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Meerauge

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
296 Seiten
Deutsch
Rotpunktverlagerschienen am21.03.20241. Auflage 2024
Marthe macht Ferien an der Côte d'Azur. Dort begegnet die verheiratete Schweizerin dem jungen Fischer Marceau, und die Liebe bricht wie eine Naturgewalt über die beiden herein. Für kurze Zeit gibt sich das ungleiche Paar dem Liebesrausch hin. Doch als Marthe ein Jahr später zurückkehrt, ist auch Marceau verheiratet. Einzig sein Bruder, der Marthe wie ein Doppelgänger ihres Geliebten vorkommt, lässt sie weiterträumen, bis die Liebe im dritten Sommer endgültig erlischt. Dass Marthe unverkennbar Züge der Autorin trägt, zeigt ein Brief von S. Corinna Bille aus dem Sommer 1950: »Ich habe da einen echten Freund. Das ist ein junger Fischer aus der Gegend. Ein einfaches Wesen, absolut wunderbar.« Meerauge ist aber nicht nur eine melancholische Liebesgeschichte, sondern auch das Porträt eines Landes kurz nach dem Weltkrieg, der noch durch alle Köpfe spukt, und einer Zeit, in der Kolonialismus und Rassismus kaum hinterfragt werden. Zu Billes Lebzeiten unveröffentlicht, erschien Meerauge 1989 postum in einer stark gekürzten Version. Rund siebzig Jahre nach der Niederschrift macht die Übersetzerin Lis Künzli diesen literarischen Schatz erstmals in seiner ursprünglichen Form zugänglich.

Ihr Vater war Maler, ihre Mutter stammte aus einer Bergbauernfamilie. Nach dem Besuch der Handelsschule in Siders und der Höheren Töchterschule in Zürich lebte sie mit ihrem ersten Mann in Paris. Dann kehrte sie ins Wallis zurück und heiratete 1974 Maurice Chappaz. Zusammen waren sie das berühmteste Schriftstellerpaar der Schweiz jener Jahre. S. Corinna Bille veröffentlichte Prosa und Lyrik und wurde 1975 mit dem Prix Goncourt de la nouvelle ausgezeichnet.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR27,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR21,99

Produkt

KlappentextMarthe macht Ferien an der Côte d'Azur. Dort begegnet die verheiratete Schweizerin dem jungen Fischer Marceau, und die Liebe bricht wie eine Naturgewalt über die beiden herein. Für kurze Zeit gibt sich das ungleiche Paar dem Liebesrausch hin. Doch als Marthe ein Jahr später zurückkehrt, ist auch Marceau verheiratet. Einzig sein Bruder, der Marthe wie ein Doppelgänger ihres Geliebten vorkommt, lässt sie weiterträumen, bis die Liebe im dritten Sommer endgültig erlischt. Dass Marthe unverkennbar Züge der Autorin trägt, zeigt ein Brief von S. Corinna Bille aus dem Sommer 1950: »Ich habe da einen echten Freund. Das ist ein junger Fischer aus der Gegend. Ein einfaches Wesen, absolut wunderbar.« Meerauge ist aber nicht nur eine melancholische Liebesgeschichte, sondern auch das Porträt eines Landes kurz nach dem Weltkrieg, der noch durch alle Köpfe spukt, und einer Zeit, in der Kolonialismus und Rassismus kaum hinterfragt werden. Zu Billes Lebzeiten unveröffentlicht, erschien Meerauge 1989 postum in einer stark gekürzten Version. Rund siebzig Jahre nach der Niederschrift macht die Übersetzerin Lis Künzli diesen literarischen Schatz erstmals in seiner ursprünglichen Form zugänglich.

Ihr Vater war Maler, ihre Mutter stammte aus einer Bergbauernfamilie. Nach dem Besuch der Handelsschule in Siders und der Höheren Töchterschule in Zürich lebte sie mit ihrem ersten Mann in Paris. Dann kehrte sie ins Wallis zurück und heiratete 1974 Maurice Chappaz. Zusammen waren sie das berühmteste Schriftstellerpaar der Schweiz jener Jahre. S. Corinna Bille veröffentlichte Prosa und Lyrik und wurde 1975 mit dem Prix Goncourt de la nouvelle ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783039730315
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum21.03.2024
Auflage1. Auflage 2024
Seiten296 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2714 Kbytes
Artikel-Nr.14248404
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

I

Als wäre er tot, dachte sie. Diese Abwesenheit auf den Wegen und Stränden, wo er immer gewesen war. Inzwischen wagte sie es wieder, in die Menschenmenge zu blicken. Die ersten Tage hatte sie sich nicht getraut, so sehr fürchtete sie, ihn vor sich auftauchen zu sehen. Und was dann? Aber von all diesen Leuten glich ihm niemand, trug niemand dieses strahlend weiße Unterhemd, diese blaue, über das Fußgelenk gekrempelte Leinenhose. Ein Fußgelenk, das so dünn war, dass Marthe es mit dem Daumen und dem längsten Finger beinahe umfassen konnte.

Am sonntäglichen Meer gingen vier Jugendliche in weiten, schmutzigen Kimonos aufeinander los. Mit ihren kribbeligen Füßen spritzten sie ihr Sandkörner in die Augen, und sie schimpfte leise. Man klärte sie auf, dass dieser eigenartige Kampf Judo hieß. Doch dann zog ein Pärchen etwas weiter weg Marthes Aufmerksamkeit auf sich: Der Mann hielt ein Laken vor ein junges Mädchen gespannt, um es vor den Blicken zu schützen. Einzig ihr hübscher Kopf war, wie auf einem Altar, zu sehen, und hinter dem Tuch wollte das Anziehen, das Zuknöpfen des Rocks, das Glattstreichen der Bluse kein Ende nehmen; schließlich hielt der Mann dem ausdruckslosen Gesicht einen Spiegel hin.

Ob Marceau mit seiner Frau auch so ist? Nein, sagte sie sich. Um den großen Strand zu meiden, kletterte sie am nächsten Tag zur Pointe-du-Vaisseau hinauf, an deren Klippen sich die Wellen teilten, und von dort zum nächsten Strand hinunter. Hier war es ... Sie beugte sich über eine kleine Arena im Sand. Hier hatte er sie geliebt. Doch sie setzte sich weiter weg, wandte sich von der Stelle ab wie von einem Grab. Die junge Frau spürte in dieser Umgebung ein seltsames, verwirrendes Wohlgefühl. Der Nebel, der an dem Junimorgen die Küste einhüllte, schirmte sie von der übrigen Welt ab. Die nahen Schreie zweier junger Burschen störten sie so wenig wie die der Seemöwen; die nackten Körper der beiden stachen aus dem Dunst hervor, sie bewarfen einander lachend mit Tang. Der eine hatte schwarze, der andere rote Haare. In welcher Sprache redeten sie? Sie lauschte ihren schrillen Stimmen, ohne es herauszufinden. Wo der Schleier aufriss, funkelte das Wasser, und die feuchte Berührung der Sonne brannte auf ihrer Haut. Für Momente kam es ihr vor, als hätte sie leichtes Fieber.

Sie hatte den alten Fischer Demetria, der in der Pension Eisblöcke verkaufte, überredet, sie mitzunehmen, wenn er entlang der Küste seine Langleine auslegte. Vom Meer aus konnte Marthe endlich die bisher verborgen gebliebenen Hügel und Strände in ihrer ganzen Ausdehnung sehen. Von Pinien eingezäunt, zog das Annuntiatinnenkloster der unsichtbaren Nonnen vorbei, dann das Violett der Bougainvilleen, das Rothschild-Schloss und das Anwesen, auf dem Eisenbahnerkinder aufgenommen wurden. Sie lächelte den blau-weiß gestrichenen Hütten zu, welche die Combe-aux-Sources emporkletterten. Um ihr eine Freude zu machen, lenkte Demetria sein Boot zum schwarzen Wasser bei der Sainte-Madeleine-Höhle.

»Ist es tief?«, fragte sie.

»Na und ob das tief ist!«

Einmal meinte sie ihn vom Boot aus unter dem großen Felsen - sein Schlupfwinkel - zu sehen, aber der Mann war mit zwei Frauen und Kindern zusammen. Das ist er nicht, dachte sie.

Wie Menschen, die in ihrem Wahn den Tod eines geliebten Wesens anzweifeln und immer weiter auf ihn warten, konnte sie nicht glauben, dass es aus war. Marceau sollte sie nicht mehr lieben? Sie würde ihn nie mehr wiedersehen? Ein Teil von ihr verweigerte sich dem Offenkundigen.

Einmal hörte sie es früh am Morgen an ihre Zimmertür klopfen, und sie sah, wie sich der Griff langsam nach unten senkte, doch sie hatte mit dem Schlüssel abgeschlossen. »Wer ist da?« Keine Antwort. Eine heftige Erregung ergriff sie, dabei gab es keinen Grund dafür, Marceau war nie ins Hotel gekommen. Jemand musste sich im Zimmer geirrt haben. Es klopfte leise an andere Türen, Worte wurden gewechselt, und ein Schlüssel drehte sich in einem Schloss.

Beim Speisen saß sie allein in dem großen gefliesten Saal mit der Schilftapete, allein mit einer Flasche provenzalischen Rosé vor sich; sie rührte ihn nicht an, begnügte sich mit einem bescheidenen, mit Wasser gestreckten Rotwein. Die Flasche stand da, um die Kunden in Versuchung zu bringen, und auf ihrem Etikett stand der rätselhafte Satz:

Bois toujours avant la soif, elle ne viendra jamais.

»Trink immer vor dem Durst, dann kommt er nie.« Das ist kein Rat für mich, dachte sie, ich mag den Durst, weil der Genuss beim Trinken danach umso größer ist! Sie sah das Etikett von der Seite und las nur das Ende, »kommt er nie«.

»Madame Glanet«, verkündete ihr der Hotelier, ein Pariser, der sich erst vor kurzem in der Gegend niedergelassen hatte, »in wenigen Tagen wird es hier voll werden, aber im Moment halten die Wahlen die Leute noch zurück.«

»Die Wahlen ...«

Bei diesen Worten musste Marthe an ihren Mann denken, der in der Schweiz geblieben war. Wie weit weg sie von ihm war!

Vielleicht wohnt Marceau inzwischen in der Stadt? An einem Nachmittag begab sie sich nach Toulon, um die Reede zu besichtigen.

»Hier ist es so still wie auf dem Genfersee«, sagte der Reiseleiter aufgeräumt, um die Touristen zu beruhigen. »Und unsere Kampfboote sind auf dem Bodensee aufgerieben worden.«

Der Anblick der großen Kriegsschiffe, nichts als ein Haufen Eisenschrott, stimmte Marthe traurig.

»Die Hälfte der Flotte liegt auf dem Meeresgrund und wird von den Tauchern Stück für Stück heraufgeholt. Hier haben wir die Überreste der Dunkerque und dort drüben die Lorraine, die für das Fest geschmückt wird. Morgen gibt es Tanz.«

Neben ihr hatten zwei stille Städter von einer protzigen, zweifelhaften Eleganz Platz genommen, und in ihrer Naivität verdächtigte Marthe sie, Zuhälter zu sein. Als sie den Fuß wieder an Land setzten, bemerkte sie, dass beide invalid waren. Sie gab dem Reiseleiter ein gutes Trinkgeld, der sich ihrer galant erbarmte:

»So allein?!«

Ja, sie war allein. Sie irrte noch eine Stunde durch die Straßen, betrat eine Kirche, wo sie eine Kerze anzündete, »damit kein Unglück geschieht«, und ging dann in ein kleines, düsteres Kino, wo ein alter Stummfilm lief: Lucrèce, mit Edwige Feuillère. Als sie wieder hinaustrat, waren überall schwarze Schiefertafeln angebracht, die die Wahlergebnisse verkündeten. Die Kommunisten hatten die meisten Stimmen bekommen. Sie kaufte sich Kuchen und ging zum Bahnhofsplatz hinauf, von wo sie der Autobus wieder nach La Farloude bringen sollte. Sie war erschöpft, verstaubt, und nahm sich vor, nicht mehr in die Stadt zurückzukehren.

Doch das Gefühl, dass etwas fehlte, wurde mit jedem Tag stärker. Ihre Lust, los und ans Meer zu rennen, prallte ab an einem krankhaften Bedürfnis zu schlafen. Und am Abend ging sie dann, stolz, den ganzen Nachmittag geschlafen zu haben, an den Strand, zur Stunde, da sich die Schwätzerinnen trafen:

»Endlich ein bisschen Abkühlung! Ein wahrer Paradiesgarten.«

Sie wollte weg.

Eines Morgens jedoch war etwas anders geworden. Sie ließ ihre langen Haare auf die Schultern fallen und schlüpfte in ein rotes Kleid mit grauen Blumen, das ihre von Meer und Luft bereits goldgebräunte Taille freiließ. Sie kam an der kleinen, auf Pfähle gebauten Bar vorbei, und der Mann, der das Geländer ausbesserte, hielt in seiner Arbeit inne. Die plötzliche Stille war ihr nicht entgangen. Und als sie gegen Mittag zurückkehrte, waren es drei oder vier, die dastanden und schauten, wie sie vorbeiging. Einer vor allem, etwas abseits von den anderen, schien auf sie zu warten und starrte sie so unverhohlen an, dass sie das Gesicht wegdrehte.

Doch auf der Straße wurde sie bald von zwei Männern überholt. Der eine schob ein mit einer kleinen Kiste beladenes Fahrrad. Sie meinte die Worte zu hören:

»Ah, diese Frau ... Er hat gesagt, eine wie sie gebe es keine zweite auf Erden! Und jetzt ...«

Der mit dem Rad sagte nichts.

Was an den folgenden, mit demselben Warten ausgefüllten Tagen geschah, hätte sie nicht sagen können. Es wurde ihr erst später bewusst.

Immer noch diese Abwesenheit auf den steinigen, von Winden und Ginster gesäumten Wegen, deren aufdringlicher Geruch nicht die Feinheit des viel selteneren Geißblatts hatte, das in Marthes Hand, kaum gepflückt, verwelkte. Was murmelte sie vor sich hin, wenn zwei schwarze Augen unter einer Zyklopenbraue sie eine Welle lang bespähten? Wie hätte sie ihn erkennen sollen, diesen hinter den dunklen Gläsern einer Hornbrille versteckten Blick? Und wie hätte sie ahnen können, dass sie auf ihn zugegangen war und auf keinen anderen, am Tag, als sie von weitem glaubte, in der Bewegung eines Badenden, der mit einem Speer ins...
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Ihr Vater war Maler, ihre Mutter stammte aus einer Bergbauernfamilie. Nach dem Besuch der Handelsschule in Siders und der Höheren Töchterschule in Zürich lebte sie mit ihrem ersten Mann in Paris. Dann kehrte sie ins Wallis zurück und heiratete 1974 Maurice Chappaz. Zusammen waren sie das berühmteste Schriftstellerpaar der Schweiz jener Jahre.
S. Corinna Bille veröffentlichte Prosa und Lyrik und wurde 1975 mit dem Prix
Goncourt de la nouvelle ausgezeichnet.