Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Das unheimliche Element

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
240 Seiten
Deutsch
oekom verlagerschienen am11.04.2023
Mit der Einstufung der Atomenergie als »nachhaltig« seitens der EU rückt ein Element in den Mittelpunkt aktueller Debatten: Uran. Einige träumen immer noch davon, mit dem strahlenden »Wunderstoff« über die Lösung aller Energieprobleme zu verfügen, doch Uran steht eben auch für Tschernobyl, die Vertreibung indigener Völker und aufgrund der ungelösten Endlagerfrage für eine Kultur der Zukunftsvergessenheit. Der neue Band aus der Reihe Stoffgeschichten lädt auf eine faszinierende Reise durch die Zeit- und Wissenschaftsgeschichte ein - und führt uns in so manchen Abgrund unseres Menschseins.

Horst Hamm arbeitet als Umweltjournalist mit den Schwerpunkten Atomkraft und Erneuerbare Energien. Er ist Initiator und Projektleiter des Magazins MehrWert, geschäftsführender Vorstand der Nuclear Free Future Foundation und Autor verschiedener Publikationen, zuletzt des »Uranatlas« (2022). Lange Jahre war er als Redakteur bei der Zeitschrift natur tätig.
mehr
Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR22,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR17,99
E-BookPDF0 - No protectionE-Book
EUR17,99

Produkt

KlappentextMit der Einstufung der Atomenergie als »nachhaltig« seitens der EU rückt ein Element in den Mittelpunkt aktueller Debatten: Uran. Einige träumen immer noch davon, mit dem strahlenden »Wunderstoff« über die Lösung aller Energieprobleme zu verfügen, doch Uran steht eben auch für Tschernobyl, die Vertreibung indigener Völker und aufgrund der ungelösten Endlagerfrage für eine Kultur der Zukunftsvergessenheit. Der neue Band aus der Reihe Stoffgeschichten lädt auf eine faszinierende Reise durch die Zeit- und Wissenschaftsgeschichte ein - und führt uns in so manchen Abgrund unseres Menschseins.

Horst Hamm arbeitet als Umweltjournalist mit den Schwerpunkten Atomkraft und Erneuerbare Energien. Er ist Initiator und Projektleiter des Magazins MehrWert, geschäftsführender Vorstand der Nuclear Free Future Foundation und Autor verschiedener Publikationen, zuletzt des »Uranatlas« (2022). Lange Jahre war er als Redakteur bei der Zeitschrift natur tätig.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783987262104
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum11.04.2023
Reihen-Nr.15
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.11343171
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



KAPITEL 1

Die Entdeckung des Urans

Die Entdeckung des Rohstoffs Uran geschah zufällig - durch den Abbau eines anderen Elements. Silber war über Jahrhunderte ein Schatz, der im Mittelalter in verschiedenen Regionen Europas zu Wohlstand und Entwicklung führte. »Silberrausch und Berggeschrey« löste auch im östlichen Erzgebirge eine Silberader aus, die Kaufleute 1168 bei Christiansdorf in der Nähe des heutigen Freiberg in Mittelsachsen entdeckt hatten. Mit der industriellen Entwicklung kamen ab 1600 weitere Metalle hinzu, die dem Erzgebirge über Jahrhunderte den Bestand als Bergbauregion sicherten, wenn Silberadern ausgeschöpft waren: Wismut, Zinn, Kupfer und Eisen.

Immer wieder stießen die Bergleute auf grünlich-schwarze bis schwarz schimmernde Gesteinsschichten. Mitunter wiesen sie einen fettigen Glanz auf, meistens wirkten sie ziemlich matt. Und gleichgültig, ob sie in Nierenform daherkamen oder als würfelförmige oder auch oktaedrische Kristalle: In jedem Fall waren sie nicht sehr beliebt, denn sie signalisierten das Ende einer wertvollen Erzader. Die Kumpels nannten das Gestein »Pechblende« und verwiesen damit auf die pechartige Farbe des Minerals. Man könnte auch schlicht sagen: »Pech gehabt, Männer! Sucht gefälligst woanders weiter.« Schluss, Aus und Ende der gewinnbringenden Förderung. Was damals niemand wusste: Pechblende enthält das heute sehr wertvolle Element Uran, weshalb das Gestein später auch unter dem Namen Uraninit bekannt wurde.

Pechblende kann heutzutage beispielsweise im Mineralogischen Museum der Universität Bonn besichtigt werden: Unter der Inventarnummer 40.326 ist ein faustgroßer und grau-schwarzer Mineralienbrocken ausgestellt, der von roten Dolomit-Adern durchzogen ist. Nicht offen und zum Anfassen, sondern in einer Vitrine aus Bleikristallglas, die die schwache Strahlung abschirmen soll, die von allen uranhaltigen Mineralien ausgeht.1 Das Exponat stammt aus Jáchymov, dem ehemals böhmischen St. Joachimsthal, in dem die erste europäische Uranmine entstand. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass dieses eher unscheinbare Stück Erz auch den Beginn des Uranbergbaus markiert.

Die etwa 2,30 Meter hohe und einen Meter breite Uran-Vitrine enthält noch etliche andere Stücke, die Fachleute und Laien gleichermaßen in Staunen versetzen. Da sind gleich drei uranhaltige Gesteinsbrocken aus der Shinkolobwe-Mine ausgestellt (siehe Abschnitt »Der Kongo - ein gigantisches Zwangsarbeiterlager«). Unter anderem in jener Mine, die seit Anfang der 1900er-Jahre bis 1960 unter belgischer Kolonialherrschaft stand, wurde Uran für die erste Atombombe der USA abgebaut.

»Wir haben gerade zum Thema Uran aber auch einige ganz besondere Stücke zu bieten«, betont Museumsleiterin Anne Zacke voller Stolz, als sie mich durch die Museumsräume führt und auf einen Fulgurit aufmerksam macht, ein sogenanntes »Blitzröhrchen«, das ich ohne den direkten Hinweis kaum eines Blickes gewürdigt hätte. Fulgurite - von Lateinisch fulgur, Blitz - entstehen vor allem durch Blitzeinschläge oder große Energieentladungen in Gestein oder Sand und bilden sich in Bruchteilen einer Sekunde. Das Exponat in der Vitrine gehört wahrscheinlich zu einer Vielzahl kleiner Fulgurite, die am 16. Juli 1945 entstanden sind, als die USA bei Alamogordo in der Wüste New Mexicos ihre erste Atombombe zündeten. Das aus einem Fingerhut voller Sand geformte Kieselglas in der Vitrine mit Uranexponaten trägt damit den Beginn des atomaren Schreckens in sich.

Direkt neben der Vitrine mit dem Fulgurit und nicht zu übersehen ist ein Uranwürfel mit einer Seitenlänge von etwa fünf Zentimetern ausgestellt. Das Exponat an sich ist zwar auch nicht besonders auffällig. Allerdings ist es in einem eigenen Panzerschrank ausgestellt, der vorne - vergleichbar einer modernen Eingangstür - eine eingelassene Glasscheibe hat. »Kritische Stücke« besagt dann auch noch sein Titel. Die Erklärung offenbart seine Bedeutung: Der unscheinbare Kubus ist einer von ehemals 664 Würfeln, die im Rahmen des Uranprojekts zur Atomforschung und möglichen Entwicklung einer deutschen Atombombe von der sogenannten »Urangruppe« um Werner Heisenberg am Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin-Dahlem während des Zweiten Weltkriegs genutzt wurden. Die dortige Anlage wurde aufgrund der ständigen Bombardierungen und des Vorrückens der Roten Armee 1944/45 nach Süddeutschland verlagert und unter einem Bierkeller in der Nähe der Schlosskirche in Haigerloch, 25 Kilometer südwestlich von Tübingen, wieder aufgebaut. Anfang März 1945 lief der letzte Großversuch, ohne dass die Urangruppe damit einen »kritischen Zustand« erreicht hätte. Vor Kriegsende versteckten die NS-Wissenschaftler*innen die noch verbliebenen Uranwürfel und das schwere Wasser, das sie für ihre Forschung benötigten. »Eine amerikanische Geheimdienstmission, die seit 1943 und bis Oktober 1945 klären sollte, wie weit Nazi-Deutschland mit seiner Kernforschung vorangekommen war, entdeckte den Keller schließlich und fand auch die verbliebenen Würfel«, weiß Museumsleiterin Zacke. »Die Wissenschaftliche Abteilung der Militärverwaltung in Koblenz hat dem Museum 1954 den Würfel übergeben, der jetzt bei uns ausgestellt ist.« Er ist einer von fünf Würfeln, die es heute noch gibt und die beispielhaft dafür stehen, dass Nazi-Deutschland kurz vor Kriegsende um Jahre hinter der US-amerikanischen Atombombenentwicklung zurückstand und noch lange keine Atombomben hätte bauen können (siehe Kapitel 2).

Zurück ins ausgehende Mittelalter. Damals waren Erzadern mit Pechblende, von der wir heute wissen, dass es sich um eine uranhaltige Schicht handelt, wertlos. Wie hätten die Bergleute auch ahnen können, dass Jahrhunderte später genau an denselben Orten Geolog*innen und Ingenieur*innen alles tun würden, um auch noch den letzten Rest Uran aus dem Boden zu holen? Entsprechend den mittelalterlichen Lehren ging man damals noch davon aus, dass die Welt ausschließlich aus den vier Elementen Erde, Wasser, Luft und Feuer bestand.

Das änderte sich erst mit der Entdeckung der chemischen Elemente. Hennig Brand machte 1669 mit Phosphor den Anfang. Der Hamburger übte sich in verschiedenen Berufen - als Soldat, Apotheker und schließlich Chemiker. Der alchemistischen Lehre folgend suchte er, wie viele seiner Zeit, den Stein der Weisen: Er hoffte, einen Weg zu finden, um aus unedlen Metallen edle zu machen, vor allem Gold. Eher durch Zufall entdeckte er dabei Phosphor.2 Wie Uran ist auch Phosphor ein Element, das gleichermaßen Leben und Tod bringen kann. Als Bestandteil von Pestiziden oder Brandbomben wirkt das Element tödlich, als essenzieller Nährstoff versorgt es alle Lebewesen mit Energie.3
Martin Heinrich Klaproth entdeckt Uran

1789, über hundert Jahre später, isolierte Martin Heinrich Klaproth aus dem dunklen Mineralgestein Pechblende erstmals das Element Uran. Das allerdings war kein Zufall. Klaproth hatte zwar nie studiert und kam aus ärmlichen Verhältnissen. Aber mit etwas Glück und der Heirat einer Frau, die aus einer vermögenden Familie stammte, konnte er seinen Wissensdurst befriedigen und sich selbst viel Wissen aneignen. » Martin Heinrich Klaproth [...] ist ein sprechender Beweis, wieviel ein kräftiger Geist durch ruhige, aber gewissenhafte und beharrliche Thätigkeit einem Geschicke abgewinnen kann, was ihn zur Mittelmäßigkeit oder Niedrigkeit bestimmt zu haben schien «, fasste sein Zeitgenosse, der Chemiker und Mathematiker Ernst Gottfried Fischer (1754-1831), Klaproths Leben in einer Denkschrift der Berliner Akademie der Wissenschaften zusammen.4 Überspitzt könnte man sagen, dass Klaproth ein lebendes Exemplar des Doktor Faust ist, den Johann Wolfgang von Goethe in seinem großartigen Drama als Kunstfigur mit einem nicht enden wollenden Wissensdrang unsterblich gemacht hat: »Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen«, stellt der Chor der Engel letztendlich fest, ehe er dem unendlich Suchenden ein Leben in höheren Sphären verheißt.5

Martin Heinrich Klaproth hatte einen vergleichbaren Wissensdurst. Er lernte zunächst das Apothekerhandwerk und die Grundlagen der Chemie als Lehrling in Quedlinburg und arbeitete als Apothekergehilfe in Hannover, Berlin und Danzig, ehe er 1780 mit dem Geld seiner Frau die Löwen-Apotheke im heutigen Nikolai-Viertel in Berlin kaufte.6 Die Selbstständigkeit erlaubte es ihm, wann immer er wollte seinem Entdeckerdrang nachzugehen. Und der war groß.

Bereits 1788 war Klaproth, der nicht eine Vorlesung an einer Universität besucht hatte, Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Berlin geworden. Damit verbunden war eine Professur für Chemie an der Berliner Artillerieschule. 1789 gelang es ihm, aus Pechblende, das als Abfallprodukt aus der Erzgrube Georg Wagsforth bei Johanngeorgenstadt im Erzgebirge stammte, Uran zu isolieren. Er führte dazu etliche Versuche mit Salzlösungen, Essig- und Schwefelsäure durch, stellte nebenbei zitronengelbe Salze her und machte die Entdeckung, dass Uran »der Phosphorsalzperle bei der Verglasung eine grüne Färbung verleiht«.7 Diese Beobachtung führte später dazu, dass Glasmanufakturen Farben aus Uran herstellten und Uran somit erstmals genutzt wurde.

Klaproth stellte auch fest, dass das Material, das er aus der Pechblende isoliert hatte, »was auch immer es war, mit Blei vergesellschaftet war. Als er die Lösung erhitzte, entstand eine Art gelbes Kristall, das der Apotheker noch nie gesehen hatte. Klaproth fügte Wachs und ein wenig Öl hinzu, um einen schweren, grauen Rückstand zu isolieren.« Er betrachtete das neue Element als eine seltsame Art von...

mehr