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Der Boden unter ihren Füßen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
864 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am14.04.2014
Bombay, Ende der 1950er Jahre: Der junge Gitarrist und Komponist Ormus Cama trifft auf die wilde und lebenshungrige Sängerin Vina Apsara. Für beide ist es Liebe auf den ersten Blick, und doch finden sie erst Jahre später zueinander. Fortan ist ihre Liebe ein ständiges Auf und Ab, geprägt von Trennung, Versöhnung, Affären - die Vinas anderer Liebhaber, der Fotograf Rai, kommentiert und erzählt. Ormus lässt die Sehnsucht nach Vina in seine Musik fließen, in Lieder, die die Sängerin und ihn zu weltweit gefeierten Ikonen des Musikbusiness machen. Und so ist ihre außergewöhnliche Liebesgeschichte gleichzeitig eine Geschichte der Popkultur, die von den Swinging Sixties in London bis zum Sex, Drugs & Rock'n'Roll im New York der späten Siebziger über Jahrzehnte hinweg erzählt.

Salman Rushdie, 1947 in Bombay geboren, ging mit vierzehn Jahren nach England und studierte später in Cambridge Geschichte. Mit seinem Roman »Mitternachtskinder«, für den er den Booker Prize erhielt, wurde er weltberühmt. 1996 wurde ihm der Aristeion-Literaturpreis der EU für sein Gesamtwerk zuerkannt. 2007 schlug ihn Königin Elizabeth II. zum Ritter. 2022 ernannte ihn das deutsche PEN-Zentrum zum Ehrenmitglied. 2023 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextBombay, Ende der 1950er Jahre: Der junge Gitarrist und Komponist Ormus Cama trifft auf die wilde und lebenshungrige Sängerin Vina Apsara. Für beide ist es Liebe auf den ersten Blick, und doch finden sie erst Jahre später zueinander. Fortan ist ihre Liebe ein ständiges Auf und Ab, geprägt von Trennung, Versöhnung, Affären - die Vinas anderer Liebhaber, der Fotograf Rai, kommentiert und erzählt. Ormus lässt die Sehnsucht nach Vina in seine Musik fließen, in Lieder, die die Sängerin und ihn zu weltweit gefeierten Ikonen des Musikbusiness machen. Und so ist ihre außergewöhnliche Liebesgeschichte gleichzeitig eine Geschichte der Popkultur, die von den Swinging Sixties in London bis zum Sex, Drugs & Rock'n'Roll im New York der späten Siebziger über Jahrzehnte hinweg erzählt.

Salman Rushdie, 1947 in Bombay geboren, ging mit vierzehn Jahren nach England und studierte später in Cambridge Geschichte. Mit seinem Roman »Mitternachtskinder«, für den er den Booker Prize erhielt, wurde er weltberühmt. 1996 wurde ihm der Aristeion-Literaturpreis der EU für sein Gesamtwerk zuerkannt. 2007 schlug ihn Königin Elizabeth II. zum Ritter. 2022 ernannte ihn das deutsche PEN-Zentrum zum Ehrenmitglied. 2023 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641131579
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum14.04.2014
Seiten864 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1876 Kbytes
Artikel-Nr.1381742
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Der Bienenhalter

Am Valentinstag 1989, dem letzten Tag ihres Lebens, erwachte die legendäre und beliebte Sängerin Vina Apsara schluchzend aus einem Traum - dem Traum von einer Menschenopferung, bei der sie selbst das Opfer sein sollte. Männer mit entblößtem Oberkörper, die dem Schauspieler Christopher Plummer ähnelten, packten sie bei den Hand- und Fußgelenken. Ausgebreitet lag sie nackt auf einem polierten Stein, in den das Bild des Schlangenvogels Quetzalcoatl geschnitten war, und wand sich qualvoll. Das weit aufgesperrte Maul der gefiederten Schlange umfing ein finsteres Loch, das man aus dem Stein geschlagen hatte, und obwohl ihr eigener Mund von ihrem Schreien weit aufgerissen war, bestand das einzige Geräusch, das sie vernahm, im Plop der Blitzlichter; doch bevor sie ihr die Kehle aufschlitzen konnten, bevor ihr Lebensblut in dieses grässliche Gefäß strömen konnte, erwachte sie um zwölf Uhr mittags in der Stadt Guadalajara, Mexiko, in einem fremden Bett, neben sich einen halb toten Fremden, einen nackten Mestizen Anfang zwanzig, der aufgrund der endlosen Presseberichte, welche die Katastrophe nach sich zog, als Raúl Páramo identifiziert wurde, Playboy und Erbe eines bekannten Baulöwen, dem unter anderem das Unternehmen gehörte, das als Eigentümer dieses Hotels zeichnete. Sie hatte sehr stark geschwitzt, und die durchnässte Bettwäsche stank nach dem sinnlosen Elend dieser nächtlichen Begegnung. Raúl Páramo war bewusstlos; seine Lippen waren schneeweiß, sein Körper wurde, wie Vina bemerkte, alle paar Sekunden von ganz ähnlichen Krämpfen geschüttelt wie sie in ihrem Traum. Nach einer Weile kamen erschreckende Geräusche aus seiner Luftröhre, fast so, als schlitze ihm jemand die Kehle auf, als fließe sein Blut durch das scharlachrote Grinsen einer unsichtbaren Wunde in ein Phantomgefäß. Von Panik gepackt, sprang Vina aus dem Bett und riss ihre Kleider an sich, die Lederhose und das goldbestickte Oberteil, die sie am Abend zuvor bei ihrem letzten Auftritt auf der Bühne im Tagungszentrum der Stadt getragen hatte. Voller Verachtung, verzweifelt, hatte sie sich diesem Niemand hingegeben, diesem Knaben, kaum halb so alt wie sie, hatte ihn mehr oder weniger willkürlich aus der Menge am Bühnenausgang herausgegriffen, den Lounge Lizards, den aalglatten, blumenbewehrten Verehrern, den Industriemagnaten, dem Aristomüll, den Drogen-Underlords, den Tequila-Fürsten, allesamt mit Limousinen, Champagner, Kokain und womöglich sogar Brillanten bewehrt, um den Star des Abends damit zu überschütten.

Der Mann hatte damit begonnen, dass er sich vorstellte, hatte geprahlt und ihr geschmeichelt, aber sie wollte weder seinen Namen wissen noch die Höhe seines Bankkontos. Sie hatte ihn gepflückt wie eine Blume, und jetzt wollte sie die Zähne in ihn schlagen, sie hatte ihn sich bestellt wie ein Schnellgericht, das man nach Hause mitnimmt, und jetzt beunruhigte sie ihn mit der Zügellosigkeit ihrer Gier, weil sie sich auf ihn stürzte, kaum dass sich die Tür der Limousine hinter ihnen geschlossen hatte und bevor dem Chauffeur Zeit blieb, die Glastrennwand zu schließen, die den Fahrgästen Zurückgezogenheit verschaffte. Später berichtete der Chauffeur ehrfürchtig von ihrem nackten Körper; während die Zeitungsleute ihm Tequila aufnötigten, sprach er flüsternd von ihrer überwältigenden, raubgierigen Nacktheit, als handle es sich um ein Wunder; wer hätte gedacht, dass sie sich schon weit auf der falschen Seite der vierzig befand, ich glaube, irgendjemand da oben wollte sie genauso erhalten, wie sie war. Für eine solche Frau hätte ich alles getan, seufzte der Chauffeur, für sie wäre ich zweihundert Stundenkilometer schnell gefahren, wenn sie es von mir verlangt hätte, für sie wäre ich gegen eine Betonmauer gerast, wenn es ihr Wunsch gewesen wäre zu sterben.

Erst als sie, halb bekleidet und völlig verwirrt, in den zehnten Stock des Hotels hinauswankte und dabei über die unbeachteten Tageszeitungen stolperte, deren Schlagzeilen über französische Atombombentests im Pazifik und politische Unruhen in der südlichen Provinz Chiapas ihr mit ihrer dicken Druckfarbe die nackten Fußsohlen beschmutzten - erst da begriff sie, dass die Hotelsuite, die sie verlassen hatte, ihre eigene war; sie hatte die Tür hinter sich zugeschlagen und stand ohne Schlüssel da, aber zu ihrem Glück war derjenige, mit dem sie in diesem Augenblick der Schwäche zusammenstieß, Mr. Umeed Merchant, Fotograf, a. b. a. Rai : ich selbst, seit der alten Zeit in Bombay sozusagen ihr Kumpel und der einzige Fotograf im Umkreis von tausend Meilen, der nicht im Traum daran denken würde, sie in diesem köstlichen und skandalösen Aufzug, da sie vorübergehend aus der Fasson geraten war und - viel schlimmer noch - so alt aussah, wie sie wirklich war, ablichten würde, der einzige Imagedieb, der ihr niemals diesen entsetzten, gejagten Gesichtsausdruck stehlen würde, diese verquollene und eindeutig tränensackgeschwollene Hilflosigkeit mit der zerzausten Fontäne drahtigrot gefärbter Haare, die in einem spechtartigen Knoten auf dem Kopf aufgetürmt waren, mit dem bezaubernden Mund, der unsicher zitterte, mit den winzigen Fjorden gnadenloser Jahre, die sich am Saum der Lippen vertieften, der Archetypus einer wilden Rockgöttin, die sich auf dem besten Weg in den Abgrund der Trostlosigkeit und des Ruins befand. Sie hatte beschlossen, für diese Tour rothaarig zu werden, weil sie im Alter von vierundvierzig Jahren einen Neuanfang machte, eine Solokarriere ohne IHN; zum ersten Mal seit Jahren war sie ohne Ormus unterwegs, daher war es wirklich nicht überraschend, dass sie fast ständig desorientiert und aus dem Gleichgewicht geraten war. Und einsam. Das muss man zugeben. Leben in der Öffentlichkeit oder Privatleben, das spielt keine Rolle, ehrlich: Wenn sie nicht bei ihm sein konnte, war es gleichgültig, mit wem sie zusammen war - sie war allein.

Desorientierung: Verlust des Ostens. Und des Ormus Cama, ihrer Sonne.

Und es war kein reiner Zufall, dass sie auf mich stieß. Denn ich war immer für sie da. Ständig hielt ich Ausschau nach ihr, ständig wartete ich auf ihren Anruf. Hätte sie es gewollt, so wären Dutzende von uns da gewesen, Hunderte, Tausende. Aber ich glaube, es gab nur mich. Doch als sie mich das letzte Mal um Hilfe bat, konnte ich sie ihr nicht geben, und sie starb. Mitten in der Geschichte ihres Lebens kam das Ende, sie war ein unfertiges Lied, zurückgelassen vor der Brücke, des Rechts beraubt, den Versen ihres Lebens bis zum letzten, vollendenden Reim zu folgen.

Zwei Stunden nachdem ich sie aus dem bodenlosen Abgrund ihres Hotelkorridors gerettet hatte, flog uns ein Hubschrauber nach Tequila, wo Don Ángel Cruz, Eigentümer der größten Agavenplantage und der namhaften Ángel-Brennerei, berühmt für die liebliche Fülle seiner Countertenorstimme, die mächtige Rotunde seines Bauches und die verschwenderische Großzügigkeit seiner Gastfreundschaft, zu ihren Ehren ein Bankett geben wollte. Vinas Playboy-Liebhaber war inzwischen ins Krankenhaus gebracht worden, aber die drogeninduzierten Krämpfe waren dann so extrem geworden, dass sie sich letzten Endes als tödlich erwiesen, und so wurde die Welt wegen dem, was Vina zustieß, noch tagelang mit den detaillierten Analysen dessen eingedeckt, was das Blut des Toten, sein Magen, seine Därme, sein Skrotum, seine Augenhöhlen, sein Blinddarm, seine Haare, ja einfach alles enthalten hatten, bis auf sein Gehirn, von dem man annahm, dass es nur wenig von Interesse enthalte. Es war von den Narkotika so gründlich verwüstet worden, dass niemand seine letzten Worte verstand, gesprochen im letzten, komatösen Delirium. Einige Tage später jedoch, als die Information ihren Weg ins Internet gefunden hatte, erklärte ein Fantasy-Fiction-Spinner mit dem Net-Namen elrond@rivendel.com aus dem Castro-Viertel von San Francisco, Raúl habe Orkisch gesprochen, die infernalische Sprache, die der Autor Tolkien für die Diener des Dunklen Lord Sauron erfunden hatte: Ash nazg durbatulûk, ash nazg gimbatul, ash nazg thrakatulûk agh burzum-ishi krimpatul. Von da an verbreiteten sich unaufhaltsam Gerüchte über satanische - oder vielleicht sauronische - Praktiken über das Web. Die Idee kam auf, der Mestizenliebhaber sei ein Teufelsanbeter gewesen, ein Blutsdiener der Unterwelt, und habe Vina Apsara einen kostbaren, aber Unheil bringenden Ring geschenkt, der die nachfolgende Katastrophe herbeigeführt und sie in die Hölle hinabgezogen habe. Mittlerweile wurde Vina jedoch bereits zum Mythos, zu einem Gefäß, das jeder Schwachsinnige mit seinen Idiotien füllen konnte, oder sagen wir lieber, zum Spiegel der Kultur, und wir vermögen das Wesen dieser Kultur am besten zu begreifen, wenn wir sagen, dass es seinen wahrhaftigsten Spiegel in einem Leichnam fand.

Ein Ring, sie zu knechten - sie alle zu finden, / Ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden. Im Hubschrauber saß ich direkt neben Vina Apsara, aber ich sah keinen Ring an ihrem Finger, bis auf den Mondsteintalisman, den sie immer trug, ihre Verbindung zu Ormus Cama, ihre Erinnerung an seine Liebe.

Sie hatte ihre Entourage per Auto vorausgeschickt und mich als ihren einzigen Flugbegleiter gewählt; »von euch Bastarden ist er der einzige, dem ich vertrauen kann«, hatte sie die anderen angefaucht. Sie waren eine Stunde vor uns aufgebrochen, der ganze verdammte Zoo, ihr Tourmanager, die Schlange, ihre persönliche Assistentin, die Hyäne, die Sicherheitsgorillas, der Friseur, dieser Pfau, der PR-Drachen, aber jetzt, als der Hubschrauber über der Autokolonne dahinknatterte, schien sich die Dunkelheit, die sie seit unserem Abflug gefangen hielt, aufzuhellen, und sie befahl dem Piloten, ein paar Mal...


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Autor

Salman Rushdie, 1947 in Bombay geboren, ging mit vierzehn Jahren nach England und studierte später in Cambridge Geschichte. Mit seinem Roman »Mitternachtskinder«, für den er den Booker Prize erhielt, wurde er weltberühmt. 1996 wurde ihm der Aristeion-Literaturpreis der EU für sein Gesamtwerk zuerkannt. 2007 schlug ihn Königin Elizabeth II. zum Ritter. 2022 ernannte ihn das deutsche PEN-Zentrum zum Ehrenmitglied. 2023 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.