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Die Waldorfpädagogik

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
96 Seiten
Deutsch
Verlag Freies Geisteslebenerschienen am17.05.20231. Auflage
Eine Einführung - kurz und prägnant Diese kompakte Einführung in die Waldorfpädagogik hat sich seit Jahrzehnten bewährt - nicht zuletzt deshalb, weil der erfahrene Autor sie immer wieder aktualisiert hat, um gesellschaftliche Entwicklungen aufzugreifen und die neueste Fachliteratur zu berücksichtigen. So auch bei dieser gründlich überarbeiteten, ganz auf den letzten Stand gebrachten Neuauflage.

Johannes Kiersch, geboren 1935, studierte Anglistik, Geschichte und Pädagogik in Berlin und Tübingen. Er war Waldorflehrer in Frankfurt am Main und Bochum und langjährig verantwortlich für die Lehrer:innenbildung am Institut für Waldorfpädagogik in Witten-Annen.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR6,99

Produkt

KlappentextEine Einführung - kurz und prägnant Diese kompakte Einführung in die Waldorfpädagogik hat sich seit Jahrzehnten bewährt - nicht zuletzt deshalb, weil der erfahrene Autor sie immer wieder aktualisiert hat, um gesellschaftliche Entwicklungen aufzugreifen und die neueste Fachliteratur zu berücksichtigen. So auch bei dieser gründlich überarbeiteten, ganz auf den letzten Stand gebrachten Neuauflage.

Johannes Kiersch, geboren 1935, studierte Anglistik, Geschichte und Pädagogik in Berlin und Tübingen. Er war Waldorflehrer in Frankfurt am Main und Bochum und langjährig verantwortlich für die Lehrer:innenbildung am Institut für Waldorfpädagogik in Witten-Annen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783772543920
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum17.05.2023
Auflage1. Auflage
Seiten96 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1455 Kbytes
Artikel-Nr.12095789
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

2. Lernen in der Waldorfschule
2.1 Klassische Themen des Waldorf-Lehrplans

In Gesprächen über die Pädagogik Rudolf Steiners hört man oft, die Lehrpläne staatlicher Schulen seien weltanschaulich neutral, die der Waldorfschulen aber nicht. Es ist leicht zu sehen, dass es sich bei dieser Ansicht um ein naives Vorurteil handelt. Wer so denkt, hat sich noch nicht klar gemacht, welche wissenschaftlichen und durchaus auch vorwissenschaftlichen Annahmen über Gott und die Welt der Arbeit in jeder Schule zugrundeliegen. Auf welchen Überlegungen beruht die Ansicht, dass die Evolution der Erde mit dem Urknall angefangen habe? Sind die Pflanzen, die Tiere, der Mensch durch einen Kampf ums Dasein entstanden, Darwins «struggle for life and the survival of the fittest»? Wie unterscheidet sich der Mensch von den Tieren? Die gängigen Antworten auf solche Fragen sind keineswegs Mitteilungen über selbstverständliche Tatsachen. Sie verbreiten Leitbilder einer diskutablen, aber keineswegs allein maßgeblichen Weltanschauung. Jede Schule, auch jede Staatsschule, ist eine Weltanschauungsschule. Und es lohnt sich für Eltern, die über die Zukunft ihrer Kinder nachdenken, für junge Leute, die gern mit diesen Kindern arbeiten und Lehrer werden wollen, sich klarzumachen, was für eine Art von Weltanschauung sie sich dafür wünschen. Erzieher und Lehrer, die nach den Prinzipien der Waldorfpädagogik arbeiten, haben während ihrer Ausbildung besonders gründlich über Erkenntnis- und Weltanschauungsfragen nachgedacht. Es gibt inzwischen für die dabei grundlegenden Erkenntnisfragen und für jedes Fachgebiet ein breites Angebot an Literatur. Für den Zweck einer ersten Orientierung mag es jedoch nützlich sein, einen Blick auf den durchgehenden Duktus zu werfen, der den Lehrplan der klassischen Waldorfschule zusammenhält.

Rudolf Steiner hat sich schon als junger Student an der Technischen Hochschule in Wien mit den naturwissenschaftlichen Schriften Goethes beschäftigt, unter der Anleitung seines Lehrers Karl Julius Schröer, der ihm die ehrenvolle Aufgabe vermittelte, diese Schriften in Kürschners Deutscher Nationalliteratur herauszugeben und zu kommentieren. Diese Tätigkeit führte ihn zu einer gewissen Reserve gegenüber der Philosophie Platons, die ihm weltflüchtig vorkam, und zu einem energischen Aufgreifen der Naturphilosophie des Aristoteles. In dessen Unterscheidung von physischem Leib, einer belebenden Seele (anima vegetativa), einer empfindenden Seele (anima sensitiva) und einem Geist-Teil, der nur dem Menschen zukommt, entdeckte er - ohne den heutigen Begriff dafür zu kennen - das Prinzip der Emergenz, des Auftretens komplexer Strukturen auf jeder Ebene des Seins, die nicht aus den Elementen der jeweils niedereren Stufe erklärt werden können. (Wasser lässt sich durch Elektrolyse in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegen, aber niemand kann die ganze Fülle seiner Erscheinungen auf die Eigenschaften dieser beiden Gase zurückführen.18) Ihm wurde schnell klar, dass Goethes Denkformen die Welt des Lebendigen zutreffender deuten als die reduktionistische Logik der etablierten Naturwissenschaften. «Goethe», so schreibt er, «ist der Kopernikus und Kepler der organischen Welt.»19 Die anthropologische Schichtenlehre des Aristoteles war grundlegend für die christliche Philosophie des Hohen Mittelalters. Im 20. Jahrhundert ist sie von Helmuth Plessner, Erich Rothacker und Max Scheler weiterentwickelt worden. Steiner ist in dieser philosophischen Strömung zu sehen. Er markiert mit seiner jugendlichen Entdeckung einen bedeutenden Schritt im Entwicklungsgang der aristotelischen Denk-Tradition.

Schon vor seiner Begegnung mit Goethe hatte sich der junge Rudolf Steiner mit Immanuel Kant auseinandergesetzt, dem maßgebenden deutschen Philosophen im Zeitalter der Aufklärung. Hinzu kamen dann Gotthold Ephraim Lessing, dem das Suchen nach Wahrheit wichtiger war als die Wahrheit selbst, und - als Lehrer Goethes - Johann Gottfried Herder, dessen Interesse an der Vielfalt der europäischen Völker für Steiner wegweisend wurde und ihn zu seiner Idee von der Mission einzelner Volksseelen führte, mit der er im Ersten Weltkrieg gegen den hasserfüllten Nationalismus anzukämpfen versuchte, der damals in Europa grassierte (GA 121). Steiner fand später beim Aufbau seiner Schule in Herbert Hahn, der durch seine Herkunft aus dem Baltikum mit vielen Sprachen Europas vertraut war, einen wegweisenden Befürworter des Ideals einer friedlichen Völkerverständigung durch wechselseitiges Interesse für die Vielfalt anderer Kulturen.

Seine Herausgebertätigkeit am Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar vertiefte Steiners Bekanntschaft mit den führenden Gestalten der deutschen Klassik und Romantik. Zugleich wurden ihm die großen Mystiker Deutschlands wichtig: Meister Eckhart, Nikolaus Cusanus, Jakob Böhme. Die geistesgeschichtlich fundierten Eigenheiten des Waldorf-Lehrplans gehen auf diesen biografischen Hintergrund zurück. Sie gehören zu dem großen, gegenwärtig mehr denn je gefährdeten Projekt der europäischen Aufklärung, dem Schüler und Verehrer Steiners sich bis heute verpflichtet fühlen.

Der womöglich - neben Goethe - bedeutendste Wegbereiter des Waldorf-Lehrplans ist die führende Gestalt der deutschen Romantik, der Bergbau-Ingenieur, Philosoph und Dichter Friedrich von Hardenberg, den wir als Novalis kennen. In seinen genialen Notizen, seinen Fragmenten, seiner Lyrik leuchten die zentralen Motive der Waldorf-Weltanschauung gleichsam prophetisch auf. Seine erste Hymne an die Nacht beginnt er - um ein Beispiel zu nennen - mit einem enthusiastischen Blick auf die leuchtende Welt. «Welcher Lebendige, Sinnbegabte, liebt nicht vor allen Wundererscheinungen des verbreiteten Raums um ihn, dass allerfreuliche Licht - mit seinen Farben, seinen Strahlen und Wogen; seiner milden Allgegenwart als weckender Tag.» Das Licht «atmet» im Kosmos der Sterne. Im Sonnenlicht werden alle Reiche der Natur sichtbar, «atmet es der funkelnde, ewigruhende Stein, die sinnige saugende Pflanze, und das wilde, brennende, vielgestaltete Tier», und vor allen anderen Wesen der Mensch, der denken, aufrecht gehen und sprechen kann, «der herrliche Fremdling mit den sinnvollen Augen, dem schwebenden Gange, und den zartgeschlossenen, tonreichen Lippen». Der Mensch allein besitzt die Fähigkeit, ins Innere seiner Seele zu schauen: «Himmlischer, als jene blitzenden Sterne, dünken uns die unendlichen Augen, die die Nacht in uns geöffnet.»20

Ist ein solcher Text nichts anderes als Ausdruck weltfremder Schwärmerei aus der reaktionären Vorstellungswelt deutschen Bildungsbürgertums? Auf jeden Fall ist er eine lyrische Fassung des aristotelischen Weltbilds, das dem Lehrplan der Waldorfschule zugrundeliegt. Steiner ließ mit dem hier zitierten Gedankengang des Novalis die Schüler der 5. bis 12. Klasse seiner Schule den neuen Arbeitstag begrüßen. Zu Beginn des «Hauptunterrichts» sprechen sie noch heute miteinander im Chor:

Ich schaue in die Welt,

In der die Sonne leuchtet,

In der die Sterne funkeln;

In der die Steine lagern,

Die Pflanzen lebend wachsen,

Die Tiere fühlend leben,

In der der Mensch beseelt,

Dem Geiste Wohnung gibt;

Ich schaue in die Seele,

Die mir im Innern lebet.

Der Gottesgeist, er webt

Im Sonn - und Seelenlicht

Im Weltenraum, da draußen

In Seelentiefen, drinnen. -

Zu dir o Gottesgeist

Will ich bittend mich wenden,

Dass Kraft und Segen mir

Zum Lernen und zur Arbeit

In meinem Innern wachse.21

Es handelt sich bei diesem «Morgenspruch» der Waldorfschule um eine philosophisch fundierte Tatsachenbeschreibung und zugleich um ein überkonfessionelles Gebet, das von Gläubigen aller drei abrahamitischen Religionen, von Juden, Christen und Muslimen problemlos gesprochen werden kann, und zugleich von den vielen Menschen, die kein dogmatisches Bekenntnis akzeptieren können, aber einen pantheistischen Gottesbegriff als Tür zu individueller Sinnsuche zu schätzen vermögen. Der Verfasser dieses Buches erinnert sich mit Vergnügen daran, dass zu Beginn der Abiturprüfung in seiner Waldorfschule Steiners Morgenspruch von den Kandidaten mit fröhlichem Selbstbewusstsein im Chor rezitiert wurde, und auch an das wohlwollende Erstaunen der Prüfungskommission über diese Zumutung.

Steiner hat mit seinem Morgenspruch die Philosophie des Novalis-Textes epigrammatisch in wenige Verse hineinkonzentriert. Der Lehrplan seiner Waldorfschule folgt in allem der damit eröffneten Perspektive. In der Unterstufe wird man viele Märchen und Mythen als Erzählstoff antreffen und als Lektüre schon vom zweiten Schuljahr an sprachlich wertvolle, oft anspruchsvolle Texte. Für den Deutschunterricht der neunten Klasse werden Partien aus Hermann Grimms Goethevorlesungen oder aus Jean Pauls Vorschule der Ästhetik vorgeschlagen, daneben Herders...
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Autor

Johannes Kiersch, geboren 1935, studierte Anglistik, Geschichte und Pädagogik in Berlin und Tübingen. Er war Waldorflehrer in Frankfurt am Main und Bochum und langjährig verantwortlich für die Lehrer:innenbildung am Institut für Waldorfpädagogik in Witten-Annen.