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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
240 Seiten
Deutsch
Kein + Abererschienen am10.05.20221. Auflage, neue Ausgabe
Ein junger Mann sucht seinen Platz in der Welt: Der Sohn einer schwarzen Mutter und eines Latino-Vaters wird in Houston erwachsen. Er arbeitet im Restaurant seiner Familie, trotzt den Schlägen seines Bruders, muss zusehen, wie sein Vater langsam verschwindet. Und er entdeckt, dass er Jungs mag. Seine Geschichte wird verwoben mit Erzählungen über das Leben anderer Menschen der Stadt: Eine Affäre zwischen einer verheirateten Frau und einem Weißen eskaliert im Einwandererviertel; der Besuch einer Cousine aus dem krisengebeutelten Jamaika stellt alles auf den Kopf; ein lokaler Drogendealer nimmt sich orientierungsloser Teenager an, und zwei junge Männer meinen, einen unglaublichen Fund am Straßenrand gemacht zu haben. Mit einfühlsamem Blick auf das, was eine Gemeinschaft ausmacht, geht Bryan Washington dem Leben in all seinen schonungslosen und unbeständigen Formen nach.

Bryan Washingtons Prosatexte und Essays erschienen u. a. in der New York Times, dem New York Magazine, Buzz Feed und One Story. Sein Schreiben wurde mehrfach ausgezeichnet: Für sein Debüt Lot, eine Kurzgeschichtensammlung, erhielt er den Dylan Thomas Prize, er war einer der Gewinner des National Book Award in der Kategorie '5 Under 35' und Preisträger des Ernest J. Gaines Award for Literary Excellence. Sein Romandebüt 'Dinge, an die wir nicht glauben' ist in den USA ein Bestseller und wird als TV-Serie verfilmt. Er lebt in Houston, Texas.
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Produkt

KlappentextEin junger Mann sucht seinen Platz in der Welt: Der Sohn einer schwarzen Mutter und eines Latino-Vaters wird in Houston erwachsen. Er arbeitet im Restaurant seiner Familie, trotzt den Schlägen seines Bruders, muss zusehen, wie sein Vater langsam verschwindet. Und er entdeckt, dass er Jungs mag. Seine Geschichte wird verwoben mit Erzählungen über das Leben anderer Menschen der Stadt: Eine Affäre zwischen einer verheirateten Frau und einem Weißen eskaliert im Einwandererviertel; der Besuch einer Cousine aus dem krisengebeutelten Jamaika stellt alles auf den Kopf; ein lokaler Drogendealer nimmt sich orientierungsloser Teenager an, und zwei junge Männer meinen, einen unglaublichen Fund am Straßenrand gemacht zu haben. Mit einfühlsamem Blick auf das, was eine Gemeinschaft ausmacht, geht Bryan Washington dem Leben in all seinen schonungslosen und unbeständigen Formen nach.

Bryan Washingtons Prosatexte und Essays erschienen u. a. in der New York Times, dem New York Magazine, Buzz Feed und One Story. Sein Schreiben wurde mehrfach ausgezeichnet: Für sein Debüt Lot, eine Kurzgeschichtensammlung, erhielt er den Dylan Thomas Prize, er war einer der Gewinner des National Book Award in der Kategorie '5 Under 35' und Preisträger des Ernest J. Gaines Award for Literary Excellence. Sein Romandebüt 'Dinge, an die wir nicht glauben' ist in den USA ein Bestseller und wird als TV-Serie verfilmt. Er lebt in Houston, Texas.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783036994918
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum10.05.2022
Auflage1. Auflage, neue Ausgabe
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3909 Kbytes
Artikel-Nr.8542967
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


ALIEF
 

Kurz bevor sie zum letzten Mal miteinander schliefen und James, Ajas Geliebter, von ihrem Mann, unserem Nachbarschafts-Diplomaten, auf den Bordstein vor ihrem Wohnkomplex geworfen wurde, bevor er, vom selben Mann, vor einem Publikum aus Laternen, dem Eckladen, Joaquin, LaNeesh, Isabella, Big A und den haitianischen Nachbarn mit bloßen Händen gewürgt wurde, hatte er Aja gebeten, ihm eine Geschichte zu erzählen. Sie musste nicht wahr sein.

Noch vor all dem hatten wir beobachtet, wie sich Aja und James erst auf dem Markt begegneten, später dann, wo immer sie sich über den Weg laufen konnten. Die beiden hatten noch kein einziges Mal miteinander geredet. Keine Silbe gewechselt. Aber wir sahen sie zusammen im Waschsalon, sahen sie auf dem Bürgersteig, eine Viertelmeile vom Dollar Tree. Beim Müllrausbringen am MLK Boulevard berührten sie sich mit Blicken. Aja sah von ihrem Fenster aus zu, wie er seinen Wagen parkte - und stellte sich vor, dass ihr Whiteboy zu ihr hochsah. Dass er sie, unser Mädchen, nach unten rief, seinen blauen scheiß Honda erst auf Neutral schaltete und ihn dann direkt die I-10 runterschickte, oder rauf, Hauptsache weit weg von ihrer Fensterbank, auf der sie seit Jahren lehnte.

Wir sahen, wie sie aufblühten, es war eine Oper, eine Telenovela, ein Sonnenaufgang.

Als sie endlich den Berg des Schweigens bezwungen hatten (nachdem James dreimal an ihre Tür geklopft und nach etwas Zucker und Sahne gefragt hatte), verabredeten sie sich jeden Tag und sprachen miteinander.

Manchmal blieb das so einfach wie:

Habt ihr heute Morgen warmes Wasser?

Hat hier nie einer.

Oder:

Deine Nachbarin, Juana, steckt die ihre Jungs je ins Bett?

Nein. Deshalb hat ihr Mann sie verlassen, vor Jahren - für eine Puerto Ricanerin.

Und sogar:

Weißt du, es ist komisch, aber seit ich in Houston bin, habe ich keine Sterne mehr gesehen.

Und ganz gleich, wie lange du bleibst, du wirst auch nie welche zu Gesicht kriegen.

So ging es über Monate. Vielleicht auch Wochen.

Wir sind nie dahintergekommen, wie lange.

James war groß. Blass und unförmig. Wie eine Schneekugel oder ein Bäckerssohn. Ehrlich gesagt war er kaum gut aussehend, jungenhaft vielleicht, wenn wir nicht so genau hinsahen. Und dass er bei uns lebte, sagte grob etwas darüber aus, wie flüssig er war - da oben auf der North Side, am äußeren Rand von Alief, diesem Viertel, das mit illegalen Einwanderern vollgestopft war. Er war einer von vielen, ganz und gar keine Seltenheit. Mit unseren Thais, unseren Mexikanern und Vietnamesen. Einigen Guatemalteken. Den Kubanern.

Und doch.

Wir alle wussten genau wie Aja, er hatte was. In Larvenform vielleicht. In ihn eingesponnen.

Etwas in der Art, wie sie es auch mal bei ihrem Mann gesehen hatte, vor Jahren. Bevor sie Jamaika, die Insel, verlassen hatten. Ajas Gemeinde hatte eine Stunde von seiner entfernt gelegen, und sie war die Strecke jeden Tag gegangen, nur um ihn zu sehen. Seine Eltern waren Kleinbauern, wie der Rest der Einheimischen, aber das war ihr egal, es interessierte sie nicht die Spur.

Sie war schön gewesen. Von der Art Schönheit, die dich zweimal hinsehen lässt. Die Küste rauf und runter kannten die Männer ihren Namen, auch ohne sie je gesehen zu haben. Alle hatten von ihr gehört. Und ein Seitenblick von ihr auf einer der sandigen Straßen der Stadt konnte ausreichen, um einen jungen Kerl wie eine Rakete nach Hause schießen zu lassen und seinen Vater lechzend zu seiner Frau oder Geliebten, um Druck abzulassen.

Aja empfand jetzt das Gleiche für den Whiteboy. Versuchte, es sich auszutreiben, aber wir alle wussten, dass die Scheiße nicht funktioniert.

Und sie fand sich auf seiner Fußmatte wieder und klopfte bei ihm an.

Er sah durch seinen Spion, aufgeregt, und rief: Komm rein, komm rein.

Und wir wussten auch, dass der Junge Fragen hatte.

Der Whiteboy wollte wissen, was sie nach Texas gebracht und wie sich der Sand zu Hause an ihren Zehen angefühlt hatte. Ob sie das Gefühl noch vermisste, seit sie ihren Platz in der Stadt gefunden hatte. Er wollte wissen, ob die Luft hier anders schmeckte. Wie sich Houstons Smog in ihrem Hals anfühlte. Er wollte wissen, wie die Sonne morgens in ihrem Teil der Welt aufgegangen war. Von ihrer Mutter, ihrem Vater, ihren Tanten und Onkeln sollte sie erzählen. Er wollte wissen, warum sie ihren Mann geheiratet hatte (wir stellen uns vor, dass er sie das im Bett fragt, nachdem alles besiegelt war, fischäugig und verschwitzt), und da muss Aja ihm erzählt haben, wie sie hergekommen ist: die Geschichte unserer Überfahrt, die wir alle gemeinsam haben.

Sie hatte Paul zu Hause auf dem Markt kennengelernt, so wie sich Menschen überall kennenlernen. Aja wog Tomaten ab und linste zu den Hühnern in ihren Käfigen rüber. Nutzte die Zeit, um Pläne zu machen, wie sie ihren Hintern von der Insel runterbringen könnte. Wusste, das Ding mit der Karibik war, dass alle da sein wollten, bis sie am Ende kapierten, dass sie nie von dort wegkommen würden. Unser Mädchen kannte dieses Gefühl so gut wie die Schwielen an seinen Fußsohlen. Also wollte Aja ihr Englisch verbessern (und nicht einfach irgendeins, sondern englisches Englisch, die Sprache des Geldes, wie wir sie aus den Banken kennen), um einen Job als Bibliothekarin, Sekretärin oder auch Hostess oben im Norden zu kriegen, wobei, ernsthaft, sie hätte auch bei Burger King Kotze vom Klo gewischt. Im Fernsehen hatte sie gesehen, wie ruhig es auf unseren öffentlichen Plätzen zuging, und Ruhe war zu der Zeit auf ihrer Insel ein wertvolles Gut.

Und da passierte es: Sie stellte sich gerade das Geräusch von Ruhe vor, als Paul einen Versuch startete.

Ihr erster Gedanke, als sie ihn sah, war nicht: Das ist der Mann, den ich heiraten werde.

Sie dachte nicht: Der ist meine Fahrkarte weg von hier.

Sie sagte: Hey, Paul.

Weil sie den Wichser schon so lange kannte, wie sie zurückdenken konnte. Sie wusste so gut, wer er war, wie wir wissen, wo der Bürgersteig vor unserem Haus Löcher hat, oder wissen, dass uns die Kids von der Sunny Side die Wohnung ausräumen, wenn wir nicht alles abschließen.

Paul war mit zwölf von der anderen Seite der Insel in die Stadt gekommen, nachdem seine Mutter seinen Vater vergiftet hatte. Sie hatte die Nase endgültig voll von seiner Fremdgeherei gehabt. Sicher, alle Männer auf Jamaika hatten zu der Zeit eine Geliebte, doch das hielt Pauls Mom nicht davon ab, seinem Dad eines Abends, als er wieder mal aus dem Bett seiner anderen Frau kam, sein Lieblingsessen vorzusetzen, Ochsenschwanzeintopf. Er kam ins Haus geschlüpft, küsste seine Frau auf die Wange und setzte sich zu ihnen an den Tisch. Pauls Mutter sagte ihrem Sohn, dass er heute nichts von dem Eintopf abbekomme, heute nicht.

Der Vorfall hatte einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Plötzlich wollte Paul Arzt werden. Er hatte nicht verstanden, warum sein Vater mit einem Mal anfing zu krächzen und seine Mutter eine volle Minute zusah, bevor sie Anstalten machte, ihm zu helfen. Oder warum sie bei der Trauerfeier endlos den Sarg ankuckten bis sie ihrem Mann schließlich auf die Stirn spuckte, Paul beim Handgelenk packte und ging. Was er jedoch wusste, oder zu wissen glaubte, war, dass wenn es einen Arzt auf der Insel gegeben hätte, einen ausgebildeten Doktor, der wusste, was er tat, dass sein Vater dann womöglich hätte gerettet werden können.

Paul hätte ihn retten können.

Vielleicht.

So ein Typ war er.

Und mit diesem Gedanken im Hinterkopf machte er Pläne: Auch er fing an, seine Flucht vorzubereiten. Abends lernte er, morgens arbeitete er auf dem Markt. Was er tagsüber verdiente, sparte er für die Abendschule. Dachte eine Weile nicht an Frauen - oder versuchte es wenigstens -, sah aber zu Aja hinüber, wie wir alle zu Aja hinübersehen, und als sie kam und Akees wollte, waren seine die frischsten im Angebot.

In seiner Lebensplanung war eigentlich keine temperamentvolle Frau vorgesehen. Nicht wirklich. Eher eine treue, aufmerksame, mit einer guten Haltung. All das ging Paul durch den Kopf, als er Aja eines Tages schüchtern, fast bedauernd fragte, ob sie nach dem Einkaufen noch zu tun hätte. Ob er sie nach Hause bringen könne.

Natürlich erfuhren wir das alles erst hinterher. Charlie hatte es von Adriana und erzählte es Jacob. Adriana wusste es von Rogelio, der irgendwas mit Juana hatte, und den beiden hatte es Nikki von ein Stück weiter unten erzählt. Die Einzelheiten sind heikel, nichts ist ganz sicher, aber wir wussten genug von der Geschichte, um uns Folgendes vorzustellen: Aja auf der Matratze mit James, zwei Fremde an der Schwelle zum Liebespaar.

Wahnsinn, sagte er und wird ihr mit dem Finger um die linke Brust gefahren sein, das Kinn auf ihrer Schulter.

Dein Leben ist wie ein Märchen, sagte er. Wie ein Roman.

Du hast keinen blassen Schimmer, wovon du redest, sagte Aja.

Die Apartments standen eins auf dem anderen, ein Riesenstapel. Wenn James aus Ajas kam, ging er rechts zur Treppe und kam dabei an vier Türen, drei Fenstern und den Kids vorbei, Karl, Dante und Nigel, die sich ihren Fútbol zukickten, und ihren Müttern, die ihnen dabei zusahen. Dann kamen die Guadalajarer, die auf dem Geländer lehnten, ihr hochprozentiges Bier süffelten und in Jugenderinnerungen schwelgten, alles Lügen, hauptsächlich. Es folgten die Schulschwänzer, die rauchten und zu Joy Division und Ice Cube, manchmal auch zu Selena, mit den Köpfen nickten. Dann ging es...

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Autor

Bryan Washingtons Prosatexte und Essays erschienen bisher u. a. in der New York Times, dem New York Magazine, Buzz Feed und One Story. Sein Schreiben wurde mehrfach ausgezeichnet: Für sein Debüt Lot, eine Kurzgeschichtensammlung, erhielt er den Dylan Thomas Prize, er war einer der Gewinner des National Book Award in der Kategorie »5 Under 35« und Preisträger des Ernest J. Gaines Award for Literary Excellence. Sein Romandebüt Dinge, an die wir nicht glauben ist in den USA ein Bestseller und wird als TV-Serie verfilmt. An einem Tisch ist sein zweiter Roman. Bryan Washington lebt in Houston, Texas.

Werner Löcher-Lawrence ist u. a. der Übersetzer von John Boyne und Hilary Mantel und übersetzte für Kein & Aber Gabriel Krauze und Lisa McInerney.