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Ein guter Blick fürs Böse

von
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
Deutsch
Bastei Lübbeerschienen am11.01.20131. Aufl. 2013
Eigentlich wollen Lizzie Martin und ihr Hausmädchen Bessie nur einen entspannenden Spaziergang unternehmen - bis sie auf Thomas Tapley treffen, einen Nachbarn von Lizzie, der als harmloser alter Exzentriker gilt. Die Begegnung ist Auftakt einer Reihe merkwürdiger Ereignisse, die ihren Höhepunkt am nächsten Tag erreicht, als Tapley erschlagen aufgefunden wird. Rasch stellt sich heraus, dass Tapley offenbar viele Geheimnisse hatte. Benjamin Ross vom Scotland Yard will den Fall so schnell wie möglich aufklären. Doch da ist er nicht der Einzige. Horatio Jenkins, ein Privatdetektiv, ist auf derselben Spur - und wird wenig später ebenfalls ermordet. Lizzie und Benjamin stehen vor ihrem mysteriösesten Fall ...mehr

Produkt

KlappentextEigentlich wollen Lizzie Martin und ihr Hausmädchen Bessie nur einen entspannenden Spaziergang unternehmen - bis sie auf Thomas Tapley treffen, einen Nachbarn von Lizzie, der als harmloser alter Exzentriker gilt. Die Begegnung ist Auftakt einer Reihe merkwürdiger Ereignisse, die ihren Höhepunkt am nächsten Tag erreicht, als Tapley erschlagen aufgefunden wird. Rasch stellt sich heraus, dass Tapley offenbar viele Geheimnisse hatte. Benjamin Ross vom Scotland Yard will den Fall so schnell wie möglich aufklären. Doch da ist er nicht der Einzige. Horatio Jenkins, ein Privatdetektiv, ist auf derselben Spur - und wird wenig später ebenfalls ermordet. Lizzie und Benjamin stehen vor ihrem mysteriösesten Fall ...
Details
Weitere ISBN/GTIN9783838719764
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum11.01.2013
Auflage1. Aufl. 2013
Reihen-Nr.4
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2187804
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



KAPITEL EINS

Elizabeth Martin Ross

Man kann einen schönen Frühlingstag in London nicht mit dem Frühling auf dem Land vergleichen, doch die Stadt gibt sich Mühe. Die staubbedeckten Bäume treiben aus. Über den Dächern hängt ein Leichentuch von feinem Schmutz, jedoch ist es dünner als die schlimme schwarze Decke, unter der die Straßen während des Winters ersticken. Die Fußgänger sind nicht länger bis zu den Augenbrauen vermummt, nun, da sich die beißend kalten und windigen Regenschauer gelegt haben. Die Leute scheinen glücklicher zu sein, während sie eilig ihren Geschäften nachgehen. Nach den letzten Monaten, in denen man gleich einem Gefangenen das Haus kaum verlassen hatte, war all dies pure Verlockung. Ich wischte sämtliche anstehenden Aufgaben beiseite, wies Bessie, unser Mädchen, an, es mir nachzutun, und wir machten uns zu einem langen Spaziergang auf, um die wärmende Sonne auf unseren Gesichtern zu spüren.

Der Fluss verströmte nicht den üblichen starken Geruch, als wir ihn von Süden, wo wir wohnten, nach Norden überquerten. Wir hatten es Mr. Bazalgette und seinem neuen, verbesserten Abwassersystem zu verdanken, dass wir auf die Taschentücher vor den Nasen verzichten konnten. Ich überlegte, den neuen Damm hinunter bis nach Blackfriars zu spazieren und von dort, sollte ich nicht zu müde sein, weiter bis hin zur hoch aufragenden Festung des Tower. Das war eine recht ordentliche Strecke, sodass wir dort endgültig um- und nach Hause zurückkehren würden. Außerdem fing hinter dem Tower Wapping an mit dem Londoner Hafen und dem berüchtigten St. Katherine's Dock.

»Wapping ist keine Gegend, wo eine Dame spazieren gehen sollte«, äußerte Bessie mahnend. »Nicht einmal ich sollte mich dort herumtreiben.«

Ohne Zweifel hatte sie recht. Wapping zog sich um den Hafen und die anderen Docks herum und pulsierte vor Aktivität. In den Straßen und Wirtshäusern drängten sich Seeleute aller Nationen. Wachszieher boten Opium feil. Billige Herbergen grenzten an Bordelle. Regelmäßig zog man bei Wapping Stairs Leichen aus dem Fluss, und längst nicht alle hatten den Tod durch Ertrinken gefunden. Ich wusste über all dies Bescheid, weil ich mit einem Police Inspector verheiratet bin, wenngleich er glücklicherweise zum Scotland Yard gehört.

»Vielleicht schaffen wir es gar nicht bis zum Tower«, entgegnete ich Bessie. »Doch wir geben unser Bestes.«

An diesem Punkt erklang hinter uns eine Stimme. Wir drehten uns um und bemerkten Mr. Tapley, der grüßend seinen Regenschirm schwenkte und durch die Mautstelle hastete. Es machte nicht den Anschein, als würde es heute regnen, doch Mr. Tapley vergaß seinen Regenschirm niemals, wenn er sich zu seinem, wie er es nannte, üblichen Ertüchtigungsspaziergang aufmachte. Er war von kleiner Statur und so dürr, dass es schien, als reichte schon ein Windhauch, um ihn gleich einem achtlos weggeworfenen Zeitungsfetzen davonzuwehen. Trotzdem war er zumeist forschen Schrittes unterwegs. Er trug, was ich im Stillen seine »Uniform« nannte: eine karierte Hose und einen Gehrock, dessen ursprünglich schwarze Farbe längst in einem flaschengrünen Ton schimmerte, ähnlich einer Taftbluse im Sonnenschein. Ein flacher Hut mit geschwungener, breiter Krempe vervollständigte seine Erscheinung. Diese Art Kopfbedeckung war seit ungefähr zwanzig Jahren aus der Mode. Ich erinnere mich, dass mein Vater stets einen ähnlichen Hut aufsetzte, bevor er zu seinen Hausbesuchen aufbrach. Er hatte ihn damals eine ordentliche Stange Geldes gekostet, doch mein Vater hielt die Ausgabe für gerechtfertigt. Ein Arzt täte gut daran, wohlhabend auszusehen, betonte er. Andernfalls könnten seine Patienten das Gefühl haben, er sei nicht angesehen, und nach einem Grund dafür suchen. Tapleys fleckiger, abgerissener Hut hatte seine beste Zeit hinter sich, doch er trug ihn schräg in den Nacken gerückt wie ein junger Mann.

»Guten Tag, Mrs. Ross! Was für ein wundervoller Tag, nicht wahr?« Bevor ich reagieren konnte, beantwortete er seine Frage selbst. »Ja, ein wunderschöner Tag. Man möchte beinahe singen, so schön ist er. Ich hoffe, Sie sind wohlauf? Und Ihr Gatte ebenfalls?«

Seine Augen leuchteten hell. Ein breites Lächeln zog tiefe Furchen in sein Gesicht und ließ Ähnlichkeit mit einem Stück Waschleder aufkommen, doch die dabei entblößten Zähne waren angesichts seines Alters in gutem Zustand. Ich schätzte ihn um die sechzig.

Ich versicherte ihm, dass Ben und ich uns bester Gesundheit erfreuten, und gab Bessie, die an meiner Seite ging, einen kleinen Schubs, damit sie aufhörte zu kichern.

»Sie schnappen ein wenig frische Luft!«, stellte Mr. Tapley fest und lächelte Bessie ein weiteres Mal an.

Verlegen knickste Bessie und murmelte: »Jawohl, Sir.«

»Und Sie haben recht damit, die Gelegenheit zu nutzen«, fuhr Tapley in meine Richtung gewandt fort. »Bewegung, meine liebe Dame, ist von größter Bedeutung für die Erhaltung der Gesundheit. Ich versäume meinen Spaziergang niemals, gleich welches Wetter wir haben. Doch heute kann man nicht umhin, sich glücklich zu schätzen!«

Mit einem theatralischen Schwenken seines Regenschirms zeigte er auf den hinter uns liegenden Fluss, der im Sonnenlicht glitzerte. Schiffsverkehr jeglicher Art tuckerte geschäftig auf und ab. Da fuhren Leichterschiffe, Lastkähne, dampfgetriebene Schlepper und sogar ein Schiff, das mit dem Zeichen der Wasser-Polizei gekennzeichnet war, zwischen allen Jollen hin und her kreuzten und häufig nur durch ein Wunder einer Kollision entgingen.

»Unsere großartige Stadt bei der Arbeit, auf dem Lande und zu Wasser«, bemerkte Tapley und benutzte den Regenschirm wie ein Schulmeister, der mit einem Stock oder einem Lineal auf mit Kreide unterstrichene Wörter an der Tafel deutete. »Meine Empfehlung an Inspector Ross«, fuhr er nahtlos fort. »Möge er nicht nachlassen in seinen tapferen Bemühungen, London von Schurken zu befreien.«

Er tippte sich an den Hut, strahlte und setzte seinen Weg fort. Wir beobachteten, wie er eine kleine Gruppe umrundete, die sich um einen Straßenkünstler versammelt hatte, mit federndem Gang seiner kleinen, zierlichen Füße die Strasse überquerte und sich in Richtung der im Norden liegenden schmalen Gassen von The Strand aufmachte.

»Was für ein komischer alter Kauz, nicht wahr?«, bemerkte Bessie ebenso respektlos wie treffend.

»Er hat offensichtlich einiges mitgemacht«, entgegnete ich. »Es ist nicht seine Schuld  zumindest wissen wir es nicht genau.«

Bessie dachte darüber nach. »Man kann immer noch den feinen Herrn in ihm erkennen«, räumte sie schließlich ein. »Er muss einmal vermögend gewesen sein. Vielleicht hat er das Geld verspielt, oder er hat getrunken « Ihre Stimme bekam mit einem Mal einen begeisterten Unterton. »Vielleicht hatte er einen Geschäftspartner, der sich mit dem Geld davongemacht hat, oder vielleicht «

»Das reicht jetzt!«, unterbrach ich sie mit Nachdruck.

Bessie war in unsere Dienste getreten, als Ben und ich geheiratet und einen eigenen Haushalt gegründet hatten. Sie besaß die unterentwickelte, drahtige Statur eines in kargen Verhältnissen aufgewachsenen Menschen, gepaart mit dem wachen Verstand und den geschärften Sinnen eines Kindes aus dem Armenviertel. In ihrer Loyalität war sie gleichermaßen ungestüm wie mit ihrer Meinung.

Was Thomas Tapley anging, so wusste man nicht viel über ihn. Bessie war nicht die Einzige, die darüber spekulierte, was ihn in derart widrige Umstände gebracht hatte. Er logierte in einem sehr alten Haus am unteren Ende unserer Straße, das nicht zusammen mit unserer relativ jungen Häuserzeile errichtet worden war, sondern aus einer Zeit lange vor dem Bau der Eisenbahn stammte. Damals musste es umgeben gewesen sein von Wiesen und Feldern, ein ausladender gregorianischer Bau mit schönen, vom Zahn der Zeit ein wenig angenagten, bröckelnden Giebeln und einem vornehmen Eingang. Vielleicht war es früher im Besitz eines wohlhabenden Geschäftsmannes oder eines finanziell unabhängigen Gentlemans gewesen. Dieser Tage jedoch gehörte es einer gewissen Mrs. Jameson, ehrbare Witwe eines Klipperkapitäns.

Die Nachbarn waren überrascht gewesen, als die Witwe vor sechs Monaten Thomas Tapley als Untermieter bei sich aufgenommen hatte  schließlich war sie eine Dame und musste auf ihren guten Ruf achten. Wenn sie gezwungen war, zur Aufbesserung ihres Einkommens eines ihrer Zimmer zu vermieten, so hätte man eher einen Geschäftsmann als Mieter erwartet. Doch Mr. Tapley besaß eine gewisse, ebenso charmante wie unschuldige Art. Trotz seiner heruntergekommenen Erscheinung hielten ihn schon bald alle für einen Exzentriker und billigten seine Anwesenheit.

Wie seltsam war es doch, dass eine zufällige Begegnung und ein einfacher Austausch von Höflichkeiten mich und Bessie in eine Morduntersuchung ziehen sollten. Wer hätte auch damit gerechnet, dass wir an diesem schönen, hellen Frühlingstag zu den letzten Personen gehörten, die Thomas Tapley lebend zu Gesicht bekommen und mit ihm gesprochen hatten, bevor er eines gewaltsamen Todes starb.

Wir erreichten den Tower. Die Sonne war angenehm, ohne dabei heiß zu sein, und wir waren überrascht, dass wir so weit gekommen waren. Wir machten kehrt und wappneten uns für den langen Weg nach Hause. Auf dem Fluss hier herrschte noch mehr Betrieb, sofern das überhaupt möglich war, und die Schiffe waren größer. Dort waren die Kohleschiffe und lieferten den Brennstoff für die Londoner Öfen und Dampfmaschinen. Wir erblickten ein Vergnügungsboot mit den ersten Tagesausflüglern der Saison und in der Ferne sogar die hohen Masten eines Klippers, was mich an Mr. Tapleys Vermieterin denken...


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