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Der rote Jaguar

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
192 Seiten
Deutsch
Schöffling & Co.erschienen am24.08.20211. Auflage
Auf einer traumhaften Küstenstraße kreuzen sich zwei Lebenswege auf verhängnisvolle Weise: Zoran ist ein Serbe, der keiner sein will, seiner Heimatstadt Sarajevo den Rücken gekehrt hat und inzwischen in Wien lebt. Seit er nach einem Punkkonzert der Staatssicherheit berichten musste, verfolgt ihn die Scham über seine Schwäche. Erstmals nach langer Zeit ist er mit seiner Frau in einem roten Jaguar wieder in der alten Heimat unterwegs. Der Kroate Ante Gavran dagegen, der aus einfachen Verhältnissen zum General aufgestiegen ist, hält große Stücke auf sein Land. Voller Stolz verhilft er dem faschistischen Erbe der Ustascha mit Gewalt zur Geltung. Mitten in einem aufgeheizten Fußballspiel zwischen den beiden Nationen, das alle im Fernsehen verfolgen, läuft der Sohn des Generals auf die Straße. Direkt vor den Jaguar. Mit unbändiger Erzähllust und gewohnt kritischem Geist braust Miljenko Jergovi? in seinem neuen Roman in eine nahe Zukunft, in der die Geister des Nationalismus, die der Balkan rief, mithilfe von Fake News außer Rand und Band geraten sind.

Miljenko Jergovi?, geboren 1966 in Sarajevo, lebt in Zagreb. Er arbeitet als Schriftsteller und politischer Kolumnist und ist einer der großen europäischen Gegenwartsautoren. Seine Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet worden, zuletzt (gemeinsam mit seiner deutschen Übersetzerin Brigitte Döbert) mit dem Georg-Dehio-Buchpreis 2018. Der Österreichische Buchhandel verleiht ihm am 20. November 2022 den Ehrenpreis. Brigitte Döbert, geboren 1959, lebt in Berlin. Sie überträgt seit über zwanzig Jahren Belletristik aus verschiedenen exjugoslawischen Staaten ins Deutsche, darunter 'Die Tutoren' von Bora ?osi? und das Werk von Miljenko Jergovi?. Dafür wurde sie mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW (2016) sowie dem Preis der Leipziger Buchmesse (2016).
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR17,99

Produkt

KlappentextAuf einer traumhaften Küstenstraße kreuzen sich zwei Lebenswege auf verhängnisvolle Weise: Zoran ist ein Serbe, der keiner sein will, seiner Heimatstadt Sarajevo den Rücken gekehrt hat und inzwischen in Wien lebt. Seit er nach einem Punkkonzert der Staatssicherheit berichten musste, verfolgt ihn die Scham über seine Schwäche. Erstmals nach langer Zeit ist er mit seiner Frau in einem roten Jaguar wieder in der alten Heimat unterwegs. Der Kroate Ante Gavran dagegen, der aus einfachen Verhältnissen zum General aufgestiegen ist, hält große Stücke auf sein Land. Voller Stolz verhilft er dem faschistischen Erbe der Ustascha mit Gewalt zur Geltung. Mitten in einem aufgeheizten Fußballspiel zwischen den beiden Nationen, das alle im Fernsehen verfolgen, läuft der Sohn des Generals auf die Straße. Direkt vor den Jaguar. Mit unbändiger Erzähllust und gewohnt kritischem Geist braust Miljenko Jergovi? in seinem neuen Roman in eine nahe Zukunft, in der die Geister des Nationalismus, die der Balkan rief, mithilfe von Fake News außer Rand und Band geraten sind.

Miljenko Jergovi?, geboren 1966 in Sarajevo, lebt in Zagreb. Er arbeitet als Schriftsteller und politischer Kolumnist und ist einer der großen europäischen Gegenwartsautoren. Seine Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet worden, zuletzt (gemeinsam mit seiner deutschen Übersetzerin Brigitte Döbert) mit dem Georg-Dehio-Buchpreis 2018. Der Österreichische Buchhandel verleiht ihm am 20. November 2022 den Ehrenpreis. Brigitte Döbert, geboren 1959, lebt in Berlin. Sie überträgt seit über zwanzig Jahren Belletristik aus verschiedenen exjugoslawischen Staaten ins Deutsche, darunter 'Die Tutoren' von Bora ?osi? und das Werk von Miljenko Jergovi?. Dafür wurde sie mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW (2016) sowie dem Preis der Leipziger Buchmesse (2016).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783731762034
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum24.08.2021
Auflage1. Auflage
Seiten192 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1501 Kbytes
Artikel-Nr.7635634
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Zoran

Wir verlassen Wien gegen eins. Borka kam nicht früher los. Erst zwei Termine mit Investoren, und zwischendurch schneite unser armer Kasim herein, wollte mit ihr über sein Haus reden, für das sie ihm einen Entwurf versprochen hat. Und da saß er nun, um übers Haus zu reden. Aber das Haus war inzwischen zusammengeschnurrt, er hat keinen Sohn mehr, lebt allein mit seiner Frau, Tochter, Schwiegersohn und Enkel in Kanada, und eigentlich ging es ihm nicht um die Pläne fürs Haus, eher sollte ihm Borka etwas von seinem Haus erzählen, den Sinn des Projekts erklären und was es drinnen alles braucht, faktisch wollte er von ihr eine Blaupause für seinen Lebensabend. Und das geht nicht.

Sie brauchte eine Stunde, um ihn loszuwerden, damit wir fahren konnten. Aber seit wir unterwegs sind, reden wir fast nur noch über ihn.

Kasim war als Fähnrich erst in Pec, dann in Strumica, anschließend in Knin und zuletzt in Sarajevo stationiert, immer im Gefolge von Borkas Vater von dessen Zeit als Oberstleutnant bis zu seiner Pensionierung im Rang eines Generals. Anfangs folgte er ihm, später nahm ihn Starovic von einer Dienststelle zur nächsten mit. Der General war groß und schlank, Kasim klein und moppelig, die beiden sahen aus wie Don Quijote und Sancho Panza. Aber beim Militär ist Don Quijote kein Begriff, dort hießen sie Zagor und Cico. Als Starovic 1985 den Ruhestand antrat - gerade rechtzeitig, könnte man sagen -, hatte Kasim genug Dienstjahre für die Frührente beisammen. Beide wohnten Tür an Tür in einem der Wohnblocks für Armeeangehörige, draußen in Novo Sarajevo, gaben aufeinander acht und besuchten sich gegenseitig. Sie zu beobachten, war durchaus unterhaltsam: Starovic behandelte Kasim wie einen früheren Arbeitskollegen, der ihm weder über- noch untergeordnet war, aber für Kasim war und blieb Starovic der Genosse General. So nannte er ihn auch an so manchem Grillabend draußen beim Wochenendhäuschen, wenn er was getrunken hatte, aus einer Art Stolz heraus, gerade als hätte er sein Scherflein zu Starovics Generalsrang beigetragen.

Direkt bei Kriegsausbruch, gleich im April 1992, ging Kasim mit Frau und Kindern nach Wien. Er hatte Gründe: Sein armer Sohn war schon als Gymnasiast depressiv, wurde in die Psychiatrie eingewiesen, von einem Arzt zum anderen weitergereicht, aber Goran war nicht zu helfen, es gibt kein Mittel gegen Depression, es sei denn, man lernt mit ihr zu leben, so gut es eben geht. Ich weiß nicht wie, jedenfalls war die ganze Familie mir nichts, dir nichts in Wien. Vielleicht kannten sie dort jemanden. Wenn ja, hat ihnen das nicht viel geholfen, denn die Familie strandete im Flüchtlingsheim und blieb ungefähr ein halbes Jahr dort. Und in diesem halben Jahr kam es zu Kasims großer Kehrtwende. Oder auch keine Kehrtwende, offenbar finden manche Menschen erst im Ruhestand und auf der Flucht zu ihrer wahren Bestimmung. Und Kasim war wohl doch nicht zum leidlich gut ausgebildeten Unteroffizier einer kommunistischen Armee geboren, zum Spion und Geheimdienstmitarbeiter, ein Spitzel, der mindestens die Hälfte seiner Arbeitszeit herumschnüffelte und an jedem Truppenstandort der Jugoslawischen Volksarmee, zu dem Starovic und er versetzt wurden, die Witterung von Irredentisten und anderen Volksfeinden aufnahm, o nein, er war zum berühmten österreichischen Koch geboren.

So hat es angefangen: Kaum in der Sammelunterkunft angekommen, wie zum Hohn in einer ehemaligen Kaserne untergebracht, erkundete Kasim in langen Spaziergängen die Stadt. Eines Tages kam er am Dubrovnik vorbei, betrat vom Heimweh gepackt das Restaurant auf eine Tasse Tee - Kaffee trank er damals schon nicht mehr - und plauderte mit dem Wirt, der sich, damit ja kein Missverständnis aufkäme, als kroatischer Faschist aus Tomislavgrad vorstellte, dem soeben der Grillmeister davongelaufen sei.

Und da - wobei keiner, der Kasim kennt, weiß, was den Ausschlag gab: Dass er nicht an Müßiggang gewöhnt war und eine Aufgabe suchte oder dass er schon immer gern am Grill gestanden hatte oder dass er neuerlich Volksfeinde witterte und meinte, er müsse das Milieu infiltrieren, oder von allem etwas bisschen - bewarb sich Kasim als neuer Grillmeister.

Dem Wirt missfielen sowohl der Flüchtlingsstatus als auch die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Muslime, aber Kasim machte ihm weis, er sei selbst ein Faschist, Ustascha wie er, seine gesamte Familie im letzten Krieg in Ostbosnien abgeschlachtet worden, seither könne er keinen Serben lebend ertragen, und so durfte er auf Probe anfangen.

Ein halbes Jahr später war Kasim Küchenchef im Dubrovnik, hatte eine Arbeitserlaubnis und sämtliche Aufenthaltspapiere. Und das war erst der Anfang. Von mittags bis Mitternacht arbeitete er, den Rest seiner wachen Zeit verbrachte er mit Lehrmaterial für Köche, Kochbüchern, gastronomischen Lexika und kulinarischen Experimenten in der Küche der Wohnung, in die die Familie übersiedelt war. Bosa, seine Frau, übrigens eine feine Frau, die bis zum Krieg als Lehrerin in der Grundschule Silvije Strahimir KranjÄevic oben im Mejtas-Viertel gearbeitet hatte, konnte die Verwandlung kaum fassen, denn der Kasim von früher hatte sich nicht die Bohne fürs Kochen interessiert. Außer dass er wochenends gern am Grill stand; wenn s hochkam, schnippelte er vor ihrem Häuschen noch eine große Schüssel Salat dazu und fabrizierte eine Vinaigrette, das war s. Darüber hinaus bekam er noch dalmatinischen Brudet hin, eine dicke Suppe mit Fisch, Calamares oder Ziegenfleisch, aber die bereitete er nur im Urlaub am Meer zu, in Sarajevo gab es keinen guten Seefisch zu kaufen. Und jetzt, auf seine alten Tage, entdeckt er plötzlich seine Leidenschaft fürs Kochen.

Noch bevor die Waffen in Bosnien schwiegen, arbeitete er als Küchenchef in einem der gehobenen Wiener Lokale, dessen Inhaber, ein New Yorker Jude, die traditionelle gutbürgerliche Küche sowie die höfische Esskultur der Habsburger fortgeführt sehen wollte. Der Standard berichtete mehrfach über Kasim, beim ersten Mal wurde er als fleißiger und beflissener bosnischer Flüchtling porträtiert, beim zweiten Mal als angesehener bosnischer Koch, beim dritten Mal als der neue Stern am österreichischen Kochhimmel. Seine bosnische Herkunft wurde nicht mehr erwähnt.

Der erste Brief, dem in Fünfziger-, Zwanziger- und Zehnerbündeln fünfhundert Konvertible Mark beigelegt waren, erreichte Starovic, wenn Borka recht hat, im Spätsommer, meiner Erinnerung nach im Herbst 1992. Ein Berliner Journalist, ich glaube von der taz, überbrachte die Post, Rathfelder hieß der, glaube ich. Ab da kamen alle paar Monate auf unterschiedlichen Wegen dicke Umschläge voller Scheine, von denen die Schwiegereltern und auch wir zwei recht anständig lebten, und außerdem steckten in den Umschlägen bald schon Zeitungsausschnitte mit Berichten über Kasims unverhofften Ruhm. Sobald die Umstände es erlaubten, trafen zusätzlich Pakete ein. Bosas und Kasims Pakete bewegten Starovic weit mehr als das ganze Geld. Geld ist kalt, es berührt einen nicht.

Im Handumdrehen und noch vor Kriegsende war des Generals Fähnrich reich und berühmt geworden, und keiner verschwendete noch einen Gedanken daran, was der Mann früher gewesen war und in den ersten paarundfünfzig Jahren seines Lebens so getrieben hatte; Starovic hingegen, zu dem Kasim aufgesehen hatte wie zu einem Gott, war im belagerten Sarajevo ein Rentner wie jeder andere, nur, wie jeder Sarajever Serbe, der in der Stadt geblieben war, ein bisschen schlimmer dran als der Durchschnitt. Zwanzig Kilo leichter, um die Hälfte der Zähne ärmer, grau und gedemütigt, wie es sich wohl ziemt für den General des feindlichen Heeres.

Nie hat er sich Kasim gegenüber beklagt, und Kasim konnte Starovic nie so sehen, wie es der Wirklichkeit entsprach. Für den Fähnrich war die Zeit 1985 stehen geblieben, dem Jahr, als er sich in den Ruhestand versetzen ließ, zusammen mit seinem General, der für ihn das Maß an Intelligenz, Ehrbarkeit und Mut war und blieb, ein militärischer Supermann und Erzjugoslawe. Aber auch wenn Starovic nie klagte, wollte Kasim ihn und seine Frau zu sich nach Wien holen. Um Papiere und Wohnung brauche er sich nicht zu kümmern, er solle Sarajevo hinter sich lassen und nicht zurückblicken, das sei alles vorbei. Der General lehnte ab. Ob aus Selbstschutz oder aus Angst - vielleicht läuft beides ohnehin auf ein und dasselbe hinaus -, für ihn kam es nicht infrage, aus Sarajevo wegzuziehen. Während des Krieges hatte er drei brachiale Hausdurchsuchungen erlebt, wegen angeblichen Waffenbesitzes, wurde trotz seines Alters zum Ausheben von Schützengräben abkommandiert und bekam mehr als eine Morddrohung, aber was auch immer passierte, es bestärkte ihn nur, bis zum letzten Atemzug in Sarajevo zu bleiben, komme, was da wolle. Vermutlich hatte er es sich so zurechtgelegt: Wenn es mir schon zu Hause so schlimm ergangen ist, wie soll das erst in Wien werden!

Ende 1996 war Kasim in Sarajevo. Die Österreichische Botschaft hatte im Rahmen der Wiener Tage - einem jener Festprogramme, wie sie seinerzeit alle ausländischen Botschaften ausrichteten, die renommierte Musiker, Künstler und Schriftsteller nach Sarajevo einluden, um auf diese Weise den Stellenwert der Stadt zu demonstrieren - ein opulentes Weihnachtsmenü für fünfhundert geladene Gäste im Holiday Inn organisiert und flog eigens dafür einen Wiener Sternekoch ein, unseren Landsmann. An Kasim erinnern konnte sich keiner, wie auch, er war ja nicht bekannt gewesen. Wer kennt schon einen Militär im Ruhestand, der wie alle Agenten, Sicherheitsoffiziere und Angestellte der Gegenaufklärung der Natur der Sache nach zu den am wenigsten...

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Autor

Miljenko Jergovic, geboren 1966 in Sarajevo, lebt in Zagreb. Er arbeitet als Schriftsteller und politischer Kolumnist und ist einer der großen europäischen Gegenwartsautoren. Seine Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet worden. Zuletzt erhielt er (gemeinsam mit seiner deutschen Übersetzerin Brigitte Döbert) den Georg Dehio-Buchpreis 2018. 

Brigitte Döbert, geboren 1959, lebt in Berlin. Sie überträgt seit über zwanzig Jahren Belletristik aus verschiedenen exjugoslawischen Staaten ins Deutsche, darunter "Die Tutoren" von Bora Cosic und das Werk von Miljenko Jergovic. Dafür wurde sie mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW (2016) sowie dem Preis der Leipziger Buchmesse (2016).

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