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Teuflischer Walzer

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
416 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am09.12.2019
Wien, 1904. Der Arzt und Psychoanalytiker Max Liebermann ermittelt in seinem spektakulärsten Fall.
In einer verlassenen Klavierfabrik wird ein Toter gefunden, auf einem Stuhl sitzend, getötet mit einem Kopfschuss - und mit Säure übergossen. Inspektor Reinhardt ruft seinen alten Freund und Freud-Schüler Doktor Max Liebermann zu Hilfe. Ihre Ermittlungen führen die beiden hinter die schillernde Fassade in die Schattenwelt der Fin-de-Siècle Metropole. Spannend, psychologisch tiefgründig und voller Finesse entführt uns der mehrfach preisgekrönte Autor in das faszinierende Wien der Jahrhundertwende.

Frank Tallis ist Schriftsteller und praktizierender klinischer Psychologe. Für seine Romane, vor allem für seine Erfolgsserie um den Psychoanalytiker und Detektiv Max Liebermann, erhielt er zahlreiche Preise, u. a. den »Writers' Award from the Arts Council of Great Britain« und den »New London Writers' Award«. Tallis lebt in London.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextWien, 1904. Der Arzt und Psychoanalytiker Max Liebermann ermittelt in seinem spektakulärsten Fall.
In einer verlassenen Klavierfabrik wird ein Toter gefunden, auf einem Stuhl sitzend, getötet mit einem Kopfschuss - und mit Säure übergossen. Inspektor Reinhardt ruft seinen alten Freund und Freud-Schüler Doktor Max Liebermann zu Hilfe. Ihre Ermittlungen führen die beiden hinter die schillernde Fassade in die Schattenwelt der Fin-de-Siècle Metropole. Spannend, psychologisch tiefgründig und voller Finesse entführt uns der mehrfach preisgekrönte Autor in das faszinierende Wien der Jahrhundertwende.

Frank Tallis ist Schriftsteller und praktizierender klinischer Psychologe. Für seine Romane, vor allem für seine Erfolgsserie um den Psychoanalytiker und Detektiv Max Liebermann, erhielt er zahlreiche Preise, u. a. den »Writers' Award from the Arts Council of Great Britain« und den »New London Writers' Award«. Tallis lebt in London.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641210427
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum09.12.2019
Reihen-Nr.7
Seiten416 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1961 Kbytes
Artikel-Nr.4279701
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

VORSPIEL


Luigi saß an einem Ecktisch in einem kleinen, schäbigen Café und nippte an einer schwarzen, bitteren Flüssigkeit, deren Farbe und Geschmack seine Stimmung mit geradezu unheimlicher Genauigkeit beschrieb. Eine »große Tat« würde es nicht geben. Prinz Henri von Orleans, Anwärter auf den französischen Thron, hatte seine Pläne geändert und würde nicht nach Genf kommen, und das Leben würde weitergehen wie immer, eine Enttäuschung nach der anderen, so wie immer. Warum hatte er gedacht, dass es diesmal anders sein würde? Es war töricht gewesen, so zu denken. Das war sein Schicksal, seine Bestimmung, immer wieder enttäuscht zu werden. Von seiner Mutter im Stich gelassen, hin- und hergeschoben zwischen Findlingsheimen und gemeinnützigen Institutionen; sich abrackern, herumvagabundieren. Nur einmal in seinem Leben hatte er Zufriedenheit erlebt, und das war während seines Dienstes in der Kavallerie in Nordafrika. Von dieser einen Ausnahme abgesehen, war sein Leben ein beständiges Jammertal gewesen. Ihm kam der Gedanke, dass er seine Lage vielleicht verbessern könnte, wenn er nach Italien zurückkehrte. König Umberto sollte leicht zu finden sein. Doch leider hatte Luigi kein Geld für Kutschen oder Züge, und zu Fuß war es zu weit.

Eines Tages würde er sterben, und danach würde es sein, als hätte er nie gelebt. Der Gedanke erfüllte ihn mit kaltem Entsetzen.

Es war noch immer früh, und die anderen Tische waren leer. Der Besitzer, dessen Statur merkwürdig kantig wirkte, zündete eine Öllampe an und hängte sie über die aufgeschlagenen Seiten eines Kontobuchs. Er befeuchtete die Spitze eines Bleistifts mit der Zunge und fing an zu schreiben. Eine struppige Katze sprang auf den Tresen und miaute um Aufmerksamkeit.

Draußen auf dem Pflaster hörte Luigi Schritte und das begleitende Klopfen eines Stocks. Ein Glöckchen läutete, und ein Mann trat ein. Er trug einen langen Rock und hatte das Auftreten eines feinen Herrn. Mit gelassenen Bewegungen nahm er Hut und Handschuhe ab und schaute zu dem Besitzer. Die Katze machte einen Buckel, zischte, sprang vom Tresen und schlitterte in die Dunkelheit, da ihre Krallen auf den Bodendielen keinen Halt fanden. Zwischen dem Fremden und dem Besitzer schien eine mysteriöse Verständigung stattzufinden, denn der Besitzer nickte - als würde er einer Bitte nachkommen - und folgte der Katze in die Küche.

Der Fremde schaute Luigi direkt an. Er war in den Fünfzigern oder frühen Sechzigern, und sein Spitzbart und die Adlernase gaben ihm etwas Teuflisches: Luzifer in der Verkleidung eines alternden Libertins. Er kam gemächlich auf den Ecktisch zu und setzte sich, ohne um Erlaubnis zu fragen, auf einen freien Stuhl. »Nun, mein Freund, ich nehme an, Sie überlegen sich eben, wie es weitergehen soll.« Sein Italienisch hatte einen leichten Akzent.

Luigi zog die Augenbrauen in die Höhe. Er glaubte nicht an Zauberei, aber der Fremde schien seine Gedanken lesen zu können. »Ich kann mich nicht erinnern, dass wir uns vorgestellt wurden. Sie sind ...?«

Der Fremde lächelte, und das langsame Hochziehen der Lippen ließ ihn noch diabolischer wirken. »Ihre Erinnerung ist korrekt.«

»Wer sind Sie dann? Was wollen Sie?«

»Ein paar Minuten Ihrer Zeit - das ist alles.«

Luigi schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, aber ich kenne Sie nicht.« Er erhob sich, doch der Fremde fasste seinen Arm und zog ihn wieder auf den Stuhl.

»Aber ich weiß sehr viel über Sie. Wir haben gemeinsame Freunde.« Der Fremde griff in seine Rocktasche und zog ein paar Münzen heraus, die er über den Tisch schob. »Mir ist bewusst, dass Sie im Augenblick finanzielle Unterstützung benötigen. Nehmen Sie ruhig. Kaufen Sie sich ein anständiges Frühstück.« Luigi griff vorsichtig nach dem Geld.

»Ich verstehe nicht ....«

Draußen rollte mit lautem Klappern ein Karren vorbei.

Der Fremde zog eine Zeitung unter dem Arm hervor und deutete auf einen Artikel. »Als ich noch ein Kind war, sagte ein alter Diener, den ich verehrte, zu mir: Jedes Saatkorn kennt seine Zeit. Lesen Sie das. Sie werden es sehr interessant finden, das verspreche ich Ihnen.« Dann stand der Fremde auf, streifte sich umständlich die Handschuhe über - zog an den Säumen, damit sie auch perfekt passten -, und ging dann gemessenen Schritts zur Tür.

»Einen Augenblick!«, rief Luigi ihm nach.

Der Mann drehte sich nicht um. Er betrachtete sein Spiegelbild, korrigierte den Sitz seines Huts und verließ dann das Café. Als das Glöckchen verstummte, erschien die Stille nervenaufreibend. Luigi schaute sich die Münzen an, weil er befürchtete, er sei eingeschlafen und habe die ganze Episode nur geträumt. Das Gefühl des Metalls war beruhigend. Er senkte den Kopf über die Zeitung und begann zu lesen. In dem Artikel ging es offensichtlich um eine Aristokratin, die in einem der Grandhotels am See residierte.

Der Besitzer kam wieder aus der Küche. »Wer war dieser Mann?«, fragte Luigi.

»Welcher Mann?« erwiderte der Besitzer.

Die Gräfin von Hohenembs stand im Foyer des Hotels Beau-Rivage. Sie spürte, dass der Direktor und sein Assistent sie anstarrten, obwohl sie ihnen den Rücken zukehrte. Es war wie ein sechster Sinn.

Die schönste Frau der Welt zu werden war eine Leistung, die einen eisernen Willen, Charakterfestigkeit, eine stählerne Entschlossenheit und Zielstrebigkeit erforderte. Sie aß vorwiegend Orangen und sehr selten mit Veilchen aromatisiertes Eis. Wenn sie sich stark fühlte, hörte sie ganz auf zu essen. Der Gesellschaftsklatsch behauptete, sie trinke Blut, in Wirklichkeit aber trank sie nur Milch und klare Brühe. Man hatte ihr Ankleidezimmer im Palast mit seinem dicken, toten Teppich, den Brokattapeten und vergoldeten Möbeln in eine Sporthalle verwandelt. Unter dem riesigen Kronleuchter standen ein Barren und ein Klettergerüst. Vom Türsturz hingen Ringe. Manchmal hing sie voll bekleidet an ihnen und hob die Beine, um ihre Bauchmuskeln zu stärken.

Dann war da noch die Sache mit ihrem Teint, dessen Bewahrung Gesichtsmasken aus zerdrückten Erdbeeren oder rohes Kalbfleisch erforderte. Ihre Haare mussten täglich drei Stunden gekämmt und jede zweite Woche mit Cognac und Eigelben gewaschen werden - ein Ritual, das vom Morgen bis zum späten Abend dauerte. Ihre Figur zu halten, die unglaublich schlank war, vor allem bei einer Frau, die bereits vier Kinder geboren hatte, erforderte wahrhaft heroische Entschlossenheit: erstickende Korsetts und Nächte mit in Essig getränkte Bandagen um die Hüfte. Diese extremen Maßnahmen hatten sich als sehr wirkungsvoll erwiesen. Ihre Taille passte in den Ring, den ein durchschnittlich großer Mann mit seinen Fingern formte.

Die Bewahrung ihrer Vorrangstellung hatte ihre Gesundheit geschädigt. Sie litt an Erschöpfung, Kurzatmigkeit, Ohnmachtsanfällen und »Bleichsucht« sowie an Schmerzen wegen Ischialgie, Nervenentzündungen und Rheuma. Spezialisten raunten von Herzgeräuschen. Infolgedessen suchte sie häufig die besten Kurbäder auf, Herkulesbad in den Karpaten, Bad Kissingen in Unterfranken .... Keines davon brachte ihr viel Linderung, und im Lauf der Jahre erkannte sie, dass sie nicht ganz so viele Probleme hatte, wie die Ärzte meinten. Eigentlich hatte sie nur ein einziges Problem, und das war das Vergehen der Zeit. Sie wurde langsam alt.

Was sollte sie tun?

Ihre Antwort war Reisen.

Groß, schwarz gekleidet und wie immer ausgestattet mit einem weißen Schirm, um sich darunter zu verbergen, verzichtete sie auf ihren Hofstaat und wanderte durch die Welt wie ein glanzvoller Geist. Sie entwickelte eine spezielle Vorliebe fürs Meer, weil die Zeit stehenzubleiben schien, wenn sie auf dem Wasser war und so tun konnte, als wäre sie der Fliegende Holländer, ruhelos und unsterblich. So tief war ihre Liebe zum Meer, dass sie sich, wie ein gewöhnlicher Matrose, einen Anker auf die Schulter hatte tätowieren lassen.

Nach all dem Ruhm und den Schmeicheleien, den Porträts und den Photographien sehnte sie sich nach Anonymität. Doch auch noch mit sechzig war sie eine sehr beeindruckende Frau, und das war der Grund, warum der Direktor und sein Assistent noch immer starrten.

Tags zuvor hatte sie die Baronin Rothschild besucht, nicht weil es ihr Wunsch gewesen wäre, sondern als Gefallen für ihre Schwester. Leider war die frühere Königin Maria von Neapel ein wenig von der Familie Rothschild abhängig geworden. Es war eine zweifelhafte Übereinkunft. Als Gegenleistung für die Gesellschaft königlichen Geblüts wurden Mittel zur Verfügung gestellt. Ziemlich geschmacklos. Obwohl die Gräfin das Gespräch mit der Baronin genossen hatte, konnten sie nie wahre Freundinnen sein.

»Wurde das Gepäck schon abgeholt?«, fragte die Gräfin ihre Hofdame.

»Ja«, erwiderte Irma. »Schon vor einer ganzen Weile.«

Sie brachen ein wenig später als beabsichtigt auf. Die Gräfin trat aus der Hotelhalle ins helle Sonnenlicht.

»Was für ein wunderbarer Tag.«

Sie ging mit forschem Tempo los, Irma folgte ein paar Schritte hinter ihr.

Auf der Promenade konnte sie auf den funkelnden See hinausschauen, der umgeben war von niedrigen Bergen. Der Schornstein eines Dampfschiffs kam in Sicht, und die Aussicht, jetzt gleich eine große Wasserfläche zu überqueren, hob ihre Stimmung. Eine Zeile aus einer Operette kam ihr in den Sinn: »Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.«

Ein Mann duckte sich unter ihren Schirm. Er trug einen billigen, zerschlissenen Hut und schäbige Kleidung. Seine Haut war dunkel - vielleicht ein Italiener? Sie erstarrte und war...

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Autor

Frank Tallis ist Schriftsteller und praktizierender klinischer Psychologe. Für seine Romane, vor allem für seine Erfolgsserie um den Psychoanalytiker und Detektiv Max Liebermann, erhielt er zahlreiche Preise, u. a. den »Writers' Award from the Arts Council of Great Britain« und den »New London Writers' Award«. Tallis lebt in London.