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Das ewige Reich

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
400 Seiten
Deutsch
Diogeneserschienen am24.04.2024
In seiner faszinierenden Untersuchung interessiert den Autor dabei immer auch die andere Seite der Hoffnung: Höchste Freude und dramatische Enttäuschung, Glaube und Mißtrauen liegen gefährlich nahe beieinander. Gerade hier aber sieht Nigg ein außergewöhnliches Potential: Für ihn ist diese Konkurrenz letztlich Quelle aller Kreativität.

Walter Nigg, geboren 1903 in Luzern, war Professor für Kirchengeschichte in Zürich und wirkte als protestantischer Pfarrer im zürcherischen Dänikon, wo er 1988 starb. Neben Heiligen, Ordensgründern, Propheten und Mystikern handeln seine Bücher auch von Künstlern und Dichtern und nicht zuletzt von Ketzern, die er als »verunglückte Heilige« verstand.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR7,99

Produkt

KlappentextIn seiner faszinierenden Untersuchung interessiert den Autor dabei immer auch die andere Seite der Hoffnung: Höchste Freude und dramatische Enttäuschung, Glaube und Mißtrauen liegen gefährlich nahe beieinander. Gerade hier aber sieht Nigg ein außergewöhnliches Potential: Für ihn ist diese Konkurrenz letztlich Quelle aller Kreativität.

Walter Nigg, geboren 1903 in Luzern, war Professor für Kirchengeschichte in Zürich und wirkte als protestantischer Pfarrer im zürcherischen Dänikon, wo er 1988 starb. Neben Heiligen, Ordensgründern, Propheten und Mystikern handeln seine Bücher auch von Künstlern und Dichtern und nicht zuletzt von Ketzern, die er als »verunglückte Heilige« verstand.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783257614510
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Verlag
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum24.04.2024
Seiten400 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1114 Kbytes
Artikel-Nr.14284307
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Eine Geschichte des Gottesreiches zu schreiben, ist um seines überirdischen Charakters willen eine Unmöglichkeit. Trotz allen heimlichen Wünschen des Kirchenhistorikers ist es zu jenseitsbezogen und zu verhüllt, als daß es mit einer menschlichen Feder geschildert werden könnte. Das »Geheimnis des Reiches«, von dem Jesus redet, entzieht sich dem historischen Zugriff, es ist nur durch Gleichnisse zu erfahren.1 Auch eine »Historie der Wiedergeborenen«, die mit Johann Heinrich Reitz von jedem profangeschichtlichen Bezug absieht und ganz dem inneren Geschehen der Seele zugewendet ist, kann nicht als Geschichte des ewigen Reiches angesprochen werden.

Dagegen kann die Erwartung auf das kommende Reich dargestellt werden, die das Leben der Christenheit durchzittert. Von den Tagen der Propheten bis zur Gegenwart reicht die gespannte Ausschau nach der hereinbrechenden Gottesherrschaft und erweist sich als das große Licht in der Trostlosigkeit des menschlichen Daseins. Das ewige Reich ist eine Urwahrheit, deren Unabweisbarkeit schon im rätselhaften Erscheinen dieser Hoffnung zu allen Zeiten sichtbar wird. Es gehört zu den großen Themen des christlichen Abendlandes, dem Warten auf das Reich durch alle Jahrhunderte nachzugehen, zumal wenn es nicht in doktrinärer Weise geschieht, die um Definitionen und Abgrenzungen besorgt ist. Die Reichserwartung ist keine untätige Passivität, in der sich der menschliche Geist nutzlos verzehrt. Es ist ein hoffendes Warten und eine wartende Hoffnung, die das Angeld der Erfüllung bereits in sich hat und in ihrer unendlichen Spannung oft das Zukünftige schon als Gegenwart erlebt. Das sehnsüchtige Sichausstrecken nach dem Reich als Lebenshaltung verstanden, vermittelt dem Menschen eine innere Freude und wirft einen schimmernden Glanz über seinen Lebensweg. Die geduldigungeduldige Erwartung des Reiches ist eine bedrängende Begebenheit der christlichen Geschichte. Ihre erschütternde Gewalt braucht nicht noch unterstrichen zu werden, ist sie doch durch den Gegenstand selbst gegeben. Geschichtskenner haben »die Idee des Tausendjährigen Reiches als einen der schicksalhaftesten und folgenreichsten Gedanken der christlichen Entwicklung« bezeichnet.2 Es liegt in dieser immer wieder auflebenden Erwartung des Reiches eine eigentümliche Kraft, die den Menschen trägt und zugleich weit über seinen engen Horizont hinaushebt. Auch G.F. Händel hat in seinem »Messias« der Mächtigkeit dieser lebendigen Hoffnung mit sehnsüchtigen Fanfarenklängen unvergleichlichen Ausdruck gegeben.

Freilich war dieses nie zu unterdrückende Warten immer wieder von schweren Gefahren bedroht. Seine erregende Geschichte hat von mannigfachen Qualen zu berichten. Stets haben sich an die größte Hoffnung auch zahlreiche Unzulänglichkeiten gehängt, die die Strahlungskraft verdunkelten. Die menschlich-allzumenschlichen Vorstellungen, die sich gerne damit verbanden, konnten nicht anders als unerfüllt bleiben. Allen jenen Christen, die nicht zwischen Vergänglichem und Bleibendem in der Reichserwartung zu unterscheiden vermochten, die nicht zu dem Wesen durchdringen konnten, das hinter all den mannigfachen Bildern steht, in die sich die Reichshoffnung von ihrer Entstehung an gekleidet hat, blieben die schmerzlichsten Erlebnisse nicht erspart. Sie fielen einer verhängnisvollen Verwechslung von Vorläufigem und Endgültigem zum Opfer, einem Irrtum, der sich notwendigerweise in einer schluchzenden Resignation auswirken mußte. Es gibt viel zuckendes Weh in der Geschichte der Reichserwartung, die ein religiöses Weinen zur Folge hatte. Das schlimmste in diesem betrüblichen Erleben war, daß auch diese Hoffnung nicht vom nagenden Unglauben verschont blieb. Ein Mann aus dem Volk Israel scheute sich nicht, im 18. Jahrhundert die Ansicht zu vertreten: »Ich sage euch, daß alle Juden jetzt im großen Unglück sind, weil sie das Kommen des Erlösers erwarten und nicht das Kommen des Mädchens. Blicket auf die Völker, wie sie friedlich in ihren Ländern sitzen, denn sie vertrauen auf ihr Mädchen.«3 Ein verführerisches Wort, das die Vergeblichkeit und Nutzlosigkeit dieser hoffenden Erwartung sinnfällig formuliert und dessen Absicht darin besteht, den Menschen der Gleichgültigkeit auszuliefern. Wer aber sprach diese Weisung aus? Es war Jakob Frank, einer jener falschen Messiasse, die das jüdische Volk heimgesucht haben, das aber ihre betrügerische Rolle durchschaute und sie aus seiner Mitte ausschloß. Eine verlockende Versuchung aus dem Unglauben ist der Rat Jakob Franks, der mit seinem gleisnerischen Hinweis den Menschen zuredet, das religiöse Erstgeburtsrecht des Messianismus um ein erotisches Linsengericht zu verkaufen, das ihn leer dastehen läßt, sobald er es genossen hat.

Es kam in der Geschichte zwischen der sehnsüchtigen Erwartung auf das Reich und der ungläubigen Skepsis zu einem Ringkampf, von dem die nachfolgenden Blätter freilich nur in indirekter Weise erzählen. Ist doch der Kampf zwischen Glaube und Unglaube nach einem berühmten Wort Goethes das tiefste Thema der Weltgeschichte. Es ist ein atembeklemmendes Ringen, das nie abreißt und zu immer neuen Auseinandersetzungen anhebt. Es treibt dem Betrachter unwillkürlich das Blut in die Wangen, sofern er das Drama mit seelischer Anteilnahme und nicht nur als unbeteiligter Zuschauer verfolgt. Welch eine Unsumme von glühender Inbrunst und lebendiger Sehnsucht steht hinter diesen Begebenheiten, die keinen fühlenden Menschen gleichgültig lassen können. Die Reichserwartung hat beinahe übermenschliche Spannungen und gewaltige schöpferische Kräfte entbunden. Seelenvorgänge der Christenheit, die sonst verborgen bleiben, kommen in einer Geschichte des Chiliasmus unerwarteterweise zum Vorschein, und verschiedene geschichtliche Bewegungen erscheinen plötzlich in völlig neuen Perspektiven. Mit beklemmender Bestürzung nimmt man jeweilen das Aufgeben der messianischen Sehnsucht wahr, woraus nichts anderes als ein Versinken in die in sich ruhende Endlichkeit hervorgehen konnte, die den geistigen Tod nach sich zieht. Und welch jubelnde Hoffnung flammte in den Herzen auf, wenn die große Erwartung sich wieder stürmisch erhob und die Menschen einfach mit sich riß. Die Schilderung wirkt sich wie ein Sterben und Auferstehen im eigenen Innern aus, ein Vorgang, der nur ein Abbild vom großen Geschehen ist.

Der keuchende Ringkampf zwischen Erwartung und Enttäuschung hält sich weder die Waage, noch bleibt er zuletzt unentschieden. Noch viel weniger kann man die Erwartung auf das Reich als eine bloße Krankheitsgeschichte auffassen, sonst hätte sie nicht derart beschwingte Kräfte zu wecken vermocht. Der christliche Messianismus, der auf die zweite Erscheinung Christi mit der Offenbarung des Reiches wartet, darf auch nicht lediglich als eine zeitgeschichtlich bedingte Auffassung des Urchristentums bewertet werden, die abzustreifen endlich an der Zeit ist. Niemals erhebt sich am Schluß dieser Geschichte nur ein großes Fragezeichen, das den Leser ratlos am Berge stehen läßt. Wer zu diesem dürftigen Resultat gelangt, hat diese Blätter schlecht gelesen. In der Geschichte der Reichserwartung wird jeder müde Verzicht stets durch eine erneuerte Hoffnung besiegt, die zeigt, daß der Ausblick nach dem Reich die Grundhaltung der christlichen Einstellung schlechthin ist, die jeweilen vom unerleuchteten Denken versucht und zurückgedrängt, aber keinesfalls überwunden werden kann. Allezeit lodert die Reichswirklichkeit in ihrer brennenden Aktualität als die unzerstörbare Hoffnung auf, deren innere Intention von aller historischen Erfahrung und von jedem naturwissenschaftlichen Weltbild unabhängig ist. Sie allein bewahrt den Menschen vor dem Sichverlieren in die ungenügende Diesseitigkeit und schürt unablässig die Glut seiner verzehrenden Sehnsucht nach dem Jenseits. Für den Christen beginnt das wahre Leben erst in jenem Moment, da alle irdischen Erscheinungsformen sich wie Nebel aufzulösen beginnen und das übergeschichtliche Reich hereinbricht.

Um dieses Sachverhaltes willen ist die Geschichte der Reichserwartung die Lehrmeisterin der unvergänglichen Hoffnung. An ihr beweist es sich, daß ein Leben ohne Erwartung nicht lebenswert ist, und öffnet mit dieser Erkenntnis »das Tor zum Geheimnis der Hoffnung«, um diese Formulierung Péguys zu gebrauchen. Es ist nicht eine jener kleinen, innerweltlichen Hoffnungen, mit denen die Menschen gewöhnlich ihr armes Dasein notdürftig zu erwärmen suchen, es ist die über die Erde hinaus greifende Hoffnung, die auf der Grundlage der göttlichen Zusicherung beruht und das Höchste in sich schließt. Nichts wirkt sich im Leben eines Menschen so finster aus wie völlige Hoffnungslosigkeit, und das rapide Schwinden jeglicher Hoffnung in der Gegenwart bildet ein verhängnisvolles Merkmal der modernen Christenheit. Deswegen rührt diese Geschichte einer Hoffnung mit all ihren mannigfachen Problemen an den Nerv unserer Zeit. Der Christ ist der Mensch, der »wiedergeboren ist zu einer lebendigen Hoffnung«,4 und mit dieser Einstellung hat er den lähmenden Pessimismus überwunden, weil er mit Paulus der Überzeugung lebt: »Hoffnung läßt nicht zuschanden werden.«5 Die Christenheit nährt sich von der Hoffnung, die sie vor aller Verzweiflung bewahrt. »Es lebte nichts, wenn es nicht hoffte«, sang auch Hölderlin.6 Aus der hoffnungsfreudigen Erwartung fließt dem Christen jene stärkende Kraft zu, die sich gerade inmitten aller Not als Hilfe dokumentiert. Wer die Hoffnung der Menschheit untergräbt, indem er sie als Illusion verhöhnt, betreibt ein teuflisch Werk, und wer die Christen dazu anfeuert, »festzuhalten in der angebotenen...
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Autor

Walter Nigg, geboren 1903 in Luzern, war Professor für Kirchengeschichte in Zürich und wirkte als protestantischer Pfarrer im zürcherischen Dänikon, wo er 1988 starb. Neben Heiligen, Ordensgründern, Propheten und Mystikern handeln seine Bücher auch von Künstlern und Dichtern und nicht zuletzt von Ketzern, die er als »verunglückte Heilige« verstand.