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Das Walnusshaus

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
616 Seiten
Deutsch
Schöffling & Co.erschienen am03.02.20151. Auflage
Im Jahr 1905 erhält der Holzschnitzer August Li?car einen ungewöhnlichen Auftrag: Er soll ein passendes Spielzeug für das ungeborene Enkelkind eines Mannes aus Dubrovnik anfertigen. Eine schwierige Aufgabe: Aus Walnussholz fertigt der Schnitzer schließlich das verkleinerte Abbild des Hauses der Familie seines Auftraggebers, samt Einrichtung und Bewohnern. Ein großartiges Geschenk für die kleine Regina ... Doch halt, das alles erzählt Miljenko Jergovi? erst viel später! Denn die Geschichte um das Walnusshaus beginnt in der Gegenwart, auf einer Polizeistation, wo sich eine gelangweilte Beamtin mit den ungewöhnlichen Umständen des Todes der 'verrückten Manda' konfrontiert sieht - die keine andere ist, als jene 1905 geborene Regina Sikiri?. Zwischen diesen beiden Episoden spielen die Lebens- und Liebesgeschichten mehrerer Generationen, die Miljenko Jergovi? meisterhaft zu einem fulminanten Familienroman zusammenführt. Er gibt die Fäden seiner Geschichte(n) niemals aus der Hand und entführt den Leser gleichzeitig in die hochpolitische und dramatische Historie des Westbalkan von der Ablösung der osmanischen Herrschaft bis zur Bombardierung Dubrovniks zu Beginn der 90er Jahre.

Miljenko Jergovi?, geboren 1966 in Sarajevo, lebt in Zagreb. Er arbeitet als Schriftsteller und politischer Kolumnist und ist einer der großen europäischen Gegenwartsautoren. Seine Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet worden, zuletzt (gemeinsam mit seiner deutschen Übersetzerin Brigitte Döbert) mit dem Georg-Dehio-Buchpreis 2018. Der Österreichische Buchhandel verleiht ihm am 20. November 2022 den Ehrenpreis. Brigitte Döbert, geboren 1959, lebt in Berlin. Sie überträgt seit über zwanzig Jahren Belletristik, darunter 'Die Tutoren' von Bora ?osi? und das Werk von Miljenko Jergovi?, aus verschiedenen exjugoslawischen Staaten ins Deutsche und wurde dafür mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW (2016) sowie dem Preis der Leipziger Buchmesse (2016).
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,90
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextIm Jahr 1905 erhält der Holzschnitzer August Li?car einen ungewöhnlichen Auftrag: Er soll ein passendes Spielzeug für das ungeborene Enkelkind eines Mannes aus Dubrovnik anfertigen. Eine schwierige Aufgabe: Aus Walnussholz fertigt der Schnitzer schließlich das verkleinerte Abbild des Hauses der Familie seines Auftraggebers, samt Einrichtung und Bewohnern. Ein großartiges Geschenk für die kleine Regina ... Doch halt, das alles erzählt Miljenko Jergovi? erst viel später! Denn die Geschichte um das Walnusshaus beginnt in der Gegenwart, auf einer Polizeistation, wo sich eine gelangweilte Beamtin mit den ungewöhnlichen Umständen des Todes der 'verrückten Manda' konfrontiert sieht - die keine andere ist, als jene 1905 geborene Regina Sikiri?. Zwischen diesen beiden Episoden spielen die Lebens- und Liebesgeschichten mehrerer Generationen, die Miljenko Jergovi? meisterhaft zu einem fulminanten Familienroman zusammenführt. Er gibt die Fäden seiner Geschichte(n) niemals aus der Hand und entführt den Leser gleichzeitig in die hochpolitische und dramatische Historie des Westbalkan von der Ablösung der osmanischen Herrschaft bis zur Bombardierung Dubrovniks zu Beginn der 90er Jahre.

Miljenko Jergovi?, geboren 1966 in Sarajevo, lebt in Zagreb. Er arbeitet als Schriftsteller und politischer Kolumnist und ist einer der großen europäischen Gegenwartsautoren. Seine Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet worden, zuletzt (gemeinsam mit seiner deutschen Übersetzerin Brigitte Döbert) mit dem Georg-Dehio-Buchpreis 2018. Der Österreichische Buchhandel verleiht ihm am 20. November 2022 den Ehrenpreis. Brigitte Döbert, geboren 1959, lebt in Berlin. Sie überträgt seit über zwanzig Jahren Belletristik, darunter 'Die Tutoren' von Bora ?osi? und das Werk von Miljenko Jergovi?, aus verschiedenen exjugoslawischen Staaten ins Deutsche und wurde dafür mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW (2016) sowie dem Preis der Leipziger Buchmesse (2016).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783731760641
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum03.02.2015
Auflage1. Auflage
Seiten616 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3346 Kbytes
Artikel-Nr.3164389
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


XIV

Als die verrückte Manda in ihrem nächtlichen Wahnsinn mit der Hand die Scheibe in der Küchentür - sie war aus dickem Milchglas - eingeschlagen hatte und am Morgen in einer Lache aus Kot und Blut gefunden wurde, so bleich, als sei bereits alles Leben aus ihr gewichen, rief Diana den Notarzt. Sie konnte es nicht mehr verheimlichen, konnte vor den Leuten nicht länger verbergen, was ohnehin jeder wusste: Ihre Mutter hatte mit siebenundneunzig Jahren komplett den Verstand verloren. Aber wie: Sie fluchte fürchterlich und stieß die übelsten Drohungen aus, traf ihre Nächsten zielsicher unter der Gürtellinie und zeigte sich, wie man sich selbst in jungen Jahren nicht zeigen sollte, packte splitternackt, dürr wie ein Gespenst, ihre schlaffe Brust und schrie: »He, du Hafennutte, willste Milch, soll ich deine Brut säugen?« Oder sie fasste sich zwischen die Beine, urinierte und sagte: »Ja, guck nur, du vertrocknete Fotze, so sieht eine richtige Frau aus!« Diana schützte die Kinder und deren Seelen, so gut sie konnte, vor solchen und schlimmeren Ausfällen, aber noch mehr litt sie darunter, dass die Nachbarn die verrückte Manda hören konnten - Manda, so hatte Darijan eines Abends Großmutter Regina genannt, und alle drei hatten fortan diesen Namen benutzt, wohl um sich selbst davon zu überzeugen, dass die Alte nichts mit der Frau zu tun hatte, bei der sie früher gelebt hatten. Diana hatte vor einigen Monaten, noch bevor es richtig schlimm geworden war, versucht, die Mutter in der städtischen Psychiatrie unterzubringen, aber dort gab es keine freien Plätze. Ein Dutzend chronischer, von der Familie aufgegebener Fälle belegte seit Jahren die Hälfte der Zimmer, während die andere Hälfte teils von verrückt gewordenen Veteranen in Beschlag genommen wurde, teils von den drogensüchtigen Söhnen und Töchtern aus besseren Kreisen, deren Eltern sie vor der Öffentlichkeit verstecken wollten. Für eine wahnsinnige, aggressive Greisin gab es in der Psychiatrie keinen Platz. Vielleicht hätte sie in einer anderen Abteilung untergebracht werden können, Regina litt unter genug Krankheiten, um sie irgendwo einzuweisen, aber Diana wollte nicht zulassen, dass außer den Psychiatern jemand erfuhr, was aus ihrer Mutter geworden war. Bis zu jenem Morgen kam nicht in Frage, dass auch andere Ärzte sie zu Gesicht bekamen.

Der Krankenwagen traf eine Stunde nach dem Anruf ein.

»Was ist denn das für ein Saustall?«, entfuhr es dem dicken Sanitäter mit dem geschorenen Schädel. Diana überlegte schon seit dem Anruf beim Notarzt fieberhaft, wie sie Trümmer, Kot, Urin und Blut in der Wohnung erklären könnte, aber ihr fiel nichts ein. Mirna und Darijan hatte sie gebeten, sich im Schlafzimmer einzuschließen, bis die verrückte Manda fort sei. Es war besser, wenn die Sanitäter sie nicht sahen.

»Komm, Oma, lass uns gehen«, sagte der Glatzkopf und wollte sie mit einem Griff unter die Achseln hochheben, während sein Kollege, ein verhärmter Grauhaariger mit Brille, sie an den Beinen fasste, aber die verrückte Manda drehte sich blitzschnell um und biss den Glatzkopf in die Hand.

»Heilige Maria!« Der Mann sprang zwei Meter zurück und brüllte Diana an: »Was stehst du da rum, verflucht noch mal, bring sie zur Vernunft!«

Diana stand an der Wand, an der man noch die Schmutzspuren der vergangenen Nächte sah, und starrte auf den Boden. »Sie ist nicht normal«, sagte sie schließlich.

»Ach, und wir haben gedacht, sie soll dein Haus hüten und den Briefträger beißen!«, sagte der Grauhaarige.

Der Glatzkopf näherte sich wieder der verrückten Manda, diesmal schräg von hinten, aber sie drehte sich wie eine Katze und fletschte die Zähne.

»Das ist nicht unser Job, gehen wir«, sagte der Grauhaarige.

»Leute, bitte nicht!«, schrie Diana auf.

»Signorina, wir sind für Herzinfarkte und Lungenentzündungen zuständig, dafür können Sie uns rufen, aber mit so was haben wir nichts zu tun«, erklärte der Grauhaarige.

Der Glatzkopf stand über der verrückten Manda und guckte von oben auf sie herab: »Dir könnte ich mal ordentlich an den Kopf treten!«

Die Alte riss wütend den Mund auf, ihre wenigen, aber scharfen gelben Zähne blitzten; sie lauerte wohl nur auf eine Gelegenheit, um ihm die Hoden abzubeißen.

Da wusste Diana, auf welche Karte sie setzen musste, wild entschlossen, das einmal Begonnene um jeden Preis durchzuziehen.

»Bringt sie fort, ich bitte Sie!«, bat sie den Glatzkopf und faltete dabei die Hände.

»Und wohin, mal abgesehen davon, dass wir noch nicht wissen, wie?«

»Ins Krankenhaus, sie verblutet sonst bestimmt.«

»Wenn sie bis jetzt nicht verblutet ist, verblutet sie ab jetzt auch nicht mehr«, mischte sich der Grauhaarige ein. »Wir hauen ab, Damir, bevor dich die Alte in den Hintern beißt, du weißt ja, der Tetanusimpfstoff ist aus«, witzelte er, wohl um Diana zu demütigen, »das hier glaubt uns sowieso keiner.«

»Ginge es für hundert Mark?«, fragte Diana den Glatzkopf.

»Nicht mal für fünfhundert!« Der Grauhaarige warf ihr einen Blick über die Schulter zu.

»Seid doch in Gottes Namen keine Unmenschen«, bettelte sie.

»Macht schon, die Oma schenkt euch einen Pott voll Pisse!« Offenbar freundete sich die verrückte Manda mit der Vorstellung an, weggebracht zu werden.

»Gut, hundert Mark für jeden von uns«, erbarmte sich der Glatzkopf.

»Nicht mit mir, grundgütiger Gott!«, wehrte der Grauhaarige ab.

»Lass gut sein, Tripun«, sagte der Glatzkopf und dann zu Diana: »Guck weg!« Er kniff der Greisin mit Mittelfinger und Daumen in den Hals, bis sie röchelte: »Tut weh, oder? Wenn du mich noch mal beißt, lass ich nicht mehr los.« Und er packte sie unter den Achseln.

Die verrückte Manda war wahrscheinlich zu überrascht, um sich zu wehren, aber da Tripun sie nicht rechtzeitig an den Beinen festhielt, trampelte sie damit plötzlich heftig aufs Parkett.

»Halt sie fest, Tripun!«

Das versuchte Tripun denn auch, nachdem er sich lange genug gedrückt hatte, aber da die Alte wieder Kraft geschöpft hatte, war das nicht so einfach, und sie traf ihn mehrfach an Kinn und Nase.

»Das war s dann, verdammte Nutte!«, brüllte er, als er endlich ihre mageren Knie zu packen bekam. Er spürte die Kniescheibe und die verbrauchten Knochen unter seinem Daumen und bekam eine Gänsehaut, als würde sein Fingernagel über eine Schultafel schrammen.

Auf der Treppe schrie die verrückte Manda: »Zu Hilfe, helft mir! Die wollen mich erschießen, die wollen mich abschlachten!« Klappen wurden von Spionen geschoben, die Nachbarn gafften und merkten sich jede Einzelheit. Diana hielt sich einige Stufen hinter den anderen, in Hausschuhen, das schwarze Lacktäschchen über der Schulter und zweihundert Mark in der schwitzenden Hand.

Im Krankenwagen zog der Glatzkopf eine Spritze auf und stach die Nadel aufs Geratewohl durch das Nachthemd in den Hintern der Alten, die Diana und Tripun mit Mühe auf der Bahre hielten.

»So, Oma, gleich gibst du Ruhe!«

Fünf Minuten später lag Regina Delavale da wie ein mumifizierter Leichnam, ein sanftes Lächeln auf dem ruhigen, friedlichen Gesicht, in dem Diana zum letzten Mal entfernt ihre Mutter erkannte. Wenn sie schläft, ist sie wie früher, dachte sie, und wusste genau, dass sie lieber für den Rest ihres Lebens diesen schlafenden Körper pflegen würde, als mitzuerleben, wie er sich noch einmal in die verrückte Manda verwandelte, und sei es nur für fünf Minuten.

Kurz bevor sie das Krankenhaus erreichten, verpasste der Glatzkopf der Alten noch eine Spritze. »Hören Sie, was ich da gerade mache, kann mich den Job kosten«, sagte er. »In der Aufnahme sagst du, ihr hättet sie bewusstlos gefunden, durch den Blutverlust. Verrat denen um Himmels willen nicht, was ich gemacht habe.«

Diana nickte.

»Mensch, bist du verrückt, wie kannst du der vertrauen?«, seufzte Tripun. »Und jetzt her mit dem Geld!«

Diana hielt dem Glatzkopf die zweihundert Mark hin, er nahm nur einen der beiden Scheine. »Der andere gehört dem!«, er scheuchte sie mit dem Zeigefinger weg.

»Das ist ja traumhaft, ich werde von einer Frau ausgehalten.« Tripun hielt die Hand auf.

In der Notaufnahme händigte Diana Reginas Krankenschein einer jungen Ärztin aus, einer hübschen Schwarzäugigen, die wahrscheinlich noch in der Ausbildung war und ebenso schön lachen konnte wie Anteil nehmend dreinschauen. Ihr tischte sie die erforderlichen Lügen auf.

»Keine Sorge, alles kommt schon in Ordnung«, sagte die Ärztin und legte ihr die Hand auf den Unterarm. »Ich werde mich um sie kümmern, als wäre es meine eigene Großmutter!«

Diana stiegen ohne Vorwarnung Tränen in die Augen. Sie weinte herzzerreißend am vollen Busen der Unbekannten, die beim Anblick der bewusstlosen, verrückten Manda an ihre eigene Großmutter dachte und von ihr, Diana, grausam getäuscht wurde. Sie weinte und weinte, über sich und diese junge Frau und das, was passieren würde, sobald die verrückte Manda aufwachte und klar wurde, was für ein Scheusal das war und wie schnell sich rührselige Geschichten in ihr Gegenteil verkehren konnten.

»Verzeihen Sie mir bitte«, schluchzte sie, aber die junge Ärztin wusste weder, was es da zu verzeihen gab, noch war sie auf eine solche Situation vorbereitet. Bei ihrer Einstellung hatte man ihr wohl Hunderte von Ratschlägen für den Umgang mit Kranken und Angehörigen gegeben, erklärt, wann sie am besten log und wann sie bei der Wahrheit bleiben sollte, aber was zu tun war, wenn ihr eine...

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Miljenko Jergovic, geboren 1966 in Sarajevo, lebt in Zagreb. Er arbeitet als Schriftsteller und politischer Kolumnist und ist einer der großen europäischen Gegenwartsautoren. Seine Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet worden, zuletzt (gemeinsam mit seiner deutschen Übersetzerin Brigitte Döbert) mit dem Georg-Dehio-Buchpreis 2018. Der Österreichische Buchhandel verleiht ihm am 20. November 2022 den Ehrenpreis.

Brigitte Döbert, geboren 1959, lebt in Berlin. Sie überträgt seit über zwanzig Jahren Belletristik, darunter "Die Tutoren" von Bora Cosic und das Werk von Miljenko Jergovic, aus verschiedenen exjugoslawischen Staaten ins Deutsche und wurde dafür mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW (2016) sowie dem Preis der Leipziger Buchmesse (2016).

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