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In ewiger Nacht

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
452 Seiten
Deutsch
Aufbau Verlage GmbHerschienen am30.03.20122. Auflage
Olga ist Ärztin in einer psychiatrischen Klinik, sie ist verheiratet und hat zwölfjährige Zwillinge. Seit kurzem betreut sie einen Patienten, der sein Gedächtnis verloren zu haben scheint. Doch Olga nimmt ihm das nicht ab. Was er ihr erzählt, erinnert sie an einen Mann, der im Internet obszöne Erzählungen und Kinderpornographie verbreitet. Nie wieder wollte Olga mit solchen Dingen zu tun haben. Vor anderthalb Jahren waren sie und ihre Kollegen kläglich daran gescheitert, einen Serienmörder zur Strecke zu bringen. Der Misserfolg hatte sie noch lange seelisch belastet. Doch als im Fernsehen vom Tod der fünfzehnjährigen Shenja berichtet wird und alles so sehr der Mordserie von damals ähnelt, kann sie nicht anders, als sich wieder einzumischen, auch wenn sie dabei mit ihrer Jugendliebe zusammenarbeiten muss ...



Polina Daschkowa, geboren 1960, wird auch gerne als Königin des russischen Krimis bezeichnet. Sie studierte am Gorki-Literaturinstitut in Moskau und arbeitete als Dolmetscherin und Übersetzerin, bevor sie zur beliebtesten russischen Krimiautorin avancierte. Sie lebt in Moskau.
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Produkt

KlappentextOlga ist Ärztin in einer psychiatrischen Klinik, sie ist verheiratet und hat zwölfjährige Zwillinge. Seit kurzem betreut sie einen Patienten, der sein Gedächtnis verloren zu haben scheint. Doch Olga nimmt ihm das nicht ab. Was er ihr erzählt, erinnert sie an einen Mann, der im Internet obszöne Erzählungen und Kinderpornographie verbreitet. Nie wieder wollte Olga mit solchen Dingen zu tun haben. Vor anderthalb Jahren waren sie und ihre Kollegen kläglich daran gescheitert, einen Serienmörder zur Strecke zu bringen. Der Misserfolg hatte sie noch lange seelisch belastet. Doch als im Fernsehen vom Tod der fünfzehnjährigen Shenja berichtet wird und alles so sehr der Mordserie von damals ähnelt, kann sie nicht anders, als sich wieder einzumischen, auch wenn sie dabei mit ihrer Jugendliebe zusammenarbeiten muss ...



Polina Daschkowa, geboren 1960, wird auch gerne als Königin des russischen Krimis bezeichnet. Sie studierte am Gorki-Literaturinstitut in Moskau und arbeitete als Dolmetscherin und Übersetzerin, bevor sie zur beliebtesten russischen Krimiautorin avancierte. Sie lebt in Moskau.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783841202987
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum30.03.2012
Auflage2. Auflage
Seiten452 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2308 Kbytes
Artikel-Nr.1097285
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Erstes Kapitel

»Sie wären gern ein kleines Mädchen, Sie möchten, dass jemand Ihnen über den Kopf streicht, die Decke zurechtzupft und Ihnen ein Märchen vorliest, ein schön gruseliges. Mochten Sie als Kind Gruselmärchen? Erinnern Sie sich an die Geschichten vom roten Klavier im Pionierferienlager, nachts im dunklen Schlafraum? Aus dem Klavier kam eine Totenhand und erwürgte erst den Großvater, dann die Großmutter, dann die Mutter und den Vater. Und zum Schluss die Tochter. Ihnen stockte das Herz in Erwartung der eiskalten Hand, die nach der Kehle griff. Lange Finger, geschmeidig wie Würmer. He, Frau Doktor, warum sagen Sie nichts?«

Doktor Olga Filippowa ging durch eine menschenleere dunkle Gasse, und in ihrem Kopf klang der heisere Bariton nach. Sie redete sich ein, dass sie sich dieses Gespräch mit einem Patienten absichtlich in Erinnerung rief. Er war nur ein Patient, mehr nicht. Einer von Hunderten Unglücklichen, die sie in den letzten fünfzehn Jahren behandelt hatte.

»Die Psychiatrie kann nicht heilen, das wissen Sie doch. Sie kann höchstens aus einem Menschen ein Tier machen und aus dem Tier eine Pflanze. Sie müssen mich nicht mit giftigen Psychopharmaka abfüllen. Ich werde nicht toben, Pionierehrenwort. Übrigens - Sie waren doch bestimmt auch Pionier, oder? Haben jeden Morgen das Halstuch gebügelt, Sie erinnern sich noch an den Geruch des heißen nassen Stoffs, der unterm Bügeleisen zischt, und an die nervtötende Stimme im Radio: Guten Morgen, Kinder! Hier ist euer Pionierfunk! «

Olga schlug die Kapuze ihrer Pelzjacke hoch und verbarg ihr Gesicht im hohen Kragen ihres Pullovers. Noch vor ein paar Tagen war die Sonne warm gewesen, morgens hatten die Vögel gesungen, die Knospen waren prall, und man hatte glauben können, dass der Winter nun endlich vorbei sei. Statt der ewigen Winterjacke ein leichter heller Mantel, statt des dicken Schals ein Seidentuch. Doch dann war ein Gewitter gekommen, und eine schwarze Wolke hatte eiskalte Hagelkörner über der Stadt ausgeschüttet. Am Abend hatte es aufgeklart und Frost gegeben. Zurück in die schwere Jacke und den Pullover.

Aprilfröste haben etwas von Verrat. Zumindest empfand Olga es so. Vorgestern hatte sie ihren alten Shiguli in die Werkstatt gebracht, und nun musste sie zu Fuß von der Metro nach Hause laufen, denn die hundertfünfzig Rubel für ein Taxi konnte sie sich nicht leisten.

Der Wind blies ihr die Kapuze vom Kopf, sie musste sie festhalten. Sie war ohne Mütze und Handschuhe aus dem Haus gegangen, ihre Hände waren eiskalt, die Finger ganz steif.

Ringsum war keine Menschenseele. Mitten in Moskau, kurz nach Mitternacht. Der arktische Zyklon hatte alle nach Hause getrieben, selbst die Obdachlosen, die Hundebesitzer und die jungen Leute, die sonst den Boulevard bevölkerten. Olga lief schneller, sie rannte fast. Die hohen Absätze ihrer Stiefel klapperten hell auf dem sauberen Asphalt. Eis und Matsch waren von den warmen Märzregen schon weggewaschen worden, darum hatte Olga die neuen weißen Schnürstiefel mit den hohen Absätzen und den modischen runden Kappen angezogen.

»Sind Sie als Kind Schlittschuh gelaufen? Ihre Stiefel sehen danach aus. Konnten Sie eine Waage? Und eine Schwalbe? Wie hoch konnten Sie das Bein schwingen? Ach, wissen Sie, zu weißen Schuhen gehört eigentlich eine weiße Tasche. Und möglichst helle Strumpfhosen. Zwei Töne heller als die, die Sie jetzt tragen, und fast durchsichtig. Sie haben übrigens schöne Beine. Hat Ihnen das schon mal jemand gesagt? Sie sollten kurze Röcke tragen. Sie meinen, dafür seien Sie zu alt? Sie irren sich. Sie sehen viel jünger aus und gar nicht wie eine Frau Doktor. Soll ich Ihnen sagen, wie Sie aussehen?«

Olga bog in einen Hof ein. Sie sollte lieber nicht den Weg an den Abrisshäusern vorbei nehmen, doch er war nun mal um hundert Meter kürzer. Der erste eigene Gedanke, der durch den Strom des fremden Monologs drang, war der an ein heißes Bad.

Die Badewanne war der einzige Ort, wo Olga allein sein konnte. Ihre Familie, sie, ihr Mann und zwei Kinder, hauste in einer engen Zweizimmerwohnung. Die Kinder gingen spät schlafen, ihr Mann noch später. Sie standen alle früh auf, trotzdem war der Tag immer zu kurz. Wenn Olga von der Arbeit kam, stürmten alle mit dringenden Anliegen auf sie ein.

Ihr Mann Alexander, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Handschriftenabteilung eines Forschungsinstituts für die Kunst des Altertums, schilderte seiner Frau allabendlich ausführlich seinen Tag. Das hatte sich auch auf die Kinder vererbt, die zwölfjährigen Zwillinge Andrej und Katja. Die beiden redeten meist gleichzeitig. Sie gingen in dieselbe Klasse und reagierten auf ein und dieselben Ereignisse ganz entgegengesetzt. Was Katja schrecklich fand, reizte Andrej zu schallendem Gelächter.

»Sie sehen aus wie ein kleines Mädchen, das sich Lidschatten angemalt hat und ein strenges Gesicht macht, damit man sie in einen Erwachsenenladen reinlässt. In einen Sexshop. Oder in einen Nachtklub mit Männerstriptease. Aber Sie sind eine ehrbare Mutter und Ehefrau. So etwas würden Sie sich nie erlauben. Geben Sie zu, Sie haben ihre Ehrbarkeit schon lange satt. Dieser Gedanke beschämt Sie und macht Ihnen Angst. Sie fürchten sich vor sich selbst. Übrigens leiden Ärzte laut Statistik am häufigsten unter den Krankheiten, die sie selbst zu heilen versuchen. Onkologen haben Krebs, Psychiater werden verrückt. Woran mögen wohl männliche Gynäkologen leiden? Oh, ich weiß! Sie werden entweder impotent oder sexuelle Psychopathen. Wobei das eine das andere nicht ausschließt.«

Olga erinnerte sich plötzlich genau, dass sie an dieser Stelle dachte: Unter der Gürtellinie. Sie war sich fast sicher gewesen, dass sein Monolog früher oder später in diese Richtung abgleiten würde - Gynäkologie, Impotenz, sexuelle Psychopathen. Sie wusste noch nichts über diesen neuen Patienten, argwöhnte aber bereits nach den ersten zehn Minuten Gespräch, dass er nicht der war, für den er sich ausgab. Er litt keineswegs unter Amnesie, und die reaktive Psychose, mit der man ihn in die Klinik eingeliefert hatte, war gekonnt simuliert.

»Ich weiß absolut nichts über mich, die Fragen können Sie sich sparen«, erklärte er. »Auf mich stürmen eine Menge Gedanken ein, aber die haben nichts mit mir zu tun. Ich denke an Sie, Frau Doktor. Darüber kann ich mit Ihnen reden, wenn Sie wollen.«

Im Durchgangshof brannte keine einzige Lampe. Im schmalen Torbogen des alten Hauses war ein einziges Fenster. Durch dicke Schmutzschichten drang Licht, so schwach, dass der Schein nicht einmal bis zur gegenüberliegenden Wand reichte. Olga wusste, dass hinter diesem Fenster ein kleines Zimmer lag, das nichts enthielt als stinkende Matratzen und einen zerschrammten Hocker. Auf dem Boden lagen Lumpen und Zeitungspapier herum. Auf den Matratzen schliefen unter Lumpen zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen. Der Junge mochte etwa vier sein, das Mädchen höchstens zwei. Sie hatten eine Mutter, die Väter wechselten jeden Monat.

Letztes Jahr, im Frühherbst, war Olga ebenso wie jetzt nach Mitternacht auf dem Heimweg von der Arbeit gewesen, als sie im Torbogen von einer Kinderstimme angesprochen wurde.

»Tante, bring uns bitte nach Hause.«

Sie hatte die beiden, die auf dem nackten Asphalt an der Wand saßen, nicht gleich erkennen können und darum ihr Feuerzeug aus der Tasche geholt und angezündet.

»Auf der Treppe ist es dunkel, wir haben Angst.«

Gesprochen hatte der Junge. Das Mädchen war so klein, dass Olga fast staunte, dass es schon allein laufen konnte.

»Mama ist da drüben auf dem Hof mit den Onkeln, sie sind alle betrunken, aber wir wollen schlafen«, erklärte der Junge. »Wir wohnen hier, im dritten Stock.«

»Wie alt bist du?«, fragte Olga.

»Dreieinhalb. Ich heiße Petja. Und das ist Ljuda. Sie ist ein Jahr und vier Monate.«

»Soll ich euch nicht lieber zu eurer Mama bringen?«

Hinter dem Torbogen, in einem Winkel des schmutzigen Hofs, tönten betrunkene Stimmen und lautes Gelächter.

»Nein. Wir wollen schlafen.«

Der Junge umklammerte ihre Hand.

Zum ersten Mal betrat Olga den Hauseingang, den alle anständigen Mieter der umliegenden Häuser mieden. Gestank, Dunkelheit und Kälte. Das Gas in ihrem Feuerzeug ging zu Ende. Die Flamme zitterte und flackerte und taugte nicht zum Leuchten.

»Hier ist eine Stufe kaputt«, warnte Petja.

Olga hätte nicht sagen können, wer wen in die dritte Etage brachte.

»Wir sind da, Tante. Mach du Licht an, ich komme nicht an den Schalter.«

Olga warf einen Blick in die Küche: Fetzen von dreckstarrendem Wachstuch, verkrustete Schmutzschichten. Ein riesiger Plastiksack voller leerer Flaschen. Das Zimmer sah nicht viel besser aus. Ein roter Spielzeuglaster aus Plastik war der einzige normale Gegenstand in dieser Müllgrube.

Sie war gegangen, ohne sich noch einmal umzudrehen, war die Treppe hinuntergerannt, beinahe ohne die maroden Stufen zu berühren.

Ob das Haus wohl noch beheizt wird? Wie haben sie hier bloß den Winter überlebt?, dachte Olga mit einem Blick auf das einsame Fenster. Für einen Moment glaubte sie dort hinter der trüben Scheibe einen dunklen Schatten zu sehen. Sie spürte sogar einen Blick. Vielleicht schaute eins der Kinder aus dem Fenster?

Olga passierte im Laufschritt den Torbogen, schlüpfte in ihren vertrauten warmen Hauseingang und befahl sich: Vergessen! Vor allem den geschwätzigen neuen Patienten ohne Namen und Alter. Auch die Katze...
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Polina Daschkowa, geboren 1960, wird auch gerne als Königin des russischen Krimis bezeichnet. Sie studierte am Gorki-Literaturinstitut in Moskau und arbeitete als Dolmetscherin und Übersetzerin, bevor sie zur beliebtesten russischen Krimiautorin avancierte. Sie lebt in Moskau.