin auf den Plan tritt, ist Anaïs nicht begeistert. Aber der lässt sich davon nicht abschrecken.

Pauline Harmange ist Autorin, Schauspielerin und Feministin. Nach der Publikation ihres Essays Ich hasse Männer (Rowohlt, 2020), der international für Aufsehen sorgte, schrieb sie ihren ersten Roman Bis zum Frühling (Rowohlt, 2022).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644011670
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum13.09.2022
Auflage1. Auflage
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse5536 Kbytes
Artikel-Nr.8454252
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Das Tattoo

(vorher)

Ich fuhr in einem klapprigen Clio mit einem klapprigen alten Paar, das sich auf den Weg an die Loire gemacht hatte, um einige Dinge wieder in Ordnung zu bringen, vielleicht auch nur, um der Karosserie eine neue Lackschicht zu verpassen. Ich musste Bruchstücke aus meinem Leben mit ihnen teilen, aber vor allem teilten sie welche aus ihrem Leben mit mir. Nach fünfzig Kilometern hatten sie die Tragweite des Problems erkannt: Ich rede nicht gern.

Als ich in Tours ankam, schien die Sonne. Es war Sommer, ein sich unverschämt einschmeichelnder Sommer. Mir war zu warm, und ich schwitzte am ganzen Körper - wegen der hohen Temperaturen und der in mir aufsteigenden Angst, die mich jeden Moment zu überwältigen drohte. Das alte Paar hatte mich, schonungslos liebenswürdig, wie es war, direkt vor dem Studio abgesetzt, das sich, zehn Minuten von der Loire und vom Stadtzentrum entfernt, dezent in einer Gasse mit Kopfsteinpflaster versteckte. Ein prächtiger Baum blühte dort, aber kein Schwein war zu sehen - ein Mensch übrigens auch nicht. Ich wartete. Wie verhielt man sich in so einer Situation? Sollte ich reingehen und sagen, dass ich schon da war? Doch ich blieb wie bestellt und nicht abgeholt nervös draußen stehen, bis irgendwann die Glocke im nahe gelegenen Kirchturm läutete. Am liebsten wäre ich auf der Stelle weggerannt. Um mich in der Loire zu ertränken. Doch es war zu spät, es gab kein Zurück mehr.

Ich betrat das Studio, in dem drei Bartträger an Architektentischen zeichneten. Meine verhuschte Gestalt und mein verlorener Blick schienen sie nicht zu überraschen.

«Ich suche Yvain ...»

Meine Stimme klang falsch, was außer mir aber niemand merkte. Einer von ihnen deutete in Richtung Treppe, die spiralförmig so steil in die Tiefe führte, dass meine Mutter mir verboten hätte, sie zu benutzen. Doch ich war nicht bis nach Tours gefahren, um mich von der schrillen halluzinatorischen Stimme meiner Mutter tyrannisieren zu lassen.

 

Der Tätowierer erwartete mich bereits. Er lächelte und sah ziemlich gut aus, wie ich fand. Genau mein Typ würde ich ihn später meiner Schwester gegenüber beschreiben. Er hatte dunkles Haar, und wenn er lächelte, bildete sich auf seiner linken Wange ein Grübchen. Er lächelte viel.

«Ich warte auf Anaïs, bist du das?»

Mit einem kurzen, aber kontrollierten Kopfnicken bestätigte ich: Ja, ich bin Anaïs.

Yvain gefiel mir auf Anhieb. Lange hatte ich mit mir gerungen, ob ich mich wirklich über mehrere Stunden mit einem Unbekannten in einem Keller aufhalten wollte, in dem es bestimmt keinen Netzempfang gab, aber als ich vor ihm stand, war ich plötzlich ganz ruhig. Es ging mir gut.

Die Schablone war fertig. Als der Tätowierer sie mir seitlich auf die Rippen legte, stellte sich jedes einzelne Haar an meinem Körper auf. Er zog das Papier ab und die violetten Umrisse der Daphne hoben sich von meiner milchigen Haut ab, ich erschauderte. So eine war ich also? Oder könnte ich sein, wenn ich es mir erlaubte? Mir fiel es schwer, daran zu glauben. Insgeheim flehte ich Yvain an, endlich anzufangen. Ich war entschlossen, mich zu verwandeln.

Der Wunsch nach einem Tattoo hat etwas Masochistisches, leicht Wahnsinniges. Ich wusste genau, dass es tierisch wehtun würde. Ich wusste auch, dass ich den Schmerz klaglos ertragen würde. Der Grund für diese Wette mit mir selbst war der hauchfeine, aber hartnäckige Wille, ihn, den Schmerz, zu kontrollieren. Denn meinem Körper geht es alles andere als gut, ihn plagen alle möglichen Beschwerden, von denen ich natürlich keine zu kontrollieren imstande bin - selbst meine Ohren wurden in einem so zarten Alter durchstochen, dass es nicht freiwillig geschehen sein konnte. Eine bleierne Müdigkeit, verbunden mit einer unterschwelligen Wut, hatte mich, eine junge Frau von untadeligem Ruf, dazu gebracht, mich nun bewusst den mit einem Tattoo verbundenen Schmerzen auszusetzen.

Sobald ich mit sorgfältig ausgewählter Musik recht bequem lag, schloss ich die Augen und erwartete ihn. Das Tätowiergerät fing dumpf an zu brummen. Als Yvains Hände, über die er schwarze Handschuhe gestreift hatte, meine Haut berührten, musste ich mich beherrschen, nicht zusammenzuzucken, ehe mich der samtige Jazz aus den im Gebälk verborgenen Boxen in einen Trancezustand versetzte. Jenseits von Zeit und Raum trieb ich dahin, in diesem Moment und in den folgenden Stunden war ich zu einem unvollkommenen Marmorblock geworden, in den ein Schicksal eingemeißelt wurde, das nicht mehr mein eigenes war.

Unter meinen geschlossenen Lidern sah ich das Gesicht des Tätowierers mit dem Grübchenlächeln vor mir, während sich seine nach Gelegenheitsraucher klingende, tiefe und ein wenig raue Stimme in meinem Ohr mit Chet Bakers Trompete vermischte.

Seine Berührungen waren sanft. Wie er wohl als Liebhaber war? Eine dumme Frage, wenn es so etwas gibt, aber frei von jeglichem Verlangen. Eigentlich war es reine Neugier, die sich im Wesentlichen aufs Körperliche bezog, immerhin drückte er gerade die gespannte Haut meines Brustkorbs zusammen, und zwar so feinfühlig, wie man es Männern und ihrer Männlichkeit nur selten zuschreibt. Wenn er mit einer Fremden so achtsam umging, wie behandelte er dann erst eine Frau, die er liebte? Ich dachte an die wenigen Männer, deren Hände mich berührt hatten, an die eisige Kälte, die meine Haut hatte blau werden lassen, an meine abgekauten Nägel. Die Hände des Tätowierers ritzten unter den Panzer, der meinen Körper umgab, Fragmente der Ewigkeit, mit meinen Schwächen verziert. Einen Moment lang stand ich schwankend am Rande des Abgrunds, als mir klar wurde, dass die Tätowierung mein Bewusstsein überleben wird. Wenn ich zum allerletzten Mal die Augen schließe, wird die Daphne, die Yvain dicht über meinen Knochen einfräste, für immer weiter in die Ferne blicken.

 

Die Geschichte der Daphne ist tragisch und steht für die antike Faszination der erzwungenen Liebe. Eros, Gott der Kupplerinnen und der Liebe auf den ersten Blick, schießt mit einem Pfeil auf Apollon, den man sich gemeinhin nicht gerade hässlich und klumpfüßig vorstellt, worauf sich dieser Hals über Kopf in Daphne verliebt. Was zur göttlichsten aller romantischen Komödien hätte werden können, nimmt schnell eine bittere Wendung, da Eros nicht auf Spaß, sondern auf Rache aus war. Daphne trifft er ebenfalls mit einem Pfeil, was in ihrem Fall bewirkt, dass sie sich für immer von der Liebe abwendet. Apollon, dem es wie jedem Gott und vielleicht jedem Mann schwerfällt, ein Nein zu akzeptieren, bedrängt sie stürmisch. Erschöpft von der Flucht über Berg und Tal, um ihrem Stalker zu entkommen, bittet Daphne ihren Vater um Hilfe. Der Kerl hätte alle Möglichkeiten gehabt - kaum etwas kann ihn aufhalten, schließlich ist er selbst ein Gott -, doch er beschließt, seine eigene Tochter in einen Baum zu verwandeln. In einen Lorbeerbaum, damit sie stets einen angenehmen Duft verströmt. Man könnte meinen, die bis hierhin schon wenig erfreuliche Geschichte würde damit enden. Jedes normal entwickelte und wohlerzogene Wesen würde seine Eroberungsversuche einstellen, sobald sich das Objekt der Begierde in grünes Laubwerk verwandelt hätte. Nicht so Apollon. Als guter griechischer Gott beschließt er angesichts des monumentalen Neins der wurzelschlagenden Daphne, den Lorbeer zu seinem Lieblingsbaum und zum Symbol des Triumphs zu machen. Des Triumphs. Ein besseres Schnippchen kann man niemandem schlagen.

Liebesgeschichten und deren Ausgang faszinieren mich. Geschichten von Frauen, die Nein sagten und daraufhin zu hören kriegten, «deine Meinung zählt nicht», machen mich wütend und regen mich auf. Als ich auf die Zeichnung und die dazugehörige Geschichte stieß, musste ich an all die Mythen denken, in denen Frauen vorkommen, die verscherbelt, verschoben, verschleppt und verfolgt werden, und sagte mir - Drama im Drama -, dieser Mythos steht den anderen in nichts nach und soll zu meinem werden.

Während ich in meine inneren Gespräche vertieft war, verwandelte Yvain meinen Körper. Halten sich Tätowierer eigentlich für Pygmalions? Mir würde es zu Kopf steigen, wenn die Leute vor meiner Tür Schlange stünden, weil sie meine Werke auf ihren Körpern tragen wollen. Mein Tätowierer (ein wenig ist er in dem Moment zu meinem geworden, in dem ich bereitwillig vor ihm meine Kleidung abgelegt habe) macht eigentlich einen recht bodenständigen Eindruck.

Nach einer Weile waren wir uns einig, dass Zeit für eine Pause war. Er bot mir Kaffee an und war so nett, nicht zum Rauchen rauszugehen, sodass ich nicht einsam und fröstelnd in dem Kellerraum mit der niedrigen Decke zurückbleiben musste. Ich war müde, und auch unter seinen dunklen Augen hatten sich violette Ringe gebildet. Ich weiß nicht mehr, worüber wir redeten, aber sehr wohl noch, dass ich überrascht war, wie leicht es mir fiel, mich mit ihm zu unterhalten - mir, die ich sonst immer herumstammele, die sich verhaspelt und zu lange nach den richtigen Worten sucht. Unser Verhältnis war von einer ergreifenden Schlichtheit - flüchtig und unvergänglich zugleich. Die ohne Handschuhe eleganten und kräftigen Hände des Tätowierers umfassten die Kaffeetasse wie eine Boje. Ich stellte mir vor, wie er nachts um Schlaf kämpfte. Er kaute nicht an den Nägeln. Sie waren sorgfältig sehr kurz gefeilt, und die Glieder seiner Finger waren mit unzähligen Kreisen aus Tinte ohne erkennbares Muster beringt. Von unserem Gespräch blieb mir nichts Greifbares im Gedächtnis, kein längerer Dialog, den ich mir im...
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Autor

Pauline Harmange ist Autorin, Schauspielerin und Feministin. Nach der Publikation ihres Essays Ich hasse Männer (Rowohlt, 2020), der international für Aufsehen sorgte, schrieb sie ihren ersten Roman Bis zum Frühling (Rowohlt, 2022). Anja Malich studierte Literaturübersetzen in Düsseldorf. Nach Stationen in der Verlags- und Werbebranche übersetzt sie seit mittlerweile fast 20 Jahren Bücher aus dem Englischen und Französischen. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien.