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Große Unheilige

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Diogeneserschienen am24.04.2024
Auf der Suche nach dem »wahren Bild des Menschen« beschreibt und deutet Walter Nigg mit großem psychologischem Einfühlungsvermögen die Verfehlungen der »Gegenspieler der Heiligen«, ohne deren Größe zu negieren. Dargestellt werden die Lebensläufe der Großen Unheiligen König Saul, Judas Ischariot, Heloise, Kaiser Friedrich II., Michael Bakunin, Charles Baudelaire und Friedrich Nietzsche.

Walter Nigg, geboren 1903 in Luzern, war Professor für Kirchengeschichte in Zürich und wirkte als protestantischer Pfarrer im zürcherischen Dänikon, wo er 1988 starb. Neben Heiligen, Ordensgründern, Propheten und Mystikern handeln seine Bücher auch von Künstlern und Dichtern und nicht zuletzt von Ketzern, die er als »verunglückte Heilige« verstand.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR7,99

Produkt

KlappentextAuf der Suche nach dem »wahren Bild des Menschen« beschreibt und deutet Walter Nigg mit großem psychologischem Einfühlungsvermögen die Verfehlungen der »Gegenspieler der Heiligen«, ohne deren Größe zu negieren. Dargestellt werden die Lebensläufe der Großen Unheiligen König Saul, Judas Ischariot, Heloise, Kaiser Friedrich II., Michael Bakunin, Charles Baudelaire und Friedrich Nietzsche.

Walter Nigg, geboren 1903 in Luzern, war Professor für Kirchengeschichte in Zürich und wirkte als protestantischer Pfarrer im zürcherischen Dänikon, wo er 1988 starb. Neben Heiligen, Ordensgründern, Propheten und Mystikern handeln seine Bücher auch von Künstlern und Dichtern und nicht zuletzt von Ketzern, die er als »verunglückte Heilige« verstand.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783257614534
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Verlag
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum24.04.2024
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1022 Kbytes
Artikel-Nr.14284302
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


(ca. 1025-1000 v. Chr.)

Jedes geschichtliche Geschehen hat seine Vorgeschichte, die im Keim schon die Nachgeschichte in sich enthält. Bei Saul ist die Vorgeschichte mit dem Namen Samuel verbunden. Er steht am Anfang des Dramas.

Der Knabe Samuel wurde dem Priester Eli zur Erziehung anvertraut, zumal in jenen Tagen «Offenbarungen des Herrn selten waren».1 Immerhin war die Lampe Gottes noch nicht erloschen. Da erlebte der junge Samuel in einer Nacht seine geheimnisvolle Berufungsstunde. Die Stimme rief ihn. Das Geschehen ist mit lapidarer Kürze erzählt, frei von jeglichem psychologischen Detail und doch voll plastischer Wucht. Nichts ist im Dasein eines Menschen bedeutsamer, als die rufende Stimme zu vernehmen. Der Mensch kann eine Berufungsstunde nicht gestalten, sondern sie nur zitternd über sich ergehen lassen. Samuel begriff sie zuerst nicht, auch Eli wußte sie nicht zu deuten und erst beim dritten Ruf der Stimme sprach der Jüngling erschrocken: «Rede, dein Knecht hört». Dann sprach der Ewige zu ihm: «Siehe, ich will in Israel etwas tun, daß jedem, der es hört, beide Ohren gellen werden.»2 Geschichte besteht immer aus ohrenbetäubenden Ereignissen; sie mag noch so träge dahinfließen, unterirdisch grollt es stets unheimlich, und nur die geschäftigen Menschen überhören in unbegreiflicher Taubheit die blitzartigen Anzeichen. Erst wenn die Katastrophen eingetreten sind, greifen sie verzweifelt an den Kopf und lernen trotzdem nichts aus ihnen. Das Gerichtswort Gottes erfüllte sich mit bestürzender Eile. Die Israeliten wurden von den Philistern geschlagen, die Bundeslade geriet in die Hände der Feinde, die lasterhaften Priestersöhne Hophni und Pinehas kamen im Kampf ums Leben, und der alte Eli fiel beim Anhören der unheilvollen Nachricht tot vom Stuhl. Schlag auf Schlag folgten die Unglücksnachrichten. Es blieb kaum Zeit zum Atem schöpfen übrig. Das Ende mit Schrecken bestand darin, daß das Haus Eli endgültig ausgelöscht wurde.

Fortan war Samuel ein Gerufener. Obwohl er etwas Zwielichtartiges an sich hatte, hatte er nach der Niederlage eine priesterliche Funktion. Samuel zählte zu den heldenhaften Richtergestalten des Alten Bundes, von denen Deborah und Gideon, Jephta und Simson schon vor ihm berühmt geworden waren. Er war der letzte von ihnen und rückte zum Seher auf, dem man später den Namen Prophet gab, obwohl er nicht einfach ein frommer Mann war, wie ihn die Bibelleser gewöhnlich sehen. Samuel war auch politisch tätig, und gerade dieses Tun war zweideutig an ihm. Nach Jesus Sirach rief er noch auf dem Sterbebett seine Umgebung zusammen, um vor Zeugen auszusagen: «Von wem habe ich Geld oder auch nur ein Paar Schuhe angenommen?»3 Man darf die alttestamentlichen Männer nicht theologisch betrachten, weil diese Sicht ihrer archaischen Wildheit nicht gerecht wird. Samuel lebte in einer ungeordneten Zeit voll gewaltiger Umbrüche. Während seines Lebens vollzog sich eine entscheidende Umwälzung in der Geschichte Israels, an der er als ein politisch handelnder Mensch maßgebend beteiligt war. Diese politische Priestergestalt hat tief in die Geschichte eingegriffen. Als ein in die Zukunft blikkender Seher klammerte sich Samuel nicht an die Vergangenheit. Er dachte ernsthaft über die Haltbarkeit der israelitischen Theokratie nach und zweifelte an ihrem Fortbestand. In seinen Gedanken über die weitere Entwicklung seines Landes schreckte Samuel nicht vor kühnen, allzu kühnen Plänen zurück.

Die Berichterstattung über Samuels Entscheidung ist nicht einheitlich. Nach der älteren, dem Seher verbundenen Überlieferung sah Gott in seinem Heilsplan vor, daß das Volk inskünftig durch einen König regiert werden soll, eine Anweisung, die Samuel ausführte. Die jüngere Berichterstattung redet von einem Volksbegehren, was wahrscheinlich der Wahrheit näher kommt. Nach ihm wollte das Volk nicht mehr der unmittelbaren Leitung Gottes unterstellt sein. Es hat damit nicht nur Samuels Richteramt, sondern Gott selbst verworfen, nachdem es, «wie die andern Völker», einen König wünschte. Ein Israel, das den übrigen Nationen gleich sein möchte, ist nicht mehr Israel; es ist vom auserwählten Volk zu einem bloßen Staat herabgesunken, ein tragischer Vorgang, der sich in anderer Weise in unserer Gegenwart erneut wiederholt.

Welche von den beiden Überlieferungen den wirklichen Sachverhalt widergibt, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. Die zwei verschiedenen Berichte stehen im Widerspruch zueinander und dürfen nicht harmonistisch miteinander vereinigt werden. Das Alte Testament ist ein Buch von mythischer Größe, das die stärksten Gegensätze aushält. Es kann einem dabei der Atem ausgehen. Gegen die innere Gewalt der alttestamentlichen Geschichtsschreibung mit modernen Quellenscheidungstheorien, Streichungen und Einschüben vorzugehen, heißt einen tosenden Bergbach mit einer Streichholzschachtel aufhalten zu wollen. Man kann nicht, wie die Philologen es tun, hinter den Text zurückgehen, denn ein solches Unternehmen bliebe in subjektiven Hypothesen stecken. Vielmehr müssen wir dem Text mit dem Mut zur Entscheidung begegnen, müssen uns von ihm persönlich erschüttern lassen, alles andere ist kein ebenbürtiges Verhalten. Es ist überheblich, den Text vor ein modernes Tribunal zu zitieren, um ihn rationalistisch zu zerpflücken. Das gebotene Verhalten ist umgekehrt: Der Mensch ist vor die Schranken des Textes gerufen. Die Frage lautet eher dahin, ob wir seinem mächtigen Andrang standhalten, oder ob wir uns hinter die Exegeten verstecken, von denen Matthias Claudius sagt: «Sie suchen viele Künste und kommen weiter von dem Ziel». Wie der geschichtliche Vorgang sich auch vollzogen haben mag, sicher ist, daß Samuel sich mit seiner politischen Wendigkeit an der Umwälzung aktiv beteiligt hat, denn nur eine Gestalt von seiner Stärke konnte sie vollbringen. Jedenfalls stemmte er sich nicht dem fragwürdigen Volksbegehren mit der ganzen Wucht seiner Persönlichkeit entgegen. Er war bereit, dem Volke zu willfahren, wie dies, nach ihm, die Priester oft getan haben. Darob wurde er zum eigentlichen Königsmacher. Samuels Name bleibt für immer mit der Einführung des Königtums in Israel verbunden, denn er gab dem Lande seinen ersten König, ein Tun, das einem Abfall von der direkten Leitung Gottes gleichkam. Von dieser zweideutigen Tat kann Samuel nicht freigesprochen werden. Deutlich schimmert durch die Berichterstattung die politische Geschicklichkeit des ungewöhnlichen Mannes hindurch. Er hatte etwas Unheimliches an sich, und man hat allen Grund, Samuel als eine furchterregende Gestalt zu bezeichnen. Sein königstiftendes Tun ist schwer mit der Berufung in seiner Jugend zu vereinbaren; das politische Element hat sie getrübt. Man mag sich bei Israels enttäuschenden Erfahrungen mit den verschiedenen Königen fragen, ob Samuels Tun dem Willen Jahwes entsprochen, oder ob politischer Kalkül den Ausschlag gegeben hat.

Die Geschichte von Saul beginnt ganz alltäglich, geht aber rasch ins Außerordentliche über. In allem Gewöhnlichen ist immer ein Ungewöhnliches verborgen. Sauls Weg weist zunächst empor, denn er trat schon als junger Mann ins grelle Rampenlicht der Öffentlichkeit.

Saul war der Sohn des wohlhabenden Bauers Kis, «stattlich und schön; es war kein schönerer Mann in Israel als er».4 Vor allem wird seine Körpergröße hervorgehoben, überragte er doch um Haupteslänge seine Volksgenossen. Männliche Schönheit und Stärke beeindrucken viele Menschen, beweisen aber noch lange nicht deren Geisteskraft.

Es begab sich einmal, daß sich die Eselinnen von Sauls väterlichem Heimwesen verliefen und unauffindbar zu sein schienen. Der Vater befahl seinem Sohne, sie zusammen mit einem Knecht im Gebirge zu suchen. Saul kam dem Befehl nach und befand sich alsbald mit einem Knecht auf dem Weg. Bei der Suche nach den Eselinnen widerfuhr ihm ein unerwartetes Erlebnis, das seinem Leben eine ganz neue Wendung gab. Am Abend nach der ergebnislosen Suche ging Saul mit seinem Knecht nach Rama zu Samuel dem Seher, um ihn nach dem Verbleib der Tiere zu befragen. Samuel empfing ihn freundlich und beruhigte ihn mit der Nachricht, die Tiere seien wieder gefunden worden. Hierauf bat Samuel ihn zu Tische. Auf diese unerwartete Ehre antwortete Saul überrascht: «Ich bin ja nur ein Benjaminit, aus dem kleinsten der Stämme Israels, und mein Geschlecht ist das geringste unter allen Geschlechtern des Stammes Benjamin!»5 Was Samuel mit Saul nach dem Essen auf dem Dach des Hauses geredet hat, wird nicht überliefert.

Am andern Morgen begleitete Samuel seinen Gast bis vor die Tore der Stadt, hieß den Knecht vorangehen und sagte dann zu Saul: «Du aber stehe jetzt stille, daß ich dir kundtue, was Gott gesagt hat.»6 Nun beginnt das Geschehen unerwartet geheimnisvoll zu werden, da Samuel im Namen Gottes redet und nicht seine eigene Meinung vorbringt. Von einem übereilten Vorgehen kann nicht die Rede sein, da das eindrucksvolle Stillestehen nicht zu übersehen ist. Dann nahm Samuel ein Ölgefäß aus der Tasche, goß den Inhalt über Sauls Haupt, küßte ihn und sprach: «Hat dich nicht der Herr zum Fürsten über sein Volk Israel gesalbt? Du sollst herrschen über das Volk des Herrn, und du sollst es erretten aus der Hand seiner Feinde ringsumher.»7 Überraschend ist die Szene zwischen den beiden Männern, ungewöhnlich in jeder Beziehung und zugleich von weitreichender Bedeutung. Zweimal sagte Samuel: «Du sollst», und Saul konnte sich vor Überraschung kaum fassen. Eine zweifache Aufgabe wurde ihm...
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Autor

Walter Nigg, geboren 1903 in Luzern, war Professor für Kirchengeschichte in Zürich und wirkte als protestantischer Pfarrer im zürcherischen Dänikon, wo er 1988 starb. Neben Heiligen, Ordensgründern, Propheten und Mystikern handeln seine Bücher auch von Künstlern und Dichtern und nicht zuletzt von Ketzern, die er als »verunglückte Heilige« verstand.