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»Ich bin Mrs. Hawkins«

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
240 Seiten
Deutsch
Diogeneserschienen am23.02.20221. Auflage
Mrs. Hawkins, die junge Witwe, ist eine wunderbare Frau. Die Ruhe in Person und stets für alle da, gibt ihre mütterliche und lebensfrohe Opulenz dem erfolglosen Londoner Verlagshaus, bei dem sie arbeitet, Halt und Kraft. Jahrzehnte später ­ Mrs. Hawkins ist die schlanke Nancy geworden und ihr Leben weit entfernt vom London der fünfziger Jahre ­ genießt sie die Erinnerungen an jene Zeit.

Muriel Spark, geboren 1918 in Edinburgh, Autorin von Romanen, Theaterstücken, Kinderbüchern und Gedichten. Zahlreiche ihrer Bücher wurden verfilmt. 1986 wurde sie zum Commandeur des Arts et des Lettres ernannt, 1993 zur Dame Commander of the British Empire; 1999 erhielt sie den Ehrendoktortitel für Literatur der Oxford University. ?Die Blütezeit der Miss Jean Brodie? wurde mit Maggie Smith in der Titelrolle verfilmt. Muriel Spark, die 2006 in Florenz verstarb, wird gerade international wiederentdeckt und gefeiert.
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Produkt

KlappentextMrs. Hawkins, die junge Witwe, ist eine wunderbare Frau. Die Ruhe in Person und stets für alle da, gibt ihre mütterliche und lebensfrohe Opulenz dem erfolglosen Londoner Verlagshaus, bei dem sie arbeitet, Halt und Kraft. Jahrzehnte später ­ Mrs. Hawkins ist die schlanke Nancy geworden und ihr Leben weit entfernt vom London der fünfziger Jahre ­ genießt sie die Erinnerungen an jene Zeit.

Muriel Spark, geboren 1918 in Edinburgh, Autorin von Romanen, Theaterstücken, Kinderbüchern und Gedichten. Zahlreiche ihrer Bücher wurden verfilmt. 1986 wurde sie zum Commandeur des Arts et des Lettres ernannt, 1993 zur Dame Commander of the British Empire; 1999 erhielt sie den Ehrendoktortitel für Literatur der Oxford University. ?Die Blütezeit der Miss Jean Brodie? wurde mit Maggie Smith in der Titelrolle verfilmt. Muriel Spark, die 2006 in Florenz verstarb, wird gerade international wiederentdeckt und gefeiert.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783257611083
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Verlag
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum23.02.2022
Auflage1. Auflage
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse649 Kbytes
Artikel-Nr.8921293
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


So groß war der Lärm am Tag, daß ich bei Nacht oft wach dalag und der Stille lauschte. Endlich schlief ich, von Lautlosigkeit erfüllt, zufrieden ein, doch solange ich wach war, genoß ich es, die Dunkelheit zu erleben, die Gedanken und Erinnerungen, die süßen Vorfreuden. Ich konnte die Stille hören. Schon damals, zu Beginn der fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts, war mir die Schlaflosigkeit zur Gewohnheit geworden. Schlaflosigkeit ist nichts Schlechtes an sich. Man kann in der Nacht wach liegen und denken; die Qualität der Schlaflosigkeit hängt ganz davon ab, woran man zu denken beschließt. Kann man Denken beschließen? Ja, man kann. Meist kann man sein Denken richten, worauf man will. Man setzt sich etwa friedlich vor den dunklen Fernseher und schaut sich einfach gar nichts an; und früher oder später macht man sich sein eigenes Programm, viel besser als die Massenproduktionen. Das macht Spaß, Sie sollten es versuchen. Sie können sich dann auf die Mattscheibe holen, wen Sie wollen, allein oder in Gesellschaft, ihn sagen und tun lassen, was Sie möchten, und selbst mitten dazwischen sein, wenn es Ihnen so lieber ist.

Bei Nacht lag ich wach und betrachtete die Dunkelheit, lauschte der Stille, malte mir die Zukunft aus, pflückte mir aus der Vergangenheit die Stückchen heraus, die ich übersehen hatte, jene verschmähten Ereignisse, die jetzt in den Vordergrund traten, groß und wichtig, so daß die Schwere des Schicksals nicht mehr auf den derzeitigen Problemen meines Lebens lastete, worin sie auch immer bestanden (denn wer lebt schon alle Tage ohne Probleme? Warum die Nächte auf sie verschwenden?).

Oft ist es ein weiter Weg von Kensington und den frühen Fünfzigern, diesem Schauplatz meiner Wachträume. Doch selbst wenn ich jetzt nach London, nach Kensington, zurückkehre und das Taxi bezahlt habe und von den Menschen, die dort warten, begrüßt worden bin und Freunde angerufen und die Post geöffnet habe, finde ich in dieser Nacht wieder meine Stunden süßer Schlaflosigkeit und weiß, daß es ein weiter Weg von jenem Kensington der Vergangenheit ist, jener Old Brompton Road, jener Brompton Road, jenem Brompton Oratory; ein weiter Weg. Meine Nachtgedanken verweilen oft bei jenen Nachtgedanken der Vergangenheit, wie ja auch mein damaliger Alltag eine Beziehung zu meinem Tun von heute hat.

Es war 1954. Ich wohnte möbliert in einem hohen Haus in South Kensington. Vor ein paar Jahren erschrak ich einmal, als ein Freund von »dieser Pension unweit der U-Bahn-Station South Kensington, wo du früher gewohnt hast« sprach. Milly, die Hausbesitzerin, hätte die Bezeichnung »Pension« empört zurückgewiesen, aber es wird wohl doch eine gewesen sein.

Milly war sechzig Jahre alt und Witwe. Jetzt ist sie schon weit über neunzig und immer noch die alte Milly.

Das Haus war eine Doppelhaushälfte, und nur ein Meter trennte die freistehende Seite vom Nachbarhaus. Es standen je achtzehn Häuser gleicher Art auf beiden Straßenseiten. Hinter schmiedeeisernen Törchen führte jeweils ein kurzer Weg zwischen Kiesstreifen und Blumenbeeten, von fleckigen Rhododendren gesäumt, zu einer Haustür mit zwei Scheiben aus gemustertem Glas. Milly Sanders´ Mieter hatten alle einen Schlüssel zu dieser Haustür, die in eine kleine Eingangsdiele führte. Milly selbst bewohnte das Erdgeschoß. Wenn man hereinkam, war rechts eine Flurgarderobe mit Spiegel, Kleiderhaken und Schirmständer; auf einer ihrer Ablageflächen stand das Telefon. Links war Millys gute Stube mit Erkerfenster, die nur für Besuch da war. Weiter hinten begann die Treppe, die zu den Mieteretagen führte, und links von dieser Treppe führte ein kurzer Gang in Millys Wohnzimmer, Küche, Schlafzimmer mit angrenzendem Wintergarten und in den Garten hinterm Haus, der für Londoner Verhältnisse recht schön und groß war. Diese Straßen waren für Kaufmannsfamilien des vorigen Jahrhunderts angelegt worden.

Im ersten Stock waren ein Bad und möblierte Zimmer, vermietet an zwei Alleinstehende und ein Ehepaar. Im vorderen Wohnschlafzimmer, das auch ein Erkerfenster und eine angebaute Küche hatte, wohnte das Ehepaar, Basil Carlin und seine Frau Eva, beide auf die Vierzig zugehend und kinderlos. Eva arbeitete halbtags als Kindergärtnerin. Basil war nach eigener Definition technischer Buchhalter. Die Carlins waren außergewöhnlich stille Leute. Kaum hatten sie die Tür hinter sich zu, drang von dort nie ein Laut heraus, selbst nicht nach Mitternacht, wenn die natürlichen Geräusche des Hauses bis zum Morgen verstummt waren.

Neben den Carlins kam ein großes Zimmer mit Blick auf den Garten. Es hatte ein Waschbecken und einen Gaskocher mit dem üblichen schwarzen Blechkasten daneben, mit Schlitzen für Shillings und Pennies. Hier wohnte und arbeitete Wanda, die polnische Schneiderin, deren Leidensfähigkeit an Gier grenzte. Aber Wanda Podolak war eine großmütige Seele, obwohl sie sich nie zu einem Augenblick des Glücks bekennen konnte. Sie hatte viel Besuch, teils Kundinnen - ihre Damen, wie sie sagte -, die sich redselig ihre Kleider anmessen ließen, teils Landsleute, darunter einige, die sie als Feinde bezeichnete. Die meisten Besucher kamen ab sechs Uhr abends, wobei nach Feierabend die Kunden den Vorzug vor Freunden und Feinden bekamen, die auf dem Flur warten mußten, bis die Anproben vorbei waren. Wenn Wanda Gäste hatte, blieb ihre Arbeit nicht liegen; immer wieder summte ihre Nähmaschine in die volltönenden polnischen Männerstimmen hinein, das Kreischen der Frauen und das Klappern der Tassen und Untertassen, wenn Tee gemacht wurde. Auf Polnisch klang die Unterhaltung um so lauter, als niemand, der an Wandas Tür vorbeikam, ein Wort verstehen konnte.

Nach hinten hinaus befand sich in diesem ersten Stock noch ein kleineres Zimmer, in dem Kate Parker wohnte, die fünfundzwanzigjährige Bezirksschwester, klein, dunkel, dicklich, mit runden schwarzen Vogelaugen und blitzenden weißen Zähnen. Sie war eine echte Cockney. Sie vibrierte förmlich vor Energie, und sicher war sie sehr couragiert. Kate war häufig abends dienstlich unterwegs, aber an den wenigen Abenden, die sie zu Hause war, putzte sie ihr Zimmer. Sie nahm es sehr gründlich und genau mit dem Putzen, nicht nur dem eigenen; wenn sie zu jemandem ins Zimmer kam, egal ob zum Fiebermessen oder nur zum Tee, sagte sie oft höflich: »Sie haben ein hübsches, sauberes Zimmer.« Sagte sie das nicht, dann war das Zimmer eben nicht sauber. Kate haßte Bakterien, sie waren Teufelswerk. Wenn sie also abends zu Hause war, schleifte sie ihre Möbel auf den Flur und schrubbte ihr Linoleum mit Dettol. Sie hätte auch die Möbel desinfiziert, wären sie nicht Eigentum unserer Wirtin gewesen. Bei aller Langmut hatte Milly sich denn doch dagegen aufgelehnt, daß ihr Tisch, Stühle und Bett auch nur mit einem Lappen abgewischt wurden, der mit diesem Zeug getränkt war; es reiche ja wohl, meinte sie, wenn nach Kates Geschrubbe jedesmal das ganze Haus nach Klinik rieche. Zum Reinigen der Möbel gab sie Kate Lavendelöl. Am Rumpeln und Schleifen des Mobiliars und den gemischten Desinfektions- und Lavendeldüften erkannte man jedenfalls unfehlbar, an welchen Abenden Kate zu Hause war. Wenn sie erst das Geld zusammengespart und eine eigene Wohnung habe, schwor Kate, so komme ihr da nur weißlackiertes, abwaschbares Holz hinein. Kate war eisern mit ihren Spargroschen und sehr stolz darauf; sie brachte alles auf die Post. In ihrem Zimmer hatte sie etliche Schächtelchen im Regal stehen, die das benötigte Kleingeld enthielten. »Strom« stand darauf, und »Gas« und »Bus« und »Essen«, »Telefon« und »Sonstiges«. Nach dem Putzen und Möbelrücken manikürte Kate sich, bevor sie zu Bett ging, sehr sorgfältig die Fingernägel. Dann legte sie mit besonderer Akkuratesse ihre Kleider für den nächsten Morgen zurecht. Manchmal ließ sie sich vor dem Zubettgehen noch zu einem Sherry oder Whisky überreden, doch stets mit einem ernsten Seufzer, als wollte sie zu verstehen geben, daß sie dieses Zeug ja eigentlich nicht trinken dürfe, es könne einen Menschen ruinieren.

In dem Stockwerk darüber wohnte ich in einem Dachzimmer mit schräger Decke. Es hatte einen Herd und ein Spülbecken; in einer Ecke war eine Einbaudusche; unter die schräge Wand war ein niedriger, tiefer Geschirrschrank eingebaut.

Auf dieser Etage befanden sich noch ein Gemeinschaftsbad und zwei weitere Zimmer, und in einem von ihnen wohnte Jung Isobel, die ein eigenes Telefon im Zimmer hatte, damit sie allabendlich ihren Daddy in Sussex anrufen konnte; nur unter dieser Bedingung hatte Isobel nach London kommen und hier als Sekretärin arbeiten dürfen. Manchmal telefonierte Isobel einen ganzen Abend lang, nicht nur mit ihrem Daddy, auch mit ihrem großen Bekanntenkreis, und ihre Stimme sang und trällerte durch die dünnen Wände die Rezitative und Arien ihrer Tageswerke.

Das andere, noch kleinere Zimmer im Dachgeschoß hatte ein Fenster zum Garten. Ein Medizinstudent wohnte darin, William Todd, dessen akustische Daseinsäußerungen aus seinem Radio stammten, das oft auf die klassische Musik des Dritten Programms eingestellt war. So könne er besser lernen, behauptete er.

Manchmal gab ich eine Party, und das legte dann wohl Zeugnis für mein Dasein ab. Davon abgesehen war ich ziemlich ruhig, sofern ich nicht überhaupt den Abend außer Haus verbrachte. Im allgemeinen aber ging ich, wenn ich zu Hause war, nach unten und unterhielt mich mit Milly. Sogar in Millys Erdgeschoßwohnung ging es oft sehr laut zu, denn Reparaturen und sonstige Arbeiten am Haus wurden abends von einem Mr. Twinny erledigt, der ein paar Häuser weiter wohnte. Daß Mr. Twinny nach getaner Tagesarbeit zum Hämmern...
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Autor

Muriel Spark, geboren 1918 in Edinburgh, Autorin von Romanen, Theaterstücken, Kinderbüchern und Gedichten. Zahlreiche ihrer Bücher wurden verfilmt. 1986 wurde sie zum Commandeur des Arts et des Lettres ernannt, 1993 zur Dame Commander of the British Empire; 1999 erhielt sie den Ehrendoktortitel für Literatur der Oxford University. >Die Blütezeit der Miss Jean Brodie