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Der Wald

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
528 Seiten
Deutsch
Piper Verlag GmbHerschienen am06.12.2012Auflage
Es gab eine Zeit, in der der Wald vom Atlantik bis zu den Karpaten unseren ganzen Kontinent bedeckte. Der Wald ist ein Mythos, ein Natur- und Kulturraum, der einzigartig ist, unermesslich sein Reichtum an Sagen und Geschichten. Kerstin ­Ekmans lebenslange Beschäftigung mit dem Wald mündet in diesem gewaltigen Werk: Sie ­erzählt darin von der jahrtausendealten Begegnung zwischen Mensch und Wald, schreibt von Waldgeistern, Volksmärchen, Räubern, Wölfen und Dichtern. Ihre Betrachtungen reichen vom Mittelalter bis heute, von der Urbarmachung über das Jagen bis zum Wirtschaftsraum Wald. Kerstin ­Ekman streift durch die Kiefernwälder ihrer nordschwedischen Heimat, erzählt von der Heilkraft der Nadelbäume und dem Reichtum von Flora und Fauna. Reich bebildert und mit zahlreichen Zitaten versehen, ist »Der Wald« ein eindrucks­volles Zeugnis einer Welt, die bald verschwunden sein wird.

Kerstin Ekman, 1933 in Risinge (Östergötland) geboren, zählt zu den wichtigsten schwedischen Autorinnen unserer Zeit. Ihr umfangreiches literarisches Werk ist vielfach preisgekrönt, es wurde verfilmt und in 28 Sprachen übersetzt. Mit Wolfslichter kehrt Ekman nach über zehn Jahren zur Romanform zurück. Das Buch stieg in Schweden mit Erscheinen auf Platz 1 der Bestsellerliste ein und wurde u.a. mit dem Norrlands litteraturpris 2022 sowie dem Kulturpreis der Stiftung Natur & Kultur 2023 ausgezeichnet. Am 27. August 2023 feiert Kerstin Ekman ihren 90. Geburtstag.
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Produkt

KlappentextEs gab eine Zeit, in der der Wald vom Atlantik bis zu den Karpaten unseren ganzen Kontinent bedeckte. Der Wald ist ein Mythos, ein Natur- und Kulturraum, der einzigartig ist, unermesslich sein Reichtum an Sagen und Geschichten. Kerstin ­Ekmans lebenslange Beschäftigung mit dem Wald mündet in diesem gewaltigen Werk: Sie ­erzählt darin von der jahrtausendealten Begegnung zwischen Mensch und Wald, schreibt von Waldgeistern, Volksmärchen, Räubern, Wölfen und Dichtern. Ihre Betrachtungen reichen vom Mittelalter bis heute, von der Urbarmachung über das Jagen bis zum Wirtschaftsraum Wald. Kerstin ­Ekman streift durch die Kiefernwälder ihrer nordschwedischen Heimat, erzählt von der Heilkraft der Nadelbäume und dem Reichtum von Flora und Fauna. Reich bebildert und mit zahlreichen Zitaten versehen, ist »Der Wald« ein eindrucks­volles Zeugnis einer Welt, die bald verschwunden sein wird.

Kerstin Ekman, 1933 in Risinge (Östergötland) geboren, zählt zu den wichtigsten schwedischen Autorinnen unserer Zeit. Ihr umfangreiches literarisches Werk ist vielfach preisgekrönt, es wurde verfilmt und in 28 Sprachen übersetzt. Mit Wolfslichter kehrt Ekman nach über zehn Jahren zur Romanform zurück. Das Buch stieg in Schweden mit Erscheinen auf Platz 1 der Bestsellerliste ein und wurde u.a. mit dem Norrlands litteraturpris 2022 sowie dem Kulturpreis der Stiftung Natur & Kultur 2023 ausgezeichnet. Am 27. August 2023 feiert Kerstin Ekman ihren 90. Geburtstag.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783492951623
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum06.12.2012
AuflageAuflage
Seiten528 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse30677 Kbytes
Artikel-Nr.1201049
Rubriken
Genre9201
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Inhalt/Kritik

Leseprobe

Das Dilemma

Ein Herr reitet durch den Wald. Es ist kalt, der Atem seines Pferdes dampft. Er ist vor dem Morgengrauen unterwegs, zu einer gefährlichen Tageszeit. Vielleicht summt er, um den Mut nicht zu verlieren. Die Lieder über jene, die Sonnenaufgang und Hahnenschrei retten, sind zahllos.

Auch die Jahreszeit ist gefährlich. Winter und Frühling halten sich die Waage. Die aus dem Gras aufsteigende Feuchtigkeit fällt als Reif zurück. Im Süden wird um diese Zeit das ausgehungerte Vieh auf die Weide gelassen. Laut stößt man Namen von Heiligen aus, um alles Böse fernzuhalten, man macht Krach und entzündet Feuer gegen die Kälte und die Raubtiere. Aber vielleicht vor allem, um die Mächte dort draußen im Dunkeln auf Abstand zu halten.

Er »reitet zu Berge«. Auf Berge hätte sich »Zwerge« besser gereimt als der Tanz der Elfen. Vielleicht hieß es ursprünglich auch so. Nebelgraue Wesen wechselten oft Gestalt und Namen. Sie konnten Trolle oder Zwerge oder Elfen heißen. Sie konnten ihre Nebelhaftigkeit zu einer einzigen Gestalt vereinen. Dann war es ein Bergkönig.

Angeblich steht die erste Beschreibung von Waldangst am Anfang von Dantes Die göttliche Komödie. Doch von der Angst »im schrecklichen Walde« wurde im Norden schon sehr lange gesungen. Möglicherweise sind diese Lieder sogar älter als die Schilderung in der Komödie vom Anfang des 14. Jahrhunderts.

In dem Lied steht nichts von Herrn Olofs Angst. Sie lauert zwischen den Repliken und hinter den Gebärden. Die Bewaffnung, die der Reiter im Wald in einer Variante des Liedes hatte, ist weggefallen. Gegen das Böse, das ihn dort draußen erwartet, hilft keine Waffe. Ebenso wenig helfen ihm Mut und Wille. Es ist hell, aber das Licht, das er sieht, ist nicht das Licht der Sonne, und es wird auch kein Hahn krähen. Das Lied über Herrn Olof hat nicht einmal genug Christentum für ein bisschen Sonnenaufgangsmagie.

Dantes Pilger verirrt sich in einem dunklen Wald und findet sich wieder in einem heiligen Wald, einem laubgrünen, frühlingshaften, duftenden. Dieser Wald verwandelt sich am Ende in ein Paradies aus kristallinen Formen und Licht, in des Pilgers selva antica. Hier wird er von seiner tiefen Angst erlöst, die im Wald Gestalt angenommen hat.

Was hier, wo Herr Olof reitet, lauert, ist nicht so greifbar wie wilde Tiere. Wir dürfen nicht in eine so wohlgesetzte Allegorie wie in Dantes selva antica eintreten. Wir bewegen uns in Nebel, Kälte und Zweideutigkeit. »Ich will nicht, und es darf nicht sein«, sagt der Reiter und weist die Lockung der Waldfrau zurück. Doch es nützt ihm nichts. Seine Wirklichkeit in diesem Wald, wo das Licht vor der Morgendämmerung falsch ist, schillert. Er wendet sich von der Versuchung ab und reißt sein Pferd herum. Trotzdem endet es böse mit ihm. Ihm wird eine unsichtbare Wunde zugefügt, und als er nach Hause reitet, trägt er den Tod in sich.

Wir, die wir nach Freud leben, haben gelernt, Erlebnisse wie die von Herrn Olof als Projektionen des Innern zu interpretieren. Das Unheimliche ist in erster Linie das Heimliche, das, was in unserem Innern zu Hause ist, aber, einmal aus unserem Bewusstsein verdrängt, unheimlich geworden ist. Es erschreckt uns, wenn es in Erscheinung tritt, will es uns doch verleiten, unsere moralischen und sozialen Normen zu überschreiten.

Zu Hause angekommen, fürchtet Herr Olof anscheinend, seine Begegnung dort draußen im Wald auch nur anzudeuten. Die unheimliche Vermischung muss nicht nur abgewiesen, sie muss verschwiegen werden. Im Nebel hat das Unheimliche eine einwandfrei freudsche Gestalt: Es ist mit Tod und Trieb verbunden und hat den Körper einer Frau.

So ist noch immer unsere Lesart, obwohl Syphilis keine die Ehe und Fortpflanzung überschattende Bedrohung mehr darstellt. Man kommt sich vor wie in Thomas Manns Doktor Faustus. Dort experimentiert der Vater der Hauptperson mit osmotischem Druck und stellt eine Welt toten Wachstums her, Formen, die Leben nur imitieren, die sich aber in unheimlicher und unreiner Weise vermehren und miteinander vermischen.

Sind Herrn Olofs Gesichte im Wald von gleicher Art? Die Imitationen entstehen aus fein verteiltem Wasser, aus Tropfen, Dunst und kaltem Dampf. Ihre Gesichter und Körper entwickeln sich wie die Blumen unter dem osmotischen Druck. Das offene Haar - ein Nebelschleier. Aufsteigender Tau, der zu frostigem Flaum erstarrt. Wurmfarn und Rosen aus Eiskristallen, wie man sie auf Glasscheiben sehen kann. Augen aus Eis. Herr Olof befindet sich zwischen dem sündigen Stand der Ledigen und dem der Ehe. Bald wird er seine Braut heiraten und das Geschlecht fortpflanzen. Und an dieser Grenze droht ihm durch Überschreitung und Vermischung der Tod.

Eine solche Interpretation sagt nichts über eine andere Zeit als Freuds aus, die in gewisser Weise ja noch die unsere ist. Der junge Herr des Hochmittelalters brauchte seine Sexualität weder vor noch nach der Hochzeit zu zügeln. Er hatte jedoch eine Schwäche für ritterliche Formen. Seine Welt war hierarchisch. Nicht einmal dort draußen, wo, wie wir behaupten würden, das Chaos herrscht, findet er etwas anderes als eine Spiegelwelt. Sie ist schillernd und veränderlich, denn sie entsteht aus Tau und Reif, doch es gibt dort einen Hof mit König und Königstochter. Ihrem höfischen Auftreten widerspricht nur das offene Haar, das Kennzeichen einer promiskuitiven Frau. Die Tochter des Elfenkönigs streckt sich nach dem jungen Herrn und bittet ihn zum Tanz. Soeben hat sie noch mit des Königs Elfeneidam getanzt, der in dieser gespiegelten Welt ihr Gatte sein muss. Das Lied gibt einen Tanz im Tanz wieder, eine Präsentation ritterlicher Gebärden, die in der langsam schreitenden Form des Balladentanzes außerordentlich dankbar zu gestalten gewesen sein mussten. So lebte es denn auch bis tief ins 17. Jahrhundert fort, als es schließlich aufgezeichnet wurde. Da war es jedoch zur Unterhaltung auf bäuerlichen Festen abgesunken. Der Adel hatte sein Ritterideal aufgegeben, für das er bis weit in die Zeit der Hakenbüchse und selbst der Muskete hinein Turniere und höfische Tänze gepflegt hatte.

In Herbst des Mittelalters beschreibt der holländische Historiker Johan Huizinga, wie die Geschichtsschreiber versuchten, ihre wirre Zeit mithilfe des Rittergedankens zu verstehen. Aber sie erreichten keine Stimmigkeit. Die von der Norm der Ritterlichkeit beherrschten Fürsten verirrten sich »im dunklen Wald der Zeit«, wie Barbara Tuchman in ihrem Buch über das 14. Jahrhundert, Der ferne Spiegel, schreibt. Sie schildert vor allem das Schicksal und Wüten eines brutalen und wahrscheinlich verrückten Machtmenschen. Huizinga erzählt, wie die ritterlich inspirierte Liebe in brutaler Vergewaltigung und schweren Misshandlungen enden konnte.

Nein, die Chronisten erreichten keine Stimmigkeit. Aber sie hielten am Ritterkodex fest: Treue, Tapferkeit und die Sehnsucht nach einem schöneren Leben schwebten ihren Helden vor, wenn sie sich durch das Dunkel und den Tumult ihrer Wirklichkeit bewegten. Anders konnten sie aus der Geschichte keinen Sinn herauslesen; sie machten sie erträglich, indem sie über das Durcheinander, über Gestank und Geschrei diese einfachen und angenehmen Muster breiteten.

Vielleicht breitet das Lied über Herrn Olof ja ebenso das Muster einer Ritterlichkeit über eine unbegreifliche und gefährliche Welterfahrung. Entschlossen und tapfer begibt sich Herr Olof in eine Wirklichkeit, die unmöglich zu meistern ist. Was immer er tut, der Ausgang ist fatal. Nimmt er die Einladung der Elfe an, ist er als christliche Seele verloren. Er lehnt ab und reißt sein Pferd herum. Diese schöne und kraftvolle Handlungsweise nützt ihm jedoch nichts. Er wird nun sterben, und er weiß es. Seine letzten Stunden verlaufen nach einem ebenso formstrengen Schema. Er klagt niemanden an, sondern gibt einem Reitunfall die Schuld an seinem Schicksal. Ohne zu erzählen, was geschehen ist, teilt er seinen Nächsten die den Riten des Sterbelagers gemäßen Aufgaben zu. Er gestaltet sein Vorgehen zeremoniös und so ästhetisch, wie Zeit und Ritterideal es erfordern: Er lässt sein Pferd auf die Weide führen, er lässt sich das Bett herrichten und das Haar bürsten. Er ist bereit, und sein Tun vermittelt die schöne Illusion, dass er sich in ein sinnvolles, wenn auch tragisches Schicksal gefügt hat.

Die Treue zum Ideal, zur Zeremonie des Sterbens, wurde vom Schrecken und von der Verwirrung keineswegs zunichte gemacht. Das Mittelalter kennt zahllose Darstellungen vom Schrecken des Todes. Die wurmstichige Leiche mit ihrem verwesenden, in Fetzen abfallenden Fleisch ersteht immer wieder auf, um die Gesunden und Rotwangigen, die da liebten und jagten und musizierten und sich nach der ritterlichen Mode kleideten, in Todesangst zu versetzen. Dieser Schrecken setzte jedoch nicht die Forderung nach der Form außer Kraft. Olaus Magnus beschreibt in Historien der mittnächtigen Länder, wie Priester mit sakralen Geräten in einem Sack durch Wälder und Morast ritten, um Sterbenden mit den feststehenden nötigen Worten die letzte Ölung zu bringen. Herr Olof erfüllte angesichts des Todes die strengsten Ideale seiner Zeit. Eine kraftvolle Formel, um zu überleben, bieten sie ihm nicht. Aber sie helfen ihm, in schöner Weise auf dem Tanzboden zu sterben.

Als das Tanzlied von Herrn Olof und den Elfen im 17. Jahrhundert in einem Liederbuch aufgezeichnet wurde, führte man den Tanz in den Rittersälen der dunklen, steinernen Burgen nicht mehr auf. Es wurde langsam zum Volkslied. Vielleicht fanden die Gebildeten es allmählich naiv. Das Formschema des Rittergedankens sollte jedoch noch lange...
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