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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
240 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am10.09.2018
Was geschieht, wenn das Gleichgewicht aus den Fugen gerät? Dieser Frage widmet sich Matias Faldbakken in seinem neuen Roman. Den Rahmen bildet ein altmodisches Restaurant namens The Hills, dessen Ursprünge bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Ein Pianist sorgt für ruhige Hintergrundmusik, die Einrichtung ist klassisch, gediegen. Der Leser wird in ein eigenes Universum eingeführt. Chef, Koch, Kellner: Die Hierarchien sind klar verteilt. Es herrscht eine Mischung aus strikten Routinen und hochsensiblen Umgangsformen. All das gerät ins Wanken, als eine unbekannte Frau ins Lokal kommt. Wer ist die Frau? Was will sie? Nicht nur der Kellner, sondern auch die Stammgäste geraten in Aufruhr.

Matias Faldbakken, 1973 geboren, lebt als bildender Künstler in Oslo. 2003 erschien sein aufsehenerregender Debütroman »The Cocka Hola Company«, der Auftakt der Skandinavische-Misanthropen-Trilogie, die mit »Macht und Rebel« und »Unfun« komplettiert wurde. Bühnenfassungen aller drei Romane wurden an diversen deutschen Theatern aufgeführt. Faldbakken gilt zudem als einer der bedeutendsten Gegenwartskünstler Skandinaviens. Seine Werke werden weltweit in den führenden Galerien ausgestellt. Nach längerer Schreibpause erschienen 2017 und 2020 die Romane »The Hills« und »Wir sind fünf«, die von Publikum und Presse gefeiert wurden.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextWas geschieht, wenn das Gleichgewicht aus den Fugen gerät? Dieser Frage widmet sich Matias Faldbakken in seinem neuen Roman. Den Rahmen bildet ein altmodisches Restaurant namens The Hills, dessen Ursprünge bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Ein Pianist sorgt für ruhige Hintergrundmusik, die Einrichtung ist klassisch, gediegen. Der Leser wird in ein eigenes Universum eingeführt. Chef, Koch, Kellner: Die Hierarchien sind klar verteilt. Es herrscht eine Mischung aus strikten Routinen und hochsensiblen Umgangsformen. All das gerät ins Wanken, als eine unbekannte Frau ins Lokal kommt. Wer ist die Frau? Was will sie? Nicht nur der Kellner, sondern auch die Stammgäste geraten in Aufruhr.

Matias Faldbakken, 1973 geboren, lebt als bildender Künstler in Oslo. 2003 erschien sein aufsehenerregender Debütroman »The Cocka Hola Company«, der Auftakt der Skandinavische-Misanthropen-Trilogie, die mit »Macht und Rebel« und »Unfun« komplettiert wurde. Bühnenfassungen aller drei Romane wurden an diversen deutschen Theatern aufgeführt. Faldbakken gilt zudem als einer der bedeutendsten Gegenwartskünstler Skandinaviens. Seine Werke werden weltweit in den führenden Galerien ausgestellt. Nach längerer Schreibpause erschienen 2017 und 2020 die Romane »The Hills« und »Wir sind fünf«, die von Publikum und Presse gefeiert wurden.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641230210
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum10.09.2018
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2617 Kbytes
Artikel-Nr.3400185
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


JUNGE FRAU

Die Nachzüglerin ist noch nicht da, als ich dem Schwein das Essen serviere.

»Wären Sie so nett und würden mal nachsehen, ob unsere Bekannte draußen an der Garderobe gesichtet worden ist? Es ist ein junges Mädchen ... eine junge Frau«, sagt er leise.

»Natürlich«, sage ich.

Das Schwein holt sein Telefon hervor und zeigt mir ein Foto des Mädchens. Was für eine Geschmacklosigkeit ist das denn? Ganz untypisch für das Schwein. Vor der Garderobe hat sich eine kleine Schlange gebildet. Alles ältere Männer. Ich weiß nicht, nach wem ich suche, aber die Beschreibung »jung« und »Mädchen ... Frau« passt hier auf niemand. Der alte Pedersen nimmt Herrenjacke nach Herrenjacke entgegen.

»Ist einer von Ihnen mit Graham verabredet?«, frage ich laut. Vier der Anwesenden reagieren nicht, einer schüttelt leicht den Kopf. Ich frage Pedersen, aber er hat niemanden gesehen. Ich gehe hinaus auf die Straße und blicke erst hinauf zur Tramhaltestelle, dann hinab in Richtung Parlament. Mein Blick streift das sogenannte Tanzloch, eine kleine Mulde im Asphalt, in die die Witwe Knipschild einmal getreten ist. Sie wankte und musste einen riesigen Schritt machen, um nicht hinzufallen. Zugleich schwang sie die Arme von einer Seite zur anderen, sodass das Ganze einer Art Razzle-Dazzle ähnelte, daher der Name »Tanzloch«; alle Kellner sahen es. Es ist Ende November, und obwohl es ein herrlicher Tag ist, kann ich das nicht richtig aufnehmen. Gewohnheit ist eine Decke, die sich über das Wesen der Dinge legt, wie man so schön sagt. Die Stadt ist farblos, trotz der strahlenden Herbstsonne, immer dieselbe, banal.

»Nichts zu sehen.«

»Hm.«

Das Schwein genehmigt sich einen langsamen Schluck von seinem weißen Burgunder. Blaise lässt ihn nicht aus den Augen.

»Geben Sie Bescheid, wenn ich noch etwas für Sie tun kann«, sage ich.

Im Laufe der dreizehn Jahre, die ich hier schon arbeite, habe ich noch nie erlebt, dass jemand in der Gesellschaft des Schweins ausfällig oder unhöflich wurde, doch nun redet Blaise sehr eindringlich auf das Schwein ein.

Und das Schwein, der nicht in geringster Weise als »nachgiebig« oder »schwach« bezeichnet werden kann, vollführt eine Reihe von entschuldigenden Gesten. Schließlich, um genau 14.22 Uhr, erhebt sich Blaise so ruckartig, dass der Stuhl quietscht, wirft seine Leinenserviette auf den Tisch und stapft mit strammen, geschäftsmännischen Schritten in Richtung Ausgang. Ich blicke zur Barchefin hinüber, um mich zu vergewissern, dass sie es mitbekommen hat - hat sie, wie immer -, bevor ich einen Schritt nach vorn mache und eine Grenze überschreite, indem ich einem leicht aufgewühlten Schwein die Hand zwischen die Schulterblätter lege. Katharina bleibt sitzen und stochert in ihren Nüssen und Kernen, bevor sie ihre Habseligkeiten mechanisch zurück in ihre Handtasche stopft und lautlos aufsteht.

»Ist alles in Ordnung?«

»Freilich«, sagt das Schwein.

»Wünschen Sie noch etwas?«

»Nein, danke. Bringen Sie mir bitte die Rechnung.«

Das Schwein nestelt an einem Geldbündel herum, und Vanessa räumt den Tisch ab, ein wenig zu früh, ein wenig zu hektisch. Keiner der drei hat aufgegessen, und der weiße Burgunder muss weggeschüttet werden, die Flasche mit dem teuren Tropfen ist noch halbvoll. Das übernehme ich, ich schütte gerne weißen Burgunder in die Spüle. Traubensaft von Aloxe-Corton verschwindet in der Kanalisation. Das Schwein bleibt sitzen, die eine weiche Hand auf der anderen, während er darauf wartet, dass ich mit dem Wechselgeld zurückkomme, das er mir ohnehin wieder zurückgeben wird, aber ich lasse ihn das kleine Ritual ausführen, bei dem er mir die Schale mit den Münzen zuschiebt und sagt: »Das ist für Sie.« Woraufhin ich mich herzlichst für das Trinkgeld bedanke, von dem sich der Kellner traditionell nach dem Ende seiner Schicht etwas zu trinken kaufen kann. Aber ich trinke kaum, und meine Schichten enden auch nicht. Das Schwein schüttelt ein Hosenbein herab und verlässt das Lokal mit einem leicht windschiefen Rücken.

»Kommt nicht jeden Tag vor, dass das Schwein versetzt wird«, sagt die Barchefin.

»Das kannst du laut sagen«, sage ich.

Wie bestellt kommt der Maître D´. Beim kleinsten Anzeichen von Ärger ist er sofort zur Stelle. »Was ist los?«, fragt er. Jetzt wird er schnüffeln. Er muss stets die Kontrolle behalten. Er denkt, dass ihm das Restaurant gehört, vielleicht, weil sein Vater hier auch Maître D´ war, und zuvor dessen Vater. Ich sage ihm, wie es ist, mit neutraler Miene, nämlich, dass ich mir nicht sicher bin. Er blickt mich lange und eingehend an, dann bringt er, wie er das oft tut, sein großes Gesicht langsam näher an meines heran. In der Regel ist ein Kindergesicht eine reine, runde Oberfläche mit den symbolträchtigen Zügen von Augen und Mund. Augen und Mund stechen in einem Kindergesicht hervor. Die Augen und der Mund können die Quelle faszinierender Schönheit sein, sie sind ein Mittel der Kommunikation, man kann Unsicherheit, Freude und Trauer an ihnen ablesen. Mit dem Alter wird das Gesicht immer mehr vom Gesicht selbst dominiert. Augen und Mund werden vom Gesicht selbst in den Hintergrund gedrängt. Das Gesicht des Maître D´ ist ein schlagendes Beispiel für diesen »Triumph des Gesichts«. Seine Augen, die sicher einmal glänzend und hell waren, sind nicht nur eingesunken und blass, sie sind auch merkwürdig klein im Verhältnis zur gesamten Gesichtsfläche. Die Tränensäcke haben ebenso viel Aussagekraft wie die Augen. Seine Augen und sein Mund, die, als er jünger war, für den Großteil seiner Ausdrucksfähigkeit verantwortlich waren, leisten jetzt nur noch einen minimalen Beitrag dazu, was in seinem Gesicht »vor sich geht«. Sein Mund, einst prall, potent und weich, ist nun stramm, lippenlos, umgeben von vertikalen Falten, es sieht aus, als bliese er ständig auf einer Querflöte. Was von den »Lippen« noch übrig ist, dient inzwischen im besten Fall als eine Art Vorhang vor den gelblichen Zähnen. Sein Gesicht hat viel Stirn, Kiefer und Kinn, mit Gruben, Poren und Furchen, raue und glatte Bereiche, fettige Flächen, eine Unmenge an Schattierungen und Farbnuancen, kleine Netze aus geplatzten Blutgefäßen und Abnutzungserscheinungen von langjährigem Rasieren, dem Auftragen von Aftershave und seinem Alkoholkonsum. So manche Mimik und Grimasse hat sich verfestigt, und es ist keine Kunst, von außen zu erkennen, was in ihm vorgeht, ganz egal, wie »zugeknöpft« er ist.

»Glück und Unglück leben Seite an Seite«, sagt er.

Nun habe ich nicht allzu viel zu sagen, was das Thema »Gesichter« betrifft. Wenn ich mich meinen Problemen von Angesicht zu Angesicht stellen möchte, um es mal so auszudrücken, muss ich nur in den Spiegel gucken. Es ist, als wäre mein Gesicht ein Abdruck aller Sorgen, die sich in mir im Laufe der Jahre angesammelt haben, die Sorgen sind die Gussform meines Gesichts. Ich verspüre oft eine Anspannung und weiß, was sie mit meinem Gesicht anstellt: Gewebe und Unterhautfett werden von den Sorgen ausgedörrt. Ich fühle, dass die Mundwinkel nach unten gezogen werden. Ein Ziehen im Gesicht, das habe ich. Ich spüre, wie die Gefühle an meinem Gesicht ziehen und zerren. Wie ist das möglich? Dass ein Alkoholproblem ein Gesicht auszehren und ruinieren kann, ist verständlich; dass die Blutgefäße und Poren vom Alkohol geweitet werden, ist logisch, dies kann man im Gesichtsdrama des Maître D´ verfolgen. Aber dass Emotionen ein Gesicht zerstören können, das erscheint ungerecht. Wer Nerven hat, bekommt ein sogenanntes Nervengesicht. Wozu soll das gut sein? Ist das Gesicht eine Art Marionette der Nerven? Dass man mit dem Gesicht kommuniziert, ist offensichtlich. Aber wenn man versucht, seine Nerven mit einem Pokerface zu verbergen, und dennoch ein Nervengesicht hat, was für einen Zweck hat das dann? Was für eine evolutionäre Sackgasse ist das? Man hilft einem Kind, wenn es weint, aber man schützt das Kind, wenn das Nervengesicht den Raum betritt. Niemand kommt einem Nervengesicht zu Hilfe.

Manchmal, sagt die Barchefin, geht der Maître D´ nach hinten und schmiert sich Creme ins Gesicht. Daher der Glanz. Ich muss grinsen. Er verbirgt es gut, aber ich höre, wie er sich eincremt, sagt die Barchefin. Darüber können wir kichern, die Barchefin und ich. Hörbares Eincremen. Aber davon, sagt die Barchefin, dürfen beispielsweise Sellers und seine Truppe nichts erfahren. Aus solchen Details können sie eine ganze Architektur des Spotts errichten.

***

Kurz nach drei Uhr kommt eine junge Frau durch den Filzvorhang am Eingang. Sie marschiert geradewegs zu mir und fragt nach Graham, will sagen, dem Schwein. Ihre Stimme ist zugleich sanft und scharf und schafft es, mir eine Reihe von Bestätigungen zu entlocken. Ist Graham schon gegangen? Ja. War er mit anderen Gästen hier? Ja. War ein etwas älterer Herr darunter? In der Tat.

Die junge Frau ähnelt derjenigen auf dem Foto, ich verspüre ein leichtes Déjà-vu-Gefühl. Sie ist so dick, oder besser gesagt, dünn wie ein Lifestyle-Magazin. Ihre Selbstsicherheit und die natürliche Ausstrahlung könnte man leicht mit Intelligenz verwechseln, vielleicht handelt es sich ja auch um Intelligenz. Sie sieht aus wie die Ausschweifung, die sich als Askese verkleidet hat. Es mag vielleicht haarsträubend klingen, man möge mir verzeihen, aber mir drängt sich der Eindruck auf, dass eine solche Frau das Produkt von Misogynie ist - und das meine ich positiv.

Ohne jetzt einen abgehobenen Vergleich ziehen zu wollen, aber wenn man mit Mathias Stoltenbergs Porträt der fünfzehnjährigen Elise Tvede vertraut...

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Autor

Matias Faldbakken, 1973 geboren, lebt als bildender Künstler in Oslo. 2003 erschien sein aufsehenerregender Debütroman »The Cocka Hola Company«, der Auftakt der Skandinavische-Misanthropen-Trilogie, die mit »Macht und Rebel« und »Unfun« komplettiert wurde. Bühnenfassungen aller drei Romane wurden an diversen deutschen Theatern aufgeführt. Faldbakken gilt zudem als einer der bedeutendsten Gegenwartskünstler Skandinaviens. Seine Werke werden weltweit in den führenden Galerien ausgestellt. Nach längerer Schreibpause erschienen 2017 und 2020 die Romane »The Hills« und »Wir sind fünf«, die von Publikum und Presse gefeiert wurden.