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Dann bin ich seelenruhig

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
160 Seiten
Deutsch
Arena Verlag GmbHerschienen am30.04.2014
Warum Angela sich zum ersten Mal verletzt hat, weiß sie heute nicht mehr. Sie war zwölf und da waren so viel Wut und Schmerz in ihrem Inneren, die nach draußen mussten. Nach drei Klinikaufenthalten kämpft sie heute jeden Tag aufs Neue: für sich, für ihre Zukunft und gegen diese Krankheit, die - noch - ein Teil von ihr ist.

Auslöser dafür, dass Angela S., Jahrgang 1992, mit dem Ritzen begann, waren Mobbing in der Schule, Probleme zu Hause, totale Überforderung. Heute macht sie das Abitur und möchte danach Psychologie studieren.
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Produkt

KlappentextWarum Angela sich zum ersten Mal verletzt hat, weiß sie heute nicht mehr. Sie war zwölf und da waren so viel Wut und Schmerz in ihrem Inneren, die nach draußen mussten. Nach drei Klinikaufenthalten kämpft sie heute jeden Tag aufs Neue: für sich, für ihre Zukunft und gegen diese Krankheit, die - noch - ein Teil von ihr ist.

Auslöser dafür, dass Angela S., Jahrgang 1992, mit dem Ritzen begann, waren Mobbing in der Schule, Probleme zu Hause, totale Überforderung. Heute macht sie das Abitur und möchte danach Psychologie studieren.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783401803777
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum30.04.2014
Seiten160 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1408460
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

2. Kapitel:
Intensivstation, 22. April 2010

»Angela kann so stark sein. Einmal hatte ich einen Freund, der mich richtig mies behandelt hat, da war Angela die Einzige, die fest zu mir hielt. Als er an einem Tag vor meiner Schule stand und mich mal wieder zum Schwänzen drängen wollte, ist Angela einfach neben mir stehen geblieben. »Ich gehe erst zur Schule, wenn du mitkommst«, hat sie gesagt. Mein Freund ist ausgeflippt, hat sie beschimpft. Aber Angela ist einfach neben mir stehen geblieben, bis ich mit ihr in den Unterricht gegangen bin. Das hat mich beeindruckt.«

Lisa, Angelas beste Freundin

Ich höre Stimmen, aber ich verstehe nicht, was sie sagen. Ich versuche, die Augen zu öffnen, doch ich schaffe es nicht. Meine Augen sind wie zubetoniert. Dabei würde ich gerne wissen, was los ist und wo ich bin. Den Geräuschen nach muss um mich herum eine unglaubliche Hektik herrschen. Allerdings berührt sie mich nicht. Sie perlt an mir ab wie Wasser.

Nun werden die Stimmen lauter. Es sind fast nur noch Rufe. Etwas packt mich ziemlich unsanft an den Armen, schüttelt mich. Das macht mir Angst. Was ist denn los? Ich will endlich sehen können, was hier passiert! Mit Gewalt versuche ich erneut, meine Augen aufzureißen, aber die Lider bewegen sich nicht. Es ist wie ein Albtraum. So einer, bei dem man nicht rennen kann, obwohl man verfolgt wird. Die vielen Stimmen und Geräusche klingen fremd, ich kann sie gar nicht zuordnen.

Plötzlich streichelt jemand über meinen Arm. Fabian? Eine sanfte männliche Stimme durchbricht das Geräusche-Wirrwarr und sagt ganz nah an meinem Ohr: »Ganz ruhig, es wird alles gut! Wir bekommen das wieder hin.« Das ist nicht Fabi. Diese Stimme kenne ich nicht. Aber die Art und Weise wie der fremde Mann auf mich einredet, beruhigt mich trotzdem. Langsam dämmere ich weg.

Die Geräusche entfernen sich, werden immer schwächer, bis sie schließlich verstummen. Das ist angenehm. Nun ist alles schwarz um mich herum. Es fühlt sich friedlich an. Ganz warm und wohlig. Wie in einer Höhle.

Dann gibt es plötzlich einen Ruck. Schon wieder rüttelt jemand an mir, drückt fest meine Hand. Wieder höre ich die unbekannte Stimme, wieder ist da dieser Satz: »Alles wird gut!« Jetzt redet die Stimme schneller und lauter. Sie klingt aufgeregt. Zwar kommt das alles irgendwie in meinem Gehirn an, aber ansonsten fühle ich mich, als ob ich gar kein Gehirn, keinen Kopf und keinen Körper hätte. Ich spüre nichts. Und es rührt sich auch nichts. Und noch immer gehorchen mir weder mein Mund noch meine Augen.

Erst ganz allmählich schaffe ich es, in meinen Körper zurückzukehren. Na bitte, das fühlt sich zumindest wieder gewohnter an! Ich bin nicht mehr nur ein Gedanke. Ich habe ein Gewicht, das auf einem Bett liegt, ich kann mich fühlen und auch ganz vorsichtig blinzeln. Aber es blendet. Um mich herum ist alles furchtbar grell. Ein älterer Mann um die Mitte 50 taucht über meinem Gesicht auf und beginnt, auf mich einzureden: »Es ist alles gut, Sie sind im Markus-Krankenhaus auf der Intensivstation. Haben Sie keine Angst, weil Sie ihre Hände nicht bewegen können. Wir haben sie am Bett festgebunden, damit Sie sich nicht die Schläuche rausziehen.« Zu ihm gehört also die sanfte Stimme! Noch während er zu mir spricht, dämmere ich wieder weg. Wirklich bei mir angekommen ist nichts von dem, was er gesagt hat. Ich habe es gehört. Und ich werde mich später auch daran erinnern können. Aber es scheint mich irgendwie nicht zu betreffen.

Erst beim dritten Versuch, meine Umgebung wahrzunehmen, bleibe ich wach. Dieses Mal steht ein anderer Mann an meinem Bett. Als er merkt, dass ich mich bewege, beugt er sich über mich. Ein zweites Mal erfahre ich, wo ich mich befinde, und diesmal verstehe ich den Sinn der Worte: auf der Intensivstation vom Markus-Krankenhaus. Intensivstation? Als er meinen fragenden Blick sieht, fügt er hinzu: »Das war haarscharf. Es hätte nicht mehr viel gefehlt und Sie hätten diese Nacht nicht überlebt!«

Zuerst begreife ich es nicht. Wovon spricht er? Was war haarscharf?, frage ich mich. Warum bin ich im Krankenhaus? Warum sind meine Arme fixiert? Das kann doch alles gar nicht sein. Erst ganz langsam verstehe ich, was der Mann gerade behauptet hat. Ich schlucke. Mein Kopf fühlt sich seltsam dumpf an, selbst meine Gedanken formen sich wie in Zeitlupe. Aber warum ist das passiert? Nun muss ich mich erst einmal sammeln. Je wacher ich werde, desto intensiver schießen mir die Erinnerungen an den vergangenen Abend in den Kopf. Ich spüre noch einmal meine Verzweiflung. Die Tabletten, der Wodka. Ein tiefer Schmerz hämmert in meiner Brust. Lara! Ich weiß noch immer nicht, was mit ihr passiert ist. Aber ich glaube nach wie vor, dass sie tot ist, und das tut so unendlich weh, dass ich es kaum ertragen kann. Der Mann sagt, man hätte meinen Magen auspumpen und mich künstlich beatmen müssen, sonst hätte ich es nicht geschafft.

»Magen auspumpen« und »künstlich beatmen«. Auf einmal kann ich klar denken, mein Kopf ist hellwach. Mir wird bewusst, dass ich mit den Tabletten gestern Abend beinahe mein Leben weggeworfen hätte. Einfach so! Zack!, wäre es vorbei gewesen. Klar, eigentlich weiß ich, weiß jeder, dass 80 Tabletten in Verbindung mit Alkohol gefährlich werden können. Aber gestern habe ich daran nicht gedacht. Ich wollte nur meinen Schmerz nicht mehr fühlen, ich wollte nicht sterben! Jede einzelne Tablette habe ich in der Hoffnung genommen, dass mit ihr endlich dieser wahnsinnige Druck aufhört. Nur deshalb.

Ganz plötzlich erscheint mir das Leben als etwas sehr Großes, Wertvolles, Warmes. Ich bin verliebt in mein Leben. Das spüre ich sehr deutlich und es ist ein neues, verwirrendes Gefühl, das da überraschend in mir explodiert. Ich will leben!

Bin ich froh, dass ich nicht gestorben bin! Schmerz, Glück, Angst, Lebensfreude: Es liegt alles so nah beieinander, dass ich es nicht fassen kann. Am liebsten würde ich mich unter meiner Bettdecke verkriechen, um mich vor den vielen Gedanken zu verstecken, die da gerade auf mich einstürzen.

Aber Verkriechen geht nicht - ich bin festgebunden. Deshalb drehe ich nur meinen Kopf auf die Seite und schließe die Augen. Das darf doch alles nicht wahr sein!

Ich werde wieder wach, als meine Tür geöffnet wird und eine Schwester in das Zimmer kommt. Ohne mich zu beachten, nimmt sie etwas von dem Tisch, der an der Fußseite meines Bettes steht, und rennt wieder aus dem Raum. Ich bin ganz froh, dass sie mich nicht angesprochen hat. Ich will jetzt meine Ruhe haben. Ohne mich zu bewegen, sehe ich mich vorsichtig um. Das Zimmer sieht furchtbar steril aus. Ganz weiß. Nur ein paar Geräte rackern, ansonsten ist es still. Auf dem Tisch steht ein Computer. Er ist mit Kabeln verbunden, die zu meinem Bett und unter das Krankenhaushemd führen, das man mir angezogen hat. Ich bewege ein Stückchen den Kopf. An einer Wand entdecke ich einen grauen Medikamentenschrank. Mein Bett steht offenbar mitten im Raum, ich kann nicht sehen, was hinter mir ist. Das mag ich nicht. Und mich aufsetzen und umdrehen kann ich auch nicht, weil ich noch immer angebunden bin.

Als das nächste Mal eine Schwester an meinem Bett vorbeikommt, bemerkt sie, dass ich sie beobachte. Sie spricht mich an und ich erfahre, dass ich im Überwachungszimmer liege, damit das Pflegepersonal mich im Blick hat. »Okay«, sage ich. Eigentlich weiß ich nicht richtig, wie ich das finden soll. Aber immerhin befreit mich die Schwester von den lästigen Fesseln.

Ich blicke auf die Kabel, mit denen ich verbunden bin und die meine Herz- und Atemfrequenz und was weiß ich, was sonst noch alles, messen. Vielleicht bin ich jetzt ferngesteuert? Vielleicht gibt es mich gar nicht mehr? Die Katheter führen direkt in meine Haut. Noch mehr Narben, denke ich. Und wahrscheinlich haben alle Schwestern, Ärzte und Pfleger auch meine anderen Narben gesehen und sich ihren Teil gedacht. Zwar habe ich es mir abgewöhnt, sie unter langärmeligen T-Shirts zu verstecken, wie ich es früher gemacht habe, denn schließlich gehören diese Narben zu mir. Trotzdem mag ich es nicht, wenn die Leute auf meinen Arm starren. Aber noch viel blöder finde ich es, wenn sie dann auch noch fragen: »Was ist denn das?« Was soll das schon sein? Ich habe keine Lust, mit Fremden darüber zu sprechen, was ich mit meinem Körper mache. Ihre Sensationsgier zu befriedigen und mich irgendjemandem gegenüber zu öffnen, dem ich doch eigentlich sowieso egal bin. Manchmal fühle ich mich mit meinen Narben wie ein exotisches Tier. Die meisten Gleichaltrigen sagen einfach nur: »Die ist doch gestört!« Dann bin ich sofort abgestempelt, denn viele wollen mit »so einer« lieber nichts zu tun haben. Ich schäme mich, als ich jetzt in meinem Krankenhausbett liege. Und ich finde die Nadeln in meiner Haut unangenehm.

Ohne sich weiter mit mir zu befassen, huscht die Schwester wieder aus dem Raum, wird aber offenbar unmittelbar vor der Tür abgefangen. »Wo ist sie?«, höre ich eine verweinte, mir sehr vertraute Stimme fragen. »Sie ist meine Tochter.« Die Schwester klingt sehr weich und mitfühlend, als sie antwortet: »Sie liegt hier im Überwachungsraum und ist gerade erst aus dem Koma zu sich gekommen....
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