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Weißes Feuer (Darktown 2)

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
480 Seiten
Deutsch
DuMont Buchverlag GmbHerschienen am08.11.20191. Auflage
Atlanta 1950: Auch nach zwei Jahren Dienstzeit wird die Arbeit der ersten schwarzen Polizisten Atlantas täglich von Rassismus bestimmt. Die Cops Lucius Boggs und Tommy Smith haben kaum Befugnisse, und um Ermittlungen durchzuführen, sind sie auf die Hilfe weißer Polizisten angewiesen, die ihre Arbeit aber zumeist durch Schikanen und Willkür behindern. Als schwarze Familien - darunter die von Smiths Schwester - in ein ehemals rein weißes Viertel ziehen, beginnen die Rassenkonflikte in der sich rasant verändernden Stadt zu brodeln. Ein unkontrolliertes Ausbrechen der Gewalt scheint jederzeit möglich. Ausgerechnet in dieser aufgeheizten Atmosphäre werden Boggs und Smith durch eine Festnahme auf die Revierkämpfe zweier Schmugglerbanden aufmerksam. Ihre Ermittlungen führen sie nicht nur zu weißen Drahtziehern, sondern auch ins eigene Umfeld. Bald sind beide persönlich so tief in den Fall verstrickt, dass nicht weniger als ihre moralische Integrität auf dem Spiel steht. Ein hochspannender, vielschichtiger Kriminalroman und zugleich ein atmosphärisch dichtes Gesellschaftsporträt eines gespaltenen Landes, das den Rassismus nie überwunden hat.

Thomas Mullen wurde 1974 in Rhode Island geboren und lebt mittlerweile mit seiner Familie in Atlanta. 2006 erschien sein Debütroman >Die Stadt am Ende der WeltLange NachtDarktown<-Trilogie vor. Bei DuMont sind bereits die ersten
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99
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Produkt

KlappentextAtlanta 1950: Auch nach zwei Jahren Dienstzeit wird die Arbeit der ersten schwarzen Polizisten Atlantas täglich von Rassismus bestimmt. Die Cops Lucius Boggs und Tommy Smith haben kaum Befugnisse, und um Ermittlungen durchzuführen, sind sie auf die Hilfe weißer Polizisten angewiesen, die ihre Arbeit aber zumeist durch Schikanen und Willkür behindern. Als schwarze Familien - darunter die von Smiths Schwester - in ein ehemals rein weißes Viertel ziehen, beginnen die Rassenkonflikte in der sich rasant verändernden Stadt zu brodeln. Ein unkontrolliertes Ausbrechen der Gewalt scheint jederzeit möglich. Ausgerechnet in dieser aufgeheizten Atmosphäre werden Boggs und Smith durch eine Festnahme auf die Revierkämpfe zweier Schmugglerbanden aufmerksam. Ihre Ermittlungen führen sie nicht nur zu weißen Drahtziehern, sondern auch ins eigene Umfeld. Bald sind beide persönlich so tief in den Fall verstrickt, dass nicht weniger als ihre moralische Integrität auf dem Spiel steht. Ein hochspannender, vielschichtiger Kriminalroman und zugleich ein atmosphärisch dichtes Gesellschaftsporträt eines gespaltenen Landes, das den Rassismus nie überwunden hat.

Thomas Mullen wurde 1974 in Rhode Island geboren und lebt mittlerweile mit seiner Familie in Atlanta. 2006 erschien sein Debütroman >Die Stadt am Ende der WeltLange NachtDarktown<-Trilogie vor. Bei DuMont sind bereits die ersten
Details
Weitere ISBN/GTIN9783832184766
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum08.11.2019
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.2
Seiten480 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.4313187
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

PROLOG

DER TUNNEL IST lang und dunkel, und obwohl seine Beine sich bewegen, hat er das Gefühl, von einer unsichtbaren Kraft gezogen zu werden, dann weicht der Tunnel, und er steht allein unter dem riesigen Himmel Georgias. Zu seiner Rechten, vor einem lavendelfarbenen Glühen, wabern indigoblaue Wolkenfetzen, die sich mit dem Sonnenaufgang sicher auflösen werden. Zu seiner Linken Dunkelheit. Hier fühlt er sich bereit zum Aufbruch, auf der Schwelle zwischen Nacht und Tag, auf dem Scheitelpunkt von Sommer und Herbst, denn der Morgen ist so viel kühler als erwartet. Das Hemd, das er trägt, reicht nicht ganz aus, doch zumindest ist es seins, er besitzt es schon seit langer Zeit. Es ist zu dünn, denn es war Sommer, als man ihn damals verhaftete und seine Kleider gegen eine Gefängnisuniform ausgetauscht hatte. So lange her mittlerweile. Er steht da und zittert, begreift, wie riesig der Himmel und wie klein er selbst und wie unglaublich es ist, dass er hier allein steht, und es bilden sich Tränen in seinen Augen.

Er geht langsam, denn seine ersten Schritte als freier Mann sollen kein Hinken sein, obwohl sein rechtes Knie schmerzt, zwei Jahre schon, seit seinem Sturz bei der Brücke. Er weiß, dass seine rechte Schulter ein paar Zentimeter höher steht als die linke, eine Folge der Arbeit in Ketten, das endlose Schwingen der Axt hat seinen Körper verformt.

Er hatte vergessen, wie es sich anfühlt, sich draußen in der Welt zu bewegen, ohne das Gerassel an Hand- und Fußgelenken. Als hätte man ein Geräusch seines Körpers entfernt, als hätte ihm ein Prophet einen Dämon ausgetrieben.

Sein altes Hemd ist zu weit an der dünnen Taille, doch eng an den Armen. Er hat Felsen zertrümmert und Asphalt gegossen, Straßen gebaut, Gräben ausgehoben und Abwasserrohre verlegt. Er hat sogar Stallungen für Geflügel gebaut, sich der Ironie durchaus bewusst, dass er als Gefangener ein Gefängnis für niedere Kreaturen errichtete. Einmal hat er eine über einen Meter lange Strahlennatter getötet, die sich unter dem Laub schlängelte. Muss vorletzten Herbst oder den davor gewesen sein - er hat das Zeitgefühl verloren - als er dem Biest mit der Schaufel eins auf den nicht enden wollenden Hals gegeben hat. Danach hatte er über seine eigenen Reflexe gestaunt und sich gefragt, ob es nicht besser gewesen wäre, die Schlange hätte ihn gebissen, ihm das Gift eingeflößt und ihn innerhalb weniger Stunden aus diesem ganzen Elend erlöst. Es gab Tage und Nächte, in denen er sich wünschte, es wäre so passiert. Doch jetzt ist er anderer Meinung, denn jene Tage und Nächte haben sich verflüchtigt, und er hat überlebt, um Zeuge dieses atemberaubenden Sonnenaufgangs zu werden.

Die Hose ist mit ziemlicher Sicherheit nicht seine. An der Hüfte sitzt sie einigermaßen, doch sie ist fast zehn Zentimeter zu kurz. Sie muss einem anderen Negro-Gefangenen gehört haben, womöglich jemand, der noch die nächsten Jahre einsitzt. Deshalb spürt Jeremiah beim Gehen jetzt die kalte Herbstluft an seinen Fußgelenken.

Er vernimmt die Rufe von Vögeln und das, obwohl der nächste Baum Hunderte Meter entfernt steht. Noch sieht er keine Vögel am Himmel, obwohl es schon heller geworden ist, ein dunkles Blau liegt jetzt im Osten, und das lavendelfarbene Glühen hat sich in den wolkenlosen Westen verzogen. Die Sonne lugt über das flache Land und verleiht Jeremiah einen Schatten, einen recht langen, und mit jedem seiner Schritte wird der gigantische Schatten nur noch länger.

Es gab eine Zeit, als er dachte, er wäre fertig mit Gott. Er gewöhnte sich ab, Gott um seine Freilassung zu bitten, nach konkreten Dingen zu fragen, spezielle Wünsche zu äußern wie den Besuch seiner Liebsten oder wenigstens einen Brief, sondern bat um das nicht Greifbare. Ruhe. Geduld. Die Fähigkeit, den Tag zu überstehen. Mit langsamen Schritten dankt er jetzt dem Gott, von dem er sich eine kurze Zeit lang abgewandt hatte. Dem Gott, der ihn nicht aufgegeben hat. Dem Gott, der Jeremiah so viel Ungerechtigkeit beschert hatte, das in keinem Verhältnis zu seinen Verfehlungen stand, viel mehr als nur eine barsche und willkürliche Lektion, und ihm wie die reinste Boshaftigkeit vorkam. Ist Gott böse?, hatte sich Jeremiah in jenen ersten Wochen im Gefängnis gefragt. Doch seine Zweifel sind verschwunden. Er kann nicht anders als »Danke, Jesus« sagen, laut genug, sodass es jemand gehört hätte, wäre er hier nicht so allein.

Er geht jetzt schneller, der Schock über die riesige Außenwelt klingt nur langsam ab, das verstörende Gefühl des Alleinseins, keine Menschen, die links und rechts an ihm befestigt sind. Und obwohl er nicht weiß, worauf er zugeht, spürt er, dass er dahin muss, schneller, während sein Schatten mit ihm Schritt hält.

Er hat noch nicht mal ein Viertel der breiten Schotterpiste zurückgelegt, die Sohlen seiner alten Schuhe haben kaum sichtbare Spuren im noch nachtfeuchten Boden hinterlassen, als er sich umdreht und einen letzten Blick auf das Gefängnis wirft. Der Kalkstein schimmert weiß im spitzwinkligen Licht der Morgensonne, die amerikanische Flagge und die von Georgia hängen leblos an ihren Masten. Das Gefängnis wirkt stumm aus dieser Entfernung, man hört keine Türöffner, keine Sirenen oder Schreie, nimmt keinerlei Bewegung wahr. Er ist tatsächlich das einzige Lebewesen hier, bis ein plötzliches Zucken seine Aufmerksamkeit auf eine bisher regungslose Silhouette über ihm lenkt. Einer der Wärter mit den Gewehren blickt auf ihn herab.

»Nigger, du beeilst dich mal besser!«

Jeremiah kann nicht anders, als schneller zu gehen, obwohl er sich dafür schämt, obwohl ihm klar ist, dass er frei ist und der Wärter nicht mehr über ihn verfügen kann. Er fühlt sich wie ein Geflüchteter, der nicht weiß, wohin ihn seine Flucht führt.

*

Das Georgia State Prison befindet sich in einem Außenbezirk von Reidsville oder im Zentrum, Jeremiah ist sich nicht sicher. Vielleicht liegt das Problem auch darin, dass ein Ort wie Reidsville kein Zentrum hat, nur aus Außenbezirken besteht, und weil Jeremiah vorher ohnehin noch nie aus Atlanta rausgekommen war, hat er keine Ahnung, wo er ist.

Der Wärter, der ihm seine alte Kleidung und ein paar notariell beglaubigte Schreiben zusammen mit 75 Cents ausgehändigt hatte, hatte ihm den Weg zum Bahnhof beschrieben, doch Jeremiah hat ihn schon wieder vergessen. Es war zu schwer, sich Details wie »nächste rechts«, »dann geradeaus« oder »links halten« zu merken, so unfassbar scheint ihm immer noch seine Freilassung. Er hatte dem Wärter gesagt, dass er zum Bahnhof will, weil seine Familie ihn da abholt, aber das war gelogen, denn seine Mutter und seine Schwester sind 1946 aus Georgia geflohen, und hier wartet niemand mehr auf ihn.

Nein, das stimmt nicht ganz. Es gibt noch sein Mädchen, und obwohl sie schon vor Jahren aufgehört hat, ihm Briefe zu schreiben, gehören die Erinnerungen an ihre Berührungen und ihr Lachen zu den wenigen Dingen, die ihn durchhalten lassen haben. Er hat so oft von ihr geträumt, dass er sich fragt, ob seine Fantasie und seine Sehnsucht sie in seiner Vorstellung verändert haben, ob sie überhaupt so aussieht und klingt. Und doch treibt ihn der Gedanke an sie voran.

Seine Uhr hatte ihm der Wärter natürlich nicht zurückgegeben, also weiß er auch nicht, wie lange er schon marschiert. Lange genug, um sich zu wünschen, man hätte ihm eine Feldflasche mitgegeben.

Zwei Reihen mächtiger Eichen werfen ihren Schatten über die frisch geteerte Straße. Zu beiden Seiten Farmland, Erdnussfelder, Mais und sogar ein bisschen Baumwolle. Er kommt an klapprigen Bretterbuden vorbei, an schiefen Dächern und fehlenden Fensterscheiben, es riecht nach Heckenkirsche und wildem Hanf, er wischt sich mit dem Hemdsärmel den Staub von der Nase, denn selbst ein Taschentuch hat er nicht, nur die 75 Cents in seiner Hose. Er weiß nicht mehr, ob er die 75 Cents bei seiner Verhaftung dabeihatte oder ob sie eine Art staatliches Taschengeld sind.

Es ist Oktober, und die roten Wespen schweben über den Blumen und fliegen über die Straße. Ihm fällt ein, dass die Wespen jedes Jahr um diese Zeit nerven, aber jetzt machen sie ihm nichts aus, sie sind ein weiterer Aspekt eines Lebens, das er fast vergessen hat.

Dann hört er in der Ferne den unverwechselbaren Klang einer Sirene.

Er wird schneller, sein Herzschlag durchdringt jede Faser seines Körpers. Seine Hände zittern, er stolpert beinahe, er kratzt sich an den Wangen, an der Brust und am Hals, als wären da unsichtbare Insekten. Die Sirenen werden lauter. Warum hat er Angst? Die Sirenen können doch nicht ihm gelten. Es klingt, als wären mindestens drei Wagen unterwegs. Das ist eine Gefängnis-Eskorte, sagt er sich, aber die Panik lässt nicht nach.

Die Sirenen verklingen, bis er sich nicht mehr sicher ist, ob er sie noch hört oder sie sich nur eingebildet hat. Vermutlich wird er sie auch im Schlaf noch hören, immer wieder, ein Leben lang.

Er weiß, dass das Gefängnis auf der Negro-Seite der Stadt steht, und als er ein kleines Schindelhaus in der Ferne sieht und den Geruch von Biscuits wahrnimmt, dankt er Jesus erneut, im Vertrauen darauf, dass es sich um ein Lokal handelt, das er betreten darf.

Zwei Autos parken davor. Ein Schild über dem Eingang teilt ihm zwar nicht den Namen des Lokals mit, dafür aber, dass Gott darüber wache, was als Segen gemeint sein kann oder als Warnung für mögliche Einbrecher. Drinnen entpuppt es sich als Mischung aus Café und Lebensmittelladen. Vier Gänge auf der rechten Seite sind voll mit Waren, und links stehen drei kleine Tische und ein Tresen. Eine dünne alte Negro-Frau, mindestens siebzig, und die erste Frau, die er seit Monaten...
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