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Die rote Jawa

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
208 Seiten
Deutsch
Kampa Verlagerschienen am13.10.20221. Auflage
Bei Familie Manz gibt es Heiligabend weder Gans noch Karpfen, sondern Milchhähnchen. Und mit dem Duft des Weihnachtsessens kommen die Erinnerungen zurück - an den heißen Sommer 1961, den der sechzehnjährige Manz im mecklenburgischen Klein-Glevitz verbrachte, um bei der Freiwilligen Feuerwehr auszuhelfen. Alles ist wieder da: Onkel Jochen, der ihn auf der Fahrt von Berlin nach Klein-Glevitz in seinem nagelneuen Cabrio über Politik belehrte und mit Kondomen versorgte, die siebzehnjährige Maja auf ihrer roten Jawa, der Brand auf dem Pannwitz'schen Hof, bei dem ein Ehepaar ums Leben kam und der so etwas wie Manz' allererster Fall gewesen ist. Dass am Ende jenes Sommers die Berliner Mauer gebaut wurde, rückt nachträglich alles in ein anderes Licht. Auch jahrzehntelang verdrängte Familienkonflikte kommen in diesen Weihnachtstagen wieder an die Oberfläche, und Manz' Enkel Matti verlangt von seinem Großvater Erklärungen.

MATTHIAS WITTEKINDT, geboren 1958 in Bonn, vergisst beim Schreiben oft alles um sich herum. Das passiert ihm in seiner Berliner Stadtwohnung genauso wie im Garten in Schmöckwitz am Zeuthener See, wo er im Sommer gern arbeitet. Nachmittags kommt dort immer mal ein Nachbar oder jemand vom Ortsverein vorbei, sagt, dass der Grill angeworfen wurde, und fragt, ob Wittekindt nicht Lust habe vorbeizukommen. »Klar, ich schreibe das hier nur noch schnell zu Ende ...« Manchmal wird ihm dann abends noch ein Würstchen gebracht. Der Vorteil: Er bleibt schlank. Und: Er kommt gut voran, sodass er sich immer mal ein paar Tage freinehmen kann, um etwas mit seiner Frau zu unternehmen. Aufgewachsen ist Matthias Wittekindt in Hamburg. Nach einem Studium der Architektur und Religionsphilosophie in Berlin und London hat er u.a. als Architekt, als Regisseur und als Theater- und Hörspielautor gearbeitet. Seit 2011 konzentriert er sich ganz auf seine hochgelobten Kriminalromane. Matthias Wittekindt hat eine erwachsene Tochter. Im Kampa Verlag erschienen zuletzt die Romane Vor Gericht und Die Schülerin mit Kriminaldirektor a. D. Manz.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR19,90
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR14,99

Produkt

KlappentextBei Familie Manz gibt es Heiligabend weder Gans noch Karpfen, sondern Milchhähnchen. Und mit dem Duft des Weihnachtsessens kommen die Erinnerungen zurück - an den heißen Sommer 1961, den der sechzehnjährige Manz im mecklenburgischen Klein-Glevitz verbrachte, um bei der Freiwilligen Feuerwehr auszuhelfen. Alles ist wieder da: Onkel Jochen, der ihn auf der Fahrt von Berlin nach Klein-Glevitz in seinem nagelneuen Cabrio über Politik belehrte und mit Kondomen versorgte, die siebzehnjährige Maja auf ihrer roten Jawa, der Brand auf dem Pannwitz'schen Hof, bei dem ein Ehepaar ums Leben kam und der so etwas wie Manz' allererster Fall gewesen ist. Dass am Ende jenes Sommers die Berliner Mauer gebaut wurde, rückt nachträglich alles in ein anderes Licht. Auch jahrzehntelang verdrängte Familienkonflikte kommen in diesen Weihnachtstagen wieder an die Oberfläche, und Manz' Enkel Matti verlangt von seinem Großvater Erklärungen.

MATTHIAS WITTEKINDT, geboren 1958 in Bonn, vergisst beim Schreiben oft alles um sich herum. Das passiert ihm in seiner Berliner Stadtwohnung genauso wie im Garten in Schmöckwitz am Zeuthener See, wo er im Sommer gern arbeitet. Nachmittags kommt dort immer mal ein Nachbar oder jemand vom Ortsverein vorbei, sagt, dass der Grill angeworfen wurde, und fragt, ob Wittekindt nicht Lust habe vorbeizukommen. »Klar, ich schreibe das hier nur noch schnell zu Ende ...« Manchmal wird ihm dann abends noch ein Würstchen gebracht. Der Vorteil: Er bleibt schlank. Und: Er kommt gut voran, sodass er sich immer mal ein paar Tage freinehmen kann, um etwas mit seiner Frau zu unternehmen. Aufgewachsen ist Matthias Wittekindt in Hamburg. Nach einem Studium der Architektur und Religionsphilosophie in Berlin und London hat er u.a. als Architekt, als Regisseur und als Theater- und Hörspielautor gearbeitet. Seit 2011 konzentriert er sich ganz auf seine hochgelobten Kriminalromane. Matthias Wittekindt hat eine erwachsene Tochter. Im Kampa Verlag erschienen zuletzt die Romane Vor Gericht und Die Schülerin mit Kriminaldirektor a. D. Manz.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783311703808
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum13.10.2022
Auflage1. Auflage
Seiten208 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1101 Kbytes
Artikel-Nr.9959244
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Blautanne oder serbische Fichte

Das Haus war alt.

Davon abgesehen war es kein Haus, eher ein Stall. Eine Geburtsstätte war es auch. Und es hatte eine Beleuchtung. Fünfzehn Watt. Die Birne wurde von hinten her unter dem Giebel eingeschraubt. Es war noch eine mit Glühwendel, denn der Stall von Bethlehem war sehr alt. Wohl volle siebzig Jahre hatte er auf dem Buckel.

Der kleine Manz - ein paar Tannennadeln hingen an den Ärmeln seines alten Pullovers - hatte davorgelegen, das aus heller Esche geschnitzte Baby sachte berührt und sich alles vorgestellt.

Die Kälte vor allem, denn das Jesuskind wurde ja um Weihnachten herum geboren.

Es war eine zwielichtige Situation. Eigentlich sogar eine trilichtige. Trilichtig ist ein selten gebrauchtes Wort, es ist hier aber das richtige, weil der kleine Manz natürlich wusste, dass er es mit etwas Unechtem zu tun hatte, das irgendwer gebastelt hatte. Ähnlich wie eine Geschichte zum Beispiel.

Hinter diesem dritten Licht der unechten Situation zeigte sich etwas Zwielichtiges, das einen Jungen mit elf Jahren durchaus beschäftigen konnte. Es war nämlich einerseits so, dass der Stall mit seinem getrockneten Moos und all den hineingestellten Tieren und Menschen überaus gemütlich aussah. Dazu kam noch der Besuch von drei Gästen, die eindeutig bester Stimmung waren, da zwei von ihnen gerade die geschnitzte Hand zum Gruß hoben und alle drei Geschenke dabeihatten.

Aber da galt auch etwas anderes, der kleine Manz erspürte das schnell.

Arme Leute, die im Stall.

Der Gedanke an Armut hing mit der Kälte zusammen, denn die Wände waren dünn, einen Ofen gab es nicht, und auf dem Dach lag Schnee. Dass er aus Watte gefertigt war, spielte keine Rolle.

Manz kannte die Kälte.

Er kannte auch dicke Pullover, lange Unterhosen und zweimal Socken übereinander, weil â¦ in den ersten Jahren hatten er und seine Mutter in der Baumbachstraße gelebt, wo der Ofen nicht richtig zog. Und zu viele Kohlen, darum hatte ihn seine stets in diversen Berufen tätige Mutter ja immer eindringlich gebeten, sollte er nicht reinstecken.

»Denk dran, das kostet alles Geld.« Der Satz war häufig gefallen.

Daran mag es gelegen haben.

Etwas Heißes und Kreisendes bildete sich im Kopf des kleinen Manz.

War es Zorn? Ein scharf treibendes Gefühl für Gerechtigkeit und das Gegenteil von Gerechtigkeit?

Natürlich, man soll in das Verhalten eines Elfjährigen nicht zu viel hineinlegen, aber zu sehen war dann eben doch, dass der kleine Manz nach einiger Zeit seine Fäuste ballte, die Lippen scharf aufeinanderpresste und die drei Gäste auf ihren Reittieren missmutig ansah.

Traurig.

Irgendwie schien der kleine Manz plötzlich etwas gegen die Heiligen Drei Könige mit ihren goldenen Kronen und Purpurdecken zu haben. Er stand eindeutig auf der Seite von Maria, Joseph und dem Jesuskind. Warum hatten diese reichen Leute sie einfach dort gelassen? In der kalten Hütte.

Zum Glück verflog das missmutige Gefühl schnell, denn er und seine Mutter waren im Herbst 1954 umgezogen, wohnten also seit zwei Jahren nicht mehr in der Baumbachstraße, und die Milchhähnchen im Herd begannen zu duften.

Davon abgesehen lag Bethlehem ja auch nicht sehr weit im Norden. Der kleine Manz hatte die Stadt in seinem uralten Diercke Weltatlas nachgeschlagen und mit Bleistift und Lineal eine horizontale Linie nach links gezogen. Ja, und da kratzte er bereits an Ägypten entlang und an Libyen. Bei Tunesien, Algerien und Marokko kam er schon recht weit ins Landesinnere. Und dass da die glühheiße Wüste war, wusste er von seiner Mutter, die ihn hin und wieder am Küchentisch damit amüsierte, dass sie Landkarten deutete und gefärbten Flächen, Linien und Schraffuren Leben einhauchte.

Schnee in der Wüste? Ein Widerspruch, den es aufzuklären galt.

»Woher kommt eigentlich der Schnee in Bethlehem?«, fragte er Onkel Jochen.

»Welcher Schnee?«

»Der zu Weihnachten.«

Onkel Jochen zeigte sich zunächst etwas irritiert. »Na draußen liegt doch zu Weihnachten oft Schnee. Und hier oben, bei euch in Pankow, ist der sogar liegen geblieben.«

»Schon, aber Bethlehem ist nicht Pankow, oder? Das liegt in der Wüste.«

»Richtig. Aber du darfst eins nicht vergessen: In der Wüste wird es nachts sehr kalt.«

»Ach, so ist das gemeint.«

»Kommst du, Jochen?«, rief in diesem Moment Manz Mutter aus der Küche. »Ich glaube, die Milchhähnchen möchten nicht länger im Backofen bleiben, aber das musst du entscheiden.«

Der kleine Manz sah alles ganz genau: Onkel Jochen ging Richtung Küche, und noch ehe er den Durchgang erreicht hatte, kam ihm die Mutter entgegen. Sie wies, als ob das nötig gewesen wäre, in Richtung des Herds.

Während Onkel Jochen nun mit den Worten: »Dann wollen wir mal sehen, wie es steht« die Küche betrat, also quasi im Vorbeigehen, fasste er die Mutter an der Taille. Einfach so. Sie gab dem leichten Zug, der dabei entstand, nach, bog sich in der Mitte ein wenig durch, blickte weihnachtlich funkelnd und sagte: »Also wirklich.«

Manz Mutter trug an diesem Weihnachtsabend 1956 ein gelbes, eng tailliertes Kleid, das höchstens ein Fünftel ihrer Waden bedeckte. Wie im Sommer, dachte der kleine Manz. Außerdem war sie mehr als sonst zurechtgemacht. Und obwohl seine Mutter für ihn natürlich etwas Alltägliches war wie sein Schulbrot, sein Fahrrad, sein Freund Richard oder Herr Rossberg, fand er, dass sie heute pfundig aussah. Wenn nicht gar dufte! Und so stellte er sich vor, wie es wohl auf die Leute hier in Pankow wirken würde, sähe man sie in dem Kleid im Sommer auf ihrem knallroten Fahrrad durch den Bürgerpark rauschen.

 

Nach dem Weihnachtsessen durfte der kleine Manz die großen Geschenke auspacken. Von seiner Mutter bekam er einen dunkelblauen Pullover. Mit einem weißen Bruststreifen, ähnlich wie ihn der Skifahrer Toni Sailer trug.

»Und? Freust du dich?«, fragte sie, nachdem sie mit Zupfen, Richten und Ziehen festgestellt hatte, dass er passte.

»Hm.«

»Du freust dich nicht?«

»Doch.«

Von Onkel Jochen gab es drei Weichen â¦

»Oh!«

⦠vierzehn Kurven und zwölf Geraden.

»Genau die brauchte ich!«

Dazu einen Bahnhof â¦

»Oh!«

⦠und einen Bauernhof.

»Auch noch einen Bauernhof! Das ist ja â¦«

»Von Faller«, hatte Onkel Jochen in einem Tonfall gesagt, als wäre er ein Fachmann in dieser Sache.

»Ja, die von Faller sind gut.«

»Zum selber Zusammenkleben natürlich.«

Zu alldem gab es noch eine große Tüte voll mit Hühnern, Frauen, einem roten Moped sowie einem Schaffner.

Dank der Weichen konnte der kleine Manz den inneren Kreis, der durch ein untertunneltes Gebirge kurvte, an den äußeren Kreis - mit Moos bewachsenes Flachland - anschließen und den äußeren Kreis gleichzeitig um eine Abzweiggerade erweitern, die zum Bahnhof führte.

Neben dem Bahnhof, am Ende der Rampe, gab es nun einen von Frauen in städtischer Kleidung geführten Bauernhof, auf dem ausschließlich Hühner gehalten wurden.

Das Gebirge übrigens hatte Manz selber hergestellt. Und zwar indem er einen alten Bettbezug in Gips getränkt und dann so zurechtgebogen und geknittert hatte, wie er es brauchte. Dieses Gebirge sah wahrlich überzeugend aus, hatte aber den Nachteil, dass es beim Transport ziemlich krümelte.

Das alles erklärte allerdings noch lange nicht, warum alle, die er kannte, die Geburt von Christus mit Tannenbäumen feierten. Zwei Tage rätselte er. Dann trug er die Sache seiner Mutter vor, und die erklärte es ihm.

»Es geht darum, das Paradies darzustellen. Und im Paradies, das habe ich dir aber schon mal erklärt â¦«

»Da blüht es immerzu und ist frisch und grün.«

»Richtig.«

»Und da führt uns das Jesuskind hin?«

»So sagt man.«

»Wenn wir dran glauben! An das Gute. Und uns so benehmen, dass es anständig ist.«

»Ich sehe, du hast profundere Kenntnisse als dein Vater.«

Das war ein ziemlich sinnloser Satz, denn zu Manz gab es keinen Vater. Seine Mutter hatte, als er noch klein war, immer gesagt: »Er ist bei den Roten geblieben.« Jedenfalls hatte er sie so verstanden.

Da seine Mutter nicht gerne über seinen Vater sprach, hatte Manz seinen Klassenlehrer, Herrn Rossberg von der Wilhelm-Piek-Oberschule in Pankow, gefragt, was mit den Roten gemeint sein könnte.

»Damit meint sie die Rote Armee und will dir sagen, dass dein Vater, wie auch die Väter von Robert, Markus und Karin, in Russland gefallen ist. Gefallen heißt, er ist dort beim Überfall deutscher Soldaten auf das russische Volk ums Leben gekommen.«

Erst als er vierzehn war, hatte seine Mutter ihm die Wahrheit gesagt. Es war nicht die Rote Armee. Tot war sein Vater auch nicht. Es ging um eine Rothaarige. Für Manz Mutter allerdings war er tatsächlich gefallen. Oder eben gestorben. So war das gewesen. Manz hatte also keinen echten Vater, dafür aber Onkel Jochen.

Dr. Burmester, wie er offiziell hieß.

Urologe.

Und Dr. Burmester kam nicht nur aus dem Britischen Sektor, er hatte auch einen Patienten, der regelmäßig starke Schmerzmittel einer bestimmten Art benötigte und einen Laden betrieb, in dem Märklin-Eisenbahnen und all das Drumherum verkauft wurden. Oder eben getauscht. Gegen Schmerzmittel einer bestimmten Art. So einfach war das.

Onkel Jochen war zwar kein echter Onkel, kam seinen Pflichten aber nach. Im Haus, wie man damals so sagte. Und...
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MATTHIAS WITTEKINDT, geboren 1958 in Bonn, vergisst beim Schreiben oft alles um sich herum. Das passiert ihm in seiner Berliner Stadtwohnung genauso wie im Garten in Schmöckwitz am Zeuthener See, wo er im Sommer gern arbeitet. Nachmittags kommt dort immer mal ein Nachbar oder jemand vom Ortsverein vorbei, sagt, dass der Grill angeworfen wurde, und fragt, ob Wittekindt nicht Lust habe vorbeizukommen. »Klar, ich schreibe das hier nur noch schnell zu Ende ...« Manchmal wird ihm dann abends noch ein Würstchen gebracht. Der Vorteil: Er bleibt schlank. Und: Er kommt gut voran, sodass er sich immer mal ein paar Tage freinehmen kann, um etwas mit seiner Frau zu unternehmen. Aufgewachsen ist Matthias Wittekindt in Hamburg. Nach einem Studium der Architektur und Religionsphilosophie in Berlin und London hat er u.a. als Architekt, als Regisseur und als Theater- und Hörspielautor gearbeitet. Seit 2011 konzentriert er sich ganz auf seine hochgelobten Kriminalromane. Matthias Wittekindt hat eine erwachsene Tochter. Im Kampa Verlag erschienen zuletzt die Romane Vor Gericht und Die Schülerin mit Kriminaldirektor a. D. Manz.