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Hier ist alles sicher

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
264 Seiten
Deutsch
Verlag Freies Geisteslebenerschienen am15.03.20231. Auflage
Ein Riss geht durch eine Familie. Und ein Riss geht durch ein Land. 'Komm nach Israel, Mama.' Lang hat Lydia den Hilferuf ihres Stiefsohnes ignoriert, und als sie endlich ankommt, ist es zu spät. Immanuel ist tot. Selbstmord. Sie begibt sich auf die verzweifelte Suche, will verstehen. Ihn und damit auch das Land, das eigentlich eine Zuflucht sein sollte. Vor dem Hintergrund des israelisch-arabischen Konflikts beginnt ein spannender Roadtrip, der tief hineinfu?hrt in die Strukturen und Wunden ganzer Generationen. Atmosphärisch dicht und mit einer unverwechselbaren literarischen Stimme schildert Anneleen Van Offel, wie schwer es ist, unter den falschen Umständen richtig zu handeln. Ein Roman u?ber Liebe, Sehnsucht, Verlust, Tod und Trauer und gleichzeitig eine beru?hrende Ode an das Leben.

Anneleen Van Offel, 1991 in Antwerpen geboren, studierte Wortkunst am dortigen Königlichen Konservatorium. Sie hat Kolumnen fu?r die flämische Zeitung 'De Standaard' und Kurzgeschichten und Gedichte fu?r verschiedene Literaturzeitschriften geschrieben. Sie arbeitet als Redakteurin fu?r die Zeitschrift 'Deus Ex Machina'. Außerdem ist Anneleen Van Offel Programmgestalterin verschiedener literarischer Veranstaltungen. Von 2019 bis 2021 war sie Stadtschreiberin von Kortrijk. Fu?r ihr Debu?t 'Hier ist alles sicher' reiste sie immer wieder nach Israel, sprach mit zahlreichen Israelis, israelischen (Ex-)Soldaten und deren Familien. Der Roman wurde in Belgien und den Niederlanden von der Presse gefeiert und fu?r seinen einfu?hlsamen Stil gelobt. anneleenvanoffel.be | @anneleenvanoffel
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextEin Riss geht durch eine Familie. Und ein Riss geht durch ein Land. 'Komm nach Israel, Mama.' Lang hat Lydia den Hilferuf ihres Stiefsohnes ignoriert, und als sie endlich ankommt, ist es zu spät. Immanuel ist tot. Selbstmord. Sie begibt sich auf die verzweifelte Suche, will verstehen. Ihn und damit auch das Land, das eigentlich eine Zuflucht sein sollte. Vor dem Hintergrund des israelisch-arabischen Konflikts beginnt ein spannender Roadtrip, der tief hineinfu?hrt in die Strukturen und Wunden ganzer Generationen. Atmosphärisch dicht und mit einer unverwechselbaren literarischen Stimme schildert Anneleen Van Offel, wie schwer es ist, unter den falschen Umständen richtig zu handeln. Ein Roman u?ber Liebe, Sehnsucht, Verlust, Tod und Trauer und gleichzeitig eine beru?hrende Ode an das Leben.

Anneleen Van Offel, 1991 in Antwerpen geboren, studierte Wortkunst am dortigen Königlichen Konservatorium. Sie hat Kolumnen fu?r die flämische Zeitung 'De Standaard' und Kurzgeschichten und Gedichte fu?r verschiedene Literaturzeitschriften geschrieben. Sie arbeitet als Redakteurin fu?r die Zeitschrift 'Deus Ex Machina'. Außerdem ist Anneleen Van Offel Programmgestalterin verschiedener literarischer Veranstaltungen. Von 2019 bis 2021 war sie Stadtschreiberin von Kortrijk. Fu?r ihr Debu?t 'Hier ist alles sicher' reiste sie immer wieder nach Israel, sprach mit zahlreichen Israelis, israelischen (Ex-)Soldaten und deren Familien. Der Roman wurde in Belgien und den Niederlanden von der Presse gefeiert und fu?r seinen einfu?hlsamen Stil gelobt. anneleenvanoffel.be | @anneleenvanoffel
Details
Weitere ISBN/GTIN9783772544354
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum15.03.2023
Auflage1. Auflage
Seiten264 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2526 Kbytes
Artikel-Nr.11217872
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

Dieser Tote ist nicht mein Sohn, das ist ein Mann, den ich nicht kenne. Die schwülwarme israelische Luft drückt mich zu Boden, fesselt mich an den Ledersessel, meine Finger umklammern die Knöpfe, mit denen man die Lehne bequem nach hinten verstellen kann: ein Relaxsessel, wie es so schön heißt. Es gelingt mir nicht, meinen Sohn zu sehen, in dem Toten auf dem Krankenhausbett meinen Sohn zu sehen.

Draußen fahren Autos an, jemand hupt, der Wind streicht sanft durch die Palmen hinter der Scheibe, und hier drin atme ich weiter, in meinem Körper findet ein Verdauungsprozess statt, das Herz pumpt Blut durch die Adern, die Uhr in der Zimmerecke tickt viel zu schnell und viel zu laut. Hinter der Tür, in einem anderen Leben, eilt jemand mit quietschenden Sohlen vorbei. Ich versuche, nicht in Panik zu geraten - darüber dass unser Weg weitergeht, wir gehen weiter und lassen Immanuel zurück, jeder Atemzug ein Vorsprung vor meinem Kind. In der Mitte der Zimmerdecke dreht sich ein Ventilator. Die Luft flirrt über einem Riss, der von einer Ecke aus hinter der Fußleiste ansteigt, um dann neben dem Bett steil abzufallen wie die Kurve eines Kardiogramms. Ich lasse mein Handy von einer Hand in die andere wandern, ganz so als gäbe es jemanden, den ich anrufen kann.

Im Dämmerlicht verschwimmen die Konturen des Bettes, des Rolltisches daneben und des Buches darauf. Es lässt die Flecken auf den Fliesen, den Staub auf der Fensterbank, die vom hölzernen Fensterrahmen abblätternde Farbe und den Glanz der Scheiben verschwinden. Dahinter versinkt Haifa im Abendrot.

Ich fotografiere ihn. Aus Versehen wird der Blitz ausgelöst. Grell beleuchtet liegt er auf dem Bett. Im Nebenzimmer setzt Platzregen ein. Jemand ruft etwas, es hallt wie in einem Bad, jemand anders antwortet. Gelächter.

Die Neonröhren flackern auf. In der Tür steht eine Krankenschwester, die ich noch nie gesehen habe. Klein, gedrungen, die Finger am Lichtschalter. Sie presst die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. «Es tut mir leid», sagt sie in einem Ton, dem man anhört, dass ihr vor allem eines leid tut: dass ich hier bin. Wie lange bin ich schon hier? Ich habe sie gebeten, mich allein zu lassen, als sie mich herbrachten, mich mit ihm allein zu lassen. Ich bin gekommen, Immanuel, ich bin da.

Sie tritt näher, einen Metalljesus um den Hals, der das Licht reflektiert. Er hat weder Nase noch Augen: ein kantiges, völlig ausdrucksloses Gesicht. Das Kreuz ragt ihm wie Flügel aus dem Rücken. «Wer sind Sie?»

Ich lasse das Handy in meine Handtasche gleiten, die Kamerafunktion ist noch aktiv. «Ich bin Touristin», habe ich heute Nachmittag noch zum Zollbeamten gesagt und dachte das wirklich: Ich habe meinen Sohn seit zehn Jahren nicht mehr gesehen, ich schneie kurz in sein Leben und bin im Nu wieder weg. Man hat mich in der Annahme ins Land gelassen, dass ich in wenigen Tagen wieder abreise.

«Kann ich den behandelnden Arzt sprechen?», frage ich.

Die Krankenschwester schüttelt den Kopf.

«Ich bin selbst Ärztin», sage ich - auch um ihr zu verstehen zu geben, dass ich schon bei Betreten des Zimmers gesehen habe, was er getan hat. Ich kann Körper lesen, ich brauche es nicht laut zu hören, sie soll gefälligst den Mund halten. Mit dem Kinn zeige ich aufs Bett, auf dem mein Sohn nicht aufgebahrt ist, sondern auf dem bloß eine andere Version von ihm liegt. Noch heute Morgen war er hier, er kann nicht weit sein.

Die Krankenschwester kehrt mir den Rücken zu, schiebt sich wie eine Wolke zwischen mich und das Bett. Es ist soweit. Ruckartig komme ich zum Stehen, meine Haut löst sich nur mühsam vom Lederbezug. Und dann sehe ich plötzlich meinen Mann dort liegen, den ich streng genommen gar nicht mehr so nennen darf; auf dem Bett liegt mein Mann, wenn auch vor zwanzig Jahren. Ich drehe mich zur Krankenschwester um, sehe mich selbst in einem weißen Kittel und ringe nach Luft, umklammere das Metallgestell des Bettes.

«Zu schnell aufgestanden?» Die Krankenschwester hält mich am Ellbogen. «Möchten Sie ein Glas Wasser?»

Er ist seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten, hat seine braunen Locken, seine Wuschelmähne, seine wächserne Stirn und seine Lippen. Weiter unten jedoch: rote Striemen um den Hals, schwarze Blutergüsse vom Nacken bis zu den Schultern, dünne, schlaffe Arme, knochige Handgelenke. Auf seinem T-Shirt grelle Buchstaben. WE WERE STONED IN HEBRON. Ein Cartoon mit kiffenden Soldaten, die von palästinensischen Jugendlichen mit Steinen beworfen werden. Es ist verschossen, vermutlich wurde es schon oft gewaschen.

An seiner rechten Hand sind nur noch Daumen und Mittelfinger übrig. Verbranntes Fleisch voll weißer, wulstiger Narben.

«Kann ich Ihnen ein Glas Wasser bringen?»

«Ich möchte ihn herrichten», sage ich.

«Entschuldigung?», sagt sie. Das ist keine Entschuldigung, sie verlangt eine von mir.

«Waschen will ich ihn, ich will meinen Sohn waschen.»

Sie spielt mit dem Kreuz an ihrer Halskette, pikst sich damit in den Busen. «Das geht doch nicht. Er ist schon hergerichtet.»

Das sehe ich auch. Ich weiß, dass er wieder eine Windel trägt, eine Inkontinenzeinlage, die auffangen soll, was er nicht mehr halten kann. Sein Rücken unter dem T-Shirt dürfte bereits dunkelrot, das zum Stillstand gekommene Blut am tiefsten Punkt zusammengeflossen sein. Ich weiß mehr als mir lieb ist, das bringt mein Beruf so mit sich: Ich nehme diejenigen, die mir nahestehen, auch als Körper wahr.

«Ich brauche einen Eimer», sage ich. «Und einen Lappen.» Meine Stimme bricht und damit auch ich. Sie spürt das, sie schüttelt den Kopf. Ich will ihn waschen, ich werde warmes Wasser verwenden, jeden Quadratzentimeter seiner Haut liebkosen, bis ich kein Detail je wieder vergesse und er nicht anders kann, als es doch noch zu spüren. Ich bin da, Immanuel, ich bin gekommen.

Ich beuge mich zu ihm, ziehe ein Hosenbein etwas nach oben. Auch hier ein dunkelvioletter Fleck unter der Haut. Sein Bein ist behaart, ein Männerbein. Das ist nicht der Junge, von dem ich mich nie richtig verabschiedet habe. Er ist jetzt dreiundzwanzig, das weiß ich, ich habe weiterhin jeden Geburtstag gefeiert.

«Er hat mir gemailt», sage ich. « Komm nach Israel, Mama. Sderot Yitzhak 5. »

Seine Härchen sind weich. Ich drücke seine unversehrte Hand; als ich das letzte Mal seine Hände hielt, war er dreizehn, und ich hatte nichts mehr zu sagen; ich drückte sie, und er verschwand, tagelang brachte ich kein Wort mehr heraus. Als er ins Taxi stieg, waren seine Lippen zu einem blassen Strich zusammengepresst. Wie seine Stimme wohl hinter diesem geschlossenen Mund klingt? Ich habe ihn mir stets mit dieser Jungenstimme, kurz vor dem Erwachsenwerden, vorgestellt, mit seiner hohen, leicht kieksenden Stimme. Ich will sie hören. Ich bin gekommen, Immanuel.

«Bringen Sie mir Wasser», sage ich. Seine Haut ist eiskalt. Ich kann ihn aufwärmen, ich muss seine Hände nur in meine nehmen, dann wird ihm automatisch wieder warm. Das Brot, das er heute Morgen gegessen hat, ist noch in seinem Darm.

«Misses ⦻ Die Krankenschwester atmet hörbar ein.

«Bringen Sie mir Wasser», wiederhole ich, diesmal schon ein Stück lauter. Ich drücke seine Finger, bohre die Nägel so fest ich kann in seine Haut. Die gibt leicht nach, ist noch nicht starr, und aus den Augenwinkeln sehe ich, wie die Frau auf mich zueilt, sie packt mich am Handgelenk, versucht, mich von ihm zu lösen, aber ich lasse ihn nicht zurück, nicht noch einmal, ich stoße sie fort, sie knallt mit dem Ellbogen gegen den Rolltisch, dessen Bremsen quietschen.

Komm nach Israel, Mama. Vier Worte, und ich habe mich vier Wochen lang nicht getraut, zu antworten. Die Nachricht hat mich unter meiner beruflichen E-Mail-Adresse erreicht. Er musste auf der Internetseite des Krankenhauses nach mir suchen, um Kontakt aufnehmen zu können.

Die Dusche im Nebenzimmer wird abgestellt.

«Ich möchte den Arzt sehen», sage ich, vielleicht schreie ich es auch.

«Der Arzt schaut nur ein Mal die Woche vorbei. Das ist hier eine spezielle Einrichtung, wir sind quasi eine Art ⦻ Ihre Halsmuskeln spannen sich an. Sie wartet, sie weiß nicht, ob ich schon soweit bin, die dumme Gans, dabei habe ich es schon längst gemerkt. Oder aber sie traut mir nicht. Ich lasse seine Hand los.

«Wo ist sein Vater? Joachim Polak?», frage ich.

Joachim Polak. Vor zweiundzwanzig Jahren in einem Krankenhauszimmer: Ich sage ihm, dass er sich keine Sorgen zu machen braucht, sein Sohn wird durchkommen. Ich habe dem Kind eine kleine Maske aufgesetzt, die Sauerstoffdosierung eingestellt; wieder sage ich dem Vater, dass es schlimmer aussieht, als es ist. Er ist kreidebleich, starrt ununterbrochen auf die kleine Gestalt, die jetzt ruhiger atmet. Ich bleibe länger im Zimmer als nötig.

Joachim Polak, ein Name in einer Patientenakte. Ein Name, der schnell zu einem Mann wurde: ein Mann mit dunklen Locken...
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Autor

Anneleen Van Offel, 1991 in Antwerpen geboren, studierte Wortkunst am dortigen Königlichen Konservatorium. Sie hat Kolumnen für die flämische Zeitung "De Standaard" und Kurzgeschichten und Gedichte für verschiedene Literaturzeitschriften geschrieben. Sie arbeitet als Redakteurin für die Zeitschrift "Deus Ex Machina". Außerdem ist Anneleen Van Offel Programmgestalterin verschiedener literarischer Veranstaltungen. Von 2019 bis 2021 war sie Stadtschreiberin von Kortrijk. Für ihr Debüt "Hier ist alles sicher" reiste sie immer wieder nach Israel, sprach mit zahlreichen Israelis, israelischen (Ex-)Soldaten und deren Familien. Der Roman wurde in Belgien und den Niederlanden von der Presse gefeiert und für seinen einfühlsamen Stil gelobt.
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