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Die Totenwäscherin

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
400 Seiten
Deutsch
Edel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppeerschienen am08.11.20131. Auflage
Der große historische Bestseller von Helga Hegewisch - endlich wieder lieferbar! Mecklenburg, Anfang des 19. Jahrhunderts. Sie hat ein besonderes Verhältnis zum Tod - manche sprechen sogar von einer Liebesbeziehung. Da Magdalena Winkelmann, genannt Toten-Lena, die Kunst beherrscht, die Verstorbenen schöner zu machen, als sie es im Leben je waren, sind die Dienste der Totenwäscherin weit über ihr Heimatdorf Gebbin hinaus gefragt. Ihre Nähe zum Tod macht sie einsam, aber auch unabhängig. Ihre und ihrer Kinder Stärke und Lebendigkeit ermöglichen, was zu ihrer Zeit kaum eine Frau schaffte: der Aufstieg aus dem kleinbäuerlichen Elend ins Bürgertum. Erzählt wird diese ungewöhnliche Lebensgeschichte von Magdalenas Urenkelin Antonia, Enkelin der schönen starken Barbara und Tochter von Hilda, die an der Liebe gestorben ist...

Helga Hegewisch, geb. 2. Februar 1931, in Hamburg, ist eine deutsche Schriftstellerin und Kunstsammlerin. Helga Hegewisch studierte Theologie und Germanistik an den Universität Lausanne und der Universität Hamburg. Sie schrieb Fernsehspiele und Kinderbücher und baute ab 1954 mit ihrem ersten Ehemann Klaus-Bernt Hegewisch eine Kunstsammlung auf. 1976 verließ sie Deutschland und fing als Journalistin ein neues Leben an. Von 1977 bis 1985 war sie mit ihrem Ehemann Melvin Lasky Mitherausgeberin der Zeitschrift Der Monat. Von 1999 bis 2006 veröffentlichte sie Historische Romane.
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Produkt

KlappentextDer große historische Bestseller von Helga Hegewisch - endlich wieder lieferbar! Mecklenburg, Anfang des 19. Jahrhunderts. Sie hat ein besonderes Verhältnis zum Tod - manche sprechen sogar von einer Liebesbeziehung. Da Magdalena Winkelmann, genannt Toten-Lena, die Kunst beherrscht, die Verstorbenen schöner zu machen, als sie es im Leben je waren, sind die Dienste der Totenwäscherin weit über ihr Heimatdorf Gebbin hinaus gefragt. Ihre Nähe zum Tod macht sie einsam, aber auch unabhängig. Ihre und ihrer Kinder Stärke und Lebendigkeit ermöglichen, was zu ihrer Zeit kaum eine Frau schaffte: der Aufstieg aus dem kleinbäuerlichen Elend ins Bürgertum. Erzählt wird diese ungewöhnliche Lebensgeschichte von Magdalenas Urenkelin Antonia, Enkelin der schönen starken Barbara und Tochter von Hilda, die an der Liebe gestorben ist...

Helga Hegewisch, geb. 2. Februar 1931, in Hamburg, ist eine deutsche Schriftstellerin und Kunstsammlerin. Helga Hegewisch studierte Theologie und Germanistik an den Universität Lausanne und der Universität Hamburg. Sie schrieb Fernsehspiele und Kinderbücher und baute ab 1954 mit ihrem ersten Ehemann Klaus-Bernt Hegewisch eine Kunstsammlung auf. 1976 verließ sie Deutschland und fing als Journalistin ein neues Leben an. Von 1977 bis 1985 war sie mit ihrem Ehemann Melvin Lasky Mitherausgeberin der Zeitschrift Der Monat. Von 1999 bis 2006 veröffentlichte sie Historische Romane.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783955302788
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum08.11.2013
Auflage1. Auflage
Seiten400 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1724761
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Am 28. Februar 1970 verstarb im Alter von vierundsiebzig Jahren Antonia Johanna Barbara Behringer, verwitwete Köppermann, geborene Wotersen im Sanatorium Behringer zu Greinsberg bei Freudenstadt. Sie war die Ururenkelin der schönen unglücklichen Kathrine, die Urenkelin der schönen einsamen Magdalena, die Enkelin der schönen starken Barbara und die Tochter von Hilda Wotersen, die an der Liebe gestorben ist.

Antonia war meine Mutter, und ich habe sie erst nach ihrem Tod richtig kennengelernt. Zeitweilig habe ich sehr an ihr gelitten, das war, als sie so sehr an sich selbst gelitten hat.

Daß man ihren Lungenkrebs nicht rechtzeitig erkannt hatte, obgleich doch mein Stiefvater Ludwig Behringer ein bekannter Lungenarzt war, hatte mit der unterschiedlichen Lebensweise meiner Mutter und Ludwig Behringers zu tun. Mutter hielt sich meist in Hamburg auf, wo sie ein großes Bestattungsinstitut leitete, mein Stiefvater kümmerte sich vor allem um das Sanatorium im Schwarzwald, das beiden gemeinsam gehörte. Man könnte es auch so ausdrücken: Mama lebte für die Toten, ihr Mann für diejenigen, die er dem Tod zu entreißen versuchte.

Dennoch hingen sie sehr aneinander, und ich hatte eigentlich nie das Gefühl, daß sie sich auseinandergelebt hätten. Meine Mutter fuhr regelmäßig nach Greinsberg, wo sie sich vor allem um die wirtschaftliche Organisation des Sanatoriums kümmerte. Und natürlich, um bei ihm zu sein.

Als junge Frau, die selbst in einer turbulenten Ehe lebte, konnte ich mich nicht genug darüber wundern, daß die beiden niemals stritten, sich überhaupt nie uneinig zu sein schienen. Alles geschah in höflicher Gelassenheit und Rücksichtnahme. Doch hatte diese Zivilisiertheit auch immer etwas untergründig Explosives, das sich von Mamas Ankunft in Greinsberg bis zu ihrer oft etwas hektischen Abreise langsam steigerte. Daß es nie zum Ausbruch kam, lag mehr an ihr als an ihm, wie auch das aktiv Unruhige vor allem von ihr ausging. Er gab sich eher passiv und freundlich distanziert. Seine stärkste Annäherung an sie lag in intensiven Blicken, mit denen er immer von neuem in ihrem Gesicht etwas zu suchen schien.

Als man meine Mutter im Hamburger Universitätskrankenhaus darüber informierte, daß ihre Lebenserwartung nur noch wenige Wochen betrug - sie hatte auf rückhaltloser Aufklärung bestanden -, begab sie sich nach Greinsberg, wo ihr Mann alles tat, um ihr das Sterben zu erleichtern.

Am siebenundzwanzigsten Februar rief mich mein Stiefvater in Hamburg an, ich möge bitte kommen, es ginge zu Ende.

Obgleich ich mich sofort auf den Weg machte, traf ich sie nicht mehr lebend an. Die Frau Doktor sei vor einer Stunde gestorben, wurde mir mitgeteilt.

Als ich das Sterbezimmer betrat, bot sich mir ein vollkommen unerwarteter Anblick. Ludwig Behringer saß vornübergebeugt auf dem Bett meiner Mutter. Er hatte die Tote halb zu sich auf den Schoß gezogen und hielt sie fest an sich gedrückt.

Er schreckte hoch, als habe ich ihn bei etwas Verbotenem überrascht, und fuhr mich an: »Du kommst zu spät!«

Ich wehrte mich. »Du hättest mich eher benachrichtigen müssen. Woher sollte ich denn wissen, daß es so schnell …«

»Schon gut, schon gut«, unterbrach er mich. »Jetzt bist du ja da. Sie hat immer gesagt, daß deine Hände mindestens so geschickt sind wie die ihren.«

Meine Hände, ja! Ich konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Ludwig Behringer hatte verhindert, daß ich von meiner lebenden Mutter Abschied nehmen konnte, er hatte sie in ihren letzten Stunden allein für sich haben wollen. Und danach überantwortete er sie nun großzügig meinen geschickten Händen.

Als ich ein Kind war, soll ich angeblich ein sehr herzliches, sogar liebevolles Verhältnis zu meinem späteren Stiefvater gehabt haben, ich kann mich kaum daran erinnern. Kurz bevor ich ins Internat ging und Greinsberg mitsamt meiner Kindheit hinter mir ließ, kam es zu einer bitteren Aussprache zwischen Ludwig Behringer, Mama und mir. Mit der ganzen Rechthaberei meiner damaligen dreizehn Jahre habe ich die beiden schuldig gesprochen, und das Ergebnis war, daß ich mich danach selber am schuldigsten fühlte.

In späteren Jahren, und weil mein Stiefvater und ich wußten, wieviel meiner Mutter daran lag, sind wir dann wieder ganz gut miteinander ausgekommen, von Herzlichkeit oder gar Liebe konnte jedoch nicht die Rede sein.

Mit sanfter Gebärde legte dieser kühle, zurückhaltende Mann jetzt seine tote Frau zurück aufs Bett, küßte sie auf Stirn und Mund und stand dann auf.

»Also tu, was du kannst«, sagte er zu mir, »und mach sie so jung und schön, wie die beiden damals gewesen sind, vor zweiunddreißig Jahren in Berlin.«

Was er mit »die beiden« meinte, wußte ich nicht, ich mochte ihn auch nicht danach fragen. Ich bat ihn nur, Mutters Körper in den für die Toten vorgesehenen Raum im Keller bringen zu lassen, hier oben könne ich nicht arbeiten.

Für eine kurze Weile setzte ich mich in die Küche zu der alten Wirtschafterin, die mich schon als Kind gekannt hat. Mit ihr konnte ich ungehemmt weinen. Sie gab mir eine Tasse Kaffee. Cognac wäre mir lieber gewesen, denn ich, die anerkannte Expertin im Umgang mit Toten, hatte schreckliche Angst vor dem toten Körper meiner Mutter. Ich würde ihn nicht berühren können, ich würde versagen. Hinzu kam, daß ich meinen Besteckekoffer - Mamas Ärztekoffer, wie meine Söhne ihn nannten - in Hamburg stehen gelassen hatte.

Die alte Frau wischte sich mit einem Küchenhandtuch die Augen. »Du machst das schon, Bärbelchen«, sagte sie.

Und ich hab's wirklich gemacht. Als ich nach unten kam, lag meine Mutter schon flach ausgestreckt auf dem hohen Tisch. Ich näherte mich ihr sehr vorsichtig, wagte kaum, richtig hinzusehen. Bevor ich noch bei dem Tisch angelangt war, machte ich kehrt und ging zur Tür zurück, um abzuschließen. Niemand sollte mich beobachten dürfen. Endlich stand ich dann neben ihr, berührte vorsichtig mit den Fingerspitzen ihr Gesicht, das noch warm war.

»Mama, ich bin bei dir«, flüsterte ich, und sogleich schämte ich mich meiner Worte. Vielleicht würde mir ja eine Umarmung helfen, dachte ich, was Ludwig Behringer kann, das kann ich schließlich auch. Mich hat sie geboren und aufgezogen, mit ihm war sie bloß verheiratet. Also schob ich meinen rechten Arm unter ihre Schulter, half mit dem linken nach und zog sie an mich. Und mit dieser ungeschickten Geste klärten sich plötzlich meine Gefühle.

Die Trauer würde gewiß nicht ausbleiben, vorerst jedoch war ich einzig meinem Beruf - der auch der ihre gewesen war - verpflichtet.

Während ich mir dann heißes Seifenwasser bereitete, entdeckte ich auf einem Bord neben dem Waschbecken einen Koffer, ähnlich meinem Arztkoffer, und tatsächlich enthielt er alles, was ich brauchte, Gummihandschuhe und diverse Instrumente, Äthanol, Azeton, Formalin, Injektionsnadeln, Zellstoff, Schminke und so weiter. Anscheinend hatte Mutter auch hier noch gelegentlich einen Toten hergerichtet.

Also ging ich an die Arbeit, und sie wurde unter meinen Händen wieder jung und schön. So etwas kann ich, das habe ich ja von Mama gelernt.

Ob sie so schön war wie damals in Berlin, das wußte ich nicht. Doch schien mein Stiefvater mit dem Ergebnis zufrieden zu sein, und er bestand darauf, daß der Sarg einen ganzen Tag lang offen in der Kirche stehen sollte, damit jeder, der wollte, einen letzten Blick auf meine Mutter werfen könnte. Er selbst wich nicht von ihrer Seite, bis schließlich die Träger kamen und den Sarg verschlossen.

Beigesetzt wurde sie dann nicht im Behringerschen Familiengrab, sondern in der hintersten Ecke des kleinen Greinsberger Friedhofes, nahe dem Grab des Fremden, der hier in ungeweihter Erde am 22. Dezember 1944 begraben worden ist.

Zwei Tage nach dem Tod meiner Mutter nahm sich Ludwig Behringer das Leben. Er konnte nicht mit ihr leben, ohne sie aber wohl erst recht nicht.

In einem kurzen Brief an mich hinterließ er die Anweisung, ebenfalls in jener hintersten Friedhofsecke begraben zu werden, und zwar zwischen seiner Frau und dem Toten vom 22. Dezember 1944.

Als einziger Nachkomme von Antonia Behringer erbte ich nun das über hundert Jahre alte Sanatorium, verschuldet, modernisierungsbedürftig, aber sehr schön gelegen. Ich wollte versuchen, es vorerst zu verpachten, um es für meinen ältesten Sohn zu erhalten, Andreas, fast achtzehn Jahre alt. Er war immer gern nach Greinsberg gefahren, und Ludwig hatte ihm besondere Aufmerksamkeit geschenkt. »Das wird einmal ein guter Arzt«, hatte er gesagt. Für Thomas, den um zwei Jahre Jüngeren stand von frühester Kindheit an fest, daß er in die Fußtapfen seiner Mutter und Großmutter treten würde.

Und ich würde die Hamburger »Trauerhilfe« mit ihren acht Filialen in Nord- und Westdeutschland und dazu den kleinen, von Mama gegründeten Lehrfriedhof in der Lüneburger Heide...

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