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Strandgut

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
432 Seiten
Deutsch
dtv Verlagsgesellschafterschienen am01.06.20151. Auflage
Es war 11:37 Uhr. Eine Minute später ging alles schief. Die Filmfestspiele in Cannes: Dem jungen, aufstrebenden Personenschützer Nicolas Guerlain passiert ein unverzeihlicher Fehler. Durch eine ruckartige Bewegung stößt er versehentlich seinen Schützling, einen namhaften Minister, vor den Augen der Öffentlichkeit zu Boden. Seine Karriere ist ruiniert - er wird in seine alte Heimat, den idyllischen Badeort Deauville in der Normandie, strafversetzt. Mit der Ruhe am Meer ist es jedoch bald vorbei, als eine abgetrennte Hand an den Strand gespült wird. Nicolas beginnt auf eigene Faust zu ermitteln. Und deckt einen Fall auf, der Jahrzehnte zurückreicht.

Benjamin Cors ist politischer Fernsehjournalist und hat viele Jahre für die >ARD TagesschauARD TagesthemenWeltspiegelSWR<. Er ist Deutsch-Franzose und hat die Sommer seiner Kindheit in der Normandie verbracht. Seine Krimireihe um den charismatischen Personenschützer Nicolas Guerlain hat eine große Fangemeinde, seine Bücher landen regelmäßig auf der Bestsellerliste.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
HörbuchCompact Disc
EUR19,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR3,99

Produkt

KlappentextEs war 11:37 Uhr. Eine Minute später ging alles schief. Die Filmfestspiele in Cannes: Dem jungen, aufstrebenden Personenschützer Nicolas Guerlain passiert ein unverzeihlicher Fehler. Durch eine ruckartige Bewegung stößt er versehentlich seinen Schützling, einen namhaften Minister, vor den Augen der Öffentlichkeit zu Boden. Seine Karriere ist ruiniert - er wird in seine alte Heimat, den idyllischen Badeort Deauville in der Normandie, strafversetzt. Mit der Ruhe am Meer ist es jedoch bald vorbei, als eine abgetrennte Hand an den Strand gespült wird. Nicolas beginnt auf eigene Faust zu ermitteln. Und deckt einen Fall auf, der Jahrzehnte zurückreicht.

Benjamin Cors ist politischer Fernsehjournalist und hat viele Jahre für die >ARD TagesschauARD TagesthemenWeltspiegelSWR<. Er ist Deutsch-Franzose und hat die Sommer seiner Kindheit in der Normandie verbracht. Seine Krimireihe um den charismatischen Personenschützer Nicolas Guerlain hat eine große Fangemeinde, seine Bücher landen regelmäßig auf der Bestsellerliste.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423426855
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum01.06.2015
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.1
Seiten432 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2547 Kbytes
IllustrationenFormat: EPUB
Artikel-Nr.1575798
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Deauville



Im Herbst 1967


Antoine Bazin war ein gewissenhafter Mensch. Er war nie voreilig, stets dachte er zuerst nach, bevor er handelte. Weil dies oft eine gewisse Zeit in Anspruch nahm, galt Bazin bei den wenigen Menschen, die ihn wirklich kannten, nicht unbedingt als besonders schnell. Aber eben als sehr gewissenhaft, und er selbst fand, dass dies wesentlich wichtiger war. Denn eine schnelle Entscheidung war selten die richtige. Eine gewissenhafte Entscheidung blieb hingegen, ob richtig oder falsch, doch immer gewissenhaft. So sah er das.

Und daher war er verblüfft, wie sehr er an jenem Abend von sich selbst überrumpelt wurde. Nach mehr als zehn Jahren als Croupier im Casino von Deauville traf er eine Entscheidung, die nicht nur schnell war, sondern auch grundlegend falsch. Und eben überhaupt nicht gewissenhaft. Aber als er das bemerkte, war es bereits zu spät, und am Ende der Nacht war Antoine Bazin tot.

 

Der Mann kam gegen dreiundzwanzig Uhr an seinen Tisch. Er war nicht sehr groß, eher jung als alt, was aber aufgrund seines etwas gedrungenen Körpers schwer einzuschätzen war. Bazin hatte das unbestimmte Gefühl, ihn schon einmal gesehen zu haben. Zwei andere Croupiers saßen mit ihm am Tisch, und noch ein weiterer, es war an diesem Abend Bécaud, etwas abseits auf einem leicht erhöhten Holzstuhl.

Er hätte wissen müssen, dass sein Fehler nicht unbemerkt blieb. Mit Bécaud war nicht zu spaßen, das galt für Spieler wie für Croupiers.

Bazin hatte dem Mann, der jetzt zwei Stühle neben ihm einen frei gewordenen Platz einnahm, zuerst auf die Hände geschaut. Das tat er immer bei einem neuen Spieler, und aus dem Augenwinkel konnte er sehen, wie die anderen Croupiers den Neuen ebenfalls musterten. Oben auf seinem Sitz beobachtete auch Bécaud in diesem Moment misstrauisch jede Bewegung des Gastes. Der Croupier aber, der dem neuen Spieler am nächsten saß, war nun mal er, Bazin. Erst im Laufe der Nacht würde ihm klar werden, dass der Fehler, den er gemacht hatte, bereits zu diesem frühen Zeitpunkt unvermeidlich gewesen war.

Bazins Tisch stand im linken Teil des großen Saals. Das Licht der Kronleuchter spiegelte sich auf den Gläsern und Zigarettenetuis der acht Spieler und wurde von dort auf den Roulettetisch geworfen. Ein stetes Murmeln schob sich durch den Raum, begleitet vom feinen Klicken der Kugel, die erst zögernd, dann zielsicher auf der 24 landete, gefolgt von den kurzen und präzisen Ansagen des Croupiers.

»24, schwarz, Pair und Passe, gerade und in der zweiten Hälfte des Tisches. Mittleres Dutzend.«

Ein Schieber glitt über den Filz und sammelte die Einsätze ein, während gleichzeitig die Gewinne in fließenden Bewegungen ausgeteilt wurden. Kein Jeton gelangte an eine falsche Stelle.

Die Hände des Mannes lagen auf dem Tisch wie zwei Stücke totes Fleisch.

Hände, die sich wenig bewegten, waren schwer zu lesen. Und Antoine Bazin war einer der Besten, wenn es darum ging, Hände zu lesen, die Absichten ihres Besitzers am Trommeln der Finger zu erkennen, am nervösen Verschieben eines Eherings. Gepflegte Hände, zitternde Hände. Schweiß, Unruhe, Gelassenheit. Eine Transversale, das Setzen auf eine Querreihe aus drei Zahlen, als maximales Risiko. Die Bereitschaft zur Unvernunft. Ein Kolonnen-Spieler. Passe und Manque, den ganzen Abend. Oder ein Cheval, das Setzen auf zwei nebeneinanderliegende Zahlen. Hohes Risiko. Auszahlungsquote 17:1. Bazin brauchte oft nur wenige Augenblicke, um seine Spieler im Kopf zu sortieren. Er schob sie in Schubladen, im gleichen Rhythmus, wie der Schieber die Jetons von ihnen wegholte. Er gab ihnen Namen und Bezeichnungen, sortierte sie in eine bestimmte Reihenfolge und änderte diese, wenn ein Spieler sich vom Tisch erhob. Bazin räumte gerne auf, und die Gedanken an sein langweiliges Leben außerhalb des Casinos kamen dabei in seinem Kopf stets weit nach hinten. Er durfte gar nicht erst an das viele Geld denken, das in Form von Jetons vor ihm lag. Ein neues Leben an einem anderen Ort, weniger trostlos. Es lag jeden Abend vor ihm, dieses Leben, und er sortierte es, stapelte und ordnete es nach Größe und Farben.

Und er gab es aus den Händen, jedes Mal.

Aber immerhin, er räumte auf, das gefiel ihm. Nur wenn jemand diese Aufräumarbeiten behinderte, sie ins Stocken gerieten, brachte ihn das aus der Ruhe. Und genau das geschah gegen dreiundzwanzig Uhr, als jener Mann sich an seinen Tisch setzte, beim Kellner einen Wodka bestellte und seine toten Hände auf den grünen Filz legte. Antoine Bazin gab ihm den Namen Schnitzel.

 

Er hasste Unordnung.

Sie verursachte Schmerzen am ganzen Körper, sie ließ ihn fahrig werden und unkonzentriert. Roulette hatte eine Ordnung, so wie Bazins Leben eine Ordnung hatte. Es gab siebenunddreißig Felder, es gab Rot und Schwarz, Pair und Impair. Passe und Manque waren nicht hinterfragbar. Links, rechts, Mitte. Dazu Reihen und Blöcke. Wer Roulette spielte, der musste sich an eine perfekt komponierte Ordnung halten, so wie sich Bazin an den Weg hielt, den die rollende Kugel des Lebens ihm zugewiesen hatte. Seine kleine Wohnung an der Hauptstraße von Blonville lag auf der linken Seite, Hausnummer 29. Impair, Passe. Drittes Dutzend. Er wohnte im zweiten Stock, rechts. Pair, Manque. Mittlere Kolonne. Sein Klingelschild war rot. Wenn er auf dem Weg zur Arbeit die Hauptstraße überquerte und etwas vergessen hatte, kehrte er niemals einfach um. Lieber würde er drüben ankommen, sich umdrehen und wieder zurückgehen.

Keine Unordnung.

Erst recht nicht, wenn es um Geld ging.

Unter all den Unmöglichkeiten, die das Leben ihm aufbürden konnte, war demzufolge ein unsortierter Haufen Jetons die größte aller denkbaren Katastrophen. Bazin musste sich zwingen, nicht über den Tisch zu greifen, um die Jetons zu ordnen. Immerhin lag dort ein beträchtlicher Wert, einschließlich mehrerer eckiger blauer Jetons. Das Schnitzel musste zuvor an einem anderen Tisch groß abgeräumt haben.

Bazin schwitzte. Er dachte an die Baustelle in seiner Straße, sein Bus hatte einen Umweg fahren müssen, und er war heute Morgen von der falschen Seite nach Hause gekommen. Links war rechts.

Unordnung. Er hätte ahnen müssen, dass dieser Tag kein guter werden würde.

Die Hände des Mannes waren grobschlächtig, sie sahen aus wie das ausgefranste Ende seiner mittlerweile erkalteten Zigarre. Vor ihnen der Haufen, in all seiner perversen Unordnung. Bazin schluckte.

»Faites vos jeux.«

 

Der Fehler geschah etwa zwei Stunden später. Aus dem Hügel war ein Berg geworden, und Bazin verabschiedete jeden Jeton, den er in Richtung des Mannes werfen musste, mit einem mitleidigen »Au revoir«.

Seine Schicht würde in dreißig Minuten enden.

9, rot, Impair. Manque, dritte Kolonne.

Ein selbstgefälliges Schnaufen von links, und Bazin wusste, wohin er gleich wieder sehr viel Geld würde schieben müssen. Das Schnitzel leerte mit einem Grinsen sein viertes Glas Wodka und wartete auf die Jetons. Er hatte eine Transversale gesetzt, auf 7, 8 und 9. Quote 11:1. Und obwohl Bazin ihm den Stapel fein geordnet hinüberschob, ließ der Mann die Jetons einzeln auf den Haufen fallen. Schließlich schob er seinen Stuhl nach hinten, stand auf und warf Bazin, ohne ihn dabei anzusehen, einen großen blauen Jeton zu. Dann blickte er auf die Uhr und murmelte: »Müsste längst fertig sein, die Schlampe.«

Er war mittlerweile sichtlich angetrunken.

In einer geschmeidigen Bewegung, die man nach mehr als zehn Jahren am Tisch beherrschen musste, hatte Bazin den Jeton mit der rechten Hand aufgegriffen, schob ihn über den Filz in seine linke Hand und ließ ihn von dort in einen für das Trinkgeld vorgesehenen Schlitz in der Tischplatte verschwinden. Er nickte dem Mann zu, der sich aber bereits abgewandt hatte.

Da war er. Der Fehler.

Antoine Bazin hatte an diese Hände denken müssen, an den unsortierten Haufen vor seinen Augen und an sein eigenes Leben, das ohne jede Ordnung wäre, wenn seine Mutter einmal sterben würde. Ein neues Leben bekam man nicht für einen eckigen Jeton. Aber vielleicht ein wenig Ablenkung. Letztendlich aber fällte er seine Entscheidung, ohne vorher wirklich darüber nachzudenken. Und ohne gewissenhaft zu sein.

Das schimmernde blaue Rechteck lag noch immer unter seiner linken Handfläche. Ein kleiner runder Jeton war dafür ungesehen im Schlitz verschwunden. Als er kurz darauf von einem anderen Croupier abgelöst wurde, bemerkte er, dass der Stuhl von Bécaud leer war.

 

Wenig später verließ Antoine Bazin das Casino durch den Personaleingang, draußen regnete es leicht, und die Straßenlaternen standen mit gesenkten Köpfen auf dem Pont des Belges. Ihr mattes Licht reichte kaum hinab zu den dunklen Wassern der Touques. Anfangs ging er noch etwas zaghaft, dann jedoch mit festem und zielgerichtetem Schritt hinüber auf die andere Seite des Flusses, der nicht weit von hier ins Meer mündete. Die Straßen waren menschenleer, der Wind trieb den Nebel von der Mündung herein, vorbei an den Platanen und den Fischerbooten, die an Seilen befestigt auf die Flut warteten. Eine Möwe schaukelte schlafend in der Mitte des Flusses, und Bazin überlegte kurz, ob er nicht doch lieber den Nachtbus nach Blonville hätte nehmen sollen. Linie sieben. Rot, ungerade, in der...
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