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Zum Glück gibt's Rentner

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
349 Seiten
Deutsch
Bastei Lübbeerschienen am31.07.20191. Aufl. 2019
Nächster Halt: Rügen. Lena ist erleichtert. Bald wird sie die »Villa Glück« erreichen. Dort, in der Klinik für Sinnsuchende und Orientierungslose, soll ihr unbekannter Vater gelebt haben oder noch leben. Lena hofft inständig, dass ihr Vater »normal« ist, vielleicht ein Mitarbeiter der Klinik, denn ihre zukünftigen Schwiegereltern machen ihr wegen ihrer exaltierten Mutter schon genug Vorwürfe. Die Suche gestaltet sich zunächst schwierig, doch Hilfe kommt von unerwarteter Seite, und mehr als einmal muss sie eingestehen: Zum Glück gibt's Rentner ...


Ellen Jacobi, am Niederrhein geboren, entdeckte als Tochter einer Bibliothekarin und Märchenbuchsammlerin früh ihre Liebe zu Büchern und zum Geschichtenerzählen. Nach ihrem Literatur- und Anglistikstudium arbeitete sie u. a. als Reiseleiterin in England. In Deutschland war sie als Redakteurin für Tageszeitungen und Magazine tätig. Heute lebt sie mit ihrer Tochter in Köln.
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Produkt

KlappentextNächster Halt: Rügen. Lena ist erleichtert. Bald wird sie die »Villa Glück« erreichen. Dort, in der Klinik für Sinnsuchende und Orientierungslose, soll ihr unbekannter Vater gelebt haben oder noch leben. Lena hofft inständig, dass ihr Vater »normal« ist, vielleicht ein Mitarbeiter der Klinik, denn ihre zukünftigen Schwiegereltern machen ihr wegen ihrer exaltierten Mutter schon genug Vorwürfe. Die Suche gestaltet sich zunächst schwierig, doch Hilfe kommt von unerwarteter Seite, und mehr als einmal muss sie eingestehen: Zum Glück gibt's Rentner ...


Ellen Jacobi, am Niederrhein geboren, entdeckte als Tochter einer Bibliothekarin und Märchenbuchsammlerin früh ihre Liebe zu Büchern und zum Geschichtenerzählen. Nach ihrem Literatur- und Anglistikstudium arbeitete sie u. a. als Reiseleiterin in England. In Deutschland war sie als Redakteurin für Tageszeitungen und Magazine tätig. Heute lebt sie mit ihrer Tochter in Köln.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783732572519
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum31.07.2019
Auflage1. Aufl. 2019
Seiten349 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.4102529
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1.

»Guten Tag, meine Damen und Herren. Im Namen der Deutschen Bahn heiße ich alle in Stralsund zugestiegenen Fahrgäste willkommen an Bord des ICE München-Ostseebad Binz. Unser nächster Halt ist Bergen auf Rügen.«

Lena Pischkale hebt erwartungsvoll den Blick und lenkt ihn über ihren mit Dauertelefonaten befassten Sitznachbarn, einen Geschäftsmann vom Typ »Ich-bin-wichtig«, hinweg zum Abteilfenster.

Endlich Rügen! Na ja, noch nicht ganz. Der ICE schlängelt sich im Schneckentempo durch Stralsunds Bahngelände und stoppt abrupt mit Blick auf ausrangierte Güterwaggons und zwei zerfallende Backsteinschuppen, die noch aus Kaisers Zeiten stammen. Damals, als die deutsche Bahn noch pünktlich war, denkt Lena mit leisem Grimm.

Erneut knackt das Mikrofon. Der Zugbegleiter meldet sich mit einem Räuspern, das verlegen klingt. Lena und ihre beiden Mitreisenden im Viererabteil erster Klasse spitzen schicksalsergeben die Ohren. Der Mann musste sich seit Berlin Gesundbrunnen bereits mehrfach für seinen Arbeitgeber, Baustellen, eingleisige Streckenführung, den Ausfall der Stromversorgung im Bordbistro und damit jeglicher Verpflegung sowie für verpasste Verbindungen entschuldigen.

»Verehrte Fahrgäste. Leider befindet sich noch ein verspäteter Regionalexpress vor uns auf dem Gleis. Daher wird sich unsere Weiterfahrt etwas verzögern, wir bitten um Ihr Verständnis.«

Nach unglaublichen sieben Stunden Gesamtfahrtzeit ist das ziemlich viel verlangt, findet Lena. So lange ist sie von Hamburg aus dank Zugausfällen, Umleitungen und zweimaligem Umsteigen mit Wartezeiten unterwegs. Auf einer Strecke, für die sie mit dem Auto maximal dreieinhalb Stunden benötigt hätte. Sei s drum, muntert sie sich als leidgeprüfte Weltenbummlerin auf, laut Fahrplan trennen sie nun nur noch dreiundzwanzig Minuten von Bergen, von ihrem Kurzzeit-Job als Hausdame der Privatklinik Villa Glück und dem womöglich größten Abenteuer ihres Lebens. Was etwas heißen will.

Mit ihren 28 Jahren hat Lena als begehrte Housekeeping-Managerin für gehobene Kreise schon einige erlebt, und das rund um den Erdball. Meist angenehme, finanziell äußerst lohnende Abenteuer. Was diesmal beides mehr als fraglich ist. Lenas Atem geht unwillkürlich rascher, ihr Blick gleitet auf der Suche nach Ablenkung erneut zum Abteilfenster. Draußen herrschen Nieselregen, trüber Himmel und kühle zehn Grad, wie ihr Smartphone verrät. Der April gibt auf seinen letzten Metern das Beste. Hinter Greifswald hat es Taubeneier aus Eis gehagelt.

Egal, sie fährt ja nicht hierher, um Ferien zu machen.

Lenas Herzschlag verfällt in Galopp vor Aufregung und ein wenig auch vor Angst. Nackter Angst. Das gesteht sie, die gewöhnlich Unerschrockene, sich ein. Immerhin hängt viel von dieser Reise ab. Vielleicht ihr ganzes Lebensglück.

Nicht beruflich, nein, ihre vor einem Jahr gegründete Hamburger Butler-Schule und Personalagentur läuft hervorragend, sondern privat. Ihre für Ende Mai geplante Hochzeit steht infrage. Ob sie je stattfinden kann? Was, wenn sie auf Rügen und in der Villa Glück herausfindet, dass â¦

Halt!, verordnet Lena sich einen rigorosen Gedankenstopp. Sie hasst Melodramatik genauso wie unnütze Grübelei und versteht sich auf die unter Vertretern der Generation Selfie, Twitter, Facebook selten gewordene Kunst, Zurückhaltung und Haltung in allen Lebenslagen zu wahren. Selbstentblößung ist ihr ein Gräuel.

Sie hat gelernt, kühl und überlegt zu handeln, ihre Gefühle stets zu zügeln und selten zu zeigen. Schon gar nicht gegenüber ihren meist anspruchsvollen Auftraggebern, die häufig zum Gegenteil neigen. In ihrer Profession sind Diskretion und emotionale Abstinenz von ebenso entscheidender Bedeutung wie Effizienz, eine makellose Erscheinung und erstklassige altmodische Manieren. Zum Glück kommt all dies ihrem Naturell entgegen. Selbstschutz und ein innerer Sperrbezirk, der niemanden etwas angeht, sind ihr heilig, seit sie denken kann.

Also, keine Panik!

Noch weiß sie schließlich nichts, rein gar nichts, was gegen ihre Heirat mit Karsten von Amelong sprechen könnte - außer dessen hochnäsigen Eltern. Hamburger Bankiers und Pfeffersäcke der ersten Stunde, mit einer Ahnengalerie, die bis in die Hansezeit zurückreicht, die mit Adelsnamen glänzt und Thomas Manns Buddenbrooks arm aussehen ließe, aber das ist ein eigenes Kapitel. Sie will ja nicht die Eltern oder die Ahnengalerie heiraten, sondern Karsten. Und er sie. Noch.

Erneutes Herzgalopp. Ruhig, nur ruhig. Karsten ist anders. Falls sie auf Rügen etwas Störendes über ihre Herkunft herausfinden sollte, wird sie das in Ordnung bringen. Nur gut, dass sie eine vierzehntägige Auszeit mit Karsten vereinbart hat, vorgeblich, um sich ganz auf den neuen Job zu konzentrieren. Tatsächlich aber, um wichtige Erkenntnisse zu erlangen und dann zu entscheiden, was zu tun ist. Wenn es hart auf hart kommt, wird sie einfach alles verschweigen. Karsten gegenüber, seinen Eltern - denen vor allem - und dem Rest der Welt. Punkt.

Verschweigen?, fragt empört ihr Gewissen nach.

Warum nicht?, fragt Lena, die Energische, stumm zurück.

Weil du dich nicht ein Leben lang verstellen und deine Wurzeln verleugnen kannst.

Oh doch, ich kann.

Damit wirst du nicht glücklich.

Ach, Klappe!

Dankenswerterweise reißt der Geschäftsmann am Fenster Lena aus ihrem unerfreulichen Selbstgespräch.

»Hier noch mal Sellmann«, bellt der leicht übergewichtige Endfünfziger in edlem Businesszwirn von Boss ins Telefon. »Senden Sie mir umgehend die korrigierten Quartalszahlen als PDF, Frau Kienbaum, und denken Sie an die Abmahnung ans Labor wegen der Rückrufaktion von Dog s Choice Gourmetdinner Reh. Ich erwarte eine schriftliche Stellungnahme zu den übersehenen Schrotresten im Futter. Es handelt sich immerhin um unsere Premium-Marke! Setzen Sie den Vorstand in CC. Und natürlich Gernot Schaffer â¦ Wie? Ja, ich weiß, dass er mit Gattin in Tibet weilt, aber er ist und bleibt der Firmengründer. Noch was, Berlingers Präsentation seiner neuen Frettchen-Food-Linie darf keinesfalls ohne mich stattfinden, ich habe da entscheidende Optimierungsimpulse â¦«

Auf die bedauernswerte Frau Kienbaum, bei der es sich um Herrn »Wichtig« Sellmanns Sekretärin - pardon: persönliche Assistentin oder in feinstem Denglisch seinen Executive Assistant - handeln muss, prasseln mit wenigen Unterbrechungen seit Berlin Aufträge nieder. Und das auch noch an einem Samstag.

Lena fragt sich, wann die Arme Gelegenheit finden soll, sie zu erfüllen, wenn ihr hyperaktiver Chef aus der Hölle sie unablässig mit Anrufen bombardiert. Hört sich wohl gern befehlen, dieser Herr Wichtig.

Ein anstrengender Mensch, urteilt Lena. Wäre er ihr Auftraggeber, sie würde kündigen. Überdies wirkt sein Auftreten ein wenig lächerlich, wenn man bedenkt, dass sein Geschäftsfeld Haustierfutter ist und er für ein Unternehmen namens FidoFit reist. Falls sie sein Dauergeschwätz richtig verstanden hat, wobei sie bislang bemüht war, so wenig wie möglich davon mitzubekommen.

Genau wie von der zierlichen mausgrauen Mittfünfzigerin auf dem Fensterplatz schräg gegenüber, die wie sie in Berlin zugestiegen ist. Eine Martha Blass. Selten, so findet Lena, hat sie einen Menschen kennengelernt, dessen Aussehen derart vollkommen mit seinem Nachnamen harmoniert, wenn auch nicht mit dem überbordend kontaktfreudigen Wesen von Frau Blass. Kurz hinter Berlin hat sie sich Lena vorgestellt, ihr hart gekochte Eier aus einer Plastebox, eine Käsestulle, Spreegurken sowie Schwärmereien über ihre Heimat Thüringen, das schöne Rügen und eine Unterhaltung zum Thema »Damals in der DDR« angeboten.

Herr Wichtig hat ob der dargereichten Tilsiter-Brote die Nase gerümpft und überdeutlich etwas sehr Verächtliches wie »Und so was in der ersten Klasse« gemurmelt, wobei unklar blieb, ob mit »so was« die Brote oder die ganze Frau Blass gemeint war.

Lena konnte die Käsestullen, den Smalltalk-Überfall und vor allem Martha Blass Fragen nach ihrem Namen und ihrem Woher und Wohin liebenswürdig, aber bestimmt abwenden. Anschließend hat sie sich hinter ihrem Reiseführer verschanzt. Niemand bekommt einfach so Zutritt zu ihren Plänen, Gedanken oder zu ihrem eigentlichen Ich. Lena kraust kurz die Stirn. Außer - in gewissen, notwendigen Grenzen - Karsten und natürlich Tante Gertrud, bei der sie aufgewachsen ist und der selbst sie nichts vormachen kann. Immerhin kennt Tante Gertrud sie noch in Windeln.

Lena verzieht unwillig den Mund. An Gertrud möchte sie momentan ebenso wenig denken wie an die mögliche Gefährdung ihrer Hochzeit. Schon gar nicht an Gertruds vehementen Einspruch gegen diese Rügen-Reise, gegen den Job in der Villa Glück, den sie allein als Tarnung für ein wenig Ahnenforschung angenommen hat, und ihre Vorbehalte gegen Karsten. In ihrer Beziehung, also der zwischen ihr und Tante Gertrud natürlich, herrscht momentan Eiszeit, begleitet von Gertrud als Sturmtief.

Männer, und erst recht Lenas künftigen Ehemann, hält ihre Tante als Urgestein eines sehr verbohrten Feminismus für eine Fehlkonstruktion der Natur. Frei nach einem ihrer angestaubten Lieblingsscherze: »Als Gott Adam schuf, übte sie nur.«

Ha! Ha!

Na endlich. Mit einem Ruck fährt der Zug wieder an, nimmt mit gedrosselter Geschwindigkeit Kurs auf den Rügendamm, der Pommerns Küste...

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Autor

Ellen Jacobi, am Niederrhein geboren, entdeckte als Tochter einer Bibliothekarin und Märchenbuchsammlerin früh ihre Liebe zu Büchern und zum Geschichtenerzählen. Nach ihrem Literatur- und Anglistikstudium arbeitete sie u. a. als Reiseleiterin in England. In Deutschland war sie als Redakteurin für Tageszeitungen und Magazine tätig. Heute lebt sie mit ihrer Tochter in Köln.

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