Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Jacobs Zimmer

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
208 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am08.12.20161. Auflage
»Der stille junge Mann«, heißt es von Jacob Flanders, und: »wie besonders er aussieht«. Er hat das College in Cambridge verlassen und lebt in London. Flüchtige Freundschaften und Liebeserlebnisse lassen ihn spüren, wie einsam er mit seinem vielleicht nicht mehr zeitgemäßen Weltbild ist. Mehr und mehr zieht er sich in sein Zimmer und seinen eigenen geistig-seelischen Bereich zurück, liest bis spät in die Nacht Autoren der griechischen und römischen Antike und der elisabethanischen Zeit. Auf einer Reise nach Italien und Griechenland will er die klassischen Kunstdenkmäler als den Ausdruck von Einheit und Größe erleben, der seinem Ideal entspricht. Ist es das, was er erlebt? Nach seiner Rückkehr findet er den Kontakt zur Gegenwart nicht mehr. Der Erste Weltkrieg ist ausgebrochen; Jacobs Spur verliert sich in Flandern. In sein Zimmer dringen jetzt durch das offene Fenster die Laute des modernen Lebens. Mit ihrem dritten Roman hat Virginia Woolf den entscheidenden Schritt in ihrer künstlerischen Entwicklung getan. Flüchtige Sinneswahrnehmungen, Momentaufnahmen, Gesprächsfetzen, wie mit dem Blick des Malers eingefangene Impressionen, das sind die Mittel, die sie nun bewußt einsetzt. Mit vierzig Jahren, schrieb Virginia Woolf in ihr Tagebuch, habe sie herausgefunden, »wie ich es anfangen muß, etwas mit eigener Stimme zu sagen.«

Virginia Woolf wurde am 25. Januar 1882 als Tochter des Biographen und Literaten Sir Leslie Stephen in London geboren. Zusammen mit ihrem Mann, dem Kritiker Leonard Woolf, gründete sie 1917 den Verlag The Hogarth Press. Ihre Romane stellen sie als Schriftstellerin neben James Joyce und Marcel Proust. Zugleich war sie eine der lebendigsten Essayistinnen ihrer Zeit und hinterließ ein umfangreiches Tagebuch- und Briefwerk. Virginia Woolf nahm sich am 28. März 1941 in dem Fluß Ouse bei Lewes (Sussex) das Leben.
mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR18,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

Klappentext»Der stille junge Mann«, heißt es von Jacob Flanders, und: »wie besonders er aussieht«. Er hat das College in Cambridge verlassen und lebt in London. Flüchtige Freundschaften und Liebeserlebnisse lassen ihn spüren, wie einsam er mit seinem vielleicht nicht mehr zeitgemäßen Weltbild ist. Mehr und mehr zieht er sich in sein Zimmer und seinen eigenen geistig-seelischen Bereich zurück, liest bis spät in die Nacht Autoren der griechischen und römischen Antike und der elisabethanischen Zeit. Auf einer Reise nach Italien und Griechenland will er die klassischen Kunstdenkmäler als den Ausdruck von Einheit und Größe erleben, der seinem Ideal entspricht. Ist es das, was er erlebt? Nach seiner Rückkehr findet er den Kontakt zur Gegenwart nicht mehr. Der Erste Weltkrieg ist ausgebrochen; Jacobs Spur verliert sich in Flandern. In sein Zimmer dringen jetzt durch das offene Fenster die Laute des modernen Lebens. Mit ihrem dritten Roman hat Virginia Woolf den entscheidenden Schritt in ihrer künstlerischen Entwicklung getan. Flüchtige Sinneswahrnehmungen, Momentaufnahmen, Gesprächsfetzen, wie mit dem Blick des Malers eingefangene Impressionen, das sind die Mittel, die sie nun bewußt einsetzt. Mit vierzig Jahren, schrieb Virginia Woolf in ihr Tagebuch, habe sie herausgefunden, »wie ich es anfangen muß, etwas mit eigener Stimme zu sagen.«

Virginia Woolf wurde am 25. Januar 1882 als Tochter des Biographen und Literaten Sir Leslie Stephen in London geboren. Zusammen mit ihrem Mann, dem Kritiker Leonard Woolf, gründete sie 1917 den Verlag The Hogarth Press. Ihre Romane stellen sie als Schriftstellerin neben James Joyce und Marcel Proust. Zugleich war sie eine der lebendigsten Essayistinnen ihrer Zeit und hinterließ ein umfangreiches Tagebuch- und Briefwerk. Virginia Woolf nahm sich am 28. März 1941 in dem Fluß Ouse bei Lewes (Sussex) das Leben.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783104904931
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum08.12.2016
Auflage1. Auflage
Seiten208 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1879 Kbytes
Artikel-Nr.2146900
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

I

»So blieb eigentlich«, schrieb Betty Flanders und grub die Hacken noch tiefer in den Sand, »nichts anderes als wieder abzureisen.«

Langsam entquoll der Spitze ihrer Goldfeder blaßblaue Tinte und löste den Punkt auf; denn hier stockte ihre Feder; ihre Augen standen still, und langsam füllten sie Tränen. Die ganze Bucht zitterte; der Leuchtturm wackelte; und sie hatte die Illusion, daß der Mast von Mr Connors kleiner Jacht sich verbog wie eine Wachskerze in der Sonne. Sie blinzelte rasch. Unfälle waren etwas Schreckliches. Sie blinzelte noch einmal. Der Mast war gerade; die Wellen waren regelmäßig; der Leuchtturm war lotrecht; aber der Klecks hatte sich ausgebreitet.

»... nichts anderes als wieder abzureisen«, las sie.

»Also wenn Jacob nicht spielen will« (der Schatten von Archer, ihrem ältesten Sohn, fiel über das Briefpapier und sah auf dem Sand blau aus, und sie fröstelte - es war schon der dritte September), »wenn Jacob nicht spielen will« - was für ein scheußlicher Klecks! Es muß schon spät sein.

»Wo ist dieser kleine Quälgeist?« sagte sie. »Ich sehe ihn nicht. Lauf und such ihn. Sag ihm, er soll sofort kommen.« » ... doch gottlob«, schrieb sie hastig und bekümmerte sich nicht um den Punkt, »scheint alles zur Zufriedenheit gelöst, wenn wir auch wie Heringe ins Faß gepfercht sind und den Kinderwagen hinausstellen müssen, was die Wirtin natürlich nicht dulden will ...«

Solcherart waren Betty Flanders' Briefe an Kapitän Barfoot - etliche Seiten lang, tränenfleckig. Scarborough ist siebenhundert Meilen weit von Cornwall: Kapitän Barfoot ist in Scarborough: Seabrook ist tot. Tränen ließen alle Dahlien in ihrem Garten zu roten Wogen verfließen und blitzten ihr das Gewächshaus in die Augen und bestirnten die Küche mit blinkenden Messern und brachten Mrs Jarvis, die Pfarrersfrau, beim Gottesdienst, während die Choralmelodie erklang und Mrs Flanders sich tief über die Köpfe ihrer kleinen Jungen neigte, auf den Gedanken, daß die Ehe eine Festung ist und Witwen einsam auf weiter Flur umherirren, Steine aufklauben, einzelne goldene Strohhalme auflesen, allein, unbeschützt, arme Geschöpfe. Mrs Flanders war nun seit zwei Jahren Witwe.

 

»Ja-cob! Ja-cob!« schrie Archer.

 

»Scarborough«, schrieb Mrs Flanders auf den Umschlag und setzte schwungvoll einen kräftigen Strich darunter; es war ihre Heimatstadt; der Mittelpunkt des Universums. Aber eine Briefmarke? Sie stöberte in ihrer Handtasche; hielt sie hoch mit der Öffnung nach unten; kramte dann in ihrem Schoß, alles so energisch, daß Charles Steele unter seinem Panamahut den Pinsel in der Schwebe hielt.

Wie die Fühler eines gereizten Insekts zitterte er regelrecht. Da bewegte sich diese Frau doch - machte gar Anstalten, aufzustehen - der Teufel hole sie! Er versetzte der Leinwand einen hastigen violettschwarzen Tupfer. Denn den brauchte die Landschaft. Sie war zu blaß - Grautöne flossen in Lavendeltöne, und darüber ein einzelner Stern oder eine weiße Möwe akkurat in der Schwebe - zu blaß wie gewöhnlich. Die Kritiker würden sagen, sie sei zu blaß, denn er war ein unbekannter Mann, der wenig beachtet ausstellte, bei den Kindern seiner Wirtinnen beliebt war, ein Kreuz an der Uhrkette trug und sich hoch erfreut zeigte, wenn seine Wirtinnen seine Bilder mochten - was sie oft taten.

 

»Ja-cob! Ja-cob!« schrie Archer.

 

Verärgert über den Lärm, doch kinderlieb, stocherte Steele nervös in den kleinen dunklen Spiralen auf seiner Palette.

»Deinen Bruder hab ich gesehn - deinen Bruder hab ich gesehn«, sagte er kopfnickend, als Archer, seinen Spaten hinter sich herziehend, an ihm vorbeizockelte und den bebrillten alten Herrn mißmutig anblickte.

»Da drüben - beim Felsen«, nuschelte Steele mit dem Pinsel zwischen den Zähnen, drückte ungebranntes Siena aus und blickte unverwandt auf Betty Flanders' Rücken.

»Ja-cob! Ja-cob!« schrie Archer und zockelte wieder weiter.

Die Stimme hatte eine außerordentliche Traurigkeit. Rein von allem Körper, rein von aller Leidenschaft, in die Welt hinausgehend, einsam, unerwidert, sich an Felsen brechend - so klang sie.

 

Steele runzelte die Stirn; war aber angetan von der Wirkung des Schwarz - eben der Ton, der alles zusammenbrachte. »Man kann auch mit Fünfzig noch malen lernen! Schließlich, Tizian ...« und so, der richtige Farbton war glücklich gefunden, hob er den Blick und sah zu seinem Entsetzen eine Wolke über der Bucht.

Mrs Flanders stand auf, klopfte ihren Mantel von beiden Seiten ab, um den Sand auszuschütteln, und hob ihren schwarzen Sonnenschirm auf.

 

Der Felsen war einer jener ungeheuer massiven braunen oder eher schwarzen Felsen, die sich aus dem Sand erheben wie etwas Urtümliches. Rauh von krumpeligen Napfschnecken und spärlich bedeckt mit Locken aus getrocknetem Tang, da muß ein kleiner Junge die Beine weit auseinanderstrecken und sich recht heldenhaft fühlen, bevor er den Gipfel erreicht.

Aber dort, oben auf dem Gipfel, ist eine Mulde voll Wasser, mit sandigem Grund; mit einem qualligen Klümpchen an der Wand und ein paar Muscheln. Ein Fisch huscht hindurch. Die Fransen vom gelbbraunen Tang flattern, und hinaus schiebt sich eine opalschalige Krabbe -

»Oh, eine große Krabbe«, murmelte Jacob - und beginnt auf schwächlichen Beinen ihre Reise über den sandigen Grund. Jetzt! Jacob griff ins Wasser. Die Krabbe war kühl und ganz leicht. Aber das Wasser war trübe vom Sand, und so krabbelte Jacob hinunter, und wollte schon springen, seinen Eimer vor sich haltend, da sah er, völlig starr ausgestreckt, Seite an Seite, mit sehr roten Gesichtern, einen Mann und eine Frau, riesengroß.

Ein Mann und eine Frau, riesengroß (es war ein Tag, an dem die Geschäfte früh schlossen), lagen reglos ausgestreckt, die Köpfe auf Taschentüchern, Seite an Seite, nur wenige Fuß weg vom Meer, während zwei oder drei Möwen elegant den einlaufenden Wellen auswichen und sich bei ihren Schuhen niederließen.

Die großen roten Gesichter starrten von ihren Schnupftüchern zu Jacob hinauf. Jacob starrte zu ihnen hinunter. Dann, den Eimer festhaltend, sprang Jacob entschlossen und trabte davon, anfangs sehr gelassen, dann schneller und schneller, sobald die Wellen sahnig nahten und er Haken schlagen mußte, um sie zu vermeiden, und die Möwen stiegen vor ihm auf und schwebten hinaus und ließen sich ein Stückchen weiter wieder nieder. Eine große schwarze Frau saß auf dem Sand. Er rannte zu ihr.

»Nanny! Nanny!« rief er und schluchzte die Wörter auf dem Kamm jedes keuchenden Atemzuges heraus.

Die Wellen umfluteten sie. Sie war ein Fels. Sie war mit jenem Tang bedeckt, der mit einem Knall zerplatzt, wenn man draufdrückt. Er war verloren.

Da stand er. Sein Gesicht sammelte sich. Er wollte schon brüllen, als er zwischen dem schwarzen Reisig und dem Stroh unter der Klippe einen ganzen Schädel sah - vielleicht ein Kuhschädel, vielleicht ein Schädel mit allen Zähnen drin. Schluchzend, aber nicht mehr aus ganzer Seele, lief er weiter und weiter, bis er den Schädel in den Armen hielt.

 

»Da ist er!« rief Mrs Flanders, als sie um den Felsen herumkam und die gesamte Breite des Strandes in wenigen Sekunden durchmaß. »Was hat er denn da aufgegabelt? Leg das hin, Jacob! Wirf das sofort weg! Etwas Scheußliches, das weiß ich. Warum bist du nicht bei uns geblieben? Du ungezogener kleiner Junge! Jetzt leg es hin. Jetzt kommt, alle beide«, und sie fuhr herum, hielt dabei Archer an einer Hand und suchte mit der anderen Jacobs Arm zu packen. Aber der duckte sich und hob den losen Schafsunterkiefer auf.

Sie schwang ihre Handtasche, schloß die Finger fest um ihren Sonnenschirm, hielt Archer bei der Hand und erzählte die Geschichte von der Schießpulverexplosion, bei der der arme Mr Curnow das eine Auge verloren hatte, so eilte Mrs Flanders den steilen Weg hinauf und spürte die ganze Zeit über in den Tiefen ihres Gemüts ein vergrabenes Unbehagen.

Dort auf dem Sand unweit von dem Liebespaar lag der alte Schafsschädel ohne seinen Unterkiefer. Blank, weiß, windgeschmirgelt, sandgescheuert, ein keimfreieres Stück Knochen gab es nirgendwo an der Küste von Cornwall. Die Stranddisteln würden durch seine Augenhöhlen wachsen; er würde sich in Pulver verwandeln, oder ein Golfspieler würde eines schönen Tages beim Schlag nach dem Ball ein wenig Staub zerstieben - Nein, aber nicht in der Pension, dachte Mrs Flanders. Es ist ein großes Experiment, mit kleinen Kindern so weit zu verreisen. Kein Mann ist da, um beim Kinderwagen mitanzufassen. Und Jacob solch ein Wildfang; schon so eigenwillig.

»Wirf das weg, Liebchen, komm«, sagte sie, als sie auf die Straße gelangten; aber Jacob entschlüpfte ihr; und da der Wind auffrischte, zog sie ihre Hutnadel heraus, blickte aufs Meer und steckte sie neu fest. Der Wind frischte auf. Die Wellen zeigten jene Unrast, wie etwas Lebendiges, das unruhig die Peitsche erwartet, von Wellen vor einem Sturm. Die Fischerboote lehnten am Wasserrand. Ein blaßgelbes Licht schoß über die purpurne See; und verlosch. Der Leuchtturm ging an. »Nun kommt«, sagte Betty Flanders. Die Sonne glühte in ihre Gesichter und vergoldete die großen Brombeeren, die schwankend aus der Hecke ragten und die Archer im Vorbeigehen zu pflücken versuchte.

»Nicht trödeln, ihr beiden. Ihr habt nichts zum Umziehen«, sagte Betty, zog sie weiter und sah mit beklommenem Gefühl die so grell zur...
mehr

Autor

Virginia Woolf wurde am 25. Januar 1882 als Tochter des Biographen und Literaten Sir Leslie Stephen in London geboren. Zusammen mit ihrem Mann, dem Kritiker Leonard Woolf, gründete sie 1917 den Verlag The Hogarth Press. Ihre Romane stellen sie als Schriftstellerin neben James Joyce und Marcel Proust. Zugleich war sie eine der lebendigsten Essayistinnen ihrer Zeit und hinterließ ein umfangreiches Tagebuch- und Briefwerk. Virginia Woolf nahm sich am 28. März 1941 in dem Fluß Ouse bei Lewes (Sussex) das Leben.Klaus Reichert, 1938 geboren, ist Literaturwissenschaftler, Autor, Übersetzer und Herausgeber. Von 1964 bis 1968 war er Lektor in den Verlagen Insel und Suhrkamp, von 1975 bis 2003 war er Professor für Anglistik und Amerikanistik an der Frankfurter Goethe-Universität, 1993 gründete er dort das »Zentrum zur Erforschung der Frühen Neuzeit«. Von 2002 bis 2011 war er Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Bei S. Fischer erschien zuletzt »Türkische Tagebücher. Reisen in ein unentdecktes Land« (2011) und »Wolkendienst. Figuren des Flüchtigen« (2016).Heidi Zerning, geboren 1940 in Berlin, studierte Anglistik, Amerikanistik, Geschichte und Philosophie und ist seit 1990 hauptberuflich als Übersetzerin tätig. Neben Alice Munros Erzählungen hat sie Werke von Virginia Woolf, Truman Capote und Steve Tesich übersetzt. Heidi Zerning verstarb im Oktober 2022 in Berlin.