Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Operation Zagreb

von
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
512 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am20.01.20171. Auflage
Sommer 1942: Bernie Gunther arbeitet wieder im Polizeipräsidium am Alex in Berlin. Im Windschatten des Krieges scheinen sich die Verbrecher sicher zu fühlen, und Bernie hat besonders viel zu tun. Ein Befehl von Nazi-Propagandaminister Goebbels zwingt ihn dazu, alles stehen und liegen zu lassen, um in geheimer Mission nach Zagreb zu reisen. Er soll den Vater von Goebbels' Lieblingsschauspielerin Dalia Dresner finden - einen Priester, der sich den rechtsextremen Ustascha angeschlossen hat. Doch dann verschwindet Dalia selbst aus Goebbels' Dunstkreis, und Bernie muss sie unbedingt wiederfinden. Denn der Propagandaminister erträgt es nicht, wenn etwas nicht nach seinem Willen läuft ...

Philip Kerr wurde 1956 in Edinburgh geboren. 1989 erschien sein erster Roman «Feuer in Berlin». Aus dem Debüt entwickelte sich die Serie um den Privatdetektiv Bernhard Gunther. Für Band 6, «Die Adlon-Verschwörung», gewann Philip Kerr den weltweit höchstdotierten Krimipreis der spanischen Mediengruppe RBA und den renommierten Ellis-Peters-Award. Kerr lebte in London, wo er 2018 verstarb.
mehr
Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR19,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextSommer 1942: Bernie Gunther arbeitet wieder im Polizeipräsidium am Alex in Berlin. Im Windschatten des Krieges scheinen sich die Verbrecher sicher zu fühlen, und Bernie hat besonders viel zu tun. Ein Befehl von Nazi-Propagandaminister Goebbels zwingt ihn dazu, alles stehen und liegen zu lassen, um in geheimer Mission nach Zagreb zu reisen. Er soll den Vater von Goebbels' Lieblingsschauspielerin Dalia Dresner finden - einen Priester, der sich den rechtsextremen Ustascha angeschlossen hat. Doch dann verschwindet Dalia selbst aus Goebbels' Dunstkreis, und Bernie muss sie unbedingt wiederfinden. Denn der Propagandaminister erträgt es nicht, wenn etwas nicht nach seinem Willen läuft ...

Philip Kerr wurde 1956 in Edinburgh geboren. 1989 erschien sein erster Roman «Feuer in Berlin». Aus dem Debüt entwickelte sich die Serie um den Privatdetektiv Bernhard Gunther. Für Band 6, «Die Adlon-Verschwörung», gewann Philip Kerr den weltweit höchstdotierten Krimipreis der spanischen Mediengruppe RBA und den renommierten Ellis-Peters-Award. Kerr lebte in London, wo er 2018 verstarb.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644223011
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum20.01.2017
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.10
Seiten512 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1277 Kbytes
Artikel-Nr.1926395
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Kapitel 1


Ich erwachte aus einem langen, unruhigen Schlaf in einer Welt, die schwarzweiß war, hauptsächlich jedoch schwarz mit silbernen Paspeln. Ich hatte Luminal aus General Heydrichs Landhaus außerhalb von Prag gestohlen, um Schlaf zu finden. Er benötigte es nicht mehr - aus dem einfachen Grund, dass er tot war. Ansonsten hätte ich es ihm bestimmt nicht geklaut. Aber Pillen waren noch schwieriger zu kriegen als Alkohol, der wie alles andere knapp war. Und ich brauchte sie, weil ich als Beamter des Sicherheitsdienstes jetzt Teil des allgemeinen Horrors war, noch mehr als Heydrich. Er war tot, im Vormonat begraben mit vollen militärischen Ehren, einer Knoblauchzehe im Mund und einem Pflock durchs Herz. Er war aus dem Spiel, und seine letzten Gedanken an Rache gegenüber seinen tschechischen Meuchelmördern hingen immer noch in seinem länglichen El-Greco-Kopf wie erstarrter grauer Schlamm. Heydrich konnte keinen Schaden mehr anrichten. Ich hingegen in meinen elenden Bemühungen, am Leben zu bleiben, koste es, was es wolle, ich konnte durchaus noch Schmerz zufügen und im Gegenzug erleiden. Solange die schwarze Fassorgel des Todes spielte, schien es, als müsste ich zu der freudlosen, von Untergang erfüllten Melodie tanzen, die unablässig auf der Trommel geschlagen wurde, wie ein kleiner livrierter Affe mit Blechtasse in der Hand und dem Grinsen voll Todesangst im Gesicht. Es machte mich nicht zu etwas Ungewöhnlichem - nur zu einem Deutschen.

Berlin machte einen gehetzten Eindruck in jenem Sommer, als lauerte hinter jedem Baum und jeder Straßenecke ein schreiender Schädel oder ein großäugiger gestaltwandelnder Alb. Manchmal, wenn ich in meinem Bett in der Fasanenstraße schweißdurchnässt aus dem Schlaf hochschrak, fühlte ich mich, als hätte ich einen Dämonen auf der Brust sitzen, der mir die Luft abdrückte. In meiner Hast, Atem zu schöpfen und mich zu überzeugen, dass ich noch am Leben war, hörte ich mich oft aufschreien und um die säuerliche Luft ringen, die ich im Verlauf des Tages ausgeatmet hatte - der Zeit, während der ich für gewöhnlich schlief. Dann steckte ich mir üblicherweise eine Zigarette an mit der Gier von jemandem, der den Tabaksqualm brauchte, um ein wenig bequemer atmen zu können und den omnipräsenten Geschmack von Massenmord und menschlichem Niedergang zu verdrängen, der in meinem Mund saß wie ein alter verrotteter Zahn.

Der Sommersonnenschein brachte keine Freude. Er schien im Gegenteil einen nachteiligen Effekt zu haben und die Berliner gereizt zu machen - wegen der kochenden Hitze, weil es nichts außer Wasser zu trinken gab und weil sie sich ständig daran erinnert fühlten, wie viel heißer es wohl war in den trockenen Steppen von Russland und der Ukraine, wo unsere Jungs eine Schlacht kämpften, die allmählich aussah, als hätten wir den Mund zu voll genommen. Die späte Nachmittagssonne warf lange Schatten in den Straßen zwischen den Mietskasernen um den Alexanderplatz herum und spielte den Augen Streiche, und die Phosphene auf den Retinae - die Nachwirkungen des gnadenlos hellen Lichts - schienen sich in grünliche Auren zahlloser Toter zu verwandeln. Ich gehörte in die Schatten, da fühlte ich mich wohl wie eine alte Spinne, die einfach nur in Ruhe gelassen werden möchte. Nur, dass es keine wirkliche Hoffnung auf Ruhe gab. Es zahlte sich stets aus, vorsichtig zu sein - worin alle Übung hatten in Deutschland. Früher war ich ein guter Detektiv bei der Kripo gewesen, das war allerdings eine Weile her - bevor die Kriminellen angefangen hatten, schicke graue Uniformen zu tragen, und bevor nahezu jeder, der eingesperrt wurde, unschuldig war. Im Berlin des Jahres 1942 Polizist zu sein war ungefähr so, als würde man in einem Käfig voller Tiger Mausefallen aufstellen.

Auf Heydrichs Anweisung arbeitete ich nachts im Polizeipräsidium am Alex, was mir durchaus gelegen kam. Es gab keine nennenswerte Polizeiarbeit zu leisten, und ich hatte wenig bis keine Lust auf die Gesellschaft meiner Nazi-Kollegen oder ihre kaltherzigen Unterhaltungen. Die Mordkommission - oder das, was von ihr übriggeblieben war - überließ mich ganz mir selbst, wie einen vergessenen Gefangenen, dessen Gesicht für jeden den Tod bedeutete, der unvorsichtig genug war, einen Blick darauf zu erhaschen. Ich war nicht allzu unglücklich darüber. Anders als in Hamburg und Bremen gab es keine nennenswerten nächtlichen Bombenangriffe, weswegen die Stadt nach Anbruch der Dunkelheit in düsterer Ruhe versank, so ganz anders als das Berlin der Weimarer Jahre, das die lauteste und aufregendste Stadt der Welt gewesen war. All die Neonlichter, all der Jazz und insbesondere all die Freiheit, als nichts geheim gehalten werden musste und niemand verbergen musste, was oder wer er war - es war schwer zu glauben, dass die Dinge einmal so liberal gewesen waren. Das Weimarer Berlin hatte mir definitiv mehr gelegen. Die Weimarer Republik war die demokratischste aller Demokratien gewesen und zugleich - wie alle großartigen Demokratien - ein wenig außer Kontrolle. Vor 1933 war alles erlaubt gewesen, denn die wahre Natur der Demokratie besteht, wie Sokrates am eigenen Leib erfahren musste, darin, Korruption und Exzesse in all ihren Formen zu unterstützen. Die Korruption und die Exzesse von Weimar waren immer noch den biblischen Ungeheuerlichkeiten vorzuziehen, die heutzutage unter dem Namen «Nürnberger Gesetze» das Land knechteten. Ich glaube, mir war nie bewusst, was der Ausdruck Todsünde tatsächlich bedeutet, bis ich in Nazideutschland lebte.

Manchmal, wenn ich nachts aus dem Fenster meines Büros starrte, erblickte ich mein eigenes Spiegelbild, das zu mir zurückstarrte - ich selbst, nur irgendwie anders, wie eine schlechte Kopie meiner selbst, ein dunkleres Alter Ego, ein böser Zwilling oder vielleicht ein Todesbote. Hin und wieder konnte ich dieses geisterhaft bleiche Double spöttisch zu mir reden hören: «Sag mir, Gunther, was musst du heute tun und in wessen Arsch musst du heute kriechen, um deine elende Haut zu retten?»

Es war eine berechtigte Frage.

Von meinem Büro-Adlerhorst im östlichen Eckturm des Polizeipräsidiums hörte ich oft das Geräusch der Dampfzüge, die in den Bahnhof am Alex einliefen oder ihn verließen. Man konnte gerade so eben das Dach - zumindest das, was davon übrig war - der alten orthodoxen Synagoge in der Kaiserstraße sehen, die, soweit ich weiß, schon vor dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870 dort gestanden hatte und eine der größten Synagogen in Deutschland gewesen war, mit Raum für mehr als eintausendachthundert Gläubige. Juden, genauer gesagt. Die Synagoge in der Kaiserstraße lag in einem Revier, in dem ich als junger Schupo in den Zwanzigern Streife gelaufen war. Manchmal unterhielt ich mich mit einigen der Jungen, die in die jüdische Knabenschule gingen und die regelmäßig zum Bahnhof kamen, um die Züge anzusehen. Einmal sah mich ein uniformierter Kollege dabei. «Was finden Sie bloß daran, sich mit diesen Juden zu unterhalten?», wollte er von mir wissen. Ich hatte ihm geantwortet, sie seien nur Kinder, und wir hätten über die gleichen Dinge geredet, über die man mit allen Kindern so redet. Das war, bevor ich herausfand, dass ich selbst eine Spur jüdischen Blutes in den Adern hatte. Vielleicht erklärt das, warum ich nett zu ihnen war. Ich ziehe allerdings vor zu glauben, dass es überhaupt nichts erklärte.

Es war eine Weile her, seit ich jüdische Jungen auf der Kaiserstraße gesehen hatte. Seit Juni hatten die Nazis damit begonnen, die Berliner Juden aus einem Transitlager in der Großen Hamburger Straße an unbekannte Orte im Osten zu deportieren. Bald darauf wurde öffentlich, dass diese Orte finaler waren als irgendein nebulöser Punkt auf der Landkarte. Die meisten Deportationen fanden nachts statt, wenn niemand zugegen war, der dabei zusehen konnte, doch eines Morgens gegen fünf Uhr, als ich einem Bagatelldiebstahl am Anhalter Bahnhof nachging, sah ich, wie ungefähr fünfzig ältere Juden in den geschlossenen Waggon eines wartenden Zuges verladen wurden. Sie sahen aus wie etwas, das Pieter Brueghel in einer Zeit hätte gemalt haben können, als Europa ein noch barbarischerer Ort gewesen war als heute - als Könige und Kaiser ihre schwarzen Verbrechen ungeniert im hellen Tageslicht begangen hatten und nicht zu nachtschlafender Zeit, wenn niemand da war, um sie zu beobachten. Die Waggons sahen halbwegs unschuldig aus, doch ich hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine ziemlich gute Vorstellung davon, was mit diesen Juden passieren würde. Ich nehme an, ich wusste mehr als sie selbst. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie sonst jemals freiwillig an Bord dieser Züge gegangen wären.

Ein alter Berliner Schupo wollte mich zum Weitergehen auffordern, als ich ihm meine Marke zeigte und ihn darüber informierte, was er mich konnte.

«Verzeihung, Herr Kommissar», sagte er und salutierte schneidig. «Ich wusste nicht, dass Sie zum RSHA gehören.»

«Wohin wird diese Charge gebracht?», hörte ich mich fragen.

«Irgendwo nach Böhmen. Theresienstadt, glaube ich. Sie haben Mitleid für die da, stimmt´s, Herr Kommissar? Aber ich schätze, es ist besser für die und für uns, ehrlich. Ich meine uns Deutsche. Die haben dort ein besseres Leben, unter ihresgleichen, in einer eigenen neuen Stadt, oder nicht?»

«Nein, nicht in Theresienstadt, bestimmt nicht», informierte ich ihn. «Ich bin gerade aus Böhmen zurück.» Und dann erzählte ich ihm alles, was ich darüber wusste, und noch ein wenig mehr, über das, was in Russland und der Ukraine geschah. Der Ausdruck von Entsetzen...
mehr

Autor

Philip Kerr wurde 1956 in Edinburgh geboren. 1989 erschien sein erster Roman «Feuer in Berlin». Aus dem Debüt entwickelte sich die Serie um den Privatdetektiv Bernhard Gunther. Für Band 6, «Die Adlon-Verschwörung», gewann Philip Kerr den weltweit höchstdotierten Krimipreis der spanischen Mediengruppe RBA und den renommierten Ellis-Peters-Award. Kerr lebte in London, wo er 2018 verstarb.Axel Merz, geboren 1957, Studium der Archäologie und der Naturwissenschaften, Übersetzer von u. a. Dan Brown, Lincoln Child sowie Philip Kerr. Lebt mit seiner Frau zurückgezogen bei Bonn und Heidelberg