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Wenn die Musik verklingt

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
304 Seiten
Deutsch
HarperCollinserschienen am24.08.20211. Auflage
In letzter Zeit ist die alte Dame Ella nicht mehr gut beisammen. Sie wird langsam vergesslich. Wie um Himmels willen ist sie zum Beispiel auf dieses Segelboot gekommen? Und wie gelangt sie wieder sicher an Land? Doch Ella ist nicht ganz allein. Ihre Gitarre ist auch an Bord, und damit der Schlüssel zu ihrer Vergangenheit. Die Musik hilft ihr, sich zu sammeln und zu erinnern. Zwar nicht an die jüngsten Geschehnisse, dafür an das London zur wilden Rock'n'Roll-Zeit, als Ella eine blutjunge erfolgreiche Musikerin war. An Freunde, die sie viel zu früh verabschieden musste. Und an Robert, ihre große Liebe.


Joe Heap wurde 1986 geboren und wuchs als Lehrerkind in Bradford auf- Er studierte Englische Literatur sowie Kreatives Schreiben. Heute lebt Joe in Lodon zusammen mit seiner geduldigen Freundin, seinem ungeduldigen Baby und seinder ständig eingeschnappten Katze. Die Welt in allen Farebn ist sein Debütroman.
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Produkt

KlappentextIn letzter Zeit ist die alte Dame Ella nicht mehr gut beisammen. Sie wird langsam vergesslich. Wie um Himmels willen ist sie zum Beispiel auf dieses Segelboot gekommen? Und wie gelangt sie wieder sicher an Land? Doch Ella ist nicht ganz allein. Ihre Gitarre ist auch an Bord, und damit der Schlüssel zu ihrer Vergangenheit. Die Musik hilft ihr, sich zu sammeln und zu erinnern. Zwar nicht an die jüngsten Geschehnisse, dafür an das London zur wilden Rock'n'Roll-Zeit, als Ella eine blutjunge erfolgreiche Musikerin war. An Freunde, die sie viel zu früh verabschieden musste. Und an Robert, ihre große Liebe.


Joe Heap wurde 1986 geboren und wuchs als Lehrerkind in Bradford auf- Er studierte Englische Literatur sowie Kreatives Schreiben. Heute lebt Joe in Lodon zusammen mit seiner geduldigen Freundin, seinem ungeduldigen Baby und seinder ständig eingeschnappten Katze. Die Welt in allen Farebn ist sein Debütroman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783749950737
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum24.08.2021
Auflage1. Auflage
Seiten304 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.5636531
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1
DAS KIND
Der Sturm weckt mich auf. Ich muss eine ganze Weile weg gewesen sein. Das Boot ruckelt wie eine Achterbahn, und das Meer ist laut. Ich blinzele auf die Uhr. Die roten Zahlen sagen, es ist halb zwei nachts, aber ich habe die Uhr nicht gestellt, seit wir losgefahren sind â¦ Wo war das noch mal? Irgendwo anders. Jedenfalls nicht zu Hause. Inzwischen kann ich die Zeit nicht mehr schätzen. Jetzt als alte Schabracke. Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen habe. Ich starre auf die blinkenden Punkte der Uhr: : : : : : :

Jemand hämmert an die Tür.

»Mum? Bist du wach?«

»Abigail?«

Die Tür geht auf. »Ja, Mum, ich bin s. Macht es dir was aus, wenn ich das Licht einschalte?«

»Nein, warum sollte es?«

Das Licht geht an, und da steht Abigail. Sie scheint durcheinander zu sein und hält sich am Türrahmen fest. Das Schlafzimmer neigt sich auf eine Seite.

»Alles in Ordnung?« Abigail wankt herüber und setzt sich auf mein Bett, wie eine Krankenschwester. Früher war sie tatsächlich Krankenschwester. Ihre kastanienbraunen Haare sind ungekämmt, und ich möchte ihr einen Kamm geben.

»Ich wollte nur nachsehen, ob mit dir alles in Ordnung ist.«

»Warum?«

»Wegen des Sturms.«

»Ach, ist er schlimm?«

Abigail seufzt. »Ja, Mum, ziemlich schlimm.«

»Ich brauche keine Hilfe.« Ich schaue meiner Tochter ins Gesicht. Sie hat Sommersprossen, aber keine Falten. Sie ist noch so jung.

»Ich weiß, dass du keine Hilfe brauchst, du sture alte Ziege.«

Ich lege mir die Finger wie Hörner an den Kopf und meckere.

Abigail lacht und küsst mich auf die Stirn. »Ich muss David helfen, das Boot in den Griff zu bekommen, und ich möchte nicht, dass du dir Sorgen machst, wenn du mich nicht finden kannst.«

Ich atme tief durch. »Keine Sorge. Geh. Und gib auf dich acht.«

Je älter ich werde, desto weniger spreche ich. Die Wörter sind alle noch in meinem Kopf, aber ich bekomme sie nicht heraus. Und wenn ich es tue, sind sie falsch. Ich sage »Messer«, wenn ich »Gabel« meine, und »hallo«, wenn ich »tschüss« meine. Ich war Musikerin und machte schon immer lieber Musik, als zu reden. Vielleicht ist das die Strafe der Natur - was du nicht nutzt, verkommt. Die eingesperrten Wörter kochen in meinem Kopf vor sich hin wie in einem Dampfkochtopf. Lange, verschlungene Sätze blubbern hoch. Vermutlich ist mein Gehirn in dieser Metapher ein altes Stück Fleisch, das sich langsam im eigenen Saft auflöst. Ich finde es nicht schön, kann aber nichts dagegen tun. Ich lege Abigail einen Arm um die Schultern und deute eine Umarmung an.

»Bis bald, Mum. Schlaf gut.«

Abigail schaltet das Licht aus und schließt die Tür. Ich lege mich wieder zurecht. Der Sturm da draußen im Dunkeln scheint schlimmer zu werden. Ich spüre, wie er unser Boot hebt und senkt. Aus Gewohnheit zähle ich Dinge auf, an die ich mich erinnern kann.

Ich heiße Ella Campbell.


Ich befinde mich auf einem Boot.


Ich bin auf dem Boot, weil ich Urlaub habe.


Ich mache Urlaub mit Abigail, dem Baby und â¦ und â¦ ihm. Abigail hat gerade seinen Namen genannt, aber ich kann ihn mir einfach nicht merken.


Das Boot gehört »ihm«.


Ich wünschte, ich könnte mich an seinen Namen erinnern. Den Namen des Mannes, der uns mit in den Urlaub genommen hat. Er benutzt viel Rasierwasser und glaubt, dass ich ganz wild auf Haferbrei und Dudelsäcke bin, weil ich aus Glasgow stamme. Das Einzige, was er in Schottland je besucht hat, sind Golfplätze. Er hat dieses Boot gekauft und segelt es nach England zurück. Er ist ein Idiot, aber das sage ich Abigail nicht.

Wieder bricht eine Welle über uns. Das Boot bebt, und mir wird übel. Wenn es nicht so dunkel wäre, würde ich mich vielleicht wohler fühlen. Bei mir zu Hause (dem Zuhause) geht das Licht an, wenn ich in die Hände klatsche. Das versuche ich jetzt auch, aber es funktioniert nicht. Vielleicht kann mich die Lampe nicht hören, weil der Sturm so laut ist.

»Abigail?«

Keine Antwort. Natürlich kommt Abigail sowieso bald, um nach mir zu sehen. Rechts über meiner Koje ist ein Fenster. Drück dich mit beiden Händen hoch. Vorsichtig, alte Ziege, taste nach dem Bullauge. Ich berührte das kalte Glas mit der Nase. In anderen Nächten konnte ich den Mond oder die Sterne sehen. Eines Nachts sah das Meer wie silberner Samt aus, der auf einer Bühne geschüttelt wird. Ich erinnere mich an das Palladium â¦ oder war es das Lyceum? Ich weiß nicht mehr, welches Stück ich dort gesehen habe. Jetzt ist alles dunkel.

Ich will mich gerade wieder hinlegen, als sich das Boot hebt,

höher,

höher,

höher â¦

Als höbe jemand uns aus einer Badewanne. Ich fühle mich schwerelos.

Jetzt senkt sich das Boot wieder, klatscht auf die Wellen. Ich werde nach hinten geworfen, aus dem Bett und auf den Kajütenboden. Einen Moment lang vergesse ich zu atmen. Dann kommt der Schmerz. Ich kann kaum meinen eigenen Schrei hören. Zwischen Bett und Tür ist nicht viel Platz, und an irgendwas habe ich mir den Kopf gestoßen. Abgesehen von dem blinkenden Wecker ist es immer noch dunkel. Es ist schrecklich. Wenn ich Abigail und ihn das nächste Mal sehe, werde ich ihnen sagen, dass ich nach Hause will. »Ein letztes Abenteuer«, wie er es ausdrückt, will ich nicht. Er hat ja keine Ahnung, was das Wort bedeutet.

Die Tür ist ganz nah, also taste ich hinauf, irgendwo über mir â¦ Meine Finger streifen etwas, das an einer Schnur baumelt. Ich greife danach und ziehe. Das Licht geht an. Meine Beine haben sich im weißen Laken verheddert. Steh auf, liege da nicht herum, setz dich wenigstens hin. Ich könnte es versuchen, aber das Boot schaukelt wie wild, und ich will nicht wieder umgeworfen werden.

Ich krieche zum Bett und versuche zu schlafen. Aber da höre ich etwas. Ganz schwach. Das Geräusch kommt nicht durch die Luft, sondern durch mein Kissen. Durch den Fußboden und die Wände. Ein hoher, dünner Ton, den der Sturm beinahe erstickt.

Ein Baby weint.

Meine Lippen verziehen sich zu einem Lächeln. Mein Enkel. Er ist vier Monate alt. Oder fünf? Zu klein, um auf das Boot mitgenommen zu werden, so wie ich zu alt dafür bin. Donner erschüttert meine Brust, als ich an das Baby denke. Wenn die Erinnerung etwas vage ist, liegt es daran, dass Babys nun einmal so sind. Verschwommen, noch nicht ganz entwickelt. Vielleicht wird er eines Tages Richter oder Dichter oder Landschaftsgärtner. Aber das kann man noch nicht erkennen, noch behält er es für sich. Ich hoffe, es geht ihm nicht zu schlecht. Das Meer hat ihm zugesetzt. Wie lange sind wir schon auf dem Boot?

Ich schlage die Augen auf und starre ins Licht. Vielleicht ist Abigail bei dem Baby. Manchmal lässt er sich nicht beruhigen, egal wie sehr sie sich bemüht. Kein Wunder bei diesem Sturm. Aber ich habe meine Zweifel und sie werden stärker. Abigail kann das Baby eigentlich sehr gut beruhigen. Überhaupt hat sie etwas Beruhigendes an sich, und das hat sie nicht von mir. Sie muss eine gute Krankenschwester gewesen sein, bevor er sie gezwungen hat, ihren Beruf aufzugeben. Sie sagt zwar, er hätte sie nicht gezwungen, sondern sie selbst hätte â¦

Das Baby weint immer noch.

Das Boot schaukelt durch Berg und Tal. Aber was hat man mit siebenundachtzig schon zu verlieren? Ich setze mich auf und halte mich am Bett fest. Die Kajütenlampe flackert und geht aus. Ich sitze im Dunkeln und spreche Wörter aus, die eine Siebenundachtzigjährige nicht einmal kennen sollte.

Tief durchatmen!

Ich will zur Tür gehen. Das Boot krängt, und ich werde an etwas Massives, Hölzernes geworfen. Aus der Kajüte, in den schmalen Gang. Das ist das einzig Gute an diesem kleinen Boot: Man kann nicht weit fallen. Im Dunkeln kann ich die Wände an beiden Seiten berühren. Da gibt es noch etwas anderes, etwas Ungewohntes. Ich habe kalte Füße. Der Gang ist überflutet.

Langsam taste ich mich vor, meine Beine drohen mir den Dienst zu verweigern. Vor mir liegen zwei Türen, Abigails Zimmer und ein Gästezimmer, in dem jetzt das Baby untergebracht ist. Auf meiner Seite liegt die Tür des Kinderzimmers.

»Abigail?«

Nur der Sturm antwortet. Ich greife nach dem Türknauf des Kinderzimmers, aber immer mehr Wasser strömt herein. Gehen wir unter? Ein Fuß an der Wand und beide Hände am Türknauf ziehe ich. Die Tür geht auf, und das Weinen wird lauter.

»Abigail? Bist du da drinnen?«

Keine Antwort. Die Dunkelheit macht mich ganz schwindelig. Gäbe es Licht, ginge es mir besser. Ich kann das Baby nicht sehen; Wasser steht auch im Kinderzimmer. Das ist nicht richtig. Ich bin diejenige, die die Tür geöffnet hat, ich habe das Wasser hineingelassen. Habe ich einen Fehler gemacht? Es ist zu spät, umzukehren. Ich gehe weiter, immer dem Weinen nach. Drinnen gibt es nichts, woran ich mich festhalten könnte. In jeder Kajüte befindet sich eine eingebaute Koje, aber das Baby liegt in einem extra aufgestellten Reisebett.

Ein niedriges Bett, praktisch nur eine Matratze direkt auf dem Fußboden.

Konzentriere dich auf das Weinen - es ist noch da. Wie ein Rennschlitten schießt das Boot in ein Wellental. Gerade noch rechtzeitig halte ich mich am Türrahmen fest, und einen Moment lang schwappt kein Wasser mehr um meine...
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Autor

Joe Heap wurde 1986 geboren und wuchs als Lehrerkind in Bradford auf- Er studierte Englische Literatur sowie Kreatives Schreiben. Heute lebt Joe in Lodon zusammen mit seiner geduldigen Freundin, seinem ungeduldigen Baby und seinder ständig eingeschnappten Katze. Die Welt in allen Farebn ist sein Debütroman.