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Leuchtfeuer

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
432 Seiten
Deutsch
dtv Verlagsgesellschafterschienen am21.09.20181. Auflage
Erleben Sie mit Benjamin Cors die dunkle Seite der Normandie In Vieux-Port regiert die Angst: Die Bewohner des Ortes fu?rchten einen alten Fluch, der ihnen den Tod in den Fluten der Seine voraussagt. Als es ein erstes Opfer gibt, bittet der Bu?rgermeister Nicolas Guerlain um Hilfe - aber der lehnt ab. Bis wieder eine Leiche auftaucht: Der Pfarrer ist qualvoll in einer Wanne voller Flusswasser ertrunken. Nicolas reist in die Normandie und streift rastlos durch die stillen Gassen von Vieux-Port. Doch der Personenschützer tappt lange im Dunkeln, bis es endlich ein heiße Spur zu geben scheint. Eine fieberhafte Jagd beginnt.

Benjamin Cors ist politischer Fernsehjournalist und hat viele Jahre für die >ARD TagesschauARD TagesthemenWeltspiegelSWR<. Er ist Deutsch-Franzose und hat die Sommer seiner Kindheit in der Normandie verbracht. Seine Krimireihe um den charismatischen Personenschützer Nicolas Guerlain hat eine große Fangemeinde, seine Bücher landen regelmäßig auf der Bestsellerliste.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextErleben Sie mit Benjamin Cors die dunkle Seite der Normandie In Vieux-Port regiert die Angst: Die Bewohner des Ortes fu?rchten einen alten Fluch, der ihnen den Tod in den Fluten der Seine voraussagt. Als es ein erstes Opfer gibt, bittet der Bu?rgermeister Nicolas Guerlain um Hilfe - aber der lehnt ab. Bis wieder eine Leiche auftaucht: Der Pfarrer ist qualvoll in einer Wanne voller Flusswasser ertrunken. Nicolas reist in die Normandie und streift rastlos durch die stillen Gassen von Vieux-Port. Doch der Personenschützer tappt lange im Dunkeln, bis es endlich ein heiße Spur zu geben scheint. Eine fieberhafte Jagd beginnt.

Benjamin Cors ist politischer Fernsehjournalist und hat viele Jahre für die >ARD TagesschauARD TagesthemenWeltspiegelSWR<. Er ist Deutsch-Franzose und hat die Sommer seiner Kindheit in der Normandie verbracht. Seine Krimireihe um den charismatischen Personenschützer Nicolas Guerlain hat eine große Fangemeinde, seine Bücher landen regelmäßig auf der Bestsellerliste.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423434744
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum21.09.2018
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.4
Seiten432 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1832 Kbytes
IllustrationenFormat: EPUB
Artikel-Nr.3415967
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Sandown, Isle of Wight

Südengland


Ihr Name war Ayleen und sie war die letzte Überlebende. Ihm war immer klar gewesen, dass er sie auswählen würde, von Anfang an. Seit er beschlossen hatte, dass es nun genug war. Nicht Henriette oder Samira. Auch nicht Violet, obwohl sie am kräftigsten war und sich bei der Witterung dort draußen womöglich am besten schlagen würde. Nein, ihm war nie eine andere als Ayleen in den Sinn gekommen.

Sie oder keine.

Vielleicht, weil sie verlässlich war und weil ihr gutmütiger Blick ihn immer schon berührt hatte. Weil er ihre eisgraue Farbe so sehr liebte und das schillernde Grün an ihrem Hals und weil sie nie zurückgewichen war, wie die anderen, wenn er seine Hand nach ihr ausgestreckt hatte.

Und nun war es entschieden und Ayleen war bereit. Sie musste es auch sein, er brauchte sie mehr denn je. Es war eine furchtbare Nacht und sie würde anders enden, als er gehofft hatte.

Sanft streichelte er über ihr Gefieder, liebkoste mit seinen zitternden Fingern ihren Hals und ihre Brust, umfasste sie behutsam, er spürte ihr kleines Herz schlagen. Ihre Flügel schlugen kurz aus, als draußen der Wind durch die kahlen Bäume fuhr.

Es war stürmisch, Ayleen würde all ihre Kraft brauchen.

»Du schaffst das schon«, flüsterte der alte Mann in der Dunkelheit des Taubenschlages. »Du musst es einfach schaffen.«

Und fast schien es ihm, als würde die Taube nicken, als würde Ayleen ihm ein Zeichen geben, dass er sich keine Sorgen zu machen brauchte.

Alles würde sich richten.

Henriette und Samira und Violet und die anderen sieben Tauben lagen tot auf dem Boden.

Er hatte ihnen kurzerhand den Hals umgedreht, weil er nicht wusste, was er sonst hätte tun sollen, wohin er sie hätte geben können in dieser Nacht. Mit seinen Händen, in denen die Gicht seit Jahren arbeitete, hatte er ihnen ein paar Brotkrumen hingehalten, und als die Vögel zufrieden gurrten, da hatte er ihnen nacheinander den Hals umgedreht.

Einfach so.

Es war viel leichter gewesen, als er gedacht hatte. Noch nicht mal ein kleinstes Knacken war zu hören gewesen, als ihre Knochen und Muskelstränge nachgaben, und er hatte gedacht, dass das ein schöner Tod sein musste; beim Essen sterben, wenn man es am wenigsten erwartet.

Der Gedanke war ihm Trost gewesen, und zum ersten Mal in dieser Nacht hatte er kurz gelächelt. Und beschlossen, dass es nun wirklich gut war.

Es gab nur noch ihn. Und Ayleen, die sich zu freuen schien, dass er ihr einen kleinen Käfig hinhielt, in den sie mit leisem Gurren hineinschlüpfte. Sie war die Letzte und sie würde dieser Nacht doch noch einen Sinn geben. Sie würde aus dem Ende einen Anfang machen.

 

»Alles wird gut, Ayleen«, sagte der alte Mann mit gebrochener Stimme und richtete sich auf, den Käfig fest in der Hand. Sein Rücken schmerzte, der Taubenschlag war nicht besonders groß, er hatte die vergangene Stunde in gebückter Haltung verbracht.

»Verdammtes Alter«, fluchte er leise und knipste die kleine Lampe aus, die neben der Tür des Bretterverschlages angebracht war. Er blinzelte, seine Augen suchten im Halbdunkel nach einem Anhaltspunkt. Der hintere Teil des Gartens lag im Schatten der Rotbuchen, die hier im Süden des Landes in vielen Gärten standen. Eine einzelne Schneeflocke trudelte vor ihm durch die eisige Luft, weitere folgten, lautlos, als Vorboten eines Winters, der zu früh über die Insel kam. In der Ferne hörte er die Brandung, die Wellen schoben sich gegen die Klippen, wie sie es schon immer getan hatten.

»Komm schon, Ayleen«, sagte er und blickte den Vogel in seinem Käfig an. »Ich weiß, es ist kalt und ungemütlich heute Abend, aber du darfst nach Hause. Was hältst du davon?«

Die Taube tippelte hin und her, sie reckte erwartungsvoll den Hals, wie immer, wenn sie fliegen durfte. Ihr Heimatschlag war nicht hier, in jenem Teil seines Gartens, wo die Schatten der Bäume kaum Licht hinließen. Sondern fern von hier, dort, wo sich jemand anderes um Ayleen kümmerte.

Jemand, dem der alte Mann vertraute wie kaum einem anderen Menschen.

Und dem er gleichzeitig misstraute wie kaum einem anderen Menschen.

 

»Ist das möglich, Ayleen?«, murmelte er, als er an den Menschen dachte, zu dem sie fliegen sollte. »Vertrauen und Misstrauen zu gleichen Teilen?«

Die Taube blieb stumm und blickte ihn an, als wartete sie auf das, was er als Nächstes sagen würde.

»Gut und böse«, sagte er und sein Atem blieb in der kalten Luft hängen. »Freude und Angst, geht das zusammen, deiner Meinung nach? Ich meine, kannst du dir vorstellen, jemand zu gleichen Teilen zu lieben und zu hassen, ihn gar zu verabscheuen?«

Der alte Mann machte einige Schritte über den gefrorenen Rasen und stieg über die verfaulten Äpfel eines längst aufgegebenen Obstbaumes.

»Das Leben ist seltsam, Ayleen«, fuhr er fort, als würde er mit sich selbst reden. »Der Tod natürlich auch. Aber das ist dann nicht mehr so wichtig, was meinst du?«

Mit dem Käfig durchschritt er einen kleinen Kräutergarten, den keiner mehr nutzte, seit sich die Krankheit leise und hinterhältig in ihr Leben geschlichen hatte. Er dachte an seine Frau, die reglos in ihrem Schlafzimmer lag, weil diese Nacht ihr den letzten Atemzug genommen hatte, mit kalter, unnachgiebiger Hand. Und er hatte dabei zugesehen und geweint und an eine Taube gedacht und an das, was nun kommen würde.

 

Als er die kleine Hintertür des Bauernhauses erreichte, stellte der alte Mann den Käfig mit Ayleen auf einen Gartentisch und zündete eine Kerze an, die er in ein Windlicht stellte. Dann setzte er sich auf einen Stuhl und blickte forschend in die Dunkelheit, als würden sich die Schatten der Vergangenheit und Zukunft darin verbergen.

Im schwachen Schein der Kerze betrachtete er seine knochige Hand, seinen glänzenden Ehering.

Wie bereits so oft im Laufe dieser Nacht.

Ayleen gurrte, als wollte sie ihm Mut zusprechen. »Du hast recht, Ayleen. Aber gib mir noch eine Minute, ja?«

Der Blick des alten Mannes wanderte durch den Garten, die Hecke entlang, bis zur Grundstücksgrenze. Dahinter wohnten die Ashburys, Tom und Helen, aber ihr Haus war weit genug entfernt. Über ihm fuhr der Wind durch das reetgedeckte Dach, seit Jahren hatte ihm seine Versicherung dazu geraten, das Dach zu erneuern und endlich mit ordentlichen Ziegeln decken zu lassen.

Aber er und seine Frau hatten dieses Haus auch aufgrund eben dieses Reetdaches so sehr geliebt, sie hatten dem Makler damals schon an der Haustür zugesagt, ohne es von innen gesehen zu haben. Weil sie gewusst hatten, hier würden sie wieder glücklich sein.

 

Ayleens Gurren holte ihn zurück in den dunklen Garten, der alte Mann fuhr sich müde durchs Gesicht.

»Also gut.«

Langsam stand er auf.

»Ich bin gleich wieder da, Ayleen. Einmal noch gehe ich rein, dann müssen wir wirklich los.«

 

Auch drinnen brannte kein Licht, nur eine Kerze, die seine Frau angezündet hatte und von der er genau wusste, wann sie abgebrannt sein würde.

Ihm blieb nicht viel Zeit.

Langsam tastete er sich durch einen kleinen Flur, er spürte die Kälte, die durch das Gemäuer kroch, spürte den Winter, der nach den Menschen griff, nach den Lebenden und den Toten. Als er die große Diele erreichte, bemerkte er den beißenden Geruch, aber er störte ihn nicht mehr. Er musste kein Licht anmachen, hier im Haus hätte er sich mit geschlossenen Augen zurechtgefunden. Mit den Fingern strich er über den großen Tisch, über die Stühle und über eine Kommode, auf der ein Bild aus besseren Zeiten stand.

Durch das Fenster in der Eingangstür sah er die Umrisse der Bäume, windzerzaust und schwankend, sah, wie der Schnee nun immer dichter fiel.

Und Licht. Er blinzelte, aber es war tatsächlich da. Ein schwaches Glimmen, die erste Ahnung eines neuen Tages. Die Eingangstür ging nach Osten, dorthin, wo der Tag erwachte.

Aber das war nun bedeutungslos. Er trat über die Schwelle des Schlafzimmers, wo der Geruch am stärksten war und die Nacht am dunkelsten. Vorsichtig, als könnte er sie stören, machte er ein paar Schritte hin zu ihrem Bett. Eine Diele knarzte, so wie sie es immer getan hatte, schon als sie eingezogen waren. Seine Frau hatte immer gehört, wenn er frühmorgens aufgestanden war, um nach den Tauben zu sehen. Sie hatte etwas gemurmelt und sich dann wieder umgedreht. Und er war hinaus in den neuen Tag geschlichen.

 

Vorsichtig setzte er sich auf die Bettkante und atmete tief durch. Er hörte das Gebälk über sich knarzen, durch die dünnen Fensterscheiben drang der Wind.

Sie war wunderschön, immer noch. Gezeichnet, ja, aber nicht verblasst. Ihr langes Haar war zu einem dicken Zopf geflochten, so wie sie es gewollt hatte. Er hatte sie geschminkt, ihr Haar gebürstet und dabei geweint.

Sie hatte gelächelt.

»Sag es ihm nicht«, hatte sie gebeten. Und das waren ihre letzten Worte gewesen. Und er hatte gewusst, dass er anders entscheiden würde.

Er hatte sie nie betrogen, sie nie angelogen, ein Leben lang. Aber nun, wo sie tot war, würde er sie hintergehen. Für jemanden, dem er so sehr vertraute. Für jemanden, dem er so sehr misstraute.

Er konnte nicht anders.

 

Er zog die Nachttischschublade auf und nahm einen Zettel und einen Stift heraus. Und im Schein der einzigen Kerze im Haus begann er zu schreiben. Es waren nur wenige Sätze, aber ihm war bewusst, welches Unheil sie anrichten würden.

Trotzdem schrieb er sie, und als er fertig war, rollte er den Zettel zusammen und band ein Gummiband darum.

Er war so weit.

 

»Es tut mir leid«, flüsterte er und setzte sich zu seiner Frau....
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