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Angstmädchen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
336 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am09.01.2017
Die junge, schüchterne Malin zieht in ein Studentenwohnheim ein. Zu ihrer großen Freude bekommt sie das einzige Zimmer, das über eine Badewanne verfügt. Doch dann erfährt sie, dass sich darin ein Mädchen namens Yuko die Pulsadern aufgeschnitten hat. Kurz darauf findet Malin Haarbüschel, die nicht von ihr stammen können, und als sie eines Nachts eine blasse Gestalt sieht, wird ihr klar, dass etwas in ihr Leben getreten ist, das sie nicht mehr loswird. Etwas, das ihr Angst macht - das auf sie wartet - wo immer sie auch hingeht ...

Jenny Milewski, geboren 1971, liebt Thriller und Horror. Sie arbeitet in der Werbebranche und hält neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit Vorträge über Spannung in Literatur und Film. In der schwedischen Szene hat sie bereits einen Namen und steht mit ihrem Debütroman Skalpelltanz für eine neue Thrillergeneration. Jenny Milewski lebt mit ihrem Mann in Malmö.
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Produkt

KlappentextDie junge, schüchterne Malin zieht in ein Studentenwohnheim ein. Zu ihrer großen Freude bekommt sie das einzige Zimmer, das über eine Badewanne verfügt. Doch dann erfährt sie, dass sich darin ein Mädchen namens Yuko die Pulsadern aufgeschnitten hat. Kurz darauf findet Malin Haarbüschel, die nicht von ihr stammen können, und als sie eines Nachts eine blasse Gestalt sieht, wird ihr klar, dass etwas in ihr Leben getreten ist, das sie nicht mehr loswird. Etwas, das ihr Angst macht - das auf sie wartet - wo immer sie auch hingeht ...

Jenny Milewski, geboren 1971, liebt Thriller und Horror. Sie arbeitet in der Werbebranche und hält neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit Vorträge über Spannung in Literatur und Film. In der schwedischen Szene hat sie bereits einen Namen und steht mit ihrem Debütroman Skalpelltanz für eine neue Thrillergeneration. Jenny Milewski lebt mit ihrem Mann in Malmö.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641194819
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum09.01.2017
Seiten336 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1855 Kbytes
Artikel-Nr.1941992
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1

Es ist 06.35 Uhr, und die Sonne ist noch nicht über den Häusern auf der anderen Seite des Yoyogi-Parks aufgegangen. Aber man kann trotzdem erkennen, dass der Morgen anbricht. Die nächtliche Finsternis löst sich an den Rändern auf, und die Neonschilder scheinen mit jeder Minute, die vergeht, schwächer zu leuchten. Der Verkehr verdichtet sich, und das Echo der unzähligen Autohupen hallt zwischen den Häuserwänden zu mir empor.

Wenn ich den Oberkörper nach vorn neige, kann ich den Strom früh aufgestandener Pendler aus den U-Bahn-Aufgängen herauswogen sehen. Wie ein Schwarm schwarzer Insekten warten sie im Halbdunkel an der Fußgängerampel, bis diese auf Grün schaltet und sie weiterkrabbeln wie jeden Morgen, ein langer Arbeitstag liegt vor ihnen.

Fünfundzwanzig Stockwerke befinden sich zwischen mir und den Menschen da unten. Fünfundzwanzig Schichten aus Zimmerdecken und Böden in puppenkleinen Wohnungen trennen mich vom Rest des Lebens in dieser Stadt. Es hätte genauso gut ein ganzes Universum sein können.

Hier oben auf dem Dach ist alles anders. Die aufsteigende Sonne wirkt viel heller und der Wind frischer. Das Volumen meiner Sinne ist voll aufgedreht, sie pressen das Maximum aus allen Eindrücken an diesem letzten Morgen heraus.

Ich spüre, wie der raue Beton die nackte Haut meiner Füße kitzelt und wie der Wind mir die Haare ins Gesicht weht, bis ich nur noch Streifen vom Himmel in den Ritzen des schwarzen Haarvorhangs sehen kann. Ich hatte noch nie so lange Haare wie jetzt. Zehn Jahre lang habe ich sie wachsen lassen im Warten auf diesen Tag.

Am liebsten hätte ich die Hand gehoben und die Haare zur Seite gestrichen, um den letzten Sonnenaufgang voll und ganz wahrzunehmen. Aber ich will mich nicht rühren, will nicht riskieren, das Gleichgewicht zu verlieren; ich will nicht, dass der Wind meine Kleidung packt und mich mitzieht. Noch nicht.

Ich schiebe mich ein paar Millimeter nach hinten und stemme die Fersen gegen die Betonkante, die das Dach umrahmt. Wende das Gesicht der aufgehenden Sonne zu und schließe die Augen.

»Das hier kann der Augenblick sein, der unsere Leben auf immer verändert«, flüstere ich dem Wind, der Sonne und dem Himmel zu.

Das pflegte der Amerikaner immer zu sagen.

Der Amerikaner wohnte in Bungalow Nummer 4. Er wohnte schon dort, als ich ankam, und war noch da, als ich vor zwei Tagen von der Insel wegfuhr. Vermutlich wird er noch lange dortbleiben.

Er war ein typischer Überwinterer, der Amerikaner. Einer, der früher ein normaler Tourist gewesen war. Der nur Urlaub machen wollte, aber aus irgendeinem Grund hängen geblieben und abseits gelandet war. Abseits des Tourismus, des Lebens und der Zeit an sich. Während andere wieder nach Hause fuhren und die Reise in verstaubten Fotoalben verblassen ließen, blieb der Überwinterer da; in denselben ausgebleichten Khakishorts, Surferhemden und falschen Marken-Flipflops wie zuvor. Im Laufe der Zeit immer grauer und schwerer, aber im Grunde derselbe, der er immer gewesen war.

Der Amerikaner erzählte nie, wie alt er war. Und das Alter von Leuten wie ihm ist immer schwer zu bestimmen. Auch seinen richtigen Namen kannte ich nicht. Nur das »Mr. America«, das die Jungen im Hafen ihm hinterherzurufen pflegten, wenn er vorbeiging. Manchmal fuhr er auf einem Taucherboot mit den Ausbildern aufs Meer hinaus und half ihnen mit der Ausrüstung, und abends stand er in einem der Strandrestaurants am Grill. Ein bisschen was verdiente er dabei vermutlich, aber seine hauptsächliche Versorgung musste er sich anderweitig organisieren. Wie, wusste ich nicht.

Bungalow Nummer 4 war unmittelbar an meinen angebaut, und die Wände waren sehr dünn. Deshalb wusste ich, dass der Amerikaner nachts auch nicht schlief. Manchmal hörte ich ihn nebenan herumfuhrwerken und bald darauf die Tür öffnen und hinausgehen, um einen Spaziergang zu machen. Dann wartete ich, bis er zurück war, bevor ich selbst hinausging. Ich vermute, dass er es genauso hielt.

Aber manchmal geschah es, dass wir die Türen gleichzeitig öffneten und auf unsere kleinen Veranden traten. Dann brachten wir es nicht über uns, wieder hineinzugehen, sondern unternahmen unseren nächtlichen Spaziergang gemeinsam.

Man verirrte sich leicht, wenn man sich nachts auf der Insel fortbewegte. Auf unserer Seite der Insel erreichte die Flut in der Nacht ihren Höhepunkt, und der tagsüber sehr breite Strand verschwand vollkommen. An manchen Stellen musste man ins Meer hinauswaten und sich an herabhängenden Büschen vorbeizwängen, während einem das Wasser bis zu den Knien reichte. Und dann war da die Finsternis. Die Dieselgeneratoren, die in den abgelegeneren Teilen der Insel die Stromversorgung sicherten, wurden meistens um Mitternacht abgestellt, um Brennstoff zu sparen, und dann gab es keine Lichter mehr, an denen man sich orientieren konnte. Ohne Taschenlampe war es fast unmöglich, wieder zurückzufinden. Ich dachte oft, dass die Nächte auf der Insel ebenso schwarz waren wie eine Winternacht im Wald hinter dem Haus meiner Eltern. Nur wärmer und schwüler.

Der Amerikaner und ich wechselten kaum ein Wort während unserer nächtlichen Spaziergänge. Wir gingen schweigend nebeneinander her und lauschten dem Rauschen der Kokospalmen, dem Gesang der Zikaden und den Rufen der Geckos. Dreimal hintereinander quäkte ein Gecko. Immer dreimal. Wenn man einen Gecko weniger oder öfter quäken hört, bringt das Unglück, sagt man. Ich weiß nicht, ob das stimmt, und es ist mir auch egal. Ich weiß bereits, woher mein Unglück kommt.

Nein, wir redeten nicht viel, der Amerikaner und ich. Ich fragte ihn nie, weshalb er nachts nicht schlief. Und er fragte mich nicht. Daher weiß ich auch nicht, ob er meine Schreie durch die Wand hören konnte.

Manchmal gingen wir auf die andere Seite der Insel zu einer Felsformation, die angeblich, so steht es in den Reiseführern, einem sitzenden Buddha ähnelt. Dort setzten wir uns in den weißen Sand oder auf eine Sonnenliege, die jemand dort vergessen hatte, und warteten auf den Sonnenaufgang. Von unserer Seite der Insel konnte man den Sonnenaufgang nicht sehen. Man konnte ihn sich nur vorstellen.

Wenn der erste Streifen des Sonnenplaneten den Horizont erklomm, sagte der Amerikaner immer:

»Das hier kann der Augenblick sein, der unser Leben für immer verändert.«

Nur auf Englisch natürlich.

Ich habe nie begriffen, warum er das sagte. Vielleicht war es eine Art Anmache, die ich nicht kapierte. Ich habe seit Langem alles vergessen, was ich einst von dem Spiel zwischen Männern und Frauen wusste. Oder es war ein Zitat aus einem Film, den ich nicht gesehen hatte.

Ich antwortete nie, wenn er das sagte, und der Amerikaner schien auch keine Antwort zu erwarten.

Ich habe manchmal darüber nachgedacht. Ob es wirklich solche Augenblicke gibt, die ein ganzes Leben verändern können; Gelegenheiten, bei denen man hätte innehalten und sagen können:

»Genau jetzt wird mein Schicksal besiegelt. Bis hierhin konnte alles Mögliche passieren. Aber dieser eine Augenblick wird mein Leben für immer verändern.«

Ich glaube nicht. Ich denke, dass unser Leben von einer ganzen Perlenkette aus Ereignissen und Entscheidungen geformt wird. Manche sind so unbedeutend wie Kieselsteine, die von einem Fluss mitgerissen werden, ohne etwas zu bewirken. Andere sind wie Felsblöcke, die die Richtung des Stroms auf immer verändern. Aber was ein Kieselstein ist und was ein Steinblock, weiß man nicht immer so leicht. Und die Folgen unserer Entscheidungen, getroffen nach bestem Wissen und Gewissen und mit allen in dem Moment zugänglichen Informationen, werden uns zumeist erst im Nachhinein bewusst. Wenn alles zu spät ist.

Daher weiß ich auch nicht sicher, wann meine Geschichte anfängt. Zu welchem Zeitpunkt sich der Felsblock meines Lebens in Bewegung setzte und der Weg in Richtung Ende unwiderruflich eingeleitet wurde. Vielleicht beginnt sie an einem kalten Dezemberabend auf einem Friedhof außerhalb von Linköping. Oder als ich zum ersten Mal den Schlüssel in das Schloss des Zimmers in der Ryds Allé 23 steckte. Oder als der Annahmebescheid der Universität in dem Briefkasten vor dem Haus meiner Eltern landete. Oder aber mein Ende war bereits unerschütterlich vorherbestimmt, als ich geboren wurde.

Ich weiß es nicht, und es spielt auch keine Rolle mehr, wann die Geschichte anfängt. Ich weiß nur, dass sie genau hier endet, am 10.März 2003, auf einem Dach in Tokio in der Morgendämmerung.

Man sagt, der Weg in die Hölle sei gepflastert mit guten Vorsätzen. Und ich bin sicher, dass keiner von uns etwas anderes als gute Vorsätze hatte. Trotzdem landeten wir alle miteinander in der Hölle. Für manche von uns ging es schnell, bei mir dauerte es über ein Jahrzehnt.

Es ist zehn Jahre und drei Monate her, dass ich Schweden verlassen habe. In zehn Jahren passiert viel auf der Welt. Die Handys sind gekommen, und das Internet - sogar auf der Insel gab es eine Verbindung über Satellit, wenn man Glück hatte. Der Jahrtausendwechsel kam und ging, und vor anderthalb Jahren krachten zwei Flugzeuge in das World Trade Center in New York. Sie sagen, dass die Welt nie wieder dieselbe sein wird - und das stimmt sicherlich. Aber für mich ist das egal. Auch ich bin abseits von Zeit und Leben gelandet. Ich bin ein Überwinterer geworden, genau wie der Amerikaner.

Aber jetzt ist es bald vorbei. Die ersten Sonnenstrahlen klettern über die Dächer der Hochhäuser vor mir und wärmen mein Gesicht, dem Himmel zugewandt. Ich weiß, dass der Zeitpunkt gekommen ist. Zehn Jahre sind eine lange Zeit, aber jetzt ist...

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Autor

Jenny Milewski, geboren 1971, liebt Thriller und Horror. Sie arbeitet in der Werbebranche und hält neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit Vorträge über Spannung in Literatur und Film. In der schwedischen Szene hat sie bereits einen Namen und steht mit ihrem Debütroman Skalpelltanz für eine neue Thrillergeneration. Jenny Milewski lebt mit ihrem Mann in Malmö.
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Milewski, Jenny