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Frau im Dunkeln

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
188 Seiten
Deutsch
Suhrkamp Verlag AGerschienen am11.02.20191. Auflage
Was bedeutet es, eine Frau und Mutter zu sein - und dabei eigene Wege gehen zu wollen? Mit frappierender Ehrlichkeit ergründet Elena Ferrante die widersprüchlichen Gefühle, die uns an unsere Kinder binden.

Ein heißer Sommer an der süditalienischen Küste. Leda - knapp fünfzig, allein lebend, Mutter zweier erwachsener Töchter - verbringt unbeschwerte Tage am Strand. Sie vertreibt sich die Zeit damit, eine junge Mutter und deren kleines Mädchen zu beobachten, die innig vor sich hin spielen. Doch plötzlich verdüstert sich das Idyll und die sonst so beherrschte Leda lässt sich zu einer unbegreiflichen Tat hinreißen ...



Elena Ferrante hat sich mit dem Erscheinen ihres Debütromans im Jahr 1992 für die Anonymität entschieden. Ihre vierbändige Neapolitanische Saga - bestehend aus Meine geniale Freundin, Die Geschichte eines neuen Namens, Die Geschichte der getrennten Wege und Die Geschichte des verlorenen Kindes - ist ein weltweiter Bestseller. Zuletzt erschienen im Suhrkamp Verlag auch Ferrantes frühere Romane Lästige Liebe, Tage des Verlassenwerdens und Frau im Dunkeln, sowie der Band Frantumaglia, der Briefe, Aufsätze und Interviews versammelt.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR11,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextWas bedeutet es, eine Frau und Mutter zu sein - und dabei eigene Wege gehen zu wollen? Mit frappierender Ehrlichkeit ergründet Elena Ferrante die widersprüchlichen Gefühle, die uns an unsere Kinder binden.

Ein heißer Sommer an der süditalienischen Küste. Leda - knapp fünfzig, allein lebend, Mutter zweier erwachsener Töchter - verbringt unbeschwerte Tage am Strand. Sie vertreibt sich die Zeit damit, eine junge Mutter und deren kleines Mädchen zu beobachten, die innig vor sich hin spielen. Doch plötzlich verdüstert sich das Idyll und die sonst so beherrschte Leda lässt sich zu einer unbegreiflichen Tat hinreißen ...



Elena Ferrante hat sich mit dem Erscheinen ihres Debütromans im Jahr 1992 für die Anonymität entschieden. Ihre vierbändige Neapolitanische Saga - bestehend aus Meine geniale Freundin, Die Geschichte eines neuen Namens, Die Geschichte der getrennten Wege und Die Geschichte des verlorenen Kindes - ist ein weltweiter Bestseller. Zuletzt erschienen im Suhrkamp Verlag auch Ferrantes frühere Romane Lästige Liebe, Tage des Verlassenwerdens und Frau im Dunkeln, sowie der Band Frantumaglia, der Briefe, Aufsätze und Interviews versammelt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783518761144
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum11.02.2019
Auflage1. Auflage
Seiten188 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2212 Kbytes
Artikel-Nr.4017653
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


2


Als meine Töchter nach Toronto zogen, wo ihr Vater seit Jahren lebte und arbeitete, stellte ich verwirrt und überrascht fest, dass mir das keinen Schmerz verursachte, sondern dass ich mich erleichtert fühlte, als hätte ich sie erst in diesem Moment endgültig auf die Welt gebracht. Zum ersten Mal seit fast fünfundzwanzig Jahren musste ich mich nicht mehr um sie kümmern und für sie sorgen. Die Wohnung war aufgeräumt, als würde niemand darin leben, der lästige Einkauf und die Wascherei entfielen, die Frau, die mir seit Jahren im Haushalt zur Hand ging, fand eine lukrativere Arbeit, und ich hatte keinen Bedarf, sie zu ersetzen.

Meine einzige Verpflichtung den Mädchen gegenüber war der tägliche Anruf, um zu hören, wie es ihnen ging und was sie machten. Am Telefon ließen sie mich in dem Glauben, sie hätten schon etwas Eigenes gefunden; in Wirklichkeit lebten sie bei ihrem Vater, doch gewohnt, unsere Trennung auch sprachlich zu vollziehen, redeten sie mit mir, als existiere er gar nicht. Wenn ich sie fragte, wie ihr Leben so aussah, wechselten sie entweder fröhlich das Thema oder sie antworteten einsilbig und missmutig oder sie verfielen in diesen künstlichen Ton, den sie in Gesellschaft ihrer Freunde hatten. Auch sie riefen mich oft an, vor allem Bianca, die mir gegenüber fordernder war, und sei es nur, um von mir zu erfahren, ob blaue Schuhe zu einem orangefarbenen Rock passten, ob ich schnell ein paar Seiten, die sie in einem Buch liegen gelassen hatte, heraussuchen und ihr schicken könnte, ob ich immer noch bereit war, mir all ihre Wut und ihr Unglück aufhalsen zu lassen, obwohl wir auf unterschiedlichen Kontinenten saßen und ein weiter Himmel uns trennte. Unsere Gespräche waren nie sehr lang, und manchmal klangen sie unnatürlich wie im Kino.

Ich tat, worum sie mich baten, reagierte so, dass es ihren Erwartungen entsprach. Und da es mir aus der Ferne nicht möglich war, direkt auf ihr Leben einzuwirken, erfüllte ich ihre Wünsche und Launen, wie sie eben kamen und ohne mir Gedanken zu machen, ich empfand ihre Bitten nicht als Last, und das Erledigen ihrer Aufträge wurde mir zu einer Herzensangelegenheit. Ich fühlte mich befreit, als wäre ein schwieriges Werk wie durch ein Wunder endlich vollendet und mir eine Last von den Schultern genommen.

Ich konnte nun arbeiten, ohne mich um ihre Zeitpläne und Angelegenheiten zu kümmern. Nachts korrigierte ich die Hausarbeiten meiner Studenten und hörte dazu Musik, nachmittags schlief ich oft, mit Stöpseln in den Ohren, ich aß nur eine Mahlzeit am Tag, immer in einer Trattoria in der Nähe. Ich war wechselhaft, in meiner Art, in meinen Launen, sogar in meiner äußeren Erscheinung. Ich ärgerte mich nicht mehr über die zu dummen oder zu intelligenten jungen Leute an der Universität. Ein Kollege, den ich seit Jahren kannte und mit dem ich hin und wieder ins Bett ging, stellte eines Abends verwundert fest, ich sei weniger zerstreut als früher, auch gelassener. Nach wenigen Monaten besaß ich wieder den schmalen Körper, den ich als junge Frau gehabt hatte, ich spürte eine sanfte Kraft in mir, meine Gedanken hatten wieder das richtige Tempo. Eines Abends betrachtete ich mich im Spiegel. Ich war siebenundvierzig, in vier Monaten hatte ich Geburtstag, doch ein paar Jahre schienen wie durch einen Zauber getilgt. Ich kann nicht sagen, ob mich das freute, doch mit Sicherheit war ich darüber erstaunt.

In dieser ungewohnt guten Verfassung - inzwischen war es Juni - bekam ich Lust auf Urlaub und beschloss, ans Meer zu fahren, sobald die Prüfungen und der leidige Bürokram erledigt waren. Ich machte mich im Internet auf die Suche, verglich Fotos und Preise. Schließlich mietete ich von Mitte Juli bis Ende August eine winzige, recht günstige Wohnung an der ionischen Küste. Tatsächlich konnte ich erst am vierundzwanzigsten Juli aufbrechen, ich hatte eine ruhige Fahrt in meinem mit Büchern vollgeladenen Auto, die ich für die Vorbereitung des nächsten Semesters brauchte. Es war ein schöner Tag, durch das heruntergekurbelte Fenster drang die trockene, würzige Luft, ich fühlte mich frei und hatte keinerlei Schuldgefühle.

Als ich auf halber Strecke tankte, überkam mich plötzlich ein ungutes Gefühl. Früher hatte ich das Meer immer geliebt, doch seit über fünfzehn Jahren hielt ich es in der Sonne nicht lange aus, sie machte mich schnell müde. Bestimmt war die Wohnung grauenhaft, mit Blick auf höchstens ein Stückchen Himmel irgendwo zwischen hässlichen armseligen Wohnblocks. Ich würde nachts kein Auge zutun, wegen der Hitze und viel zu lauten Musik aus irgendeinem Nachtlokal. Ich legte die restliche Strecke schlecht gelaunt und mit der Vorstellung zurück, dass ich zu Hause den ganzen Sommer über unbeschwert hätte arbeiten können, bei klimatisierter Luft und in ruhiger Umgebung.

Als ich ankam, stand die Sonne bereits tief, der Abend dämmerte. Es war ein hübsches Städtchen, die Stimmen hatten einen angenehmen Klang, und es roch gut. Ich wurde von einem älteren Herrn mit dichtem weißem Haar empfangen, der sich als herzlich und zurückhaltend erwies. Er bestand darauf, mich im Café zu einem Espresso einzuladen, und später hinderte er mich mit einem Lächeln und nachdrücklichen Gesten daran, auch nur eine Tasche selbst ins Haus zu tragen. Er kletterte mit meinen Koffern schnaufend ins dritte und oberste Stockwerk und stellte mein Gepäck am Eingang einer kleinen Mansarde ab: Schlafzimmer, eine kleine Küche ohne Fenster, über die man ins Badezimmer gelangte, ein Wohnraum mit großen Fenstern und eine Terrasse, von der man in der Dämmerung die von Klippen zerklüftete Küste und ein endloses Meer sah.

Der Mann hieß Giovanni, er war nicht der Besitzer der Wohnung, sondern eine Art Hausmeister oder Faktotum; jedenfalls nahm er mein Trinkgeld nicht an, er war sogar fast beleidigt, als hätte ich nicht begriffen, dass er all dies nur aus Respekt vor den Gesetzen der Gastfreundschaft tat. Als er sich zurückgezogen hatte, nicht ohne sich mehrmals zu vergewissern, dass alles zu meiner vollsten Zufriedenheit war, fand ich auf dem Wohnzimmertisch eine große Schale voller Obst, Pfirsiche, Pflaumen, Birnen, Trauben und Feigen. Die Schale glänzte wie in einem Stillleben.

Ich schob einen kleinen Korbsessel auf die Terrasse und sah eine Weile zu, wie der Abend sich langsam auf das Meer herabsenkte. Jahrelang war ich nur wegen der beiden Mädchen in den Urlaub gefahren, und als sie größer waren und anfingen, mit ihren Freunden durch die Welt zu reisen, blieb ich zu Hause und wartete auf ihre Rückkehr. Meine Angst galt nicht nur allen erdenklichen Katastrophen (den Gefahren einer Reise im Flugzeug oder zu Wasser, Kriegen, Erdstößen, Seebeben), sie galt auch ihren schwachen Nerven, eventuellen Spannungen mit den Reisegefährten, den Gefühlsdramen einer voreilig oder gar nicht erwiderten Liebe. Ich wollte stets bereit sein, um auf plötzliche Hilferufe zu reagieren, ich hatte Angst, sie könnten mir vorwerfen, dass ich so sei, wie ich tatsächlich war, zerstreut und unaufmerksam, nicht präsent. Genug. Ich stand auf und ging duschen.

Danach bekam ich Hunger und wandte mich der Obstschale zu. Ich stellte fest, dass unter der Oberfläche makelloser Früchte Feigen, Birnen, Pflaumen, Pfirsiche und Trauben lagen, die angeschimmelt und matschig waren. Ich nahm ein Messer und schnitt große schwarze Stücke heraus, aber Geruch und Geschmack waren mir zuwider, ich warf beinah alles in den Müll. Ich hätte ein Restaurant suchen gehen und draußen essen können, doch aus Trägheit verzichtete ich darauf, ich war müde.

Im Schlafzimmer gab es zwei große Fenster, ich stieß sie auf, löschte das Licht. Draußen im Dunkeln blinkte der Scheinwerfer des Leuchtturms und tauchte das Zimmer für jeweils einige Sekunden in Helle. Man sollte nie abends an einem fremden Ort ankommen, alles ist so ungewiss, jede Kleinigkeit kann monströs groß wirken. Ich streckte mich auf dem Bett aus, im Bademantel und mit nassen Haaren, starrte an die Decke und wartete auf den Moment, wo sie in weißem Licht erstrahlte, lauschte dem Lärm eines Außenbordmotors in der Ferne und einem leisen Lied, das einem Miauen glich. Ich hatte keine Konturen. Als ich mich schläfrig auf die Seite drehte, berührte ich etwas auf dem Kissen, es war kalt und fühlte sich an wie aus Seidenpapier.

Ich schaltete das Licht an. Auf dem strahlend weißen Kopfkissenbezug saß ein drei oder vier Zentimeter langes Insekt, das aussah...

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Elena Ferrante hat sich mit dem Erscheinen ihres Debütromans im Jahr 1992 für die Anonymität entschieden. Ihre vierbändige Neapolitanische Saga - bestehend aus Meine geniale Freundin, Die Geschichte eines neuen Namens, Die Geschichte der getrennten Wege und Die Geschichte des verlorenen Kindes - ist ein weltweiter Bestseller. Zuletzt erschienen im Suhrkamp Verlag auch Ferrantes frühere Romane Lästige Liebe, Tage des Verlassenwerdens und Frau im Dunkeln, sowie der Band Frantumaglia, der Briefe, Aufsätze und Interviews versammelt.