Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Lilly und Engelchen

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
320 Seiten
Deutsch
Edel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppeerschienen am08.11.20131. Auflage
Die bewegende Geschichte einer Jugend in der Nachkriegszeit. Mit aller Kraft hat Lilly auf den Frieden gehofft. Jetzt ist er da, und Lilly findet sich nicht mehr zurecht. Die Verantwortung für Engelchen, das verlassene Baby, um das sich Lilly seit der Flucht aus Mecklenburg kümmert, lässt sie allmählich erkennen, dass man sich nicht vor dem Leben verstecken darf. Lilly lernt wieder zu vertrauen: anderen Menschen, neuen Ideen, sich selbst. Aber das Zeitgeschehen drängt sich in alle Lebensbereiche. Und letztlich ist es wieder etwas sehr Privates, das Lilly zu Entscheidungen zwingt: ihr Gefühl für Gut und Böse...

Helga Hegewisch, geb. 2. Februar 1931, in Hamburg, ist eine deutsche Schriftstellerin und Kunstsammlerin. Helga Hegewisch studierte Theologie und Germanistik an den Universität Lausanne und der Universität Hamburg. Sie schrieb Fernsehspiele und Kinderbücher und baute ab 1954 mit ihrem ersten Ehemann Klaus-Bernt Hegewisch eine Kunstsammlung auf. 1976 verließ sie Deutschland und fing als Journalistin ein neues Leben an. Von 1977 bis 1985 war sie mit ihrem Ehemann Melvin Lasky Mitherausgeberin der Zeitschrift Der Monat. Von 1999 bis 2006 veröffentlichte sie Historische Romane.
mehr

Produkt

KlappentextDie bewegende Geschichte einer Jugend in der Nachkriegszeit. Mit aller Kraft hat Lilly auf den Frieden gehofft. Jetzt ist er da, und Lilly findet sich nicht mehr zurecht. Die Verantwortung für Engelchen, das verlassene Baby, um das sich Lilly seit der Flucht aus Mecklenburg kümmert, lässt sie allmählich erkennen, dass man sich nicht vor dem Leben verstecken darf. Lilly lernt wieder zu vertrauen: anderen Menschen, neuen Ideen, sich selbst. Aber das Zeitgeschehen drängt sich in alle Lebensbereiche. Und letztlich ist es wieder etwas sehr Privates, das Lilly zu Entscheidungen zwingt: ihr Gefühl für Gut und Böse...

Helga Hegewisch, geb. 2. Februar 1931, in Hamburg, ist eine deutsche Schriftstellerin und Kunstsammlerin. Helga Hegewisch studierte Theologie und Germanistik an den Universität Lausanne und der Universität Hamburg. Sie schrieb Fernsehspiele und Kinderbücher und baute ab 1954 mit ihrem ersten Ehemann Klaus-Bernt Hegewisch eine Kunstsammlung auf. 1976 verließ sie Deutschland und fing als Journalistin ein neues Leben an. Von 1977 bis 1985 war sie mit ihrem Ehemann Melvin Lasky Mitherausgeberin der Zeitschrift Der Monat. Von 1999 bis 2006 veröffentlichte sie Historische Romane.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783955302849
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum08.11.2013
Auflage1. Auflage
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1724345
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
1. Kapitel

Derselbe Lastwagen, der sie vor drei Jahren mitsamt ihrem Hausrat nach Mecklenburg auf die Domäne Staaken verfrachtet hat, bringt sie jetzt, am 30. Juni 1945, wieder zurück nach Hamburg. Damals sind sie vor den Bomben geflohen, heute fliehen sie vor den Russen, die im Zuge des Gebietsaustausches das Mecklenburger Land als Besatzer von den Engländern übernehmen werden.

»Under no circumstances should you remain east of the river«, hat Jeremy bereits vor einem Jahr zu Lilly gesagt. Ach, Jeremy! Lilly ahnt, dass ihre Gedanken an ihn nach den Ereignissen der letzten Nacht eine völlig andere Richtung nehmen müssen. Die Wirklichkeit hat mit den Träumen nicht Schritt gehalten.

»Was ist, Lilly, warum bist du so bedrückt?«, fragt Onkel Jupp, der, seitdem er so gut wie blind ist, ein erstaunliches Gespür für die Gefühle und Stimmungen anderer Menschen entwickelt hat.

»Weil ... weil ich mir etwas Falsches gewünscht hab, glaube ich jedenfalls.«

»Und nun ist dein Wunsch in Erfüllung gegangen und du hast das Gefühl eines Verlustes?«

»So ungefähr.«

Er lächelt. »Weißt du, die Sache mit dem Wünschen und Erfüllen ist doch sehr kompliziert, und oft passt das eine nicht so recht zum anderen. Immerhin hast du ja heute nicht nur etwas verloren, du hast vor allem etwas bekommen, etwas ganz Erstaunliches, Ungewöhnliches.«

»Stimmt«, sagt Lilly und zieht das winzig kleine Baby, das auf ihrem Schoß liegt, enger an sich. »Und ich hab nicht die geringste Ahnung, was draus werden soll. Aber eins weiß ich jetzt schon, ich geb´s nicht wieder her.«

»Langsam, Lilly, langsam. Nun pfleg es erst mal gesund und hab es lieb und freu dich dran. Und dann wird sich schon irgendetwas ergeben.«

»Was soll sich denn da noch ergeben? Ohne mich wär´s nämlich gestorben, deshalb gehört es jetzt mir. Das hat Jule auch gesagt.«

Vor zwei Stunden hatte Miroslaw, Jules polnischer Liebster und der Fahrer des Lastwagens, beschlossen, eine kurze Rast einzulegen, damit sie sich alle ein wenig die Beine vertreten konnten. Lilly sprang von der Ladefläche und lief nach vorne zur Fahrerkabine, um nach Mama und Baby Josi zu sehen.

»Ich glaube, dahinten ist eine Pumpe«, sagte Lillys Mama und hielt ihr den halb leeren Wasserkanister hin. »Du könntest die Gelegenheit nutzen und auffüllen.«

»Mach ich«, sagte Lilly, nahm den Kanister und stapfte durch das hohe Gras hinüber zu einem kleinen verfallenen Haus ohne Dach und Tür, neben dem der hohe Metallschwengel einer Pumpe aufragte.

Sie ließ das kühle, frische Wasser einlaufen, kippte sich auch gleich noch ein paar Hände voll ins Gesicht und wollte sich schon auf den Rückweg machen, als sie einen leisen Ton hörte, so ein schwaches klägliches Gemaunze, vielleicht von einem Kätzchen oder einem jungen Hund. Suchend ging sie um die Pumpe herum und schob das Gras auseinander.

Das, was sie dort fand, jagte ihr einen Schreck ein, gepaart mit Mitleid und Zorn und sofortiger, unabdingbarer Hilfsbereitschaft. Vor ihr auf dem Boden lag ein Baby, kaum größer als Schwesterchen Josi, eingewickelt in ein buntes Tuch. Eine Fliege kroch über das blasse Gesichtchen.

Lilly kniete sich ins Gras und flüsterte: »Wer hat dich denn hier vergessen? Du siehst ja aus, als wärest du schon nicht mehr ganz lebendig.« Als sie das Baby hochnehmen wollte, fing es kläglich an zu weinen.

Lilly drehte sich zurück in Richtung Lastwagen und schrie laut: »Jule, Jule, komm her, ich muss dir etwas zeigen!«

Jule kannte Lilly gut genug, um die Dringlichkeit in ihrer Stimme zu erfassen. Ohne Rücksicht auf ihren Siebenmonatsbauch sprang sie aus der Fahrerkabine und lief hinüber zu Lilly. »Was ist los, warum rufst du?« Dann sah sie das Baby, lachte und sagte: »Und ich dachte schon, da läge eine Bombe.«

»Es ist aber ein Baby!«, sagte Lilly.

»Also keine Bombe, das ist schon mal gut. Gehört wohl zu den Leuten, die in dem Haus dort wohnen.«

»Da wohnt niemand mehr, keine Türen, keine Fenster. Aber ich geh mal nachsehen.«

Tatsächlich fand Lilly in dem verfallenen Haus keine Spur von Menschen, nicht einmal Abfall lag herum, und auf dem alten Küchenherd war gewiss seit langem nicht mehr gekocht worden.

Als sie zur Pumpe zurückkam, hatte Jule das Kleine ausgepackt. »Meine Güte, das arme Ding! Voll bis zum Hals. Und wund gescheuert überall. Lauf schnell zum Wagen und hol mir Josis Windeltasche. Aber sag der Mama nicht, was wir hier haben. Die regt sich sonst zu sehr auf.«

»Gib mir die Windeltasche«, sagte Lilly zu ihrer Mutter.

»Wozu?«

»Jule hat schlimme Kopfschmerzen, sie will sich eine nasse Windel auf die Stirn legen.«

Als Mama Lilly die Tasche rausreichte, bemerkte sie trocken: »Jule hat in ihrem ganzen Leben noch keine Kopfschmerzen gehabt.«

Miroslaw gab sich sehr besorgt. »Jule schlecht? Etwa Baby? Schon?«

»Nein, nein«, sagte Lilly, »oder doch, ja, ein Baby. Aber nicht Jules, meins!«

»Deins, Panienka?«

Lilly lachte, sagte »Nicht wirklich, war nur ein Spaß«, und läuft zurück.

Jule hockte vor dem nackten Baby. »Mehr tot als lebendig, fast schon ein Engelchen. Wie können Menschen so böse sein und solch ein kleines hilfloses Wesen einfach sich selbst überlassen!«

Sie bedeckte die wunden Stellen mit einer dicken Schicht Penatencreme und wickelte das Kleine, das immer noch leise greinte, in eine frische Windel. Inzwischen füllte Lilly aus der Thermoskanne vorbereitete Milch in Josis Babyfläschchen. Das Kleine trank gierig.

»Es ist übrigens ein Mädchen«, sagte Jule und wischte sich mit dem Handrücken die Augen.

»Das hab ich gesehen.«

»Wo bleibt ihr denn so lange?«, rief Mama vom Wagen her. »Nun kommt doch endlich, wir wollen weiter.«

»Ja, gleich.« Jule stand auf und drückte Lilly das Baby in die Arme. »Es gehört dir, du hast es gefunden. Von jetzt an bist du verantwortlich.«

Plötzlich wurde Lilly doch etwas unsicher. »Aber wenn seine Mutter nun kommt und es holen will?«

»Die kommt nicht wieder. Und falls doch, dann hat sie kein Recht mehr auf das Kind. Das liegt hier bestimmt schon seit zwei Tagen. Wer so etwas tut ...!«

»Vielleicht konnte sie nicht anders.«

Jule betrachtete Lilly mit zusammengekniffenen Augen. »Erst mal ist jetzt das Kind dran. Um die Mutter kannst du dir dann später Sorgen machen - falls du das willst. Also mach schon, die Pani Alicia wird unruhig.«

»Sie wird mir nicht erlauben, das Baby mitzunehmen.«

Jule seufzte. »Na bitte sehr, dann lass es doch hier.« Ohne sich noch weiter um Lilly zu kümmern, ging sie zum Lastwagen zurück.

Als Lilly das Baby ins Gras zurücklegte, fing es sogleich wieder an zu weinen. »Keine Angst«, sagte Lilly, »ich lass dich nicht allein. Muss nur noch schnell etwas erledigen.«

Sie zog ihren Notizblock aus der Rocktasche und schrieb eine kurze Nachricht: Ich hab das Baby mitgenommen, es war schon fast verhungert. Elisabeth Steinhöfer, Sieglindenstraße 31, Hamburg-Eppendorf. Den Zettel legte sie auf den Herd im Haus und beschwerte ihn mit einem Stein.

»So, mein Engelchen«, sagte sie, als sie das Baby wieder hochnahm, »jetzt weiß deine Mutter wenigstens, wo du bist. Falls sie´s überhaupt wissen will.«

Mama beobachtete ihre herankommende Tochter. »Was ist das?«, sagte sie.

»Das siehst du doch, ein Baby. Ich hab´s gefunden, und wir werden es jetzt mitnehmen, weil es nämlich sonst verhungert.« Lillys Tonfall war ihr etwas schärfer und aufrührerischer geraten, als sie es eigentlich beabsichtigt hatte.

»Das werden wir nicht tun!«, sagte Mama. »Das erlaube ich nicht.«

»Na gut, dann bleib ich eben auch hier.«

»Jupp ...!«, schrie Mama.

»Lilly ...!«, mahnte Onkel Jupp.

»Du hast vielleicht Nerven!«, amüsierte sich Markus.

»Ist schon spät«, rief Miroslaw, »um zwölf Russen hier.«

Mama riss die Wagentür auf und sprang aus der Fahrerkabine. »Das kann ich nicht zulassen, auf gar keinen Fall!« Ihre Stimme überschlug sich vor Aufregung. »Wir sind sowieso schon zu viele!«

»Was soll denn das heißen?«, fauchte Lilly. »Wer ist denn hier zu viel?«

Mama brach in Tränen aus, woraufhin der kleine Felix von Onkel Jupps Schoß rutschte, an die Wagenklappe stolperte und sich schreiend in die Arme seiner Mutter fallen ließ.

Miroslaw drückte auf die Hupe. »Beeilung, Beeilung!«, rief er. »Schon zu viel Zeit verloren, bitte, bitte, Pani Alicia ...«

Mama jedoch war vollkommen durcheinander. Laut schluchzend schlug sie mit den Fäusten gegen die Wagenplanken. »Das geht nicht«, schrie sie immer wieder, »ich will das nicht!«

Lilly schloss die Augen und konzentrierte sich auf ihre Atmung - eins-zwei-drei einatmen; vier-fünf-sechs-sieben-acht ausatmen, das Ganze mindestens dreimal hintereinander. Schon immer hatte sie in Notfällen auf diesen Beruhigungstrick zurückgegriffen, und seit Mama so war, so labil und unkontrolliert, passierten diese Notfälle reichlich oft.

Aber Gott sei Dank war Lilly ja nicht auf sich allein gestellt, sie hatte Jule und sie hatte Onkel Jupp. An den wandte sie sich jetzt. »Tu doch etwas, bitte! Wenn sie so ist, hört sie nur auf dich.«

»Ja, ja«, sagte er, kam mühsam hoch, tastete sich an die Wagenklappe und streckte die Hand aus. »Alles ist in Ordnung, Alice, reg dich nicht so auf. Lilly weiß schon, was sie tut.«

»Weiß sie eben nicht«, jammerte Mama, doch wurde...
mehr