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Vermisst

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
384 Seiten
Deutsch
Diogeneserschienen am23.11.20221. Auflage
Cholon bei Tel Aviv: Der 16-jährige Ofer ist verschwunden. Inspektor Avi Avraham glaubt zunächst nicht an ein Verbrechen, aber von dem Jungen fehlt jede Spur. Ein aufdringlicher Lehrer, der Ofer Nachhilfestunden gegeben hat, scheint mehr zu wissen, als er zugibt ... Avi Avrahams erster Fall entpuppt sich als Familientragödie, in der es nicht nur ein Opfer zu beklagen gibt.

Dror Mishani, geboren 1975 in Cholon bei Tel Aviv, ist ein israelischer Schriftsteller und daneben Literaturwissenschaftler mit dem Spezialgebiet Geschichte der Kriminalliteratur. Seine Romane sind in viele Sprachen übersetzt, seine ?Avi Avraham?-Krimi-Serie wurde mehrfach verfilmt, und von dem Bestseller ?Drei? ist eine internationale Serienverfilmung in Vorbereitung. Dror Mishani lebt mit seiner Familie in Tel Aviv.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR11,99

Produkt

KlappentextCholon bei Tel Aviv: Der 16-jährige Ofer ist verschwunden. Inspektor Avi Avraham glaubt zunächst nicht an ein Verbrechen, aber von dem Jungen fehlt jede Spur. Ein aufdringlicher Lehrer, der Ofer Nachhilfestunden gegeben hat, scheint mehr zu wissen, als er zugibt ... Avi Avrahams erster Fall entpuppt sich als Familientragödie, in der es nicht nur ein Opfer zu beklagen gibt.

Dror Mishani, geboren 1975 in Cholon bei Tel Aviv, ist ein israelischer Schriftsteller und daneben Literaturwissenschaftler mit dem Spezialgebiet Geschichte der Kriminalliteratur. Seine Romane sind in viele Sprachen übersetzt, seine ?Avi Avraham?-Krimi-Serie wurde mehrfach verfilmt, und von dem Bestseller ?Drei? ist eine internationale Serienverfilmung in Vorbereitung. Dror Mishani lebt mit seiner Familie in Tel Aviv.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783257613322
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Verlag
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum23.11.2022
Auflage1. Auflage
Seiten384 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse958 Kbytes
Artikel-Nr.10227219
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Vor ihm saß eine Mutter. Schon wieder.

In diesem Bereitschaftsdienst hatte er schon zwei Mütter gehabt. Die erste war zu jung und zu schön gewesen. Sie trug ein weißes Stretchshirt, und ihre Schlüsselbeinknochen waren hinreißend. Sie erstattete Anzeige, weil ihr Sohn in der Nähe des Schulgeländes verprügelt worden sei, und er lauschte ihr geduldig und versicherte, der Anzeige werde ernsthaft nachgegangen. Die zweite Mutter hatte verlangt, die Polizei möge einige Beamte abstellen, um ihre Tochter zu beschatten und herauszufinden, warum sie am Telefon flüsterte und nachts die Tür zu ihrem Zimmer abschloss.

In letzter Zeit waren bei all seinen Diensten Leute wegen ähnlich abstruser Anzeigen gekommen. Vor einer Woche hatte eine Frau gemeldet, ihre Schwiegertochter habe sie mit einem Fluch belegt. Er war überzeugt davon, dass seine Kollegen auf der Straße Leute angehalten und sie gebeten haben mussten, abwegige Anzeigen zu erstatten, um sich einen Scherz mit ihm zu erlauben. Bei den Bereitschaftsdiensten der anderen Ermittler kam so etwas nie vor.

 

Es war zehn nach sechs, und hätte es in Avraham Avrahams Büro ein Fenster gegeben, hätte er gesehen, dass es draußen bereits dunkel wurde. Er wusste, was er sich auf dem Nachhauseweg zum Abendessen kaufen und was er sich im Fernsehen anschauen würde, während er aß. Aber vorher musste er erst diese dritte Mutter beruhigen. Er starrte auf den Bildschirm. Wartete auf den passenden Augenblick. Und fragte dann: »Wissen Sie, warum es keine Kriminalromane auf Hebräisch gibt?«

»Bitte?«

»Warum gibt es hierzulande keine Kriminalromane? Warum werden in Israel keine Bücher geschrieben wie beispielsweise die von Agatha Christie?«

»Ich kenne mich mit Büchern nicht besonders aus.«

»Dann werde ich es Ihnen sagen. Weil solche Verbrechen hier nicht vorkommen. Es gibt bei uns keine Serienmörder, keine Entführungen und so gut wie keine Sexualstrafâtäter, die auf der Straße über Frauen herfallen. Wenn bei uns ein Verbrechen begangen wird, dann war es in der Regel der Nachbar oder der Onkel oder der Großvater, und es braucht keine komplizierte Ermittlung, um den Täter zu finden und das Geheimnis zu lüften. Einen großen Unbekannten gibt es bei uns einfach nicht. Die Erklärung ist immer die am nächsten liegende. Damit will ich Ihnen sagen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Ihrem Sohn etwas zugestoßen ist, äußerst gering ist. Und ich sage das nicht, um Sie zu beruhigen, die Statistik sieht nun einmal so aus, und wir haben keinerlei beunruhigende Anzeichen, die darauf hindeuten, dass es in seinem Fall anders sein könnte. In einer Stunde oder vielleicht auch erst in drei wird er wieder zu Hause sein, im äußersten Fall morgen früh, das versichere ich Ihnen. Das Problem ist, würde ich Ihren Sohn jetzt als vermisst aufnehmen, müsste ich umgehend Beamte auf die Straße schicken, damit sie nach ihm suchen. So sind die Vorschriften. Und ich sage Ihnen aus Erfahrung: Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass er in einem Zustand aufgefunden würde, in dem Sie ihn nicht der Polizei präsentieren möchten. Was mache ich, wenn er mit einem Joint überrascht wird? Dafür gibt es Vorschriften, ich muss ein Strafverfahren wegen Drogenmissbrauchs gegen ihn einleiten. Daher denke ich, es hat keinen Sinn, jetzt mit Suchmaßnahmen zu beginnen, es sei denn, Ihr Bauchgefühl sagt Ihnen, dass ihm etwas passiert ist, und Sie können mir wenigstens einen Anhaltspunkt geben, warum Sie das glauben. Ist dem so, nehmen wir jetzt gleich eine Vermisstenanzeige auf und beginnen mit der Suche. Wenn nicht, sollten wir bis morgen früh abwarten.« Er musterte sie, um abzuschätzen, welchen Eindruck seine Rede auf sie gemacht hatte. Sie wirkte verloren. Schien es nicht gewohnt, Entscheidungen zu treffen. Oder auf etwas zu beharren.

»Ich weiß nicht, ob ihm etwas passiert ist«, meinte sie schließlich. »Das sieht ihm einfach nicht ähnlich, so zu verschwinden.«

 

Eine Viertelstunde war verstrichen, und noch immer saßen sie einander in seinem kleinen Zimmerchen gegenüber. Seit fünf hatte er keine Zigarettenpause mehr gemacht. Vor ihm auf dem Schreibtisch lag seine Schachtel Time und darauf ein kleines, schwarzes BIC-Feuerzeug. Außerdem hatte er in beiden Hosentaschen und in der Brusttasche seines Hemdes Feuerzeuge.

»Lassen Sie uns noch einmal die wesentlichen Fakten durchgehen und zusammenfassen, was Sie tun, wenn Sie nach Hause kommen und er noch nicht zurück ist. In Ordnung? Sie haben erklärt, er sei zur Schule gegangen wie gewöhnlich. Um wie viel Uhr, sagten Sie? Um zehn vor acht?«

»Ich hab nicht auf die Uhr geschaut, das hab ich Ihnen doch schon gesagt. Aber so wie jeden Morgen, vielleicht um Viertel vor acht.«

Er schob die Tastatur beiseite und schrieb mit einem einfachen Einwegkugelschreiber, den er in seiner Schublade fand, kurze Sätze auf einen glatten Bogen Papier. Den Stift hielt er dicht oberhalb der Spitze umklammert, mit allen Fingern. Zeige- und Ringfingerspitze waren schon blau verschmiert.

»Also, der genaue Zeitpunkt ist nicht so wichtig. Hatte er einen gewöhnlichen Rucksack dabei? Ist Ihnen aufgefallen, dass er etwas Ungewöhnliches mitgenommen haben könnte, war der Rucksack besonders groß, oder fehlen vielleicht Kleidungsstücke aus seinem Schrank?«

»Ich hab nicht in seinem Schrank nachgeschaut.«

»Und wann haben Sie festgestellt, dass er sein Mobiltelefon nicht bei sich hat?«

»Irgendwann tagsüber, als ich sein Zimmer geputzt habe.«

»Putzen Sie jeden Tag sein Zimmer?«

»Bitte? Nein, nicht jeden Tag. Nur manchmal, wenn es schmutzig ist.«

Auf ihn wirkte sie allerdings wie eine, die jeden Tag putzte. Obwohl sie schmächtig war, kleine Hände hatte. Mit gekrümmtem Rücken saß sie auf der Stuhlkante, auf den Knien eine abgewetzte schwarze Ledertasche. Mit der einen Hand hielt sie die Tasche fest, und mit der anderen hatte sie ein kleines Mobiltelefon umklammert, ein betagtes blaues Samsung-Modell. Dabei war diese vom Leben gebeugte Mutter, die einen sechzehnjährigen Sohn hatte, genau genommen in seinem Alter, vielleicht zwei Jahre älter als er. Aber nicht älter als vierzig. All dies notierte er jedoch nicht, weil es so absolut ohne jede Bedeutung war.

»Das Telefon war abgeschaltet, nicht wahr? Das sagten Sie?«

»Ja, es war aus. Es lag auf seinem Schreibtisch.«

»Und haben Sie es eingeschaltet?«

»Ich hab´s nicht angemacht. Denken Sie, ich hätte es anmachen sollen?«

Das war die erste Frage, die sie an ihn richtete. Ihre Finger schlossen sich fester um die Tasche, und ihm schien, als hörte er ein Erwachen in ihrer Stimme. Als hätte er ihr gesagt, sobald sie das Telefon einschaltete, würde es klingeln und ihr Sohn wäre am Apparat und würde versichern, auf dem Weg nach Hause zu sein.

»Ich weiß nicht. Auf jeden Fall empfehle ich Ihnen, es einzuschalten, sobald Sie wieder zu Hause sind.«

»Als ich das Telefon gefunden hab, hab ich sofort ein schlechtes Gefühl gehabt. Ich kann mich nicht erinnern, dass er irgendwann mal sein Telefon vergessen hätte.«

»Ja, das erwähnten Sie bereits. Seinen Schulkameraden haben Sie erst am Nachmittag angerufen, richtig?«

»Bis vier hab ich gewartet, weil er sich manchmal ein bisschen verspätet, und mittwochs haben sie einen langen Tag, da kommt er immer so um drei, halb vier. Um vier hab ich angerufen.«

»Und glauben Sie seinem Schulfreund?«

Sie antwortete mit einem »Ja«, das entschieden begann und dann zögerlich geriet.

»Meinen Sie etwa, er hat gelogen? Er hat doch gehört, dass ich mir Sorgen mache.«

»Ich weiß nicht, ob er gelogen hat, Verehrteste, ich kenne den Jungen nicht. Ich weiß nur, dass bei Freunden manchmal einer den anderen deckt, und wenn Ihr Sohn beschlossen hat, heute die Schule zu schwänzen und nach Tel Aviv zu fahren, um sich zum Beispiel eine Tätowierung machen zu lassen, dann könnte er seinen besten Freund eingeweiht und ihn gebeten haben, niemandem etwas davon zu erzählen.«

Hätte ich das so gemacht?, fragte er sich und wusste nicht, ob Schüler noch immer den Ausdruck »schwänzen« verwendeten. Vielleicht weil die Mutter wie erstarrt dasaß und so verschreckt vor einem Beamten in Uniform wirkte, vielleicht aber auch, weil es schon spät war, erzählte er ihr nicht, dass er auf dieselbe Schule gegangen war. Er hatte die Morgen noch gut in Erinnerung, an denen er zur Bushaltestelle am Anfang der Shenkar-Straße gegangen war und auf die Linie 1 oder 3 gewartet hatte, um nach Tel Aviv zu fahren, statt in die Schule zu gehen. Niemandem hatte er damals davon erzählt, auch nicht seinen wenigen Freunden. Für den Fall, dass er einer der Lehrerinnen über den Weg laufen würde, hatte er sich eine glaubwürdige Geschichte zurechtgelegt.

»Warum sollte er irgendwohin fahren und nichts sagen? So was hat er noch nie gemacht.«

»Vielleicht ist dem so, vielleicht auch nicht, nachfragen lohnt sich. Sollte er nicht zu Hause sein, wenn Sie zurückkommen, schlage ich vor, dass Sie noch einmal mit dem Freund und vielleicht auch mit anderen Freunden von ihm sprechen und herausfinden, ob es Orte gibt, wo er manchmal hinfährt. Vielleicht hat er eine Freundin, von der Sie nichts wissen, oder vielleicht einen anderen Grund. Und versuchen Sie, sich zu erinnern: Kann es sein, dass er erwähnt hat, Pläne für Mittwoch zu haben? Vielleicht hat er Ihnen etwas erzählt, und Sie haben es vergessen?«

»Was für Pläne denn? Er hat mir gar nichts gesagt.«

»Und was ist mit seinen Geschwistern? Vielleicht hat er denen etwas...
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Dror Mishani, geboren 1975 in Cholon bei Tel Aviv, ist ein israelischer Schriftsteller und daneben Literaturwissenschaftler mit dem Spezialgebiet Geschichte der Kriminalliteratur. Seine Romane sind in viele Sprachen übersetzt, seine >Avi AvrahamDrei