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Mittsommerdunkel

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Piper Verlag GmbHerschienen am12.11.2012Auflage
Als Helga Wedin den Dorfladen ihres Onkels in dem kleinen nordschwedischen Dorf erbt, macht sie eine Entdeckung: im Lagerraum befinden sich große Mengen an Zucker und Hefe. Mit ihrer Stieftochter Åsa und ihrem Geliebten Edvard hat sie die vielversprechende Idee, illegal Schnaps zu brennen. Doch Neid, Eifersucht und Gier machen allen einen Strich durch die Rechnung. Kerstin Ekman erzählt die spannungsgeladene Geschichte einer ungewöhnlichen Dreiecksbeziehung. »In origineller volkstümlicher Sprache und starken Metaphern ersteht das Bild einer Gemeinschaft, die verunsichert in die Zukunft blickt.« (Ostthüringer Zeitung)

Kerstin Ekman, 1933 in Risinge (Östergötland) geboren, zählt zu den wichtigsten schwedischen Autorinnen unserer Zeit. Ihr umfangreiches literarisches Werk ist vielfach preisgekrönt, es wurde verfilmt und in 28 Sprachen übersetzt. Mit Wolfslichter kehrt Ekman nach über zehn Jahren zur Romanform zurück. Das Buch stieg in Schweden mit Erscheinen auf Platz 1 der Bestsellerliste ein und wurde u.a. mit dem Norrlands litteraturpris 2022 sowie dem Kulturpreis der Stiftung Natur & Kultur 2023 ausgezeichnet. Am 27. August 2023 feiert Kerstin Ekman ihren 90. Geburtstag.
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Produkt

KlappentextAls Helga Wedin den Dorfladen ihres Onkels in dem kleinen nordschwedischen Dorf erbt, macht sie eine Entdeckung: im Lagerraum befinden sich große Mengen an Zucker und Hefe. Mit ihrer Stieftochter Åsa und ihrem Geliebten Edvard hat sie die vielversprechende Idee, illegal Schnaps zu brennen. Doch Neid, Eifersucht und Gier machen allen einen Strich durch die Rechnung. Kerstin Ekman erzählt die spannungsgeladene Geschichte einer ungewöhnlichen Dreiecksbeziehung. »In origineller volkstümlicher Sprache und starken Metaphern ersteht das Bild einer Gemeinschaft, die verunsichert in die Zukunft blickt.« (Ostthüringer Zeitung)

Kerstin Ekman, 1933 in Risinge (Östergötland) geboren, zählt zu den wichtigsten schwedischen Autorinnen unserer Zeit. Ihr umfangreiches literarisches Werk ist vielfach preisgekrönt, es wurde verfilmt und in 28 Sprachen übersetzt. Mit Wolfslichter kehrt Ekman nach über zehn Jahren zur Romanform zurück. Das Buch stieg in Schweden mit Erscheinen auf Platz 1 der Bestsellerliste ein und wurde u.a. mit dem Norrlands litteraturpris 2022 sowie dem Kulturpreis der Stiftung Natur & Kultur 2023 ausgezeichnet. Am 27. August 2023 feiert Kerstin Ekman ihren 90. Geburtstag.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783492957687
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum12.11.2012
AuflageAuflage
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3368 Kbytes
Artikel-Nr.1220898
Rubriken
Genre9201
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Inhalt/Kritik

Leseprobe

Über der hohen Kommode in Isak Perssons Kammer in der Diamantkate hängt ein Bild mit schwarzem Holzrahmen. Rechts unten in der Ecke steht »Pfingstsamstag 1965«. Gemalt hat es Adana, und Helga hat es, indem sie das Blatt über eine Reproduktion von Nils Jacob Blommérs »Elfenreigen« gesteckt hat, mit einem Rahmen versehen.

»Pfingstsamstag 1965« ist mit Tempera aus dem Materialbestand der Schule gemalt. Die Farbe ist an sich schon dicker als normale Aquarellfarbe, doch Adana hat ihr zusätzliche Fremdstoffe beigemischt, um sie noch pastoser zu machen. Zum Schluß hat sie das ganze Bild mit dünnem Plastiklack gefirnißt.

Jede Familie im Dorf besitzt eine Farbfotografie oder ein Gemälde ihres Hofes. Vera Strömgren hat das ihre in Öl auf dem Hohlgrund eines alten Backtrogs, was dem Bild eine Dimension verleiht, die in aller Regel fehlt. Adanas »Pfingstsamstag« unterscheidet sich von diesen Hofbildern in zweierlei Hinsicht. Es ist größer, und es umfaßt nicht nur einen Hof, sondern das ganze Dorf. Auch hat sie mit einer Ausdauer daran gearbeitet, die für ein solches Motiv sonst niemand aufgebracht hätte.

An diesem Pfingstabend ist der Himmel über dem Dorf zichorienblau. Er ist dicht und undurchdringlich wie eine Zeltleinwand. Hinter dem Rauch aus den Schornsteinen verläuft wie eine Chinesische Mauer der Älgåsen, und dahinter ragt der Tavelberg auf. Man könnte um das ganze Dorf herumgehen, ohne den Standpunkt der Malerin zu finden. Am nächsten käme man ihm vielleicht, wenn man die alte Mühle bestiege und die Luke unterm Dachfirst öffnete. Doch Adana hat sicherlich nie in dem raunenden Halbdämmer dort oben gesessen und gemalt; sie hat Höhenangst. Wahrscheinlicher ist, daß sie aus dem Gedächtnis gemalt hat und vermutlich im Winter. Sie hat ein ausgezeichnetes Gedächtnis.

Tatsächlich kann man vom Dachboden der alten Mühle aus das ganze Motiv überblicken, bis auf Evert Petterssons Hof und Noréns Villa. Adana hat sie durch einen Trick mit aufs Bild gebracht, indem sie unseren Blickwinkel beiderseits um ungefähr zwanzig Grad erweitert hat. Im übrigen wendet sie die Technik der Meister von Siena an: Sie serviert alles auf einem Tablett mit steil abfallender Perspektive. Diese Technik wird überdies durch die Landschaft gestützt.

Zuvorderst sieht man Onkelchens Laden, sehr weiß und mit heruntergelassenem Rollo an der Tür, und auf dem gelben Viereck steht sorgfältig ausgearbeitet: GESCHLOSSEN. In der Rabatte stehen seine aufrechten weißen Narzissen und darum herum, wie kleine blaue Himbeeren geformt, die Perlhyazinthen.

Die Sorgfalt, die Adana auf die Wirklichkeit verwendet, ist nicht nur der verzweifelte Fleiß der Unkundigen. Es handelt sich dabei auch um eine Wirklichkeitsauffassung und eine Art Kunstanschauung. Man mag es eine Verwechslung nennen: Adana macht keinen Unterschied zwischen einem Gegenstand und dem Abbild, das sie davon schafft. Sie arbeitet, meißelt aus. Am Ende eignet den Gegenständen eine unbestreitbare Realität. Schließlich kann man ihre trockenen, glatten Oberflächen anfassen.

Man sieht die Brücke und das silbrige Wasser, dessen Wellen wie Meringenspitzen hochstehen. Unwirklich hell schlagen zum See hin Espen und Erlen Bogen um Bogen über den Fluß. Wo der See sich weitet, hat das Wasser die Farbe des Himmels, leuchtend zichorienblau. Auf der Brücke steht still ein Mann in brauner Hose und schwarzer Jacke, die Hand auf dem Geländer. Immer.

Am Bahnübergang warnen gelbe Schilder: »Achtung! Stromleitung!«, und die Gleise, glatt wie Aalrücken, verschwinden hinter Wedins Viehstall in dem hellen Wald, der so verheißungsvoll und laubdämmrig ist, daß man meinen könnte, er läge viel weiter im Süden.

Alle Pfingstblumen hat Adana nicht malen können, und sie wollte das Problem nicht dadurch lösen, daß sie auf allen grünen Flächen ein diffuses Getüpfel verteilte. Statt dessen hat sie die Blumen hie und da zu Florenschilden und Sträußen gebündelt: die geneigten Perlenreihen der Maiglöckchen, träge Sumpfdotterblumen am Wasser, Buschwindröschenschnee unter den Bäumen. Adana verabscheut alles Summarische und Allgemeine. Sie nimmt sich der gesamten Wirklichkeit an und formt sie zu einer neuen Substanz, zu konzentrierter Sinnfälligkeit.

Wenn Adana krank und wirr ist, malt sie nicht. Die Person, die Isak Frau Regierungspräsident nennt, hat keine Geduld, und es wäre unvorstellbar, daß sie auf Evert Petterssons Misthaufen Halm an Halm legte oder mit feinstem Pinsel die blauen Pyramiden der Perlhyazinthen baute. Wenn sie böse und rachsüchtig ist, kümmert sie sich nur um den Haushalt und ihre verzwickten Berechnungen. Als sie das Bild malte, war sie ganz normal.

Die Häuser haben Gesichter, doch das haben sie auch in Wirklichkeit. Die Fensteraugen und Türmünder sehen fragend aus, grübelnd, unwissend. Niemals heiter hier. Außer bei ein paar kleinen Gebäuden und Simon Noréns grau-weißer Villa sind alle Dächer im gleichen Winkel gebrochen. In der linken Ecke, bei Evert Petterssons Hof mit seinen sehr dichtstehenden Gebäuden, ist Adana zur Kubistin geworden. Unterhalb der Fliederhecke spielen zwei tote Kinder auf dem Hof, Everts Enkelsöhne, die bei einem Verkehrsunfall im April 1965 ums Leben gekommen sind. Sie haben Bälle geworfen, die unverrückbar im Gras liegen, eine rote und eine blaue Kugel.

Sowohl Evert als auch Ejnar Strömgren haben ihre Kühe hinausgetrieben. Evert hat vierzehn, sie sind alle rundlich und hellbraun. Von Ejnars Kühen sind sechs rotbunt und sieben vom Tieflandschlag. Diese sieben stehen gerade unten an der Bahnlinie, nahe dem stromführenden Draht, der sie einschließt. Sie bilden in ihrem Teil der Lehde ein schwarzweißes Muster. Ihre Hörner sind lyrenförmig, ihre Augen schwarzblau.

Bei Fricks sieht man Bror auf der Drillmaschine und hinter ihm in kleinen goldenen Bogen die Aussaat. Auch Helga sät, oben bei Wedins im Kräutergarten. Ihre Samen liegen dicht und ordentlich wie die Knopfreihe eines langen Handschuhs. Noch hat sie die Erde mit dem Rechen, der daneben steht, nicht über die Furche geschoben. Die Erde ist hellgrau, so als wäre sie sehr warm und trocken. Ansonsten ist das Dorf festlich gekleidet und hat frei. Gej ist unten an der Straße und verharrt, den gekringelten Schwanz auf dem Rücken, in einem Luftsprung. Er hat das Maul zum Bellen geöffnet. Weiter oben, in Richtung Strömgrens und Tabor am Hang, steigt Veras jüngste Tochter in ein Auto. Sie ist weiß gekleidet und soll konfirmiert werden. Das kleine Gesangbuch in ihren Händen ist weithin sichtbar, es ist hart und schwarz.

Auf den hellbraunen Wegen stehen mehrere Leute, die einander das Gesicht zuwenden. Sie stehen nicht fest auf dem Boden, sondern sind auf die Bildfläche geheftet. Doch es mangelt ihnen nicht am Schwerpunkt; sie schwimmen weder noch schweben sie.

Ihre Gesichter sind rund, und sie berühren einander nicht. Sie stehen bei ihren Gegenständen, auf die ihre Blicke gerichtet sind. Ruhend sehen sie nichts an. Man erkennt sie an der Kleidung oder den Utensilien. Ihre Stöcke, Bälle und Maschinen sind schön. Onkelchen geht gerade nach Tabor hinauf, und sein Stock, den er zum Sechzigsten bekommen hat, zeigt vor ihn hin. Helga trägt ihren roten Pullover, den sie eigentlich für Åsa gestrickt hat, aber selbst behalten durfte.

Bei Noréns ist niemand zu sehen. Die Fenster sind gardinenweiß. Adana hat jedoch auf all die Zwiebelgewächse, die auf dem Rasen sprießen, viel Mühe verwendet, besonders auf die kleinen Sterne der Szilla.

Vor Bror Fricks weißem Haus mit der großen Holzveranda steht das alte Häuschen, in dem seine Mutter wohnt. Durchs Fenster kann man die alte Frau dort drinnen sehen. Es stimmt wirklich, daß das Haus wie ein halb durchsichtiges Ei ist, man kann vom Kammerfenster bis zum Küchenfenster hindurchsehen. Wie ein Kükenkeim in einem Ei sitzt die alte Frau stets am Küchentisch. Die leerstehende Schule ist ihr nächster Nachbar. Auf dem »Pfingstsamstag 1965« ist dort geflaggt.

Den Älgåsen und den Tavelberg, die dem undurchdringlichen Himmel am nächsten sind, hat Adana mit Bärten aus Tannenbäumen bemalt. Am Fuß der Hänge ist hellerer Laubwald zu sehen. Die Diamantkate ist nicht mit aufs Bild gekommen, weil sie vom Wald verdeckt wird. Vielleicht wollte Adana sie auch gar nicht malen. Ihr Elternhaus war das von Strömgrens, und dort hat sie die Backstube, in der sie sommers immer gewohnt haben, so rot und mit weißen Ecken gemalt, wie sie einst war. Hinter der Backstube schimmert ein Gesicht durch das Laub und die Himbeerzweige.

Helga hat das Bild zum ersten Mal bei Isak gesehen, als es erst halb fertig war. Trotzdem war sie von seiner Genauigkeit so begeistert, daß ihr die Worte dafür fehlten. Sie selbst könne nicht einmal einen Katzensteiß zeichnen, der auch danach aussehe, behauptete sie. Als das Bild fertig war, bekam sie es.

In ihrer ersten Begeisterung steckte sie es in den Rahmen mit den Elfen und hängte es in der Kammer an die Wand, so daß es zu sehen war, wenn man von der Küche hereinkam, und auch, wenn man auf dem Sofa saß. Nach einiger Zeit mußte sie es umhängen.

Das war in dem Winter, als Egon Wedin rechtsseitig gelähmt im Obergeschoß lag und nicht mehr sprechen konnte. Er starb erst im Winter des folgenden Jahres nach Weihnachten. Das Bild hing in der Stube, und als die Zwangsversteigerung anstand, gab Helga es zur Auktionsmasse, obwohl es eigentlich ihr gehörte. Sie konnte es nicht mehr sehen.

Irgend etwas stimmte nicht mit dem Bild. Auf der Auktion erstand es die Lehrerin. Sie meinte, die Kinder hätten Spaß daran, es anzugucken. Aber dem war nicht so. Als die Schule geschlossen wurde, war das Bild nicht im Inventarverzeichnis aufgeführt, und...
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