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Zeit aus Glas

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
464 Seiten
Deutsch
Piper Verlag GmbHerschienen am06.12.2012Auflage
Ein kleines Dorf, Svartvattnet, inmitten dunkler Seen und endloser Tannenwälder war die Heimat ihrer Mutter Myrten. Einst von ihr zu Pflegeeltern gegeben, kehrt Ingefrid als erwachsene Frau nach Svartvattnet zurück, um ihr Erbe anzutreten. Schnell spürt sie, daß sie länger an diesem abgelegenen Ort im nordschwedischen Jämtland bleiben wird, und sie bewirbt sich um die vakante Stelle als Pfarrerin. Anfänglich ist ihr Bleiben vor allem der zaghafte Versuch, der unbekannten Mutter näherzukommen. Mit Hilfe ihrer Pflegeschwester Risten, die vergilbte Photos hervorzieht und sich für Ingefrid noch einmal mit der wechselhaften Geschichte ihrer Familie beschäftigt, erweckt sie die Vergangenheit zu neuem Leben. Viele Geheimnisse und schmerzliche Verluste offenbaren sich dabei. Und am Ende ist es Risten, die Ingefrid die drängendste Frage ihres Lebens beantwortet.

Kerstin Ekman, 1933 in Risinge (Östergötland) geboren, zählt zu den wichtigsten schwedischen Autorinnen unserer Zeit. Ihr umfangreiches literarisches Werk ist vielfach preisgekrönt, es wurde verfilmt und in 28 Sprachen übersetzt. Mit Wolfslichter kehrt Ekman nach über zehn Jahren zur Romanform zurück. Das Buch stieg in Schweden mit Erscheinen auf Platz 1 der Bestsellerliste ein und wurde u.a. mit dem Norrlands litteraturpris 2022 sowie dem Kulturpreis der Stiftung Natur & Kultur 2023 ausgezeichnet. Am 27. August 2023 feiert Kerstin Ekman ihren 90. Geburtstag.
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Produkt

KlappentextEin kleines Dorf, Svartvattnet, inmitten dunkler Seen und endloser Tannenwälder war die Heimat ihrer Mutter Myrten. Einst von ihr zu Pflegeeltern gegeben, kehrt Ingefrid als erwachsene Frau nach Svartvattnet zurück, um ihr Erbe anzutreten. Schnell spürt sie, daß sie länger an diesem abgelegenen Ort im nordschwedischen Jämtland bleiben wird, und sie bewirbt sich um die vakante Stelle als Pfarrerin. Anfänglich ist ihr Bleiben vor allem der zaghafte Versuch, der unbekannten Mutter näherzukommen. Mit Hilfe ihrer Pflegeschwester Risten, die vergilbte Photos hervorzieht und sich für Ingefrid noch einmal mit der wechselhaften Geschichte ihrer Familie beschäftigt, erweckt sie die Vergangenheit zu neuem Leben. Viele Geheimnisse und schmerzliche Verluste offenbaren sich dabei. Und am Ende ist es Risten, die Ingefrid die drängendste Frage ihres Lebens beantwortet.

Kerstin Ekman, 1933 in Risinge (Östergötland) geboren, zählt zu den wichtigsten schwedischen Autorinnen unserer Zeit. Ihr umfangreiches literarisches Werk ist vielfach preisgekrönt, es wurde verfilmt und in 28 Sprachen übersetzt. Mit Wolfslichter kehrt Ekman nach über zehn Jahren zur Romanform zurück. Das Buch stieg in Schweden mit Erscheinen auf Platz 1 der Bestsellerliste ein und wurde u.a. mit dem Norrlands litteraturpris 2022 sowie dem Kulturpreis der Stiftung Natur & Kultur 2023 ausgezeichnet. Am 27. August 2023 feiert Kerstin Ekman ihren 90. Geburtstag.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783492957564
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum06.12.2012
AuflageAuflage
Reihen-Nr.3
Seiten464 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2450 Kbytes
Artikel-Nr.1226342
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Das Dorf hielt Winterschlaf im Schnee. In der Reglosigkeit stieg aus dem Schornstein eines weißen Hauses Rauch auf. In diesem Haus war ein altes Paar zu sehen, zwei Schatten, durch die das Licht bald hindurchscheinen würde. Das Fenster hinter ihnen ging auf einen großen, zugefrorenen See hinaus.

Unterhalb der Vortreppe lagen Fichtenreiser zum Füßeabtreten. An eine Birke war eine Speckschwarte für die Kohlmeisen genagelt. Im Fenster zur Straße hing ein gehäkelter Querbehang.

Alles war so kärglich. Konnten das ganze Menschenleben sein?

Kein Mensch war zu dem Haus hinuntergegangen. Man sah lediglich Pfotenspuren im Neuschnee. An einer Schuppenwand stand etwas von einem Harmonikafestival. Doch das war wohl lange her. Das Plakat war safrangelb und leuchtete weithin.

Alles war so, als sei es schon lange her. Doch es war jetzt.

Sie stieg aus dem Auto und ging in diesem Weiß, durch das bisher nur die Katze gelaufen war, fast auf Zehenspitzen.

*

Es war am Abend vor Allerheiligen, als sie kam. Merkwürdigerweise.

Ab Allerheiligen ist es richtig Winter. Dann bleibt der Schnee liegen. Im Moor lassen sich keine Moosbeerenranken mehr freikratzen. An frostklaren Tagen setzen sich die Auerhühner in die Baumwipfel, und die Hasen haben ihr Fell gewechselt und das weiße angelegt. Das klare Eis auf den Waldseen und Wasserlachen ist überschneit, ja, alles Schwarze und alles, was im Herbst moderte, ist verschwunden. Die Toten haben ihren Frieden, und er bietet sich auch den Lebenden dar.

An Allerheiligen wollte ich mit dem kirchlichen Fahrdienst nach Röbäck fahren und einen Torfmooskranz auf Myrtens Grab legen. Ich würde wohl oder übel in den Gottesdienst gehen müssen, um auf Reine zu warten, der die alten Leute mit dem Taxi chauffiert. Ich konnte die Pfarrerin nicht leiden. Sie rauche und babble bloß, sagte Elias, und er hatte recht.

An diesem Abend saßen Elias und ich in der Dämmerung bei einer Tasse Kaffee in meiner Küche. Es war sehr still. Den ganzen Nachmittag über hatte es geschneit, und Elias' Spur war längst verschwunden. Jetzt fielen nur noch einzelne Schneeflocken. Da hörten wir ein Auto. Als wir merkten, daß es nicht vorbeifuhr, sondern an der Landstraße oberhalb des Hauses anhielt, guckten wir natürlich. Elias fragte, wer das sei, aber ich wußte es nicht. Es war ein kleines, rotes Auto.

Eine Frau. Sie stieg aus, und bevor sie ihren Mantel zumachte, konnte ich den Kragen sehen.

»Eine Pfarrerin ist's«, sagte ich.

»Ach herrje«, versetzte Elias. »Marianne wollte doch erst zu Neujahr aufhören.«

Das war es, was wir glaubten. Daß die neue Pfarrerin unterwegs sei und die Senioren, wie wir genannt werden, besuche. Da hörten wir sie anklopfen. Nicht eben zurückhaltend.

»Sind als wie die Staubsaugervertreter«, meinte Elias. »Haben sie malens einen Fuß in der Tür, kriegest sie nimmer los. Tust sie nichten zum Kaffee bitten!«

Ich sagte, ich müsse wenigstens aufmachen. Und da stand sie, ohne Kopfbedeckung in der Kälte. Aber gute Stiefel hatte sie.

Eine kleine Gestalt mit kräftigen Beinen in dicken schwarzen Strümpfen. Das Gesicht ungeschminkt. In gewisser Weise wirkte sie wie ein Mädchen, obwohl sie gut in den Fünfzigern sein mußte. Füße und Hände waren kindlich klein. Ganz ernst war sie. Man konnte meinen, sie habe Angst. Ihre Augen waren von hellem Blau und ziemlich eng stehend. Sie preßte die Lippen zusammen, und ihr Blick war starr. Nun sag schon was, dachte ich. Woran man sich bei ihrem Gesicht hinterher am besten erinnerte, war die Nase. Diese war breit und gebogen und viel zu groß für dieses alt gewordene Mädchengesicht.

»Guten Tag«, sagte sie.

Nun, das war ungewöhnlich. Elias beklagt sich gern darüber, daß es heutzutage immer nur »hallo« und »tschüs« heißt.

»Wenn sie denn wirklich eine Geistliche war«, sagte er hinterher. »Es kann doch alle Welt hergehen und sich ein Hemd mit Kollar kaufen.« Er wollte es so hindrehen, daß sie gekommen sei, um uns zu betrügen, daß sie eine sei, die durch die Lande reise und alte Leute bestehle.

Sie streckte die Hand aus und nannte einen Namen, den keiner von uns verstand. Wir hatten ihn noch nie gehört.

»Ich bin gekommen, weil meine Mutter in diesem Haus geboren worden sein soll«, sagte sie.

»Nun, sind nichten richtig hier dann«, erwiderte ich.

»Myrten Fjellström, hat sie nicht hier gewohnt?«

Was danach kam, weiß ich nicht mehr recht. Wahrscheinlich wurde es still. Ich glaube, ich ging rückwärts zur Küchenbank und setzte mich. Ich sagte wahrscheinlich, daß da etwas nicht stimmen könne. Daß es ein Mißverständnis sei. Myrten Fjellström habe keine Kinder gehabt. Oder vielleicht sagte ich ja gar nichts. Ich weiß es nicht.

Daß sie ein Kuvert aus der Manteltasche zog, daran erinnere ich mich. Ich hatte kalte Fingerspitzen, als ich es nehmen wollte, und ich stellte mich dermaßen ungeschickt an, daß Elias es an meiner Stelle nahm.

»Ingefrid«, las er. »Ingefrid Mingus. Sollet dies der Name sein?«

»Ich werde Inga genannt, bin aber auf den Namen Ingefrid getauft. Den Brief habe ich von einem Anwalt in Östersund erhalten«, erklärte sie. »Ich habe meine Mutter beerbt.«

Wir saßen lediglich da und sahen sie an, waren lange nicht imstande, etwas zu sagen. Schließlich brachte Elias auf norwegisch heraus:

»Wo das Aas ist, da sammeln sich die Geier.«

Man konnte nur hoffen, daß sie kein Norwegisch verstand.

Mir kam das alles allmählich aberwitzig vor. Myrten und ich haben einander nahegestanden, wollte ich sagen. Wir wußten alles voneinander. Das ist völlig verrückt hier. Aber ich bekam kein Wort heraus. Es war Elias, der ständig den Mund aufmachte, er, der mit der Sache gar nichts zu tun hatte.

»Wo wollen Sie denn geboren worden sein?« fragte er.

»In Stockholm. Meine Mutter war in der Gustaf-Vasa-Gemeinde gemeldet, und ich wurde im Entbindungsheim Södra BB geboren.«

Das weckte Erinnerungen, die abwechselnd schmerzlich und zart waren. Ich erinnerte mich, wie grenzenlos traurig Hillevi gewesen war, als Myrten nach Stockholm zog und sich dort anmeldete. Und Södra BB war doch das Entbindungsheim, in dem Hillevi ausgebildet worden war und über das sie immer nur respektvoll gesprochen hatte. Es war, als ob die Worte dieser Person in unser Leben sickerten und sich in wohlbekannten Höhlen einnisteten. Das erfüllte die Vergangenheit jedoch mit einem fremden Geruch.

»Wann sollet das denn gewesen sein?« fragte Elias.

»Ich wurde am einundzwanzigsten April neunzehnhundertsechsundvierzig geboren. Am Ostersonntag.«

Hätte sie das nicht dazugesagt, dann hätte ich einfach nichts verstanden. So aber begriff ich, wie verrückt das alles war. Sollte nicht gerade ich mich entsinnen, wie traurig Hillevi gewesen war, daß Myrten am ersten Osterfest nach dem Krieg nicht hier war? Ich konnte damals endlich nach Svartvattnet heimfahren. An Weihnachten war es auch schon so gewesen. Myrten war auch da nicht gekommen. Und Hillevi hatte geweint.

»Myrten Fjellström war Ostern sechsundvierzig gar nicht in Stockholm«, sagte ich. »Sie war in Frankreich. Es handelt sich also um ein Mißverständnis. Den Brief sollten Sie diesem Anwalt zurückschicken.«

»Ich war bei ihm«, erklärte sie. »Es ist kein Mißverständnis. Myrten Fjellström hat ein Testament gemacht. Wo das Aas ist, da sammeln sich auch die Geier, steht, glaube ich, in unserer Bibel«, sagte sie und lächelte Elias kurz an. Und dieser alte Dummkopf guckte belustigt.

Ich kümmerte mich nicht um die beiden, sondern ging in die Stube und kramte in den Sekretärschubladen. Meine Finger wurden noch kälter, denn der Raum war nicht geheizt, und ich fand auch nicht, wonach ich suchte. Es blieb mir nichts anderes übrig, als in die Küche zurückzugehen.

»Hab' Briefe«, sagte ich. »Hat sie aus Frankreich geschrieben, die Myrten, an ihrige Mutter und ihrigen Vater. Im Winter und Frühjahr neunzehnhundertsechsundvierzig ist das gewesen. Auch an Ostern. Werd sie suchen und dann mit dem Anwalt reden.«

»Es ist bald fünfzehn Jahre her, daß Myrten Fjellström verschieden ist«, sagte Elias. »Eigenartig, daß Sie bisher nichts von sich haben hören lassen. Wirklich eigenartig. Nachdem Sie sich schon in den Kopf gesetzt haben, daß sie Ihre Mutter war.«

»Ich habe den Brief erst vor einer Woche bekommen«, erwiderte sie. »Die konnten mich nicht eher finden. Meine Eltern haben ihren Namen geändert. Wir hießen ursprünglich Fredriksson. Und damals gab es noch keine Personennummern.«

»Pernelius, der Anwalt, ist der nicht kürzlich gestorben?« fragte mich Elias, und mir fiel auf, daß er mit einemmal nicht mehr jämtisch sprach. Er saß da und las den Brief.

»Es ist wohl der Nachfolger«, sagte er. »Die Kanzlei ist dieselbe, wie man am Briefkopf sieht.«

Worauf wollte er hinaus? Pernelius war hochbetagt gestorben. Er war ein guter Freund von Hillevi gewesen. Mich flog der Gedanke an, daß es vielleicht gar nicht so unmöglich war, eine Person mit geändertem Namen ausfindig zu machen, daß es beim alten Pernelius aber am Wollen gehapert hatte. Auch ich hätte nicht gewollt, daß das Gerücht aufkäme, Myrten habe ein Kind gehabt. Elias dachte aber an etwas anderes.

»Das hat sich für das Anwaltsbüro ja gelohnt«, sagte er. »Die haben in all diesen Jahren doch bestimmt den Nachlaß und das Vermögen verwaltet?«

»Freilich«, antwortete ich. »Tu bloß den Nießbrauch haben aufs Haus. Den Anteil von der Myrten an der Pension, den hab ich geerbet. Der Rest, der sollet dann geteilet werden. Unter den Kindern...
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